9.37

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Dieser Vormittag ist reich an Erkenntnisgewinn, muss man sagen. Ich habe das erste Mal in meinem Leben gehört: Ja, wenn ein Gesetz zu alt ist, braucht man es nicht mehr anzuwenden. (Zwischenruf des Abg. Mahrer.) Jetzt verstehe ich den Spruch des Bundeskanzlers zur Bundesverfassung, geschätzte Damen und Herren. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Das bildet sich da nämlich ab. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Abg. Steinacker. – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Kollege Wöginger mit seinen Bauverhandlungen – er ist ja schon korrigiert worden; es gibt selbstverständlich Bauverhandlungen (Zwischenruf des Abg. Haubner) –: Ich gebe Ihnen aber in einem recht: Es gibt viel weniger Bauverhandlungen. Wissen Sie, wieso? – Weil ihr die Gemeinden derzeit finanziell an die Wand fahren lasst. Das ist das Problem bei den Bauverhandlungen, nicht das Recht. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Schnedlitz.)

Geschätzte Damen und Herren! Möglicherweise haben wir die Spitze der Gesund­heitsgefährdung in Österreich hinter uns. In den Regierungszirkeln und auch in den Regierungsklubs geistert jetzt die frohe Wahrnehmung, die frohe Kunde herum: Die Menschen sind jetzt froh und freuen sich. – Geht einmal raus aus euren Elfenbein­türmen! Geht einmal zu den Leuten, dann seht ihr, dass sich niemand freut, weil das Geld, das bei Pressekonferenzen verkündet wurde, nirgends ist! Das kommt nirgends an. Die Menschen haben kein Geld, weder die, die arbeitslos sind, noch die, die ein Unternehmen haben. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Abg. Steinacker.) Nirgends kommt das Geld an.

Es kennt sich auch niemand mehr aus, was zu tun ist. Wie kann man bitte erklären, man müsse auf der Straße, in der Schule 1 Meter Abstand halten, und im Gasthaus sei es wurscht, da könne man sich an einem Tisch zu viert zusammenkuscheln? Wer soll denn das verstehen, geschätzte Damen und Herren? Niemand versteht das. Das ist Management by Chaos.

Wieso ist dieses Management by Chaos entstanden? – Es ist ja manchmal gut, wenn man Dinge erfährt. Kennen Sie die Operation Ernten der Früchte? (Heiterkeit bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten der FPÖ.)  „Ernten der Früchte“ ist heute in einer öster­reichischen Wochenzeitung relativ gut geschildert. Da kommen 1,5 Millionen Schutz­masken, 450 000 Schutzanzüge mit Flugzeugen nach Österreich, und dann beginnt die Operation Ernten der Früchte. Auftrag des Bundeskanzlers: Ich muss in den Zeitungen stehen mit: Kurz beschafft Schutzausrüstung für Österreich. (Heiterkeit bei Abgeord­neten der SPÖ.) Das hat funktioniert, ich gratuliere Ihnen! Das Problem ist nur: Die Schutzausrüstung war für Südtirol. Ja, sagt einmal, was ist mit euch los? (Beifall bei der SPÖ.) Entschuldigt bitte!

Dann ist es ja kein Wunder, dass erstens die Menschen unzufrieden sind (Ruf bei der ÖVP: Mit euch!) und zweitens ihr langsam ordentlich nervös werdet – (in Richtung ÖVP und Grüne weisend) ihr und ihr. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch. – Zwischenruf bei der ÖVP.) Deshalb ist es auch kein Wunder, und ich verstehe ja Kollegin Maurer, dass ihr das herausgerutscht ist, und ich verstehe es auch als Ausrutscher, ich nehme das nicht so tragisch.

Was dahintersteckt, ist aber schon interessant: diese Angst vor der parlamentarischen Demokratie, diese Angst, dass plötzlich nachgeschaut wird, was da passiert, diese Angst vorm Bundesrat. Ja, um Gottes willen! Sind die Bundesländer schlimm? – Nein, sind sie nicht! (Zwischenruf der Abg. Blimlinger.) Die nehmen auch ihre Aufgaben wahr. Das kann doch nicht wahr sein! (Ruf bei der SPÖ: ... schmerzfrei!) Ich verstehe es, dass man deshalb keine Oppositionsarbeit will (Abg. Maurer: ... seriös!), keine Verfassung will, ja, auch keine Öffentlichkeit will: weil da hineingeschaut wird. Deshalb verhindert ihr jetzt auch wieder diesen Coronaausschuss, da geht nichts weiter. Ist ja typisch! Wir werden aber dafür sorgen, dass ihr kontrolliert werdet, darauf könnt ihr euch verlassen, geschätzte Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Und bitte, wenn ich noch auf das Epidemiegesetz, auf das alte - - Aufgrund welcher Gesetze habt ihr das denn eigentlich alles gemacht, wenn das nicht anzuwenden ist? – Nur so nebenbei. – War alles gesetzwidrig? (Zwischenruf der Abg. Maurer.) – Ent­schul­digung! Die Frage war: War alles gesetzeswidrig, was passiert ist? (Neuerlicher Zwischenruf der Abg. Maurer.) Kommen wir aber zurück zum Epidemiegesetz: Wir haben alles erfüllt, was die Opposition wollte. – Nichts habt ihr! Was ist mit der Befristung? Habt ihr die erfüllt? – Nein, die habt ihr nicht erfüllt. Was ist mit der genauen Definition der Inhalte? Habt ihr das erfüllt? – Nein, das habt ihr nicht erfüllt. Was ist mit dem parlamentarischen Begutachtungsprozess? Habt ihr dem Rechnung getragen? – Nein, das habt ihr nicht! (Zwischenruf der Abg. Blimlinger.) Eine Art Schwarzbegutachtung in der Regierung hat stattgefunden, und dann werden irgend­welche Zitate nach außen gespielt. Das ist aber keine Begutachtung, Herr Gesund­heitsminister, das ist nichts! (Beifall bei der SPÖ.)

Deshalb bin ich froh, dass diese Sitzung so stattfindet, wie sie heute stattfindet. Ich habe ja zuerst geglaubt, und ich war da vielleicht ein bisschen zu gutgläubig (Abg. Wöginger: Ja!), es war die Eile (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch), die Notwendig­keit, schnell zu handeln, weshalb vielleicht nicht auf alles geachtet wurde, was not­wendig ist. Ich glaube inzwischen, es war Absicht. Es war Absicht, um diesen Zustand der neuen Normalität als Dauerzustand zu installieren. Ich kann Ihnen, ÖVP und Grüne, eines versprechen: Wir lassen euch das nicht durchgehen! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Fürst.)

9.42

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Prammer. – Bitte.