15.00
Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bildungsminister! Herr Wirtschaftsminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern, liebe Lehrerinnen und Lehrer! Zunächst einmal: Für einen Teil von euch haben die Sommerferien schon begonnen, ich wünsche euch einen erholsamen Sommer! Für einen anderen Teil starten sie dann mit Ende dieser Woche.
Ich darf euch gratulieren: Wieder ist ein Schuljahr vorbei, die meisten von euch haben das bravourös gemeistert! Auch den Lehrerinnen und Lehrern und den Eltern ist zu danken, es ist ja durchaus herausfordernd.
Herr Minister, einen Urlaub gönnen sollten Sie sich aber nicht! Wir haben uns ja auch schon des Öfteren über Bildungsthemen unterhalten, und eigentlich ist die Frage sehr virulent im Raum, was eigentlich in den letzten Jahren im Bildungsbereich weitergegangen ist. Ich möchte das Ganze noch erweitern.
Was ist in den letzten Jahrzehnten im Bildungsbereich wirklich weitergegangen? – Ich habe mir das angeschaut: Seit 1945 hat die ÖVP 50 Jahre lang den Bildungsminister gestellt, 50 Jahre lang! (Zwischenruf des Abg. Hörl.) Ich weiß, es ist natürlich nicht alles im Argen, aber ich glaube, wir alle sind uns einig, dass unser Land und insbesondere das Bildungssystem in Österreich ganz, ganz dringend Reformen bräuchte. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)
Diese Reformen sind aber nicht möglich, weil es einen meterdicken Beton gibt, den Bildungsbeton, den auch Sie mitgeschaffen haben. Ich habe Ihnen hier symbolisch ein kleines Sackerl Schnellzement (dieses auf die Regierungsbank stellend) – aber schnell ist bei Ihnen gar nichts – mitgebracht. Dieser meterdicke Bildungsbeton ermöglicht es nicht, auch nur irgendeinen innovativen Ansatz, einen Reformansatz, Ansätze, die in anderen Bereichen funktionieren, auf Bundesebene durchzubringen. (Präsident Sobotka übernimmt den Vorsitz.)
Leider sind alle sehr traurig bezüglich unserer Nationalmannschaft und gleichzeitig sehr stolz auf sie. Ich habe mir gestern das Match angeschaut; ich meine, eines der Themen, die man da gesehen hat, ist ja, wie viel Druck da von den Österreichern gekommen ist, wie sehr sie versucht haben, Druck aufs Tor zu machen, aber dort ist eine Mauer gestanden.
So ist es im Bildungsbereich auch. Da gibt es ganz viele Initiativen, ganz viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer, Elternvertreter, Expertinnen und Experten, es herrscht sogar in der Sozialpartnerschaft Einigkeit – von der Arbeiterkammer über die Gewerkschaft bis hin zur Wirtschaftskammer und zur IV –, dass wir Reformen brauchen, und sie scheitern alle an diesem meterdicken Bildungsbeton, wo nichts möglich ist, und wo auch Sie seit Jahren sitzen und einfach nichts weiterbringen!
Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele: Seit wie vielen Jahren hören wir, die Kinderbetreuung gehört ausgebaut? Seit wie vielen Jahren wird mantraartig wiederholt, wie wichtig das ist? Nur sehr, sehr zaghaft wird das angegangen. 30 Jahre hinken wir da hinterher, im Vergleich zu anderen Ländern wie Dänemark.
Ich gebe Ihnen ein weiteres Beispiel: Nachmittagsbetreuung, etwas ganz Wichtiges, weil sich die Realitäten der Familien geändert haben, weil sich die Herausforderungen im Bildungssystem geändert haben, weil wir auch mehr Chancengerechtigkeit schaffen wollen, gerade für die Kinder, bei denen es eben nicht möglich ist, dass sie zu Hause entsprechend gefördert werden.
Nachmittagsbetreuung, etwas ganz Wichtiges; 1 Milliarde Euro war vorgesehen, aber Sie erinnern sich: „Kann ich ein Bundesland aufhetzen?“ Es ist gescheitert, an Ihnen, an der ÖVP. (Zwischenruf des Abg. Hörl.) Diese Nachmittagsmilliarde wurde verhindert: von Kurz und Landeshauptleuten.
Aufbau Ganztagsschule: Ja, in Wien wird sie vorangetrieben, aber wo ist denn der flächendeckende Ausbauplan für Ganztagsschulen? Oder meinen Sie wirklich, dass es der Realität der heutigen Zeit und den Anforderungen eines Bildungssystems entspricht, dass man heutzutage noch immer Volksschulen um 12 Uhr Mittag enden lässt? Also überhaupt nicht!
Eine Lehrplanreform, die den Namen wirklich verdient hat: auch völlig gescheitert. Das Problem ist nicht nur, dass Sie keinen Reformwillen haben, keine Vision zeichnen können; ich habe Sie auch einmal gefragt – ein bisschen überspitzt, aber eigentlich sehr richtig –: Warum sind sie Bildungsminister geworden, außer dass Sie aus der steirischen ÖVP kommen? (Beifall bei den NEOS.)
Wir haben uns ja auch darüber unterhalten, was so die Vorstellungen sind, und ich kann mich erinnern, dass Sie gesagt haben: Na ja, also man müsste einen Prozess machen, was eigentlich Bildung im 21. Jahrhundert soll, aber bitte, die wirklich kritischen Fragen, das sind da die Streitfragen, die klammern wir aus, wie Ganztagsschule oder die gemeinsame Schule.
Ja, worum geht es denn eigentlich? Also sollen wir einfach weiter an diesen klitzekleinen Schräubchen drehen und zuschauen, wie Schülerinnen und Schüler nicht die Chancengerechtigkeit erhalten, die sie eigentlich brauchen, Lehrerinnen und Lehrer immer frustrierter sind und umgekehrt auch Eltern – und dazu werde ich noch kommen – immer unzufriedener mit dem Bildungssystem sind? Oder gelingt uns irgendwann einmal in diesem Reformstau in Österreich zumindest im Bildungsbereich ein wirklich großer Wurf, sodass wir sagen können: Wir sind stolz, wir haben Österreich zu dem Bildungsland Europas, wenn nicht sogar der Welt, gemacht?!
Sie verhindern aber auch Innovation, und Sie verhindern wichtige und richtige Ansätze in den Bundesländern. Das bekommen wir in Wien ja mit. Wie vieles von dem, was Christoph Wiederkehr richtigerweise anstößt, kann er aber nicht durchsetzen oder umsetzen, weil er keinerlei Unterstützung von Ihnen hat? (Abg. Salzmann: Hat er keinen Koalitionspartner?!)
Ich habe manchmal den Eindruck, der ÖVP ist es lieber, man kann mit dem Finger auf Wien zeigen und sagen: Schaut, was alles da schlecht läuft!, als dass man sich wirklich zusammentut und fragt: Wie können wir die Dinge besser machen?
Beispiel: Deutsch, riesengroßes Thema. (Abg. Taschner: Jawohl! Was macht Wiederkehr dafür?) Verpflichtende Sommerdeutschkurse, wie von Christoph Wiederkehr gefordert: geht nicht, Polaschek blockiert. (Beifall bei den NEOS.)
Chancenindex in Wien, gerade für die Brennpunktschulen wichtig, wichtiges Thema: Wiederkehr will machen, Polaschek blockiert. (Beifall bei den NEOS. – Abg. Hörl: Ah so! – Abg. Taschner: Nein, Wiederkehr hat alle Möglichkeiten! Er muss sich nur den Koalitionspartner noch nehmen!)
Gewalt an der Schule, Sanktionsmöglichkeit für Eltern schaffen: Wiederkehr will umsetzen, Polaschek blockiert. (Beifall bei den NEOS. – Abg. Salzmann: Es gibt eine klare Kompetenzverteilung! Der Staat hat klare Kompetenzen, das wissen Sie genauso! – Ruf bei der ÖVP: ... klare Kompetenzen im Schulbereich! Ihr könnt das selber entscheiden, im Land!)
Die Möglichkeit der Integration von diesen Kindern, die jetzt kommen, über den Titel Familiennachzug, etwas, was nicht auf NEOS-Mist gewachsen ist, dass da jetzt 400 bis 500 Kinder pro Monat kommen: Das haben schon Sie zu verantworten in der Bundespolitik, vor allem im Innenressort! Da sagt Wiederkehr völlig richtig: Es ist eigentlich ein Irrsinn, diese Kinder, die teilweise ihr ganzes Leben in Flüchtlingslagern verbracht haben, jetzt sofort in die Klassen, in die Schulen zu bringen. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Damit überfordert man die Kinder, man überfordert die Lehrerinnen und Lehrer, man überfordert die anderen Kinder, man überfordert die Eltern. (Abg. Taschner: Richtig!) Die Möglichkeit, Brückenkurse zu machen, außerschulisch, um diese Kinder vorzubereiten, das will Wiederkehr; Polaschek blockiert! (Beifall bei den NEOS. – Abg. Taschner: Aber wo!)
Das ist doch genau das Thema! Ihr zeigt lieber mit dem Finger auf Wien und sagt: Haha, ihr seid in Wien verantwortlich! (Abg. Salzmann: Es gibt eine klare Kompetenzverteilung, und die gibt vieles vor!) – Ihr schaut euch einmal den Zustand an und reicht nicht einmal die Hand, dass man sich gemeinsam hinsetzt. Das ist mein Politikverständnis bei so wichtigen Themen: dass man schaut, was gemeinsam geht, und ermöglicht, statt mit Beton zu blockieren.
Wir bedienen uns auch der Marktforschung, denn natürlich haben wir unseren Blick auf die Dinge, Sie werden einen anderen Blick auf die Dinge haben, aber uns hat auch interessiert, welchen Blick Lehrerinnen und Lehrer darauf haben; und heuer, wie die Eltern es sehen.
Letztes Jahr haben wir eine Lehrer- und Lehrerinnenumfrage gemacht, wir haben sie präsentiert, wir haben sie auch hier diskutiert, aus der ja klar ersichtlich ist, dass die Lehrerinnen und Lehrer über einen durchaus größeren Zeitraum mit den Arbeitsbedingungen zunehmend unzufrieden sind. Ganz, ganz oben ist die Frage der bürokratischen Belastung, also: Kann ich eigentlich meinen Job machen? Kann ich in der Klasse stehen? Oder werde ich aus dem Ministerium mit Erlässen und Verordnungen und Vorgaben zugemüllt, fülle da irgendetwas aus, was ohnehin völlig sinnlos ist, was sich keiner mehr anschaut und in die Rundablage wandert? – Und das ist nicht wirklich von Minister Polaschek aufgegriffen worden.
Heuer haben wir eine Elternumfrage gemacht. Ich kann Ihnen verraten: Das Bild unter den Eltern ist um keinen Deut besser als unter den Lehrerinnen und Lehrern. Gefragt danach, was sie so sehen, sagen knapp 80 Prozent, 79 Prozent der Eltern, dass es für sie spürbar ist, dass es viel zu wenige Lehrerinnen und Lehrer gibt, dass der Lehrermangel also in der Qualität im Schulalltag voll und ganz angekommen ist. Antwort darauf: kaum.
72 Prozent der Eltern sagen, sie sorgen sich, dass ihre Kinder eigentlich nicht für das Leben vorbereitet werden. Jetzt weiß ich schon: Es gibt Grundfertigkeiten, und Wissen sollte nicht nur immer einen Zweck erfüllen, aber trotzdem: Wenn 72 Prozent der Eltern sagen: Ganz ehrlich, mir geht es schon auch darum, dass mein Kind auf die verschiedensten Herausforderungen des Lebens – es wird ja auch immer komplexer für die Jungen – vorbereitet wird!, dann ist das schon ein Alarmsignal.
Jeder zweite Elternteil berichtet von Mobbing, von Fehlverhalten in der Schule, durchaus auch von Gewalt an der Schule: Darauf gibt es systemisch keine Antwort. Es gibt unglaublich viele engagierte Einzelinitiativen und es gibt auch engagierte Schulleiterinnen und Schulleiter, aber es gibt keine Antwort des Bildungsministers. Ich glaube, das Thema Mobbing oder sonst irgendetwas in den Schulen gibt es bei ihm nicht.
Für 47 Prozent der Eltern – das ist knapp die Hälfte – sind die Öffnungszeiten von Kindergärten ein riesengroßes Problem. Ich erinnere Sie noch einmal daran: „Kann ich ein Bundesland aufhetzen?“ (Abg. Salzmann: Wien!), hieß es, als es wirklich darum gegangen ist, eine Milliarde in die Hand zu nehmen, um die Nachmittagsbetreuung flächendeckend auszubauen. (Abg. Hörl: Schon wieder der alte Schmäh da!) Das ist eine Schande, und Sie sollten sich schämen. Sie haben die Eltern und Kinder im Stich gelassen. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)
Dann gibt es die Herausforderung mit Integration, gerade natürlich in Wien, aber nicht nur: 80 Prozent der Kinder in den Mittelschulen in Wien haben eine nicht deutsche Umgangssprache. (Abg. Kassegger: 80 Prozent!) Was ist die Antwort darauf? Was ist Ihre Antwort darauf? (Abg. Kassegger: Mehr Migration ist die Antwort der NEOS!) Wie schaut die Unterstützung aus? (Abg. Belakowitsch: Was ist denn Ihre Antwort drauf? Was ist denn Ihre Antwort drauf? – Abg. Kassegger: Was ist die Antwort der NEOS drauf?) – Wir brauchen natürlich dort mehr Personal, mehr Unterstützung, auch mehr Unterstützung bei Schulsozialarbeit oder bei Psychagogik, denn das sind alles Themen, die da aufpoppen. Es ist ja nicht nur die Muttersprache, es ist ja oft auch ein sozioökonomischer Background oder ein nicht vorhandener Bildungshintergrund der Eltern. Da kommen ganz viele Themen zusammen. (Abg. Belakowitsch: Und, was sollen wir jetzt machen?)
Und Sie lassen Wien komplett im Stich! Alles, was Christoph Wiederkehr hier vorschlägt, was er in seinem Bereich machen kann, macht er auch. (Abg. Salzmann: Da hat Wien schon selbst die Verantwortung!) Da sind ganz viele Reformen unterwegs, aber die Hand reichen tut der Bildungsminister bei diesem Thema überhaupt nicht.
Schauen Sie, das ist das Thema: Wenn die Eltern sagen, zu wenige Lehrer, die Lehrer sagen, zu viel Bürokratie – das sagen übrigens auch die Eltern –; eigentlich müssen wir einmal darüber reden, ob es zeitgemäß ist, denn wir haben nicht mehr den Eindruck, dass unsere Kinder gut auf das Leben vorbereitet werden, es ist nicht praxisbezogen, die Öffnungszeiten passen nicht mehr. Umgekehrt wissen wir auch aus Untersuchungen – egal ob von der OECD oder von Pisa –, wie unglaublich ungerecht unser Bildungssystem ist und wie viele Kinder wir da verlieren, Chancen vernichten, Talente vernichten, anstatt sie zu fördern und Begabungen zum Durchbruch zu verhelfen. (Abg. Salzmann: Wir schneiden besser ab als die europäischen Länder im OECD-Schnitt! Wir sind im oberen Drittel bei den Pisa-Ergebnissen!)
Da müssen doch irgendwann einmal die Alarmglocken schrillen und wir sagen: Okay, wir werden uns bewegen müssen. (Abg. Taschner: Sie desavouieren damit alle Lehrerinnen und Lehrer! Das wissen Sie!) – Ich desavouiere sicherlich keine Lehrerinnen und Lehrer (Abg. Taschner: Natürlich!), ganz im Gegenteil: Ich habe Ihnen gerade berichtet, was ein Hauptproblem der Lehrerinnen und Lehrer ist, nämlich dass Ihr Minister sie bei der Bürokratie des Alltags im Stich lässt (Beifall bei NEOS und SPÖ), viel zu wenige Lehrerinnen und Lehrer da sind, viel zu wenige Schulsozialarbeiter da sind, viel zu wenige Psychologinnen und Psychologen da sind, die alle die Extrameile gehen müssen, denn sonst ist das ganze Schulwesen nicht mehr aufrechtzuerhalten. Ich lasse sie nicht im Stich, sie werden von Ihnen im Stich gelassen. (Beifall bei NEOS und SPÖ. – Bravoruf bei der SPÖ. – Abg. Salzmann: Sie reden nur von Wien! In allen anderen Bundesländern ist es anders! Wien ist auch hier ...! – Abg. Taschner: Nur laute Töne, nicht mehr!)
Nur einmal um zu zeigen, was möglich ist. Nehmen wir einmal dieses Faktum: 80 Prozent der Kinder in Wiener Mittelschulen haben eine nicht deutsche Umgangssprache. Übrigens weist auch da Christoph Wiederkehr nicht nur einmal auf die Fakten hin, was der Anteil an muslimischen Schülerinnen und Schülern ist, sondern er weist auch zu Recht darauf hin, dass wir in Teilen vor allem der muslimischen Community junger Männer in Wien sehr schwierige Wertevorstellungen haben. Auch da macht er Vorschläge und sagt, wir brauchen ein verpflichtendes Fach „Leben in einer Demokratie“, weil es in einer pluralen Gesellschaft darum gehen muss, dass wir ein paar Dinge außer Streit stellen: Die haben mit unserer Verfassung zu tun, mit unserer offenen Gesellschaft, mit unserer freien Gesellschaftsordnung, mit der Gleichstellung von Mann und Frau und damit, dass es keine Religion wagt, sich über die Gesellschaftsordnung oder über die Verfassung zu stellen. (Abg. Belakowitsch: Bitte, sagen Sie das ...!) Ich habe mich gefreut, dass Frau Staatssekretärin Plakolm gesagt hat, das ist eine gute Idee. Wo bleibt da jetzt aber auch in dieser Frage der Bildungsminister? Es ist doch zwei vor zwölf, wenn Sie dieses Thema anschauen. (Beifall bei den NEOS.)
Oder warten Sie darauf, dass etwas passiert, und dann sagen Sie wieder: Na ja, in Wien!? Das ist doch keine ordentliche Politik, die Sie da machen, das sind wirklich Versäumnisse am laufenden Band. – Okay, gut.
Was aber möglich wäre, zeigt ein Blogartikel der Bildungsexpertin Heidi Schrodt vom 1. Juli im „Standard“. Ich rate Ihnen dazu, das zu lesen – wir haben uns ja diese London School Challenge auch angeschaut –, was selbst in diesen sogenannten Brennpunktschulen alles möglich wäre, wenn man dort ein paar Kriterien beachtet. Das sind nämlich zum Teil die besten Schulen Londons. (Abg. Totter: England ist kein gutes Beispiel!) Wie weiß man das? – Nun, man schafft endlich einmal auch Transparenz und Vergleichbarkeit.
Was sind aber die Kriterien? – Die Kriterien sind nicht, dass man mit dem Leistungsniveau hinunterfährt; ganz im Gegenteil: Die Kriterien sind, dass man hohe Ansprüche an die Leistungen aller Kinder stellt, dass man aber gleichzeitig das Selbstvertrauen der Schülerinnen und Schüler stärkt, dass man dort von Anfang an Demokratie lernt, Religionen lernt und nicht nur den Religionsunterricht und damit sozusagen auch das Wissen um verschiedene Religionen. (Abg. Belakowitsch: Religionen! Ich will überhaupt nicht! Das interessiert mich nicht, mir reicht eine ...!)
Es gibt viel Autonomie, damit am Schulstandort die Entscheidung getroffen werden kann, die auch entsprechend den Anforderungen notwendig ist, um auch den Unterricht entsprechend zu gestalten, und selbstverständlich auch eine sogenannte indexbasierte Finanzierung. (Abg. Totter: In England würde ich mir einmal die öffentlichen Schulen anschauen!) Das heißt, wenn dort Kinder sind, die besondere Herausforderungen haben, dass man natürlich dann die Schulen auch besser ausstattet.
Das bedingt natürlich, dass es dort eine starke Schulleitung gibt. Aber wissen Sie was? – Dort, wo es Autonomie geben kann, wo man die Freiheit hat, Entscheidungen zu treffen, dort wird es auch starke Schulleitungen geben, denn wenn ich nicht selbst eine Entscheidung treffen kann, dann muss ich auch keine starke Schulleitung haben – das ist ja völlig klar. Das heißt, es wäre auch im jetzigen System so viel möglich, wenn man endlich diesen Beton aufbrechen würde und diese Reformen in Österreich wagen würde, die so dringend nötig sind. (Abg. Belakowitsch: In Österreich jetzt: Welche genau?)
Um dem Ganzen sozusagen einen Druck zu verleihen, haben wir heute diesen Dringlichen Antrag gestellt. Das ist jetzt nicht eine Reformagenda von A bis Z, sondern es sind drei ganz konkrete Punkte, die – und das ist eben auch ein klares Ergebnis dieser Elternumfrage – dringend gemacht gehören (Abg. Belakowitsch: Wer hat die durchgeführt?):
Erstens einmal ein Masterplan, wie wir 20 000 zusätzliche Pädagoginnen und Pädagogen in ganz Österreich in die Schulen und übrigens natürlich auch in die Kindergärten bringen, denn die fehlen. Das ist ein bisschen ein An-die-Wand-Fahren mit Anlauf, denn wir wissen in Wirklichkeit seit zwei, drei Jahrzehnten, dass das passieren wird, dass die Babyboomer in Pension gehen und dass Pädagoginnen und Pädagogen fehlen werden. Also: ein Masterplan für 20 000 zusätzliche Pädagoginnen und Pädagogen.
Zweiter Punkt: rascher Ausbau der Lehrkräftefortbildung und des psychosozialen Supportpersonals, denn darum geht es. Sie haben dort Herausforderungen, die die Lehrerinnen und Lehrer nicht stemmen können. Sie lassen sie damit allein. Das ist auch nicht ihr Job, aber es gibt immer mehr Herausforderungen, gerade in Ballungsgebieten, aber nicht nur, gerade beim Thema Mental Health oder sonstigen Themen bei den jungen Leuten. Schauen Sie, dass sie diese Unterstützung in die Schulen bekommen!
Und der dritte Punkt ist: Bitte reden wir endlich darüber, dass wir die Lehrpläne und Stundentafeln reformieren, damit wir wirklich auch die Praxisorientierung und die Orientierung daran, dass man junge Menschen aufs Leben vorbereitet, mit Umgang mit Geld, mit Berufsorientierung, mit Demokratie, mit Fragen des Zusammenlebens in einer pluralen Gesellschaft in die Schulen bekommen. (Abg. Totter: Da gibt es ja neue Lehrpläne! Warum lesen Sie die neuen Lehrpläne nicht? Haben Sie die einmal gelesen?) Und ja, es braucht hier eine Verpflichtung – das ist das Letzte, was ich sagen möchte. (Abg. Totter: Die neuen Lehrpläne einmal lesen! Das wär’ nicht schlecht!) – Na gut, wenn Sie der Meinung sind, das ist an Demokratiebildung ausreichend. (Abg. Totter: Das wäre nicht schlecht, das ist einmal ein guter Anfang, sich einmal die Lehrpläne anzuschauen!) Die Lehrer finden das nicht, die Eltern finden das nicht und die Schülerinnen und Schüler finden das auch nicht, Frau Kollegin. (Beifall bei den NEOS. – Abg. Totter: Schauen Sie sich einmal die Lehrpläne an!)
Mir geht es um folgenden Punkt: Gerade bei dieser brennenden Frage Integration – und da ist Christoph Wiederkehr der Erste in Wien, der das Thema wirklich anpackt – reicht es nicht aus, auf freiwilliges Angebot zu setzen. Das wissen wir. Es gibt ganz tolle Angebote, ganz tolle Initiativen von Lehrerinnen und Lehrern, ehemaligen Lehrern oder sonstigen Vereinen oder Initiativen, aber das reicht nicht aus. Wir müssen alle jungen Menschen schon in der Volksschule mit einem klaren Bild davon erreichen, was unsere Wertehaltung ist, was unsere Demokratie ausmacht, unsere freie, offene Gesellschaftsordnung ausmacht und auch ein Wissen um Toleranz und andere Religionen. Da ist es wirklich zwei vor zwölf. Ich bitte Sie dabei wirklich um Zusammenarbeit und um Unterstützung. (Beifall bei den NEOS.)
15.19
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Polaschek. – Bitte sehr, Herr Bundesminister, bei Ihnen steht das Wort.