9.13

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Bundesregierung! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Bildschirmen! Corona mit all seinen Folgen ist für die Bevölkerung, für uns alle seit Wochen, seit Mo­naten allgegenwärtig. Corona bestimmt unser Leben, denn die sozialen und vor allem auch die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns sind unübersehbar.

In den kommenden Tagen soll hier im Hohen Haus ein Budget beschlossen werden. Es ist der Finanzplan für das heurige Jahr, für 2020. Doch was das Parlament beschließen soll, was Sie, Herr Finanzminister, uns vorgelegt haben, bildet diese Jahrhundertkrise nicht im Geringsten ab – während Deutschland es geschafft hat: Deutschland hat vor einigen Wochen sehr wohl ein sehr detailliertes Nachtragsbudget mit einer sehr de­taillierten Prognose von Mindereinnahmen und Mehrausgaben, die aufgrund der Krise für heuer prognostiziert wurden, vorlegen und sogar beschließen können.

Dem, was Sie, Herr Finanzminister, dem Parlament vorlegen, fehlt vor allem eines: Es fehlt ein Plan. Es fehlt ein Plan und es mangelt an einer Perspektive, Herr Finanzminister; es mangelt an einer Orientierung. Es ist genau das: Plan, Orientierung, Perspektive – das sind die Parameter, die Vertrauen schaffen, die Vertrauen in der Wirtschaft schaffen, bei Unternehmerinnen und Unternehmern, in der Politik und natürlich in der gesamten Bevölkerung. Ja, dieser Plan wäre dringendst notwendig.

Wenn wir heute eines wissen, dann dies: dass diese Planlosigkeit gleich zu Beginn des Shutdowns die Ursache von dramatischen Folgen war, die wir bis heute und wahr­scheinlich in den nächsten Monaten und Jahren noch weiter spüren werden. Es sind die Folgen von leeren Versprechungen und Planlosigkeit, sehr geehrte Bundesregierung, mit denen wir hier zu kämpfen haben. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Loacker.)

Die Folgen dieser Planlosigkeit, dieser Orientierungslosigkeit sind ein historischer Höchststand an Arbeitslosigkeit in Österreich, ein Höchststand an Menschen, die zur Kurzarbeit gemeldet sind, mehr als eine Million Menschen in Österreich – übrigens: die Quote der Arbeitslosen in Deutschland ist nur halb so groß, dabei hat Deutschland mit ziemlicher Sicherheit dieselbe Coronakrise durchgemacht wie Österreich –, und es sind Hunderttausende Unternehmerinnen und Unternehmer, die vor einer unklaren Zukunft stehen und nicht wissen, wie sie die nächsten Wochen, die nächsten Monate gesund überstehen – wenn nicht rasch wirklich echte Hilfe kommt.

Ja, bei Pressekonferenzen wird wortreich fast täglich mit Milliarden jongliert, aber wie wir spätestens seit der „ZIB 2“ gestern wissen, wurden von diesen 38 Milliarden Euro, Herr Finanzminister, gerade einmal 460 Millionen Euro vergeben – 460 Millionen, ein kleiner Bruchteil des Geldes, das Sie in mehr als 80 Pressekonferenzen angekündigt haben. Daraus, aus diesem Fakt geht für mich hervor, dass es eine Gruppe und viele Men­schen in diesem Land gibt, die schlaflose Nächte haben – nicht Sie, Herr Finanzminister: Es sind die 550 000 Arbeitslosen dieses Landes, es sind die 1,1 Millionen Menschen, die zur Kurzarbeit angemeldet sind, es sind die Hunderttausenden Unternehmerinnen und Unternehmer, die keine klare Zukunft vor sich haben. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Meinl-Reisinger.)

Und der Unmut, die Angst und die Verunsicherung wachsen in Österreich von Tag zu Tag. Es sind Menschen wie ein Wiener Blumenhändler, der bisher zweimal Unterstüt­zung aus dem Härtefallfonds beantragt hat, seit Wochen keinen Cent aus diesem Härtefallfonds bekommen hat und in einem Interview vor ein paar Tagen nur eines sagt: „Ich wünsche mir, dass die Regierung“ endlich „hält, was sie verspricht.“ – Oder eine junge Salzburger Unternehmerin, die in einem Printinterview gesagt hat, sie wurde trotz der vielen großen Versprechen auf ihrem Weg zu den Unterstützungen von sehr vielen bürokratischen Hürden überrascht; oder ein Wirt aus Wien Landstraße, der kürzlich im Radio, auf Ö1, gesagt hat, dass er bisher keinen einzigen Cent gesehen hat.

Eine Studie der Universität Wien belegt das: Mehr als 1 000 Klein- und Mittelbetriebe wurden befragt, und mehr als 70 Prozent geben der Regierung für die Unterstüt­zungsleistungen nur ein Genügend oder sogar ein Nicht genügend. Nur 2 Prozent be­trachten Ihre Hilfsleistungen, die Sie in den letzten Wochen gegeben haben, als Sehr gut. – Das ist kein gutes Zeugnis, sehr geehrte Bundesregierung! Ja, es braucht endlich echte Hilfe, echte Hilfe statt leerer Versprechen, sehr geehrter Herr Bundeskanzler! (Beifall bei der SPÖ.)

Es braucht echte Hilfe für mehr als eine halbe Million Arbeitslose, es braucht echte Hilfe für Hunderttausende Unternehmerinnen und Unternehmer, für Tausende Alleinerziehe­rInnen in unserem Land und viele mehr. Für sie alle braucht es diese echte Hilfe, und die braucht es nicht erst in einigen Monaten, nein, die hätte es schon längst gebraucht, spätestens jetzt braucht es diese echte Hilfe. (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist ein kritischer Moment, und wenn man nicht jetzt entschlossen, klar und mit Plan und Orientierung gegensteuert, dann setzt sich – und das ist ein kleines Einmaleins – eine Negativspirale aus Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsabschwung in Gang. Je länger Sie zuwarten, desto schneller bewegt sich diese Spirale nach unten und desto schwie­riger ist es, diese Spirale nach unten zu stoppen, und desto mehr Mittel werden Sie auch brauchen, die Mittel der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, um diese Negativspirale zu stoppen – und das darf nicht passieren, sehr geehrte Bundesregierung! (Beifall der SPÖ.)

Das, was es jetzt braucht, ist ein Plan, es ist politische Entschlossenheit und es ist Kom­petenz, und diese kompetenten Stimmen sagen uns, dass es in Österreich das größ­te Investitions- und Beschäftigungspaket in der Geschichte der Zweiten Republik braucht. – Wann, wenn nicht jetzt?!

Wir müssen die Steuern für die ArbeitnehmerInnen endlich reduzieren, damit sie mehr Geld fürs tägliche Leben und damit eine höhere Kaufkraft haben, den Konsum ankurbeln und damit die Wirtschaft unterstützen können. Wir müssen das Arbeitslosengeld auf 70 Prozent der Nettoersatzrate erhöhen – eine wichtige menschliche Geste, aber auch eine volkswirtschaftlich notwendige Geste, Herr Finanzminister. Wir müssen mit klugen und nachhaltigen Investitionen in Wachstum und Beschäftigung endlich ein Stoppschild für diese Negativspirale, diese größte soziale und wirtschaftliche Krise unseres Landes aufstellen. All das sollte sich in dem heute von Ihnen vorgelegten Budget wiederfinden, all das findet sich in Ihren Zahlen aber leider nicht wieder. (Beifall bei der SPÖ.)

Noch eines: Insel sind wir auch keine. Österreich und die österreichische Wirtschaft sind nicht alleine, sind keine isolierte Insel, daher müssen wir als Österreich und österreichi­sche Wirtschaft auch ein hohes und großes Interesse an einem EU-weiten Investitions­plan zum europäischen Wiederaufbau haben, an einem gemeinsamen Wiederaufbau – nicht aus einem reinen Akt der europäischen Solidarität heraus; aus meiner Sicht ja, weil ich auch immer solidarisch denke, aus Ihrer Sicht wäre aber vielleicht die wirtschaftliche Vernunft das attraktivere Momentum. Auch das sehe ich aber nicht, sehr geehrter Herr Finanzminister. Es sollte in unserem ureigensten Interesse sein, dass alle Länder Eu­ropas stabil durch diese Krise kommen. Das ist ein Gebot der Stunde. So zu tun, als ob uns in Österreich die Wirtschaft in Italien nichts anginge, ist kleingeistig, kurzsichtig und wirtschaftlich einfach unvernünftig. (Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geehrte Damen und Herren der Bundesregierung! Es braucht jetzt verantwor­tungsvolle Politik, und verantwortungsvolle Politik heißt, genau diese Zusammenhänge aufzuzeigen, den Menschen diese Zusammenhänge zu erklären. Das ist die Aufgabe einer Regierung und das ist die Aufgabe von verantwortungsvollen europäischen Re­gierungschefs. Österreich sollte Teil der Lösung und nicht Teil des Problems sein, denn die europäische Zukunft ist auch die österreichische Zukunft. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

9.23

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gelangt der Klubobmann der ÖVP August Wöginger. – Bitte.