10.48
Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle, die in Österreich leben! Auch: Liebe Besucherinnen und Besucher hier im Hohen Haus! Wir stehen heute hier und sind alle zutiefst bewegt: Die verheerenden Unwetter der letzten Tage haben viele Regionen betroffen und dort für große Verwüstung und Schäden gesorgt. Fünf Menschen haben ihr Leben verloren – darunter ein Feuerwehrmann im Einsatz –, Familien wurden aus ihren Häusern gerissen, Existenzen zerstört, und viele tragen den Verlust und den Schmerz in ihren Herzen. Das Ausmaß der Zerstörung, die die Unwetter hinterlassen haben, macht uns bewusst, wie verheerend diese Katastrophe war.
Doch inmitten dieser vielen Schicksale haben wir auch eine andere, eine stärkere Seite gesehen: Die Solidarität und den unermüdlichen Einsatz all jener, die Tag und Nacht kämpfen, Leben retten, schützen, evakuieren. Feuerwehrfrauen und Feuerwehrmänner standen ehrenamtlich viele Stunden und Tage im Einsatz, ebenso die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer des Roten Kreuzes und des Arbeiter-Samariter-Bundes, Sanitäterinnen und Sanitäter, also die Einsatzkräfte im Gesamten.
Einsatzkräfte standen auch zur Assistenz und als Unterstützung dort bereit, wo der Bund unmittelbar mit der österreichischen Bundespolizei helfen kann, vor allem durch die Luftrettung mit Hubschraubern, gleichzeitig aber auch zum Schutz der verlassenen Häuser, wenn evakuiert werden musste. Das gilt auch für die Soldatinnen und Soldaten des Österreichischen Bundesheers, auch vor allem durch den Lufteinsatz, genauso aber auch auf dem Boden. 2 400 Soldatinnen und Soldaten sind abrufbereit für den Katastropheneinsatz. Allein in Niederösterreich sind über 600 im Einsatz, und zwar neben den Luftstreitkräften, die Evakuierungsmaßnahmen durchführen.
Der Anblick, der sich Ihnen allen genauso bot wie mir, das Ausmaß der Zerstörung, das die Unwetter hinterlassen haben, machen uns bewusst, wie verheerend diese Katastrophe war. Das Entscheidende aber ist, dass man auch feststellen konnte, dass die Solidarität im Land insgesamt mehr als beeindruckend ist. Von Vorarlberg bis zum Burgenland und hinab nach Kärnten wurden Katastrophenhilfszüge der Feuerwehr entsandt, um dem besonders stark betroffenen Niederösterreich neben Oberösterreich, der Steiermark und Wien zu helfen und dort Unterstützung zu leisten. Dabei wurde auch mit Einsatzkräften für Ablöse der vielen Tausenden gesorgt, die schon viele Stunden im Einsatz waren. – Auch dafür ein großes Danke!
Es ist jedes Mal beeindruckend, wenn man beim staatlichen Krisen- und Katastrophenmanagement dabei sein kann und sieht, wie schnell Hilfe angeboten wird und wie rasch gemeinsam interagiert wird. So wurden etwa Sandsäcke, technisches Gerät und auch Einsatzkräfte österreichweit von dort, wo die Katastrophe nicht oder nicht in diesem starken Ausmaß spürbar war, zur Verfügung gestellt. Und selbst aus den Bundesländern, die auch von Katastrophenereignissen betroffen waren, wie die Steiermark oder Oberösterreich, sind dennoch sofort Katastrophenhilfszüge bereitgestanden, um woanders zu helfen. – Das ist mehr als beeindruckend, und dafür ein großes Danke! Ich empfinde Respekt und Anerkennung für insgesamt all das, was geleistet worden ist. (Allgemeiner Beifall.)
Wenn das Wasser zurückgeht, dann sieht man die verheerenden Schäden und das Ausmaß der Katastrophe für die Betroffenen in ihren Häusern, Wohnungen und Kellergeschoßen. Das trifft auch auf die Unternehmerinnen und Unternehmer zu, deren Betriebe überflutet wurden, und das sieht man auch an den Höfen der Bäuerinnen und Bauern, die davon betroffen waren.
Es war wichtig und daher aus meiner Sicht geboten, dass wir jetzt als Bundesregierung gemeinsam mit dem Land Niederösterreich reagiert haben und unmittelbar 45 Millionen Euro aus dem Katastrophenfonds und 30 Millionen Euro zusätzlich durch das Land Niederösterreich für Sofortmaßnahmen zur Verfügung gestellt haben. Die Mittel aus dem Katastrophenfonds sind selbstverständlich auch für die anderen betroffenen Bundesländer wie die Steiermark und Oberösterreich abrufbar.
Die erste Soforthilfe ist aber nur der erste Schritt hinsichtlich Wiederaufbau in den betroffenen Gebieten. Wir haben uns heute Früh auf ein umfangreiches Maßnahmenbündel geeinigt, um einerseits die Menschen dabei zu unterstützen, die Schäden zu bewältigen, und andererseits weiter in den Schutz vor Hochwasser zu investieren. Dieses Maßnahmenbündel umfasst folgende Punkte, die ich Ihnen gerne zur Kenntnis bringen möchte:
Erstens: Aufstockung des Katastrophenfonds; wir werden das bewährte Instrument des Katastrophenfonds auf insgesamt 1 Milliarde Euro aufstocken. Damit stehen für alle Betroffenen mehr finanzielle Mittel zur Verfügung, sowohl für private Haushalte und betroffene Unternehmen als auch für Höfe, bei denen Schäden an Infrastruktur, Wohnungen, Häusern und Unternehmseinrichtungen entstanden sind.
Um möglichst rasch – und das ist jetzt, glaube ich, einer der wesentlichsten Faktoren – und unbürokratisch zu helfen, werden Teile dieser Summe bei Bedarf auch als Vorschuss ausbezahlt. Mittlerweile sind jetzt schon dort, wo es möglich ist, wo das Wasser tatsächlich bereits zurückgegangen ist und Schäden schon festzustellen sind, durch die sogenannten Schadensfeststellungskommissionen die Schäden aufgenommen worden, damit die Hilfe rascher erfolgen kann.
Zweitens: Die nächste wichtige Maßnahme ist die Aufstockung des Wohnschirms. Viele Menschen haben in den Fluten ihr Zuhause verloren. Für diejenigen, die besonders stark betroffen und vor allem auch in schwierigen finanziellen Situationen sind, werden wir den Wohnschirm der Bundesregierung öffnen, um sie in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund wird der Wohnschirm für besondere Härtefälle, nämlich für diejenigen, die von der Katastrophe besonders betroffen sind, erweitert, um all jene zu unterstützen, die vorübergehend oder länger ihr Zuhause nicht bewohnen können. Dafür stellen wir zusätzlich 40 Millionen Euro bereit, was hoffentlich noch heute hier im Hohen Haus beschlossen wird. Im Sinne aller Hochwasserbetroffenen bitte ich Sie um einen Schulterschluss der Parteien, damit die Anträge, die heute hier eingebracht werden, um den Hochwasseropfern zu helfen, angenommen werden und durch die Gesetzwerdung den Betroffenen auch unmittelbar zugutekommen können. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)
Drittens: Steuerliche Maßnahmen; für die Betroffenen besteht zudem die Möglichkeit, die Kosten für die Beseitigung von Schäden und für notwendige Reparaturen von der Steuer abzusetzen. Dazu zählen Kosten der unmittelbaren Beseitigung der Schäden und für die Ersatzbeschaffung von Wohnungen, Möbeln, Fahrzeugen oder anderen Gegenständen. Betriebe, die ebenfalls schwer getroffen wurden, können ihre Steuerzahlungen stunden lassen, um finanzielle Entlastungen zu erhalten. Das Finanzministerium informiert gesondert dazu.
Viertens: Katastrophenkurzarbeit; viele Unternehmen stehen vor zerstörten Betriebsstätten und werden noch lange brauchen, um ihre Produktion wieder aufnehmen zu können. Diesen Betrieben wird es möglich sein, Kurzarbeit zu beantragen. 2024 stehen dafür 20 Millionen Euro zur Verfügung.
Fünftens: Garantien und Kredite; für Unternehmen werden wir auch ein Kredit- und Garantieprogramm aufsetzen, das ein Volumen von 100 Millionen Euro erreichen wird. Ziel ist es, damit die notwendige Liquidität zu ermöglichen, um Ersatzinvestitionen in den Betrieben vornehmen zu können.
Sechstens: Hochwasserschutz; das ist tatsächlich ein zentrales Thema. Seit 2002 wurden über 2 Milliarden Euro investiert, wovon auch in den letzten Tagen profitiert wurde. Niederösterreich ist ein Flächenbundesland und ist flächig tatsächlich von den Starkregenereignissen betroffen. Es gibt neue Wasserphänomene, die die Siedlungen und das Leben der Menschen bedrohen, denen begegnet werden muss. Gleichzeitig haben die bereits bestehenden Hochwasserschutzmaßnahmen auch bei manchen Gemeinden, die jetzt betroffen sind, Schlimmeres verhindert. Man sieht, wie notwendig es ist, im gemeinsamen Zusammenwirken von Bund, Ländern und Gemeinden sowie auch mit den Grundstückseigentümerinnen und -eigentümern vorzugehen, damit der Hochwasserschutz weiter ausgebaut und auch verstärkt werden kann. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie der Abg. Herr.)
Für den Ausbau wird zusätzlich über 1 Milliarde Euro in den nächsten Jahren investiert, und 10 Millionen Euro werden jetzt unmittelbar zur Verfügung gestellt, um rasch zu helfen, weil es noch immer Dämme gibt, die gesichert werden müssen. Es sind nämlich auch Dämme gebrochen, und es müssen entsprechende Sanierungsmaßnahmen erfolgen.
Über dieses gesamte Maßnahmenbündel hinaus bemühe ich mich, die Instrumente, die auf Ebene der Europäischen Union für derartige Katastrophen für die Mitgliedstaaten geschaffen worden sind, ebenfalls zu nutzen. Diese Solidaritätsfonds werden auch aus österreichischen Steuermitteln finanziert, und daher ist es mein Ziel, auch diese Mittel für die betroffenen Regionen verfügbar zu machen. (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)
Wir stehen dazu bereits mit der Kommissionspräsidentin in Verbindung, ebenso mit den betroffenen Nachbarstaaten, weil ja nicht nur Österreich betroffen war, sondern im besonderen Ausmaß auch Polen, Tschechien, Rumänien und andere Mitgliedstaaten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele Menschen sind derzeit damit beschäftigt, in ihren eigenen Häusern, Höfen, Wohnungen und Betrieben die schlimmsten Schäden zu beseitigen. Ihnen allen wollen wir versichern, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, um die Folgen bestmöglich abzufedern. Ein großes Danke den vielen Helferinnen und Helfern, die sich jetzt in den Dienst von Team Österreich stellen oder bei der Spendenaktion Österreich hilft Österreich mitmachen. Die letzten Tage waren für viele Regionen in Österreich und auch in unseren Nachbarländern enorm herausfordernd und haben, wie vorhin schon beschrieben, für großes Leid und unfassbare Zerstörung gesorgt.
Ich möchte hier vor allem dem hauptbetroffenen Bundesland Niederösterreich, aber genauso Oberösterreich, der Steiermark und Wien ein großes Danke für die sehr, sehr gute Zusammenarbeit aussprechen, wenn es darum geht, die Katastropheneinsätze zu koordinieren, Hilfsmaßnahmen bundesweit auch tatsächlich abzurufen, um die Schäden so rasch als möglich zu beseitigen. Es braucht da ein enges Zusammenwirken.
Es wird dieses Hochwasser 2024 auch wieder dazu beitragen, dass wir für die nächsten Hochwässer besser gerüstet sind. Man muss dazusagen, dass wir schon vieles aus dem Jahr 2002 gelernt haben, aber man sieht: Durch neu auftretende Phänomene müssen wir den Hochwasserschutz, die Schutzmaßnahmen für die Menschen ständig erweitern und verbessern.
Nochmals gilt auch mein Dank allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Krisenstäben, im Besonderen in den Gemeinden bei den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die ja das Katastrophenmanagement vor Ort durchführen, seit unzähligen Stunden im Einsatz sind, gemeinsam mit der freiwilligen Feuerwehr und den eingesetzten Hilfskräften, die alle Koordinierungsmaßnahmen oder im schlimmsten Fall auch Rettungs- und Evakuierungsmaßnahmen vorgenommen haben. Allein im Tullnerfeld mussten in der Nacht über 2 000 Menschen evakuiert werden. Alle, die da helfen und tagtäglich ihren Einsatz leisten, machen das zu einem Großteil ehrenamtlich. Ihnen allen spreche ich nochmals großen Dank und Anerkennung auch im Namen der Republik Österreich aus. (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS sowie bei Abgeordneten der FPÖ.)
11.02
Präsidentin Doris Bures: Danke, Herr Bundeskanzler.
Nun erteile ich Herrn Vizekanzler Werner Kogler das Wort. – Bitte.