14.49
Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Herr Präsident! Werte Frau Staatssekretärin! – Ich hoffe natürlich, dass auch noch der Herr Minister in Bälde zu uns eilen wird, denn eigentlich ist diese Dringliche Anfrage ja an ihn gerichtet. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich freue mich, dass heute sehr viel Publikum anwesend ist. Herzlich willkommen bei uns im Hohen Haus! Wir reden heute – eigentlich in Fortsetzung unserer Debatte, unserer sehr wichtigen Debatte von gestern über die Europäische Union – über die Frage des Wohlstands und der Wohlstandseffekte, die die Europäische Union und insbesondere natürlich die Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union für uns bringt.
Ich möchte aber trotzdem mit etwas anderem einleiten. Wir haben gestern sehr viel darüber gehört, dass die Europäische Union ein Friedens- und Freiheitsprojekt ist, das auf den Trümmern entstanden ist, die der Nationalismus, die der Faschismus in Europa verursacht haben, auf den Trümmern der Schlachtfelder des Ersten und Zweiten Weltkriegs, blutigen Schlachtfeldern mit Millionen Toten.
Wir in Europa sind zur Erkenntnis gekommen und haben gesagt, gemeinsam sind wir stärker, und wir wollen Politik nicht auf dem Schlachtfeld durchsetzen, sondern ihr am Verhandlungstisch zum Durchbruch verhelfen. Das ist eine unglaubliche Leistung, eine zivilisatorische, humanitäre Leistung gewesen, dass sich Völker, die sich bis vor Kurzem einander noch kriegerisch gegenübergestanden sind, wie gesagt am Schlachtfeld, auf einmal am Verhandlungstisch und in der Europäischen Union wiedergefunden haben.
Neben der Friedens- und Freiheitsleistung gibt es natürlich auch das wirtschaftliche Projekt Europa. Auf das möchte ich zu sprechen kommen, aber bevor ich darauf zu sprechen komme, möchte ich, weil ich gestern etwas sehr Spannendes gelesen habe, noch einmal auf dieses Bild eingehen. Ich habe einen Artikel gelesen, der mich sehr zum Nachdenken gebracht hat. Wir alle sind in der Politik, weil wir Anliegen haben. Ich glaube, dass die Frage der Stärke Österreichs in einem starken Europa und die Zukunftsfähigkeit unseres Landes gerade für meine drei Kinder für mich ein ganz entscheidender Motivator sind, in der Politik zu sein, Politik für meine Kinder und vielleicht auch einmal Enkelkinder zu machen.
Man geht als Politikerin, die noch aktiv ist, die, wie ich finde, noch jung ist und in der Mitte des Lebens steht, immer davon aus, dass die Kinder in unserer Welt leben. Ich glaube, wenn wir ehrlich sind – der Artikel, den ich gestern gelesen habe, hat mich sehr zum Nachdenken gebracht –, leben wir, selbst wenn wir uns noch als jung und vital und aktiv bezeichnen, in der Welt unserer Kinder. Und die Welt unserer Kinder schaut ganz anders aus als die Welt vor 79 Jahren, als der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen ist, aber auch anders, als die Welt vor 40 Jahren, vor 30 Jahren, vor 20 Jahren ausgesehen hat. Es ist eine viel unsicherere Welt. Unsere Kinder sind konfrontiert mit Fragen, die wir uns nicht stellen mussten. Frieden ist in Gefahr, Freiheit ist in Gefahr, der Klimawandel bedroht sowohl das Leben der Menschen als auch unseren Wohlstand. Wir sind in der Verpflichtung, in der Welt unserer Kinder darauf Antworten zu finden.
Ich möchte Ihnen das deshalb mit auf den Weg geben, weil ich weiß, dass es so schwer ist, über das Wirtschaftsprojekt Europa zu sprechen, weil es so weit weg zu sein scheint. Es gibt ja auch diesen schönen Ausspruch: „Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt“. – Ja, verstehe ich, aber vielleicht verliebt sich jemand in den Gedanken des Wohlstands und der Sicherheit für unsere Kinder. Ich glaube, denen sind wir auch in der Verpflichtung, zu liefern. (Beifall bei den NEOS.)
Nun aber zur Sache: Ich habe schon gesagt, ich mache mir Sorgen um Europa und ich mache mir – auch und gerade – Sorgen um den Wohlstand in Europa. Ich weiß, dass in vielen Sonntagsreden immer wieder betont wird, wie stark wir sind, wie toll wir sind, auch als Österreich, wie gut wir durch die Krise gekommen sind, aber wenn man ehrlich ist – und diese Ehrlichkeit mahne ich ein –, schaut es nicht so gut aus. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in der geopolitischen Situation völlig ins Hintertreffen geraten.
Um das zu unterstreichen, habe ich Ihnen (ein Schriftstück in die Höhe haltend) eine Publikation mitgebracht, die heißt „The Power Atlas“. Das ist eine Publikation des European Council on Foreign Relations gemeinsam mit der Stiftung Mercator – sie ist schon ein bisschen älter, nichtsdestoweniger wahr, sie ist noch viel dringender geworden –, die sich mit der Frage auseinandersetzt, wo denn in diesem geopolitischen Gefüge – USA, China, Indien und auch Afrika – Europa bleibt und wo wir wirklich stark sind.
Siehe da, wir haben in vielerlei Hinsicht nicht mehr die Nase vorne. Wir haben in puncto Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft ganz, ganz viel verschlafen, wir haben (Abg. Kassegger: Wer ist wir?) den ganzen Telekommunikationsbrancheboom verpennt (Abg. Kassegger: Wer ist wir?), der ist an uns verbeigegangen – wir in Europa (Abg. Kassegger: Die Europäische Union ...?) –, wir haben den ganzen Wechsel von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft und dem Aufkommen der digitalen Plattformen verpennt. (Abg. Kassegger: Wer ist wir?) Es finden sich eigentlich kaum mehr europäische Unternehmen unter den wirtschaftlich stärksten Unternehmen der Welt.
Wir schauen in die Röhre, sozusagen in den Auspuff – auch wenn wir die Verbrennungsmotoren nicht mehr wollen – der anderen Industrie-, aber auch zunehmend Dienstleistungsnationen, wenn es tatsächlich um die Frage geht: Wie wettbewerbsfähig sind wir und wie sehr sichern wir den Wohlstand in Europa? Wir haben eine Chance, eine Chance auf Selbstbewusstsein und eine Chance auf Innovations- und Technologieführerschaft, wenn wir sie nutzen, aber darauf möchte ich dann später zu sprechen kommen.
Wir müssen tatsächlich aufpassen, dass wir nichts verpassen, dass wir in Europa nicht so etwas wie ein fröhliches Freiluftmuseum werden, das sich im Glanz vergangener Größe und Stärke sonnt, das sich selbst genügt. Um das wieder zu erreichen, dass wir in Europa nach vorne kommen, ist es hoch an der Zeit, darüber zu reden, dass wir uns alle miteinander stärker anstrengen müssen, denn das wird niemand, auch nicht die Politik, für uns richten. Es braucht Innovationskraft, es braucht Unternehmertum, es braucht die Tatkraft jedes einzelnen Menschen, aber vor allem die Erkenntnis, dass in der Welt unserer Kinder nichts sicher ist und wir in der Verpflichtung sind, das aber sicherzustellen. (Beifall bei den NEOS sowie der Abg. Reiter.)
Jetzt ist es aber so eine Sache: Bevor ich darauf zu sprechen komme, was in Europa getan werden muss und welche Hausaufgaben auch Österreich machen muss – denn wir sind in dieser Frage auch ein Stück weit schlafwandelnd –, möchte ich schon darauf zu sprechen kommen, was auf dem Spiel steht, wenn von einem Öxit gesprochen, fabuliert wird. Ich schaue natürlich wieder die FPÖ an. Herr Kollege Wurm, wir haben ja gestern die Debatte geführt, da haben Sie auf meinen Hinweis, dass es Gott sei Dank keine Mehrheit für einen Öxit – also einen wirklichen Austritt Österreichs aus der Europäischen Union – gibt, ihr aber trotzdem gerne zündelt und weiter zündelt, hineingerufen: Na ja, das sind ja bloß 40 Prozent. – Das stimmt nicht. Ich habe Ihnen gerade vorhin gesagt, ich habe nachgeschaut, Gott sei Dank sind es jedenfalls im September nur 27 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher gewesen, die sagen, Österreich soll aus der Europäischen Union austreten. Es wurde leider nicht protokolliert, ich habe mir das heute angeschaut (Abg. Wurm: Na ja, Frau Kollegin, wenn es nicht im Protokoll steht ...!), was Sie dann noch hineingerufen haben. Sie haben dann reingerufen: Na ja, wir warten, bis es 60 Prozent sind, und dann ist es so weit.
Sehen Sie, das ist genau dieses perfide Spiel, das Sie spielen: ein bisschen mit dem Gedanken des Austritts zündeln, ein bisschen auf den Verschwörungstheorien und den Anti-EU-Ressentiments reiten. Sie sind dabei, das alles zu zerstören, wovon ich gerade gesprochen habe, was wir brauchen (Abg. Kassegger: Sie haben davon gesprochen, dass 20 Jahre nichts passiert ist und nichts zusammengebracht wurde!) für Freiheit, Sicherheit, Wohlstand und Frieden. Ist das Ihre Politik, so viel zu polarisieren (Abg. Steger: Sie zerstören das mit Ihrer Politik! Absolut irrational!) und so viel zu zündeln, bis Sie endlich 60 Prozent haben und Europa wieder in Trümmern liegt, Putin sich freut, wir in arme Nationalstaaten zurückfallen und die Armut das Einzige sein wird, samt den Flaggen, in die wir uns wickeln können? – Schämen Sie sich, FPÖ (Abg. Steger: ... Propaganda ist das, was Sie verbreiten!), das ist ganz schändliche Politik! (Beifall bei Abgeordneten von NEOS, ÖVP, SPÖ und Grünen.)
Sie schreiben auf Ihr Wahlplakat: „EU-Wahnsinn stoppen“. Ich sage Ihnen heute: FPÖ-Wahnsinn, Öxit-Zündelei stoppen! Das haben die Menschen in Österreich nicht verdient – Sie sollten ihnen reinen Wein einschenken –, denn Sie machen damit das Geschäft der anderen globalen Mächte. (Zwischenruf des Abg. Wurm.) Die haben alle kein Interesse daran, dass Europa stark ist, am allerwenigsten Herr Putin, der jetzt gerne mit seinen Panzern unterwegs ist. Sie haben aber offensichtlich weniger Angst vor Putins Panzern als vor den Vereinigten Staaten von Europa. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen (Abg. Steger: Wer solche Visionen wie Sie hat, sollte besser ...!), wie wenig selbstbewusst das eigentlich ist, werte FPÖ. (Beifall bei den NEOS.)
Jetzt komme ich zu dem Punkt, warum ich auch Sie, Herr Wirtschaftsminister, heute hierher gebeten habe. Die Konservativen, gerade auch in Österreich, hupfen immer wieder der FPÖ nach, und ich verstehe nicht, warum. Ihr habt eine verdammte Verpflichtung, für Europa zu werben, und meines Erachtens eine verdammte Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass wir in Europa stärker werden, selbstbewusster werden und den Wohlstand für alle liefern.
Das bedeutet zum Beispiel, den Binnenmarkt wirklich auszubauen. Stattdessen höre ich von Ihnen immer wieder: Europa, ja, aber!, und gerne auch diese nationalistischen, populistischen Spielchen, die damit gemacht werden. Das halte ich für unverantwortlich und sehr, sehr kurzsichtig. Wir stecken in einer riesigen Transformation. Ich habe es schon einmal gesagt: Nicht die Kinder leben in unserer Welt, sondern wir leben in der Welt unserer Kinder. Da ist der Klimawandel eine ernste Bedrohung, die wir in den Griff bekommen müssen, allein deshalb, weil unsere Lebensgrundlage und auch unser Wohlstand davon abhängen.
Und dann stellen Sie sich als ÖVP her, befeuern diesen Kulturkampf und rufen dazu auf, dass Europa – ich habe Ihnen gerade gezeigt (das vorhin gezeigte Schriftstück mit dem Titel „The Power Atlas“ neuerlich in die Höhe haltend), wo wir überall schon ins Hintertreffen geraten sind – Weltmarktführer für Verbrennungsmotoren werden soll. Was kommt denn als Nächstes? – Weltmarktführer für Faxgeräte? Weltmarktführer für Pferdekutschen? (Beifall bei den NEOS.) Ja sagen Sie, sind Sie eigentlich von allen guten Geistern verlassen?
Wir haben eine Chance in Europa, in diesen Bereichen, gerade im Bereich der Klimatechnologie, selbstbewusst wirklich Vorreiter zu werden, wenn wir das gescheit angehen, wenn wir die Energiewende hinbekommen und unseren Unternehmerinnen und Unternehmern die Unterstützung geben, die sie brauchen, von Schweden bis nach Italien, von Vorarlberg bis ins Burgenland sagen: Wir unterstützen euch dabei, Technologievorreiter zu werden. – Wir haben diese Chance. Nutzen wir sie selbstbewusst! (Präsident Sobotka übernimmt den Vorsitz.)
Hören Sie auf, solche peinlichen Kulturkämpfe zu spielen und sich da in irgendwelchen Vergangenheiten zu sonnen, weil das ja wirklich lächerlich ist und eigentlich auch wieder nur diese Anti-EU-Ressentiments befeuert, von denen vorhin schon die Rede war. (Abg. Strasser: Das ist aber kein liberaler Zugang!)
Was bringt uns die EU? – Es wird oft davon geredet, dass wir Nettozahler sind – ja eh, klar! –, aber die Effekte, die wir haben, die auch die Menschen in Österreich tagtäglich eigentlich in der Geldbörse spüren – mittelbar natürlich –, sind viel, viel größer, als der Beitrag Österreichs ist. (Abg. Steger: Inflation, Wohlstandsverlust, Kaufkraftverlust, Migrationswelle!) Das steht in keinem Verhältnis. Allein 693 000 Jobs hängen in Österreich direkt von der Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union ab. Sagen Sie das den Leuten (Abg. Steger: Dass Sie Propaganda verbreiten!), dass Sie eine Dreiviertelmillion Arbeitsplätze streichen wollen! Wissen Sie, niemand verliebt sich vielleicht in den Binnenmarkt, aber jeder will einen Job, der sich und die Seinen versorgt (Abg. Steger: Dafür brauchen wir keine politische Union!), und wir sind in der Verpflichtung, das für alle Menschen zu liefern. Ein Austritt ist dafür die allerschlechteste Idee. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der Grünen. – Abg. Kassegger: Dafür brauchen wir eine Wirtschaftsunion!)
Natürlich haben die Menschen die Erwartungshaltung, dass ein Europa liefert, und in vielen Fragen haben sie nicht den Eindruck, dass das passiert. Ich glaube, es passiert weitaus mehr richtig, als falsch passiert, und ich bedauere zutiefst, dass offensichtlich außer uns niemand durch die Lande zieht – gerade auch in die Gemeinden, wo es gilt, die Menschen zu überzeugen – und davon spricht, was gut läuft. Ich glaube, Sie sind sehr schnell dabei, zu erzählen, was alles schlecht läuft, und haben eigentlich Ihren Job verpasst, dass Sie auch wirklich einmal Menschen wieder überzeugen. (Abg. Wurm: Die Frau Edtstadler macht das auch! – Zwischenrufe bei der ÖVP.)
Es gibt aber Dinge, die die Menschen geändert haben wollen. Die wollen keine irreguläre Migration mehr nach Europa – verstanden! Es ist ein erster Schritt gemacht, wir werden sehen, ob er funktioniert. Ich finde es ja eigentlich schade, dass Österreich ihn nicht mitgemacht hat, denn er bedeutet genau das: sichere Außengrenzen, dafür Freiheit im Inneren. (Abg. Kassegger: Sie behaupten jetzt allen Ernstes, wir haben sichere Außengrenzen? Echt jetzt ...?) Genau das ist unser Anspruch: dass die Menschen in Europa die Freiheit genießen können und trotzdem die Sicherheit haben, dass Migration gestoppt wird. (Abg. Wurm: Seit wann, Frau Kollegin?)
Der zweite Punkt betrifft ein Thema, das immer wieder angesprochen wird: unnötige Ausgaben in der Europäischen Union. Gerne, wir Liberalen sind die Ersten, die sagen: Reden wir darüber, was wir alles an unnötigen Ausgaben, an Bürokratismus haben! (Abg. Steger: Friedensfaszilität, Makrofinanzhilfe plus Coronawiederaufbaufonds!)
Ganz zuvorderst ist natürlich die Frage: Wer ist denn verantwortlich für die Kosten des Krieges in der Ukraine? Sorgen Sie gemeinsam mit uns dafür, dass Putin und seine korrupten Oligarchen verdammt noch mal für diesen Krieg in der Ukraine zahlen – und nicht der österreichische Steuerzahler und nicht der europäische Steuerzahler! (Beifall bei den NEOS.) Dafür sind Sie gewählt, das zu tun wäre Ihr Job! Wir als NEOS versichern Ihnen, dass wir uns dafür einsetzen werden – in Österreich genauso wie in Brüssel. (Zwischenruf des Abg. Martin Graf. – Abg. Kassegger: Das ist so weit weg von der Wirklichkeit!)
Bürokratie abbauen – sehr herzlich gerne. Ich bin davon überzeugt, dass Europa da teilweise das Kind mit dem Bade ausschüttet und die nächste Kommission auch eine Deregulierungskommission sein und sich wieder der Entbürokratisierung widmen muss. Wir haben da zu viel erlebt und der Industrie meines Erachtens auch zu viel aufgebürdet (Abg. Steger: Haben Sie dem Green Deal zugestimmt?), aber: Machen wir einmal unsere Hausaufgaben! Wieso ist Österreich in der Wettbewerbsfähigkeit mittlerweile abgeschlagen hinter anderen Ländern, die EU-Mitglieder sind? Schweden, Dänemark, Tschechien: Die haben alle die EU-Regularien, aber sie haben auch aktivere Regierungen, die für Entbürokratisierung im eigenen Land sorgen, die den Föderalismus zurückfahren und nicht das tun, was Sie immer tun (Abg. Hörl: Recht hat sie!): auf die bürokratische Regelung in Brüssel noch eins draufzulegen, sich dann aber hinzustellen und auf Brüssel zu schimpfen. Nein, nein, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wir haben hier unsere eigenen Hausaufgaben zu machen, was Deregulierung und Entbürokratisierung angeht – und das haben Sie die letzten Jahre nicht getan. Es ist hoch an der Zeit. (Beifall bei den NEOS. – Zwischenruf des Abg. Hörl.)
Last, but not least geht es natürlich auch darum, die Korruption genauso in Europa zurückzudrängen. Wir haben den Korruptionsskandal im Europäischen Parlament gesehen. Das geht nicht, das muss abgestellt werden und da muss es Sanktionen geben. Genauso muss es Sanktionen geben, wenn Länder, wie zum Beispiel Ungarn, EU-Gelder bekommen und man auch nicht weiß, in welche Kanäle das versickert. Da darf sich die Europäische Union genauso wie der europäische Steuerzahler oder die österreichische Steuerzahlerin nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Es ist völlig klar, dass das Konsequenzen haben muss. Das erwarten sich die Leute – selbst die, die skeptisch sind, was die Europäische Union angeht. Sie sehen aber, dass da eine Chance besteht, es besser zu machen und es selbstbewusst besser zu machen.
Jetzt möchte ich noch auf ein letztes Thema eingehen, weil das in diesem Haus schon sehr oft diskutiert wurde und wir mittlerweile die einzige Fraktion sind, die für Handelsabkommen und Freihandel einsteht. Wir leben in der Welt unserer Kinder. Diese Welt ist geprägt von Kriegen und zunehmenden kriegerischen Auseinandersetzungen. Das ist fürchterlich. Europa ist einzigartig auf der Welt, weil wir gezeigt haben, dass der Wille zum Kompromiss selbst bei verfeindeten Nationalstaaten möglich ist.
Eine Welt, in der Weltmächte einander zunehmend kriegerisch gegenüberstehen, ist keine Welt, in der Europa erfolgreich sein kann. Das heißt, wenn wir als Europa eine Rolle haben, dann entschlossen, selbstbewusst dafür einzutreten, wieder zu einer internationalen regelbasierten Friedensordnung zurückzukehren, aber selbstverständlich auch zu einer internationalen regelbasierten Wirtschaftsordnung. Daher muss das Motto lauten: Handelsverträge statt Handelskriege. Das ist so dringend notwendig – und ich würde Sie wirklich dringend darum ersuchen, diesen Populismus abzustellen, denn: Wie wollen Sie denn, dass die Völker zusammenarbeiten? Mit wem wollen wir denn Handel treiben, wenn wir nicht in der Lage sind und nicht die Bereitschaft haben, am Verhandlungstisch Klimaschutzfragen, Arbeitnehmerschutzfragen, Arbeitsschutzstandards zu verhandeln, anstatt einander zunehmend in Handelskriegen gegenüberzustehen? Schämen Sie sich alle miteinander! Wir sind die Einzigen, die nach wie vor für Handelsverträge einstehen. (Beifall bei den NEOS. – Abg. Lopatka: Geh, aufpassen! Die neue Oberlehrerin! – Zwischenrufe der Abgeordneten Taschner und Zarits.)
Ich komme zum Schluss. Ich sehe eine enorme Chance für Europa, wenn wir die Vision der vereinigten Staaten von Europa aufgreifen, die ja vor allem auch eines bedeutet: eine Vollendung des Binnenmarkts. (Abg. Lopatka: Aber da brauche ich keine vereinigten Staaten für den Binnenmarkt, den hat es schon vor der Europäischen Union gegeben!) Was heißt das, weil das ja vielleicht auch ein bisschen technisch ist? – Es gibt jetzt diesen wunderbaren Bericht von unter anderen Enrico Letta, dem ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten. Der Bericht sagt, wir brauchen eine Vollendung des Binnenmarkts in vielen Fragen, zum Beispiel im Kapitalmarktbereich, um wirklich privates Kapital – zum Beispiel gerade für das riesige Projekt der Energiewende – zu mobilisieren, denn da sind wir nicht gut genug; um eine Skalierung zu ermöglichen, dass wir internationalen Konzernen auch wirklich die Stirn bieten können, denn da sind wir nicht gut genug; wir brauchen einen Energiebinnenmarkt, um endlich auch die Preise für die Österreicherinnen und Österreicher runterzubringen – was Sie in der Bundesregierung leider nicht geschafft haben –, das wäre notwendig.
Mehr Europa statt weniger Europa: Es hat keinen Sinn, über jedes Windradl in Niederösterreich zu diskutieren, wenn man das besser europäisch offshore erledigen kann, dort den Strom produzieren kann, wo man ihn sinnvollerweise produziert, und mittels gut ausgebauten Netzen, die uns zusammenbringen, dorthin liefert, wo man ihn braucht. (Abg. Zarits: Funktioniert ganz gut, ja! – Abg. Hörl: Das nennt man Florianiprinzip! – Abg. Litschauer: Das ist nicht Versorgungssicherheit!)
Für all das brauchen wir mehr Europa und nicht weniger Europa, eine Entscheidungsfähigkeit, eine Strategiefähigkeit und eine Entschlossenheit. Das bedeutet, dass wir im Sinne der Freiheit, des Friedens, aber auch des Wohlstandes für unsere Kinder auch den europäischen Gedanken nach vorne tragen müssen, um auf Augenhöhe in diesem geopolitischen Machtgefüge sowohl den USA als auch Russland als auch China als auch Indien die Stirn bieten zu können, aber nicht in kriegerischer Auseinandersetzung, sondern mit dem Anspruch, dass wir mittels Verträgen und nicht mit Krieg Politik machen. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei den NEOS.)
15.08
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Kocher. – Bitte sehr, Herr Bundesminister, Sie sind am Wort.