Dringlicher Antrag

der Abgeordneten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Schluss mit dem Betonieren – Beste Bildung für unsere Kinder“ (4135/A)(E)

Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir gelangen zur dringlichen Behandlung des Selbständigen Antrages 4135/A(E).

Da dieser inzwischen allen Abgeordneten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch den Schriftführer.

Der Dringliche Antrag hat folgenden Wortlaut:

Wie es mit unserem Land, unserer Gesellschaft und unserem Wohlstand weitergeht und auf welche Zukunft wir zusteuern, hängt mit nichts so eng zusammen, wie mit den Bildungschancen der Jungen. Beste Bildung und faire Chancen für alle Kinder und Jugendlichen sind die wertvollste Investition, die wir als Gesellschaft tätigen können.

Eine repräsentative Umfrage unter 1.000 Eltern von Kindergarten- und Schulkindern, die Triple M Matzka Markt- und Meinungsforschung im Auftrag von NEOS im Frühjahr 2024 durchgeführt hat, zeigt jedoch einen besorgniserregenden Blick auf das österreichische Bildungswesen. Dem Schulsystem geben die Eltern im Durchschnitt die Note 3,0 (Befriedigend), die Arbeit von Bildungsminister Polaschek bewerten sie gar nur mit 3,7 (Genügend). Während nur 19% eine Verbesserung wahrgenommen haben, sehen 34% der Eltern von Schulkindern eine negative Entwicklung.

Die Hauptsorgen der Eltern sind

•          der Lehrkräfte- und Pädagog:innenmangel (79% sehen diesen als sehr oder eher kritisch),

•          dass die Kinder und Jugendlichen zu wenig für "das echte Leben" gerüstet werden (ein Sorgenthema für 49% der Eltern von Volksschulkindern und 72% der Eltern von Schüler:innen der Sekundarstufe),

•          schwieriges Verhalten, Mobbing und Gewalt (über 50% wählen diese Antwortmöglichkeit aus einer Liste, 11% nennen das Thema spontan als Antwort auf eine offene Frage),

•          sowie Probleme mit der Integration von Kindern anderer Herkunft (12% der Eltern von Volksschulkindern nennen dieses Thema spontan).

Wichtig sind den Eltern vor allem kompetente und motivierte Pädagog:innen (Rang 1), ein gutes allgemeines Klima in der Schule (Rang 2) und ein kompetenter, konstruktiver Umgang mit Konflikten (Rang 3). Die meistgenannten Wünsche und Erwartungen an das Bildungssystem sind mehr Individualität und gezielte Förderung (17% spontane, ungestützte Nennungen), gut ausgebildete und bezahlte Lehrkräfte (15%), mehr Praxisbezug (15%) und insgesamt ein moderneres Bildungssystem (ebenfalls 15%).

Der Wunsch nach mehr Praxisbezug und mehr Relevanz für das weitere Leben spiegelt sich auch in den Antworten nach den wichtigsten Inhalten der Schulbildung wider. An die erste Stelle reihen die Eltern "Selbstmanagement / das Lernen". Gleich danach folgt "Finanzbildung, Umgang mit Geld" und "Zusammenleben und Demokratie".

Handlungsbedarf beim Thema Finanzbildung zeigt auch die am 27. Juni 2024 präsentierte PISA-Studie zu Financial Literacy. Österreichs Schülerliegen im Durch­schnitt zwar im oberen Mittelfeld, gemessen an allen teilnehmenden OECD-Ländern, aber die Ergebnisse hängen stärker als anderswo vom sozialen Hintergrund der Jugendlichen ab. Anders ausgedrückt: Gerade jene Schüler:innen, die in finanziellen Angelegenheiten am verwundbarsten sind (weil sie keine Eltern haben, die ihnen notfalls finanziell helfen können), verlassen in Österreich die Schule mit unzu­reichen­dem Wissen in Bezug auf Geld, Wirtschaft und Finanzen. Auch die Ende 2023 veröffentlichte allgemeine PISA-Studie zeigt, dass es um die Chancengerechtigkeit im österreichischen Bildungswesen schlecht bestellt ist und dass die Leistungsunter­schiede nach sozialem Hintergrund von 2018 auf 2022 sogar weiter zugenommen haben. So ist beispielsweise die Lesekompetenz der 15-Jährigen aus Familien mit hohem Sozialstatus stabil geblieben, während die Lesekompetenz jener aus Familien mit niedrigem Sozialstatus um 18 Punkte gefallen ist.

Angesichts der vielen Baustellen und Herausforderungen ist es höchste Zeit, dass Österreich eine Bundesregierung bekommt, die den Chancen der Jungen - den Chancen ALLER Kinder und Jugendlichen in unserem Land - höchste Priorität einräumt, sich ambitionierte Ziele setzt und entschlossen wirksame Maßnahmen realisiert. Mit Blick auf die Ergebnisse der NEOS Lehrerumfrage 2023 und der Elternumfrage 2024 sind dies vor allem:

1.) Schulen von Bürokratie befreien, Lehrkräfte für die Arbeit mit den Kindern freispielen

•          Bürokratie vermeiden, indem Schulen voll autonom werden. Vertrauen und Eigenverantwortung ersetzen Kontroll- und Dokumentationszwänge.

•          Bürokratie vereinfachen, indem sie gebündelt, digital und userfreundlich wird. Schluss mit tausend Listen und parallelen Verwaltungsprogrammen.

•          Bürokratie delegieren, indem das Verwaltungspersonal aufgestockt wird, damit Lehrer:innen sich ganz den Schüler:innen widmen können.

Lehrerinnen und Lehrer sollen ihre Zeit der individuellen Zuwendung zu den Kindern und Jugendlichen und der Vorbereitung und Gestaltung guten Unterrichts widmen können, statt bürokratischen Aufgaben, die nicht den Schüler:innen zugutekommen.

2.) Personalnot überwinden, individuelle Förderung ermöglichen

Derzeit ist die Arbeit an Österreichs Kindergärten und Schulen von einem massiven Lehrer:innen- und Pädagog:innenmangel geprägt. Erstens sind strukturell zu wenig Pädagog:innen und Lehrer:innen vorgesehen, um individuell auf Bedürfnisse einzugehen und Kinder in ihren Talenten zu fördern. Zweitens kommt es akut zu Betreuungslücken und zu Angebotseinschränkungen, insbesondere in der Begleitung und Förderung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, Lern­schwächen oder Sprachdefiziten. Wir fordern daher 20.000 neue Pädagog:innen für Schule und Kindergarten.

Diese Zahl entspricht einem dringenden Bedarf, um die Herausforderungen hin­sichtlich Bildungsniveau, Integration und Inklusion zu bewältigen. Es muss umgehend damit begonnen werden, mit handfesten, entschiedenen Maßnahmen schrittweise mehr Pädagog:innen und Lehrer:innen ins Bildungssystem zu bringen. Mit einem ambitionierten Stufenplan soll das Personal bereits ab nächstem Jahr aufgestockt und innerhalb der nächsten zehn Jahre um 20.000 Pädagog:innen und Lehrer:innen erweitert werden und somit den Kindern und Jugendlichen zugute kommen. Zum Vergleich: Im Bereich Pflege, in dem es vor allem um die ältere Bevölkerung geht, wird sogar von einem Bedarf von 80.000 zusätzlichen Fachkräften gesprochen.

Die Frage ist, wie diese Anstellungsoffensive in einem Bildungswesen gelingen kann, das jetzt schon damit kämpft, genügend Ersatz für jene Lehrkräfte und Päda­gog:innen zu finden, die in Pension gehen? Dafür ist ein zusätzliches Bündel an Maßnahmen notwendig, unter anderem mit folgenden Elementen:

Mehr Elementarpädagog:innen

•          Bundesweite Qualitätsstandards für die Elementarpädagogik

•          Stufenplan für kleinere Gruppen und bessere Arbeitsbedingungen

•          Bezahlung der gruppenführenden Pädagog:innen an jene der Lehrer:innen angleichen

•          damit Rückholung ausgebildeter Elementarpädagog:innen in den Beruf

Mehr Lehrer:innen

•          Mehr Quereinsteiger:innen: durch volle Anrechnung der Berufserfahrung bei der Gehaltseinstufung

•          Incentives für den Umstieg von Teilzeit auf Vollzeit

•          Weiterbeschäftigung in der Pension erleichtern und attraktivieren

•          Native Speaker Teachers aktiv anwerben und finanziell gleichstellen

3.) Umgang mit Fehlverhalten, Mobbing und Gewalt verbessern

Fehlverhalten, Mobbing und Gewalt in der Schule sind komplexe Herausforderungen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Es braucht viel pädagogische Kompetenz, Aufmerksamkeit und Zeit der Lehrerinnen und Lehrer, um Veränderungen zu bewirken, die nachhaltig im Sinne der Kinder und Jugendlichen sind. Um das zu ermöglichen sind drei Ansätze notwendig: Erstens sollen Lehrer:innen für ihre pädagogischen Kernaufgaben freigespielt werden, indem Bürokratie vermieden, vereinfacht und delegiert wird. So können Lehrkräfte sich verstärkt individuell den Kindern zuwenden. Zweitens braucht es mehr und praxisnähere Lehrkräftefort­bildung, um Lehrkräfte in ihrer pädagogischen Lösungskompetenz zu stärken. Dazu wollen wir das Fortbildungsmonopol der PH aufbrechen sowie das Fortbildungs­budget und die Fortbildungsverpflichtung erhöhen. Drittens gilt es, Sozialarbeiter:in­nen und Psycholog:innen als Vollzeitkräfte in jede größere Schule sowie in jeden Cluster von Kleinschulen zu bringen, schrittweise beginnend bei Schulen mit größeren sozialen Herausforderungen.

4.) Eine Schule schaffen, die "aufs Leben" und die Arbeitswelt vorbereitet

Viele Eltern sorgen sich, dass die Schule ihren Kindern zu viel Theorie und zu wenig Praxis bietet und sie nicht ausreichend auf das weitere Leben vorbereitet. Sie wünschen sich mehr Fokus auf Bereiche wie Selbstmanagement, den Umgang mit Geld und auf Fähigkeiten, die in der Arbeitswelt, im Haushalt und im Zusammenleben mit anderen Menschen relevant sind. Dazu ist es notwendig, Wirtschaftsbildung und Berufs­orientierung stärken, Kooperationen der Schulen mit der Arbeitswelt flächendeckend auszubauen, "Financial Life Skills" in mehrere Fächer (z.B. auch in Mathematik) stärker zu integrieren und einen festen Anteil der Unterrichtszeit für projektorien­tiertes, fächerübergreifendes und selbstgesteuertes Lernen zu reservieren. Neben der "Pflicht", also den Grundkompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen, soll Freiraum für interessengeleitetes Lernen geschaffen werden, also die "Kür", in der Schüler:innen mehr Wahlfreiheit und Vertiefungsmöglichkeiten bekommen.

Damit Eltern-Aussagen wie „Viele Kinder fallen durchs Raster. Individualität ist nicht gefragt. Wenig Praxis“ künftig der Vergangenheit angehören, muss entschlossen und gut durchdacht in die Kindergärten und Schulen investiert werden. Das Ziel ist klar: Wir wollen unseren Kindern mit bester Bildung ein selbstbestimmtes und chancen­reiches Leben ermöglichen. Denn Bildung stärkt das Potenzial in jedem Menschen, mit Verstand und Tatkraft das eigene Leben zu gestalten und jenes ihrer Mitmenschen zu bereichern. Heben wir unseren Kindern die Flügel!

1)         vgl. https://www.awblog.at/GenticsImageStore/1200/auto/prop/Bildung/aandwblog-20240130-pisa-1.png

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, wird aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass die Missstände im Bildungswesen – vom Lehrkräftemangel über Mobbing bis hin zu lebensfernen Inhalten – endlich entschlossen angegangen werden. Bildung schafft die Grundlage für ein chancenreiches, gelingendes Leben und soll allen Kindern und Jugendlichen in Österreich als Startrampe dienen. Damit Lehrende besser auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen und sie in ihren Talenten fördern können, sind insbesondere folgende Schwerpunkte zu setzen:

•          Stufenplan für 20.000 zusätzliche Pädagog:innen und Lehrkräfte für Schulen und Kindergärten in den nächsten 10 Jahren.

•          Rascher Ausbau der Lehrkräftefortbildung und des psychosozialen Support­personals, um den Umgang mit Fehlverhalten, Mobbing und Gewalt zu verbessern.

•          Überarbeitung der Lehrpläne und Stundentafeln mit dem Ziel, besser auf das Leben vorzubereiten:

o          Lebensnahe Inhalte wie den Umgang mit Geld, Berufsorientierung und Fragen des Zusammenlebens in der Demokratie stärken.

o          Inhalte modular gliedern in Pflicht (Grundkompetenzen) und Kür (interessengeleitetes Lernen mit hoher Wahlfreiheit).

In formeller Hinsicht wird verlangt, diesen Antrag im Sinne des § 74a Abs. 1 iVm § 93 Abs. 2 GOG-NR zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu behandeln und einem der Antrags­steller Gelegenheit zur mündlichen Begründung zu geben.

*****

Präsident Ing. Norbert Hofer: Ich darf den Herr Bundesminister für Finanzen nun verabschieden und den Herrn Bildungsminister willkommen heißen.

Ich erteile Frau Klubvorsitzender Meinl-Reisinger als Antragstellerin zur Begrün­dung des Dringlichen Antrages das Wort. Gemäß § 74a Abs. 5 der Geschäfts­ordnung darf die Redezeit 20 Minuten nicht überschreiten. – Bitte, Frau Klub­vor­­sitzende. (Abg. Hörl: Jetzt bin ich neugierig, was Betonieren und Ausbildung miteinander zu tun haben! Erklären Sie uns das bitte! – Abg. Meinl-Reisinger – auf dem Weg zum Redner:innenpult –: Sehr gut, die ÖVP ist neugierig, selbst bei einem Bildungsthema, das finde ich großartig!)