9.30

Abgeordnete Mag. Verena Nussbaum (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bun­desminister! Hohes Haus! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Das Thema In­klusion ist in aller Munde – doch was heißt es eigentlich, unsere Gesell­schaft inklusiv zu gestalten? Ich nehme Sie mit auf eine Reise in eine inklusive Gesellschaft.

Sehen wir uns einen Lebenslauf an: Wir beginnen ganz vorne – bei der Geburt eines Kindes mit Behinderungen. Die Eltern erhalten von Expertinnen und Experten individuelle Unterstützungsleistungen, die sie benötigen, um ihr Kind angemessen auf der Welt begrüßen zu können. Diese Expert:innen beglei­ten die Eltern und das Kind auch nach der Geburt weiter. Die Eltern können alle Ansuchen um staatliche gesundheitliche Unterstützungsleistungen bei einer Behörde einbringen, die für alle Thematiken im Behindertenbereich zustän­dig ist – einem sogenannten One-Stop-Shop. Die Zeit, die sich die Eltern bei den Behördengängen ersparen, können sie dafür verwenden, wertvolle Zeit mit ihrem Kind zu verbringen.

Dann beginnt die Zeit im Kindergarten, in dem Kinder nicht nur gemein­sam spielen, sondern auch voneinander lernen. Inklusion im Kindergarten legt den Grundstein für die gesellschaftliche Entwicklung eines Kindes. Dabei lernt das Kind gesellschaftliche Werte wie Akzeptanz oder Solidarität. Versäum­nisse bei Kindern in diesem Alter können auf dem späteren Lebensweg nur sehr schwer wieder aufgeholt werden.

Nach dem Kindergarten besucht das Kind die Schule, die es möchte. Das Recht auf Schule und Bildung sollte für alle Kinder gleichermaßen gelten (Beifall bei der SPÖ), ganz egal ob es sich um ein Kind mit Behinderung handelt oder nicht. In der Schule werden die Kinder mit Behinderungen von Schulassis­tent:innen im Schulalltag unterstützt. In den Klassen werden behinderte Kinder gemeinsam mit Kindern ohne Behinderung unterrichtet. Sie alle lernen gemeinsam und unterstützen einander gegenseitig.

Der Schulweg ist barrierefrei gestaltet, was es dem Kind ermöglicht, mit öffentli­chen Verkehrsmitteln selbstständig in die Schule zu fahren. Nach der Pflichtschule hat das Kind – mittlerweile schon ein Teenager – die Wahl zwi­schen Lehre und Matura. Für den Fall, dass die Jugendliche eine Lehre machen möchte, steht natürlich eine Arbeitsassistenz bereit. Sollte jedoch eine weitere Schullaufbahn gewählt werden, gibt es hinsichtlich der Schulwahl keine Einschränkungen. Das gilt dann auch im Universitätsbereich.

Der Übergang vom Bildungssystem zum Arbeitsplatz darf nicht von Barrieren begleitet sein. Inklusion am Arbeitsplatz bedeutet, dass Talente und Fähig­keiten im Mittelpunkt stehen, unabhängig von individuellen Unter­schieden. Jeder und jede sollte die Möglichkeit haben, seinen beziehungsweise ihren Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.

Im Erwachsenenalter spielt natürlich auch die Wahl des Wohnortes eine wich­tige Rolle. Es gibt ausreichend Zugang zu leistbarem und barrierefreiem Wohnraum und eine persönliche Assistenz, die im täglichen Leben und in der Freizeit unterstützt. Zu guter Letzt kann die behinderte Person in Pension gehen und ihren wohlverdienten Ruhestand in finanzieller Sicherheit genießen.

Das hört sich jetzt alles eigentlich sehr leicht und selbstverständlich an, aber jetzt kommt der Filmriss: Wo stehen wir in Österreich derzeit? – Wir sind Licht­jahre von einer vollständigen Inklusion von Menschen mit Behinderun­gen entfernt. Es gibt große Versäumnisse bei der Umsetzung der Behinderten­rechtskonvention, im Bildungsbereich gibt es sogar Rückschritte.

Kinder mit Behinderungen haben in Österreich noch immer nicht die Mög­lichkeit, ihre Schule frei zu wählen. In den Kindergärten fehlt es fast gänzlich an Plätzen für Kinder mit Behinderungen. Noch immer ist der überwiegende Teil von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Sonderschulen unter­gebracht. Danach werden die Jugendlichen in Tagesstrukturen und Wohn­einheiten untergebracht; sie erhalten nur ein kleines Taschengeld und sind ihr Leben lang von ihren Eltern abhängig.

Wir haben noch extrem viel zu tun, um auch tatsächlich eine inklusive Gesellschaft leben zu können. Es braucht die Einrichtung von One-Stop-Shops und ein tatsächlich inklusives Bildungssystem nach dem Motto: jedem Kind die gleichen Chancen! (Beifall bei der SPÖ.)

Wir brauchen barrierefreien Wohnraum, aber auch Barrierefreiheit im öffentli­chen Raum, die Umsetzung von Lohn statt Taschengeld mit voller sozial­versicherungsrechtlicher Absicherung und vor allem das Mitdenken von Inklu­sion in allen Lebensbereichen, auch in allen Ministerien. Natürlich muss auch die Finanzierung gesichert sein, denn eines muss klar sein: Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif! – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

9.35

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Rag­ger. – Bitte sehr, Herr Abgeordneter.