10.36
Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Herr Präsident! Meine sehr geschätzten Damen und Herren Abgeordnete! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher hier im Hohen Haus, aber auch wo immer Sie sich befinden und diese Sendung anschauen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Wenn man dieser Tage durch das Land fährt, dann sieht man ein Plakat, das nicht zufällig mit der Überschrift der heutigen Aktuellen Europastunde, nämlich: „EU-Wahnsinn stoppen“, versehen ist. (Abg. Wurm: Ganz genau! So ist es! – Beifall und Bravorufe bei der FPÖ.) Und unter dieser Überschrift „EU-Wahnsinn stoppen“ finden Sie allerlei Unterstellungen (Abg. Belakowitsch: Was zum Beispiel?), die nichts mit der Europäischen Union zu tun haben, sondern Angst schüren, spalten, Verschwörungstheorien weitererzählen (Abg. Kickl: Na, da sind Sie Expertin!), auch Fakenews weitertragen. (Heiterkeit der Abgeordneten Belakowitsch und Wurm.) Es ist also kein Zufall, dass die FPÖ diese Aktuelle Europastunde unter dieses Motto gestellt hat. (Abg. Amesbauer: Danke, dass Sie für unser Plakat werben! – Abg. Belakowitsch: Wie viele Panzer sind durch Österreich gerollt in den letzten beiden Jahren?)
Ich aber sage Ihnen: Ich freue mich, dass wir hier über Europa sprechen können. Der Europatag ist erst wenige Tage her. In wenigen Wochen finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt, und in Österreich jährt sich das Jubiläum des Endes der Verhandlungen Österreichs über den Beitritt zur EU zum dreißigsten Mal. (Abg. Belakowitsch: Na, super! – Abg. Kickl: Und ich möchte auch Kommissarin werden!) Ja, am 12. Juni 1994 haben 66,6 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher klar für Ja gestimmt, für die Europäische Union. (Abg. Amesbauer: Sie schauen, wie Sie Kommissarin werden!) Und das ist gut so, denn wir haben stark davon profitiert. (Abg. Belakowitsch: Sie vielleicht schon, die Österreicher weniger!)
Und, na ja, wenn man sich das so anschaut, ändert auch die FPÖ momentan offensichtlich ihren Kurs. Haben wir vor Kurzem noch von der „Festung Österreich“ gehört, sind Sie davon abgekommen. Ich gratuliere zu dieser Einsicht. Es ist nicht möglich, österreichische Lösungen für große, große Herausforderungen herbeizuführen. (Abg. Kickl: Das eine ergänzt das andere!) Es braucht ein geeintes Europa. Deshalb plädiert jetzt auch die FPÖ für eine „Festung Europa“. (Abg. Amesbauer: Das haben wir immer schon gesagt!) Sie haben es auch verstanden: Wer nicht dabei ist, kann nicht mitreden.
Es ist gut so, denn bisher sind von Ihnen nur rein nationale Lösungen gekommen. (Abg. Belakowitsch: Von Ihnen sind nicht einmal die gekommen!) Das sind leere Versprechungen, damit streuen Sie den Menschen Sand in die Augen. Wir brauchen den Blick über den Tellerrand, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wenn wir Freiheit, Sicherheit, Wohlstand und Frieden in der Europäischen Union aufrechterhalten wollen, dann müssen wir zusammenhalten. (Abg. Kickl: Schauspielerin sind Sie auch noch eine schlechte! – Abg. Belakowitsch: Gehen Sie wieder singen!)
Warum die Europäische Union das größte Friedensprojekt aller Zeiten ist, zeigt ein Blick in die unmittelbare Nachbarschaft. Seit 811 Tagen verteidigt die Ukraine ihr Land, seit 811 Tagen verteidigt sie auch unsere europäischen Werte und das Prinzip einer regelbasierten internationalen Ordnung. Hier kommt die Idee der Europäischen Union zum Tragen, die in die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl gemündet hat, um Krieg materiell unmöglich zu machen. Dafür müssen wir auch weiter kämpfen, dass Krieg in der Europäischen Union, aber auch auf europäischem Boden zukünftig unmöglich ist und wir wieder zu Frieden kommen. (Beifall bei der ÖVP.)
Das ist der Grund dafür, dass wir klar an der Seite der Ukraine stehen, dass die Europäische Union hierzu von Anfang an Stellung bezogen hat. Es geht um österreichische Werte, um europäische Werte. Es geht darum, dass wir nicht zulassen werden, dass unsere regelbasierte Ordnung von einem russischen Angreifer ad absurdum geführt wird. Das Recht des Stärkeren darf sich nicht durchsetzen.
Manche aus den Reihen der FPÖ gehen sogar so weit, dass sie sagen: Die Ukraine ist ja selbst schuld! Sie hat Putin mit der Idee provoziert, auch der Europäischen Union und der Nato angehören zu wollen! Ich sage Ihnen: Das ist absurd! Das würde nämlich bedeuten, dass man einem souveränen Staat die Souveränität abspricht. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)
Und wenn jetzt jemand auf die Idee kommt, hier vielleicht historische Vergleiche ziehen zu wollen, dann sage ich Ihnen: Nein, wir befinden uns nicht im Jahr 1955! Dieser Krieg Putins gegen die Ukraine hat im Jahr 2022 begonnen! (Abg. Hafenecker: Da haben Sie die Krim vergessen!) Deshalb ist es für mich so unverständlich und auch beschämend, dass die FPÖ nicht in der Lage ist, den Aggressor zu benennen. Der Aggressor ist Putin, er kann den Krieg heute stoppen. Wenn die Ukraine allerdings aufhört, zu kämpfen, ist das das Ende der Ukraine und wahrscheinlich noch von sehr viel mehr, und das werden wir nicht zulassen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen. – Zwischenrufe der Abgeordneten Amesbauer und Belakowitsch.)
Aber halt! Habe ich gesagt, es ist für mich unverständlich, warum die FPÖ nicht in der Lage ist, den Aggressor klar zu benennen? (Abg. Amesbauer: Das haben wir schon tausendmal gesagt! – Abg. Belakowitsch: Haben Sie die Rede vor dem Spiegel geübt? – Abg. Amesbauer: Das ist ein Schauspiel!) – Es ist vielleicht gar nicht so unverständlich, denn diese Partei, die FPÖ, hat einen Freundschaftsvertrag mit der Partei Putins. (Abg. Kassegger: Falsch! Zum hundertsten Mal falsch!) Bei diesen FPÖ-Abgeordneten sind russische Spione aus und ein gegangen. (Abg. Wurm: Na Sdorowje! Na Sdorowje!) Diese FPÖ ist zum Feiern auf den Roten Platz nach Moskau gefahren.
Benennen wir die Dinge, wie sie sind! (Abg. Kickl: Na ja, aber in den russischen Farben aufgebrezelt, das waren schon Sie! – Abg. Amesbauer: Sie sind das Putin-Fangirl! Sie sind das! – Ruf bei der FPÖ: Was für ein Schauspiel!)
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir haben der Erstrednerin diszipliniert zugehört, ich würde Sie bitten, dass Sie das gleiche Recht für alle anderen auch anwenden. Ich bitte Sie, die Ministerin nicht zu unterbrechen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen. – Abg. Leichtfried: Ja, die sind halt sehr nervös derzeit! – Abg. Kickl: Sie ist ein Putin-Groupie!)
Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler (fortsetzend): Meine sehr geehrten Damen und Herren, benennen wir die Dinge, wie sie sind: Diese FPÖ ist schon lange nicht mehr neutral, diese FPÖ steht auf der Seite Putins. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Grünen. – Ruf bei der FPÖ: Sie sind das Fangirl Putins! – Abg. Wurm: Na Sdorowje! Na Sdorowje!)
Es muss unser aller Ziel sein, wieder Frieden herzustellen, es muss das Ziel sein, das mit der Ukraine zu tun und nicht auf deren Rücken. Es braucht die Wiederherstellung der Souveränität und der territorialen Integrität der Ukraine. Daher ist klar: Die EU und auch Österreich werden weiterhin an der Seite der Ukraine stehen. Und ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir tun das als neutraler Staat. Wir sind neutral in militärischer Hinsicht (Abg. Kickl: Ja, eh! – Abg. Belakowitsch: Darum lassen wir Panzer durchrollen!), das heißt aber nicht, dass wir eine Gesinnungsneutralität an den Tag legen. Wir liefern keine Waffen (die Abgeordneten Belakowitsch und Wurm: Wir zahlen sie nur! – Abg. Kassegger: Wir liefern Geld, mit dem Waffen gekauft werden!), wir finanzieren auch keine Waffenlieferungen (Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen), aber wir unterstützen die Ukraine selbstverständlich finanziell (Abg. Kassegger: Damit sie sich Waffen kaufen kann! – Ruf bei der FPÖ: Und Munition! – Abg. Amesbauer: Wollen das die Bürger auch?), politisch und auch in humanitärer Hinsicht.
Ihr Titel für diese Aktuelle Europastunde lautet Frieden, Freiheit und Wohlstand sichern. (Abg. Belakowitsch: Genau!) Dafür braucht es natürlich auch den Kampf gegen die illegale Migration. Österreich ist nie davor zurückgeschreckt, den Finger in diese Wunde zu legen. (Oh-Rufe bei der FPÖ. – Abg. Amesbauer: Ihr habt die Wunden aufgerissen!) Wir haben es geschafft, dass das Thema wieder ganz nach oben auf die europäische Agenda gekommen ist.
Erst gestern ist der Migrations- und Asylpakt endgültig formell angenommen worden, nun kann die Europäische Union endlich mit einer Stimme sprechen. (Abg. Kassegger: Schön unparteilich! Gerecht unparteilich!) Was das Entscheidende ist: Österreichische Forderungen sind aufgenommen worden. Es gibt verpflichtende und schnelle Asylverfahren an der EU-Außengrenze. (Abg. Kickl: Nach griechischem, italienischem, spanischem: Nach welchem Recht denn?) Es geht um die Bekämpfung der Sekundärmigration und um eine flexible Solidarität, die keine verpflichtende Verteilung vorsieht.
Diese Reform ist der richtige Schritt in die richtige Richtung. Klar ist aber auch, dass noch viele weitere folgen müssen, um tatsächlich dafür zu sorgen, dass die Durchführung von Asylverfahren in Drittstaaten schnell und reibungslos abgehandelt werden kann, dass die Verfahren, die negativ beschieden werden, auch entsprechend durchgeführt werden und es Rückübernahmeabkommen mit Drittstaaten gibt.
Und all das – diese eine Stimme, mit der Europa spricht – soll letztlich verhindern, dass Menschen sich überhaupt auf den Weg machen. Es soll verhindern, dass sie die gefährliche Reise auf sich nehmen. Es soll ihnen vor Ort Hilfe geboten werden. Ich sage Ihnen, da wird es noch weitere Entlastungen für Österreich geben. Es hat lange gedauert, bis wir dorthin gekommen sind, aber jetzt ist dieser Beschluss gefasst. (Beifall bei der ÖVP.)
Es braucht natürlich noch etwas, damit Frieden, Freiheit und Wohlstand gewährleistet werden können (Abg. Hafenecker: Einen Regierungswechsel in Österreich!), das größte Asset der Europäischen Union: den Binnenmarkt. Diese konkreten Vorteile sehen wir seit über 30 Jahren. Österreich ist ein Exportland: Über 70 Prozent unseres Exportes geht in EU-Mitgliedstaaten; seit unserem Beitritt hat sich diese Quote vervierfacht. (Abg. Kassegger: Und die Quote der Schweiz ebenso! Also! – Abg. Hafenecker: Seit Anbeginn gibt es schwarze Kommissare! Was haben die gemacht?) – Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch von der FPÖ, Sie werden diese Fakten nicht bestreiten können. Sie können das nachlesen; wenn Sie rechnen können, dann werden Sie die Auswirkungen sehen.
Je unbürokratischer wir sind, je weniger Hürden es auf diesem Binnenmarkt gibt, desto größer können unser Einfluss und auch unsere Gestaltungsmöglichkeiten auf der internationalen Bühne sein. (Abg. Kickl: Ziehen Sie die Raiffeisen-Bank aus Russland ab! – Ruf bei der FPÖ: Das ist ja ein super Geschäft!) Derzeit trifft wohl noch der Satz zu: Die USA sind innovativ, China ist produktiv und Europa ist regulativ! Das müssen wir ändern. Wir wollen endlich wieder Weltmeister der Innovation werden und nicht Champions der Überregulierung bleiben. Wir müssen jetzt in unseren Wettbewerbsstandort investieren. (Beifall bei der ÖVP.)
Weil es dafür nicht nur schöner Worte, sondern eines konkreten Plans bedarf, habe ich gemeinsam mit Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher einen Zehnpunkteplan erarbeitet, den ich auch auf europäischer Ebene vorgestellt habe. (Abg. Belakowitsch: Den hat das eh nicht interessiert, der wollte nur sein ...!) Ich habe viel Zuspruch dafür bekommen, auch von der Kommission. Und es gibt einen Draghi- und einen Letta-Plan, die Ähnliches vorsehen. Wir müssen einfach gemeinsam die Wirtschaftsinteressen wieder nach vorne stellen und die Hürden abbauen, damit dieser Wohlstand auch für die nächsten Generationen gesichert sein wird. (Zwischenrufe der Abgeordneten Deimek und Steger.)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit komme ich auch zum Abschluss: Kritik an der Europäischen Union ist notwendig und auch zulässig. Es ist auch so, dass wir diese Kritik auch immer wieder üben, aber eines sollten wir uns schon klarmachen: Wer ist denn die Europäische Union? – Die Europäische Union sind wir 27 Mitgliedstaaten. Wir sind es, die die Regeln für die Zukunft schaffen, wir sitzen am Tisch und wir wollen gehört werden. (Abg. Belakowitsch: Dann macht es einmal!)
Um besser zu werden, braucht es aber natürlich auch diese Kritik. Ich möchte auch ganz klar sagen: Wenn man die Europäische Union kritisiert, dann ist man nicht notwendigerweise europafeindlich (Abg. Amesbauer: Das sind wir ja auch nicht!) – von einigen Ausnahmen abgesehen. (Abg. Belakowitsch: Die bestimmen Sie, die Ausnahmen!) Man ist daran interessiert, Europa besser zu machen, denn auch die Europäische Union ist selbstverständlich nicht fehlerfrei.
Jetzt geht es darum, die Schwächen in Stärken umzuwandeln und europäische Lösungen zu suchen (Abg. Deimek: Ihr habt es jetzt einmal fünf Jahre schlechter gemacht! Danke, ÖVP!): Das ist das, was diese Bundesregierung macht, das ist das, was unser Bundeskanzler Karl Nehammer macht, das ist das, was auch mir als Europaministerin wichtig ist, was jeden Tag meine Maxime ist – wie auch im Interesse der österreichischen Bevölkerung zu handeln. Und egal, welches Bild Sie von der Europäischen Union im Kopf haben, eines ist schon klar: Es geht nur gemeinsam, es geht nur mit internationalen, europäischen Lösungen. Einsam ist der Holzweg, auf dem die ÖV- - (Ah-Rufe bei der FPÖ), ah, FPÖ (Abg. Kassegger: Freud’scher Versprecher! – Ruf bei der FPÖ: Ui! – Abg. Kickl: Und das am vermeintlichen Höhepunkt! – Heiterkeit bei Abgeordneten der FPÖ) stecken bleibt, wenn sie weiter von „EU-Wahnsinn stoppen!“ (Abg. Belakowitsch: Richtig, richtig, richtig!) spricht, ohne gute Lösungen auf den Weg zu bringen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen. – Abg. Kickl: So fleißig trainiert!)
Mein sehr geehrten Damen und Herren, dafür kämpfen wir jeden Tag. Ich hoffe auch, dass die Österreicherinnen und Österreicher am 9. Juni von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, denn es ist nicht egal, wie sich die Europäische Union weiterentwickelt. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen. – Abg. Hafenecker: Ganz schlechte Rede! – Abg. Belakowitsch: Das war eine Schülerrede!)
10.47
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Lopatka. – Bitte. (Abg. Leichtfried: Ah, der Spitzenkandidat!)