15.11

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Besucher auf der Galerie und Zuseher! Ich hatte an sich nicht vor, das Wort zu ergreifen, aber, ganz offen, da ich hier vorhin von einer Abgeordneten den Vorwurf gehört habe, die österreichische Bundesregierung und ich selber hätten uns nie für einen Waffen­stillstand im Nahen Osten eingesetzt, bin ich etwas verwundert, muss ich sagen, und das kann ich nicht schweigend stehen lassen.

Es ist ganz klar – und ich glaube, sinnerfassendes Zuhören ist erwartbar –, dass ich das immer wieder gesagt habe, sei es in Brüssel, in New York oder in Amman, in Ramallah, als ich im Nahen Osten zu Besuch war – ganz im Gegenteil.

Das Narrativ zur damaligen Abstimmung der UN-Generalversammlung, das man hier aufgreift, finde ich auch etwas erstaunlich. Ich habe diesbezüglich immer wieder klargestellt, dass das humanitäre Völkerrecht unverhandelbar ist. Es gilt immer, überall und für jeden; selbstverständlich auch für Israel und selbst­ver­ständlich auch im Gazastreifen, und da nehme ich mir kein Blatt vor den Mund. Ich habe das gestern in Ankara genauso wieder festgestellt und bei der Pressekonferenz auch klargestellt. Ich werde nächste Woche in Kairo und Riad sein und auch da Gespräche führen.

Was ich aber bei manchen Redebeiträgen etwas erstaunlich und eigentlich bedrückend finde: Es wird immer wieder unterschlagen, dass der Angriff der Hamas eigentlich nie geendet hat, dass immer noch Raketen fliegen. Es wird eine Täter-Opfer-Umkehr gemacht, indem vergessen wird, warum wir in dieser Lage sind: weil am 7. Oktober letzten Jahres eine Terrororganisation ein mittelalter­liches Pogrom veranstaltet hat und über 1 200 Menschen umgebracht hat. Es traf Kinder, Säuglinge, es gab sexuelle Gewalt brutalster Art an Frauen.

Ich finde auch etwas bedrückend, dass in den öffentlichen Stellungnahmen unterschlagen wird, dass immer noch ein österreichischer Staatsbürger unter den Geiseln ist: Tal Shoham, Vater von zwei Kindern. Und ja, das habe ich gestern in Ankara – in einem Staat, der noch Beziehungen mit der Hamas hat – auch besprochen; und ja, wir versuchen, diesen Familienvater wieder rauszubringen. Ich glaube also, man sollte nicht auf einem Auge blind sein. Man sollte sehr vorsichtig sein, nicht in gewisse Narrativfallen hineinzutappen.

Erlauben Sie mir nach diesen vielen Redebeiträgen noch eine ganz grundsätz­liche Bemerkung zur Neutralitätspolitik: Abgeordneter Matznetter hat ja ganz zu Recht auf das B-VG, auf die immerwährende Neutralität, Artikel 23j, verwiesen. Es ist aktive Neutralitätspolitik. Ich habe dann aber trotzdem auch von der SPÖ einige Äußerungen vernommen, die mir ein bisschen zu denken gegeben haben; von der FPÖ brauche ich in diesem Zusammenhang gar nicht zu reden. Neutra­litätspolitik heißt nicht Gleichgültigkeit. Neutral heißt nicht egal. Das war nie unsere Linie. (Beifall bei der ÖVP. – Ruf bei der SPÖ: Hat niemand gesagt! – Abg. Bayr: Auf was bezieht sich das?)

Ich sage immer wieder: Wenn Russland die Ukraine überfällt und die Grund­prinzipien der UN-Charta, auf die wir uns nach dem Zweiten Weltkrieg geeinigt haben, nämlich insbesondere auch auf das Gewaltverbot, mit Füßen tritt, dann können wir nicht danebenstehen. Da geht es nämlich auch genau um Völker­recht. (Abg. Bayr: Ach, echt?) Wenn eine Terrororganisation wie die Hamas Israel überfällt und mit – Abgeordneter Engelberg hat es klar gesagt – einer Genozid­absicht Menschen abschlachtet und das auch noch öffentlich sagt, dann können wir nicht danebenstehen. Wir werden aber auch nicht schweigen, wenn Freunde und Partner Völkerrecht verletzen, und das sagen wir auch öffentlich.

Was ich hier aber manchmal spüre – und genau in der Welt, in der wir uns jetzt befinden, mit dieser systemischen Auseinandersetzung, muss man sehr vorsichtig sein –: Bitte hüten wir uns vor einer moralischen Trittbrettfahrerei! Bitte verhalten wir uns als Staat nicht so wie ein Zeuge, der sieht, dass auf der Straße eine Person niedergeschlagen oder ausgeraubt wird oder ihr eine andere Form von Gewalt angetan wird, und dann sagt: Nein, das betrifft mich nicht, da gehe ich lieber weiter, da bin ich lieber neutral! – Das wird uns nicht sicherer machen. Selbstisolierung macht uns nicht sicherer, das ist ein großes Missver­ständnis der FPÖ. Sich in sein Schneckenhaus zurückzuziehen macht uns nicht sicherer, es wird uns nur verarmen und unsicher machen. – Danke sehr. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abgeordneten Disoski, Maurer, Schellhorn und Scherak.)

15.15

Präsidentin Doris Bures: Nun ist Herr Abgeordneter Jörg Leichtfried zu Wort gemeldet. – Bitte. (Abg. Michael Hammer: Jörg Leichtgewicht!)