09.18

Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Mag. Alexander Schallenberg, LL.M., betraut mit der Leitung der zum Wirkungsbereich des Bundeskanz­ler­amtes gehörenden Angelegenheiten für EU, Kunst, Kultur und Medien: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrtes Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank für die Gelegenheit, heute zu Ihnen zum Thema „Europa in bewegten Zeiten. Was bedeutet das für Österreich?“ sprechen zu dürfen. Wir befinden uns tat­sächlich in bewegten Zeiten, in Zeiten der Veränderung und der Umbrüche. Vertraute Orientierungs- und Stützpunkte, wie die transatlantische Verbindung oder die Attrak­tivität unseres europäischen Lebensmodells, scheinen infrage gestellt. Zugleich stellen uns der Klimawandel, die Migration, die Instabilität in unserer Nachbarschaft und die digitale Revolution vor enorme Herausforderungen, die alle Lebensbereiche und alle Gesellschaften erfassen werden.

Viele dieser Herausforderungen sind nicht neu. Sie prägten die europäische Politik seit Jahren. Sie standen im Fokus des österreichischen Ratsvorsitzes 2018, und sie haben sowohl die Wahl zum Europäischen Parlament als auch die Wachablösung an der Spitze der europäischen Institutionen mitbestimmt. Mit dem Amtsantritt der neuen Europäischen Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen – hoffentlich am 1. Dezember – beginnt sozusagen eine neue Legislaturperiode in der EU. Daher ist es auch sehr treffend, zu diesem Zeitpunkt eine solche Diskussion hier im Hohen Haus zu führen, denn die Erwartungen an diese neue Legislaturperiode sind groß.

Die designierte Kommissionspräsidentin hat völlig zu Recht schon klargemacht, dass sie eine neue Dynamik erzeugen will. Mit der Ankündigung zum Beispiel eines Euro­pean Green Deals oder einer Konferenz zur Zukunft Europas ab dem Jahr 2020 hat sie bereits interessante Vorschläge formuliert. Weitere Vorschläge werden folgen müssen, denn es gibt einiges zu tun.

Zunächst gilt es, endlich den Brexit zu lösen. Nach drei Verlängerungen ist es an der Zeit, dass wir dieses Kapitel endlich abschließen. Wir alle haben die Entscheidung des Vereinigten Königreichs, aus der EU auszutreten, zutiefst bedauert, und wir alle wollen auch in Zukunft eine möglichst enge Anbindung an das Vereinigte Königreich, aber wir brauchen jetzt endlich auch Klarheit. Die 27 Mitgliedstaaten haben es bis jetzt entgegen aller Unkenrufe, entgegen aller Bedenken geschafft, gegenüber London mit einer Stimme zu sprechen und Einheit zu zeigen, aber diese Verhandlungen binden enorm viele Ressourcen, binden enorm viel politische Energie; Energie und Res­sourcen, die wir endlich für die Gestaltung unserer Zukunft einsetzen sollten und nicht mehr für die Bewältigung eines Scheidungsverfahrens.

Ein wesentliches Element für die Gestaltung unserer Zukunft ist etwa die laufende Verhandlung zum mehrjährigen Finanzrahmen, der ab 2021 bis 2027 gelten soll. Die österreichische Position ist da sehr klar: Wenn eine der größten Volkswirtschaften Europas austritt, kann das EU-Budget nicht auch noch wachsen. Wie bisher sollte daher das Gesamtvolumen des Haushaltes auf europäischer Ebene bei 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens liegen, denn auch bei 1 Prozent wird die Union aufgrund des Wirtschaftswachstums, das in den letzten Jahren stattgefunden hat, deutlich mehr Geld haben, insgesamt über 110 Milliarden Euro. Damit ist genug da, um auch auf neue Schwerpunkte zu setzen, etwa Forschung, Innovation, Sicherheit und Migration. Dabei soll auch der klimarelevante Anteil am Budget erheblich steigen. Mindestens 25 Prozent aller Gelder im gesamten Mehrjährigen Finanzrahmen und 40 Prozent der Agrarmittel sollen für klimarelevante Maßnahmen eingesetzt werden. Zugleich können wir auch bei 1 Prozent des BNEs sicherstellen, dass das bisherige Niveau bei der Landwirtschaft und bei der Kohäsion gewahrt bleibt.

Als Nettozahler steht Österreich bereit, weiterhin Verantwortung zu übernehmen. Es wird auch der österreichische Beitrag ansteigen, aber gerade deswegen ist es unsere Aufgabe, sicherzustellen, dass die EU möglichst sparsam und effizient mit ihren Mitteln umgeht. Österreich geht hierbei sehr eng abgestimmt mit anderen Nettozahlern – wie etwa den Niederlanden, Dänemark, Schweden und Deutschland – vor.

Meine Damen und Herren, Herausforderungen stellen sich nicht nur im Inneren der Europäischen Union, sondern auch in unserem geopolitischen Umfeld: Russland und die Türkei gehen eigene Wege, mit China ist ein neuer starker Konkurrent erwachsen und die transatlantische Einigkeit erscheint brüchig.

Gerade in den letzten zwei Tagen mussten wir erleben, dass in Israel wieder einmal inakzeptable Raketenangriffe auf Zivilisten verübt werden. Internationale Abkommen wie etwa das Pariser Klimaabkommen oder der Irandeal, der hier in Wien verhandelt wurde, werden geschwächt. Säulen der internationalen Abrüstungsbemühungen der letzten Jahrzehnte werden infrage gestellt. Am akutesten ist aber sicher die Heraus­for­derung in Nordsyrien. Die völkerrechtswidrige Militäroperation der Türkei in Syrien verschärft die humanitäre Krise in der Region und droht neue Flüchtlingsströme aus­zulösen. Im Einklang mit der Europäischen Union verurteilen wir daher aufs Schärfste diese Operation und fordern ein Ende der Gewalt und die Einhaltung von Völkerrecht und Menschenrechten. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Wir hatten uns auch in der EU sehr deutlich für ein EU-weites, einheitliches Waffen­embargo gegenüber der Türkei ausgesprochen, die hierfür notwendige Einstimmigkeit konnte aber nicht erzielt werden. Österreich hat, und das betone ich, ein solches Waffenembargo bereits seit 2016.

Diese jüngste Entwicklung beweist aber einmal mehr, dass es einen neuen Zugang der Europäischen Union zu den Beziehungen mit der Türkei braucht. Die Türkei entfernt sich immer weiter von europäischen Werten und Standards. Wir treten daher ganz klar für den Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und für ein Ende der Vorbeitrittsgelder an die Türkei ein. (Beifall bei der ÖVP.)

Wir sprechen diesen Punkt auch sehr regelmäßig und auf allen Ebenen der EU an; ich selbst habe diese Forderung bei den jüngsten Sitzungen der EU-Räte im Juni, im Juli und im Oktober vorgebracht und werde dies auch weiterhin tun. Es muss uns aber klar sein: Der Abbruch der Beitrittsverhandlungen erfordert Einstimmigkeit, und bislang ist es nur Österreich, das in dieser Offenheit und Ehrlichkeit diese Forderung auf den Tisch legt. Eines muss uns aber auch klar sein: Wir als Europäische Union dürfen uns nicht von der Türkei erpressen lassen, sei es in der Migrationsfrage oder im Zusam­menhang mit ausländischen IS-Kämpfern. Diesbezüglich braucht es auf Augenhöhe einen ehrlichen Umgang miteinander. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Vielleicht ist es auch wichtig, dass ich im Zusammenhang mit den österreichischen IS-Kämpfern Folgendes betone: Nach unseren Informationen gibt es in Syrien und im Irak circa zwei Dutzend Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft, die sich dem IS angeschlossen haben. Die Lager und die Gefängnisse, in denen sie sich befinden, sind derzeit nicht im Einzugsgebiet der türkischen Militäroperation.

Sehr geehrte Damen und Herren, eine wesentliche Herausforderung für die EU ist auch die Sicherung der Stabilität in unserer Nachbarschaft. Wir brauchen eine EU, die in der Lage ist, Sicherheit auch nach außen zu projizieren. Das bezieht sich nicht nur auf Südosteuropa.

Gestern war der weißrussische Präsident Lukaschenka hier in Wien und ich reise gleich nach dieser Parlamentssitzung nach Kiew zu einem Treffen mit dem ukraini­schen Außenminister. Traditionell liegt natürlich unser Fokus sehr wohl am Westbalkan und in Südosteuropa. Die Geschichte zeigt, ohne nachhaltige Sicherheit und Stabilität in Südosteuropa kann es keine nachhaltige Sicherheit und Stabilität in Zentraleuropa geben. Es geht hier also eigentlich um unmittelbare Sicherheitsinteressen der Euro­päischen Union und Österreichs. Spätestens seit der Migrationskrise wissen wir, die Staaten am Westbalkan sind Nachbarn und Freunde, mit ihnen sind wir stärker, ohne sie sind wir verwundbar. Alles, was diese Region will, ist eine gesicherte, sichtbare, gelebte europäische Perspektive – die EU hat sie zugesagt und jetzt gilt es Wort zu halten.

Wir treten daher für eine umgehende Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Nord­maze­donien und Albanien ein. Da steht die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union auf dem Spiel, und wir riskieren Instabilität in einer Region, die – das vergisst man immer wieder – von EU-Staaten umgeben ist.

Meine Damen und Herren, die Liste der Herausforderungen, für die wir die Euro­päische Union brauchen, ließe sich weiter fortsetzen. Die Erwartungshaltung an die Europäische Union ist dementsprechend groß, und manchmal überkommt einen viel­leicht der Eindruck, dass nicht sehr viel gelingt, dass manchmal die EU mit halben Mitteln auf halbem Weg stehen bleibt. In solchen Situationen lohnt es sich aber, einen Schritt zurückzugehen.

Es wurde schon erwähnt: Letzten Freitag vor 30 Jahren, am 9. November 1989, fiel die Berliner Mauer. Und wenn wir uns diesen Zeitraum anschauen, diese drei Jahrzehnte, dann sehen wir, wie viel uns eigentlich gelungen ist, wie sehr Europa in diesen drei Jahrzehnten stärker geworden ist, gewachsen ist – unser Kontinent ist in Wirklichkeit laufend in Bewegung. Staaten und Gesellschaften haben sich verändert, Grenzen sind gefallen und eine gemeinsame Währung ist entstanden. Bei allen Schwierigkeiten und Herausforderungen sollten wir diese Errungenschaften nicht vergessen.

Die Europäische Union hat sich gerade aus österreichischer Sicht als Quelle und entscheidender Antriebsmotor für positive Änderungen erwiesen, und sie wird das sicher auch in Zukunft sein. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP, bei Abgeordneten der Grünen sowie der Abg. Krisper.)

9.28

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf darauf hinweisen, dass in der Debatte die maximale Redezeit 5 Minuten beträgt.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Lopatka. – Bitte.