9.08

Abgeordnete Bedrana Ribo, MA (Grüne): Herr Präsident! Geschätzter Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseher:innen hier auf der Galerie und natürlich auch zu Hause vor den Bildschirmen! Ich fange gleich einmal mit einer Begrüßung an: Ich darf im Namen meiner Kollegin Barbara Neßler die 6B von der Kundmanngasse begrüßen. – Herzlich willkommen bei uns im Haus! (Allgemeiner Beifall.)

Wir haben eine Aktuelle Stunde zum Thema selbstbestimmtes Leben durch Inklusion in allen Lebensbereichen einberufen. Wir haben das gemacht, um den Blick auf das Leben von Menschen mit Behinderung zu richten, auf die Rechte, aber auch auf die vielen Barrieren, vor denen sie sehr oft stehen.

Zuerst einmal: Was heißt selbstbestimmt zu leben? – Selbstbestimmt zu leben bedeutet, sein Leben innerhalb eines gesellschaftlichen Rahmens so zu gestalten, wie man es selbst möchte. Die meisten Menschen bekommen dabei nicht all das, wovon sie träumen – eh klar –, doch gewisse Gestaltungsspielräume sollten allen in der Gesellschaft zustehen.

Diese Grund- und Freiheitsrechte beziehen sich beispielsweise auf das Recht auf Familienleben, das Recht auf freie Wohnortwahl, das Recht auf freie Berufswahl, das Recht auf Privatsphäre, Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit. Durch diese Grund- und Menschenrechte entscheiden wir also, wo, mit wem und wie wir leben möchten, was wir essen möchten, wer in unsere Wohnung darf und wo und mit wem wir uns treffen möchten.

Inklusion wiederum bedeutet, dass Menschen mit Behinderung an diesen Rechten teilhaben können müssen – das Müssen ist wichtig –, gemeinsam mit Menschen ohne Behinderung. Doch die Realität schaut leider anders aus: Menschen mit Behinderung – und das bestätigt auch die UNO in ihrer Staatenprüfung Österreichs zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention – haben in sehr vielen Fällen nicht diese Rechte.

Diese Rechte umzusetzen erscheint uns allen – nicht nur hier im Haus, sondern wahrscheinlich in der gesamten Gesellschaft – wichtig und niemand würde sich dagegen aussprechen. Letzte Woche im Ministerrat wurde ein Ministerratsvortrag zu diesem Thema verabschiedet. Die Umsetzung wird jedoch immer ein bisschen schwieriger. Sobald es an die Umsetzung geht, heißt es sofort: Ja, stimmt, aber irgendwie ist es doch etwas aufwendig! Ja, es kostet halt doch etwas Geld! Dann schwebt immer diese Frage im Raum: Braucht es das überhaupt? Das Geld brauchen wir doch für viele andere, wichtigere Themen, für die vielen Krisen wie den Ukrainekrieg, die Coronakrise oder den Klimanotstand.

Auch in dieser Regierungsperiode waren eben Krisen zu meistern, und dann ist es leider so, dass das Thema Inklusion und Selbstbestimmung sehr oft ins Abseits gerät, auf der Prioritätenliste einfach immer wieder nach unten rutscht. Das sage ich auch selbstkritisch. Die Regierung hat zuletzt im Bereich Menschen mit Behinderung einige wichtige Schritte nach vorne gemacht, Stichwort Pilotprojekt persönliche Assistenz oder die Möglichkeit für junge Menschen mit Behinderung, AMS- und SMS-Angebote in Anspruch zu nehmen, da die Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit bis 25 nicht mehr verpflichtend ist. Das sind wichtige Schritte, und ich verstehe auch die Kritik von der Community, von der Opposition – natürlich hätte das früher kommen können, ja klar, aber Krisen kosten auch Kapazitäten.

Aus Krisen können wir auch viel lernen. Ich habe mir das überlegt: Die Coronakrise zum Beispiel hatte auch sehr viel mit dem Thema Inklusion und Selbstbestimmung zu tun. Da waren wir auf einmal alle in unserer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. (Abg. Belakowitsch: Sie haben uns eingeschränkt!) Wir konnten nicht dorthin gehen, wo wir wollten (Abg. Belakowitsch: Sie haben das gemacht, Sie haben uns eingeschränkt!), die Cafés und Restaurants waren tabu, es war gewissermaßen eine kollektive Erfahrung von Behinderung. (Abg. Belakowitsch: Aha! Interessant ..., das waren die Maßnahmen dieser Bundesregierung!)

Manche Menschen mit Behinderung berichten mir wiederum, dass sie sich in dieser Zeit gleicher gefühlt haben, deshalb gleicher, weil sie eben das Gefühl kennen, nicht in ein Restaurant gehen zu können, da es dort eben kein barrierefreies WC gibt, oder weil sie das Gefühl kennen, wie es ist, wenn die Assistenz keine Zeit hat, sie zu einem Termin zu begleiten. In der Covid-Zeit gab es eben diese Termine nicht und die Restaurants waren für alle zu.

Dann kamen auch die Demonstrationen. (Abg. Belakowitsch: Na, falsch!) – Ja, dann kamen die Demonstrationen, in denen es hieß: Was ist mit unseren Grundrechten? Was ist mit der Versammlungsfreiheit? – Wo aber waren Sie? Sie sind dann immer sehr still, wenn es um Grundrechte und Freiheiten für Menschen mit Behinderung geht. (Abg. Belakowitsch: Ach so! Glauben Sie das wirklich? Was reden Sie da überhaupt, haben Sie überhaupt eine Ahnung?) Als es um die körperliche Integrität im Zusammenhang mit der Impfung ging, da waren Sie ganz laut. (Abg. Belakowitsch: Ja!) Es ist aber so, dass man nur dann, wenn es einen selbst betrifft, laut ist, aber wenn es die anderen betrifft, nicht. (Zwischenruf der Abgeordneten Belakowitsch.) Diese Frage habe ich mir da schon sehr oft gestellt. (Beifall bei den Grünen.)

Sie waren auch recht still, als es darum ging, dass Menschen mit Behinderung Assistenz bekommen (Abg. Belakowitsch: Wissen Sie eigentlich, was Sie da reden?! Denken Sie manchmal nach, ... Sie reden?), damit sie ein Restaurant besuchen und dort zum WC können. Dann hieß es eher: Sollen sie doch Windeln tragen, ein Katheter soll angesetzt werden! (Abg. Belakowitsch: Wer sagt das?!) Also das kam – eher von dieser Richtung (in Richtung FPÖ) – sehr oft. (Abg. Belakowitsch: Sagen Sie einmal, geht es Ihnen überhaupt noch?!)

Wie gesagt: Die Regierung hat wesentliche Schritte gesetzt (Abg. Hauser: Ja, Sie hat uns eingesperrt ...! Abg. Belakowitsch: Unglaublich ...!), so nimmt der Bund zum Beispiel 100 Millionen Euro in die Hand, um persönliche Assistenz außerhalb des Arbeitsplatzes mit den Ländern kozufinanzieren. Dadurch können Menschen mit Behinderung selbst entscheiden, wer sie wo und wie unterstützt – in der Wohnung, beim Kinobesuch, an ihrem Feierabend. Das ist Selbstbestimmung, das ist Inklusion! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Ich danke auch noch einmal dem Minister, der bei diesem Projekt sehr dahinter war. Doch man sieht an diesem Projekt auch, dass allein die Zurverfügungstellung der Finanzmittel nicht reicht, es braucht den Willen von allen, denn in diesem Fall hat der Bund 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, aber die Länder haben das Geld nicht abgeholt.

Die Gründe sind unterschiedlich. In einigen Bundesländern arbeiten persönliche Assistent:innen in sehr prekären Arbeitsverhältnissen, das heißt, in freien Dienstverträgen, dort gibt es keinen bezahlten Urlaub, keinen bezahlten Krankenstand. Und dazu stehe ich: Wir als Bundesregierung wollen, dass die persönlichen Assistent:innen angestellt werden, wir wollen, dass sie bezahlten Urlaub haben, wir wollen, dass sie bezahlten Krankenstand bekommen. Dass zum Beispiel Wien da nicht mitmacht  Wien, das von der SPÖ regiert wird, von einer Arbeitnehmer:innenpartei, die in dem Fall eben wirklich nicht für bessere Arbeitsbedingungen ist –, verstehe ich nicht, das müsst ihr mir erklären. (Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Grünberg.)

Das Beispiel zeigt, dass der Bund Inklusion und Selbstbestimmung nicht alleine umsetzen kann. Österreich ist ein föderaler Staat und leider, leider ist der Föderalismus nicht barrierefrei. Dabei können wir, die Politik, die Gesellschaft, die Strukturen, eigentlich sehr viel von Menschen mit Behinderung lernen, denn Menschen mit Behinderung lernen von klein auf, Dinge anders zu denken, alternativ zu denken, Dinge anders zu machen, weil sie es eben müssen. Wenn wir wollen, dass Menschen mit Behinderung in Linz dieselben Rechte haben wie Menschen, die in Graz wohnen, dann müssen auch wir vieles neu denken.

Konzepte für Inklusion und Selbstbestimmung müssen über alle staatlichen Ebenen und für alle Menschen mit oder ohne Behinderung funktionieren; sie müssen auf der einen Seite für ein dreijähriges Kind, das in einer Großstadt lebt, funktionieren, aber auch für eine 80-, 90-jährige Frau am Land. Das ist Inklusion, wenn man das als ein großes Bild betrachtet. Erst wenn wir das schaffen, haben wir auch eine Chance, weitere Krisen zu bewältigen. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

9.17

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Rauch. – Bitte sehr, Herr Bundesminister.