10.23
Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Abgeordneter Kickl hat mich gebeten, den Plan in die Kamera zu halten. (Der Redner hält die Broschüre „Der Österreichplan“ in die Höhe.)
Haben Sie noch weitere Wünsche, Herr Abgeordneter Kickl? (Abg. Kickl: Besonders abgegriffen ist er noch nicht!) – Gut. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Ottenschläger: Das ist ein guter Plan!) Den einen Wunsch habe ich Ihnen einmal erfüllt. Alle Wünsche kann ich Ihnen nicht erfüllen, aber danke für die Aufforderung, das hätte ich sonst vergessen. (Abg. Kickl: Luxuspensionist! – Weiterer Zwischenruf bei der FPÖ.)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir von Sicherheit in Europa reden, sollten wir zuerst einen Blick zurück machen. Noch geprägt von den Schrecken des Zweiten Weltkrieges ist 1958 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ins Leben gerufen worden – mit zwei Zielen: Das eine war, durch enge wirtschaftliche Verflechtungen einen großen Markt zu schaffen, den sogenannten Binnenmarkt, um den Wohlstand für die Bürgerinnen und Bürger in Europa langfristig zu heben und auch abzusichern. Das ist gelungen. Wenn Sie sich die Entwicklung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ansehen, erkennen Sie: Es ist eine sehr, sehr positive! Das zweite Ziel war, damit auch den Frieden zu sichern. Auch das ist innerhalb der Europäischen Union geschafft worden.
35 Jahre später ist mit dem Vertrag von Maastricht die Europäische Union als politische Union ins Leben gerufen worden, und es hat sich gezeigt, dass dieser Einigungsprozess für die Menschen sehr wertvoll ist. Was meine ich damit? – In den 300 Jahren vor dem Einigungsprozess hatten wir bis zum Zweiten Weltkrieg gezählte 123 Kriege. Sie wissen, dass das auch uns und unsere Nachbarn betrifft. Viele Österreicher mussten auf den Schlachtfeldern im Kampf gegen Italien sterben. Es ist schrecklich, was zwischen Deutschland und Frankreich passiert ist. Das Friedensprojekt Europäische Union, kann man sagen, ist gelungen.
Jetzt geht es um eine Weiterentwicklung, um von dieser Friedensunion zu einer Sicherheitsunion zu kommen. Warum? – Die Welt um uns hat sich radikal geändert. 1989 hat der damalige sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow eine Rede vor dem Europarat gehalten. Er hat damals vom gemeinsamen Haus Europa gesprochen. Seine Rede hat er mit einem Zitat des französischen Schriftstellers Victor Hugo eingeleitet.
Ich zitiere: Der Tag wird kommen, wenn du, Frankreich, du, Russland, du, Italien, du, England, du, Deutschland, wenn ihr euch alle, alle Nationen des Kontinents, ohne eure Merkmale und eure hervorragende Eigenart einzubüßen, untrennbar zu einer höheren Gesellschaft zusammenschließt und eine europäische Bruderschaft bildet. Der Tag wird kommen, an dem die für Handel offenen Märkte und die für Ideen offenen Geister das einzige Schlachtfeld sein werden. – So weit die Vision von Victor Hugo. (Beifall bei der ÖVP.)
Gorbatschow hat direkt an das Zitat angeschlossen und gemeint: „Das sind die Motive, nach denen wir unsere europäische Politik [...] stark aktivieren werden.“ „Im Grunde geht es um eine solche Umgestaltung“, denn Europa entstammt einer internationalen Ordnung, „die die gesamteuropäischen Werte entschieden in den Vordergrund rückt“ und es gestatten würde, „das traditionelle Kräftegleichgewicht durch ein Interessengleichgewicht zu ersetzen.“ (Beifall bei der ÖVP.)
Jetzt müssen wir sagen: Schade, dieses Zeitfenster ist nicht genutzt worden. Wir leben in einer völlig anderen Welt. Putin sieht Europa überhaupt nicht mehr als sein Haus, in dem auch er Platz hat. Wir sind in einer neuen Phase angekommen. Jetzt drohen enge Vertraute von Putin wie der Vorsitzende der Jedinaja Rossija – das ist die Partei von Putin – Dmitri Medwedew Europa mit dem Atomkrieg. Wir wissen, was Atomkrieg heißt: Es gibt nichts Furchtbareres für die Menschen.
Heute sitzt im Plenum der Abgeordnete zum Europäischen Parlament Harald Vilimsky, der mit einem anderen sehr prominenten FPÖ-Abgeordneten – es ist noch nicht lange her – in Moskau gestanden ist und freudestrahlend mit dieser Partei einen Freundschaftsvertrag abgeschlossen hat – meine Damen und Herren, so weit sind wir –, mit jenen, die uns mit Atomkrieg drohen. Das sind noch vor Kurzem Ihre Freunde gewesen und im Geiste auch noch heute. Die von Ihnen nominierte seinerzeitige Außenministerin ist ohnehin schon in Russland. Sie sind nur mit dem Kopf dort, die Außenministerin ist schon körperlich in Russland angekommen. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abgeordneten Brandstätter und Disoski. – Abg. Kickl: Sie ist aber bei Ihnen geblieben, als wir gegangen sind!) – Ja, Kollege Kickl, das hören Sie nicht gerne, aber das muss man sagen. Man muss sagen, wer welche Freunde hat. (Zwischenruf des Abg. Hafenecker. – Abg. Michael Hammer: Rukaki, der Russenkanzler!)
Sie sehen ein Feindbild in der Europäischen Union. Wir sehen die Europäische Union durchaus als ein Konstrukt, von dem ich ein Freundbild habe. Das ist der große Unterschied zwischen Ihnen und uns: Wir sehen die Europäische Union als eine starke Gemeinschaft mit all den Fehlern, die es gibt (Abg. Kassegger: Vollkommener Realitätsverlust!), in der wir uns einbringen müssen, um sie besser zu machen, aber nicht, um sie zu zerstören. Das ist natürlich genau das Ziel von Putin. (Zwischenruf des Abg. Hafenecker.) Mit der AfD in Deutschland, mit Le Pen in Frankreich und Ihnen hat er hier ja entsprechende Verbündete – ja, so ist es. (Abg. Kickl: Das ist ein bisserl eine Verschwörungstheorie!) – Das ist keine Verschwörungstheorie. (Abg. Kickl: Das ist aber Schwurbelei!) – Auch keine Schwurbelei. (Abg. Kickl: Natürlich!) Ich sage Ihnen, was das ist (Abg. Kickl: Der Oberschwurbler!): Das ist eine Beobachtung Ihrer Politik, seit wir in der Europäischen Union sind, und da waren Sie immer dabei. Immer dabei! (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Michael Hammer: Sicher!) Oder war der Freundschaftsvertrag ein Irrtum? (Abg. Michael Hammer: Sicher!) Ein Irrtum? (Abg. Kickl: Es war kein Vertrag! Herr Lopatka, es war kein Vertrag!) – Kein Irrtum, nein, Sie halten noch fest, das nehme ich zur Kenntnis, Klubobmann Kickl. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Kassegger: Den Unterschied zwischen einem Memorandum of Understanding und einem Vertrag müsstest du ja wissen! Du bist ja Jurist!)
Sie sind mittlerweile aber einer der ganz wenigen, die noch nicht verstanden haben, was dieser 24. Februar 2022 bedeutet. Wir leben tatsächlich in einer neuen Zeitrechnung. Das Wort Zeitenwende, vom deutschen Bundeskanzler verwendet, ist das richtige.
In der Ukraine kommt der Tod für die Zivilbevölkerung vor allem aus der Luft. Da ist es richtig, dass wir uns hier auch entsprechend absichern. Sky Shield ist ein solches Projekt. In vielen Bereichen nennen Sie die Schweiz als Vorbild, in vielen Reden, auch von Ihnen. Die Schweiz hat klar festgestellt: Das ist mit der Schweizer Neutralität vereinbar – auch mit der österreichischen Neutralität (Abg. Meinl-Reisinger: Die Schweiz hat auch klar festgestellt, dass wir ein Sicherheitsrisiko für die Schweiz sind!), weil es unsere Pflicht ist, unsere Menschen zu schützen. Es ist tatsächlich so, dass die Gefahr aus der Luft kommt; ich wiederhole mich: Der Tod in der Ukraine kommt durch Drohnen, durch Raketen aus Russland. Wir müssen uns rechtzeitig vorbereiten, gemeinsam mit anderen Staaten; das könnten wir nie alleine machen, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Deimek.)
Ein weiterer Punkt, den ich nur noch kurz ansprechen möchte – und das halte ich für wichtig, weil wir hier keine künstlichen Debatten führen sollen –: Österreich ist und bleibt neutral. (Ruf bei der FPÖ: Ah!) – Ja, Österreich ist und bleibt neutral. (Abg. Kickl: Neutralitätsziehharmonika der ÖVP!) – Nein, es ist kein Problem, war es auch nicht für Ihren Verteidigungsminister Mario Kunasek. Sie kennen ihn, nehme ich an. (Abg. Michael Hammer: Nein, nimmer, weil der hat ein bissl eine Baustelle!) Er war einmal Verteidigungsminister. (Abg. Kickl: Neutralitätsziehharmonika!) – Nicht Ziehharmonika! (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Kickl.)
Ich sage Ihnen eines: Wir waren immer stolz, dass Österreich in Friedensmissionen viel geleistet hat. Seit 1995 sind wir in einer Partnerschaft für Frieden mit der Nato verbunden. 25 000 österreichische Soldaten haben seit damals in fünf Nato-Missionen großartigen Dienst geleistet. Wir stellen unter den Nicht-Nato-Mitgliedern zum Beispiel das größte Truppenkontingent im Kosovo. Warum sage ich das? – Weil das: einerseits die neutrale Position zu halten, andererseits solidarisch zu sein und bei diesem europäischen Sicherheitskonzept mitzumachen, natürlich kein Widerspruch ist. (Abg. Michael Hammer: Der Herr Bösch wollte der Nato beitreten!) Das ist kein Widerspruch, den wollen nur Sie immer wieder erzeugen.
Wir tun alles, um die österreichische Sicherheit zu gewährleisten. Allein schaffen wir das nicht. Die von Ihnen als Feindbild gesehene Europäische Union hat uns etwas gebracht, was wir vorher nicht hatten: Es gibt gegenseitige Beistandspflichten. Artikel 42 des EU-Vertrages legt klar fest, dass unsere europäischen Freunde, wenn wir militärisch angegriffen werden, wenn es einen bewaffneten Angriff gibt, die Verpflichtung haben, „alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung“ zu leisten. – So heißt das wortwörtlich.
Meine Damen und Herren! Die Europäische Union sichert unseren Frieden. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Kickl: Wer sind denn diese Nachbarländer, die uns angreifen könnten? Sind das dieselben, die in der EU sind? Sind das die gleichen?) Wer sind die, die uns angreifen könnten? – Die Raketen, sage ich Ihnen, die Raketen, die Russland abschießt, könnten durchaus auch in Österreich landen. (Abg. Kickl: Das ist nur blöd, dass Sky Shield nicht so weit schießt!) Vielleicht geht ihr Denken nicht so weit, aber die Raketen gehen so weit, Kollege Kickl. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen. – Abg. Kickl: Gehen sie nicht! Gehen sie nicht, gehen nur bis Bratislava!)
Daher, zum Schluss kommend, meine Damen und Herren: Es ist begrüßenswert, dass die Bundesregierung in unser Bundesheer investiert, erstmals mehr als 4 Milliarden Euro. (Zwischenruf des Abg. Kickl.) Es ist begrüßenswert, dass wir in diese Sicherheitsgemeinschaft in Europa schon eingebunden sind, weil die Europäische Union sich von einer Friedens- zu einer Sicherheitsunion zu entwickeln hat. Und es ist gut, dass wir eine neue nationale Sicherheitsstrategie ausarbeiten (Zwischenruf des Abg. Hoyos-Trauttmansdorff), weil sich die Lage um uns herum völlig geändert hat.
In diesem Sinne: Lesen Sie den Österreichplan (die Broschüre „Der Österreichplan“ in die Höhe haltend), Kollege Kickl, dort ist das alles festgehalten – eine empfehlenswerte Lektüre. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Deimek: Da steht immer nur Kickl drin! – Abg. Michael Hammer: ... Aluhut! – Abg. Martin Graf: In der Planwirtschaft ist die ÖVP ...!)
10.33
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf der Frau Europaministerin das Wort erteilen. – Bitte sehr.