19.29

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das passt ja ganz gut, dass ich nach Kollegen Loacker drankomme. Wir haben da immer einen netten sportlichen Diskurs miteinander, das finde ich auch gut so, das ist konstruktiv, nicht beleidigend, jeder hat seine Positionen und oft lernen wir auch gegenseitig voneinander und überzeugen uns – so sollte Politik funktionieren. (Abg. Loacker nickt.)

Ich kann mich dem nur anschließen. Letzte Sitzung des Gesundheitsausschusses, das ist genau so, wie ich mir Politik vorstelle: Wir hören einander zu, Leute machen Vorschläge (Zwischenruf des Abg. Wurm), wir prüfen die und schauen, ob sie umsetzbar sind. (Abg. Wurm: Stimmt nicht!) – Herr Kollege Wurm, es stimmt, Ihre Vor­schläge sind in letzter Zeit nicht umsetzungsfähig gewesen. (Heiterkeit und Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP und NEOS.) Das mag an mir liegen oder an Ihnen; es gibt zwei Möglichkeiten in diesem Zusammenhang. (Abg. Schallmeiner: ... im Raucherausschuss! – Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Wurm.)

Kollege Wurm, kehren wir bitte zur Ernsthaftigkeit der Situation zurück! Wir leben nach wie vor mitten in Zeiten der größten Pandemie seit sage und schreibe 100 Jahren. (Abg. Wurm: Das sagen Sie!) – „Das sagen Sie“, sagt er. – Okay, wenn Sie nicht einmal das glauben, dann verstehe ich, dass Sie diese Buttons die ganze Zeit ange­steckt haben. (Zwischenruf des Abg. Amesbauer.) – „Coronawahnsinn“, ja, okay. Jeder hat seine Einstellung, ich will Ihnen Ihre nicht nehmen, es sei Ihnen unbenom­men.

Es ist die größte Pandemie seit 100 Jahren, und wir können alle miteinander, die Bürgerinnen und die Bürger und alle, die dazu beigetragen haben, wirklich stolz darauf sein, dass wir mittlerweile in einer Situation sind, in der wir diese Pandemie in Öster­reich weitgehend unter Kontrolle haben – weitgehend; sie ist absolut noch nicht gelöst, aber wir sind sehr, sehr gut unterwegs.

Die Bilanzzahlen von heute: Wir sind mit der Zahl der aktiv Erkrankten so weit unten wie (Zwischenruf des Abg. Wurm) seit vielen, vielen Wochen nicht, Herr Kollege Wurm. Wir sind bei 640 aktiv Erkrankten, das war in den letzten drei Wochen jede Woche ein Minus von 20 Prozent. Das ist der absolut schönste Erfolg, den man in diesem Zusammenhang haben kann. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.) Wir haben nur mehr knapp über 100 Hospitalisierungen, also Menschen, die in den Spitälern gepflegt werden müssen – auch das ist ein Minus von 20 Prozent. Wir sind bei den Menschen, die in den Intensivstationen gepflegt und behandelt werden müssen, bei sage und schreibe nur mehr 25 Personen. – Das sind großartige Zahlen. Da können Sie sagen, was Sie wollen: Seien wir doch miteinander stolz, dass wir jetzt gut unterwegs sind! (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Wurm.)

Weil von einigen, wie etwa von Kollegen Wurm – jetzt habe ich quasi meinen Sparring­partner in der Diskussion gefunden; ich muss nur ein bisschen an die anderen denken, das ist, glaube ich, besser –, immer wieder darüber diskutiert wurde, ob es notwendig gewesen ist, diesen Lockdown zu machen – abgesehen davon, dass die Freiheitliche Partei da am Beginn etwas Richtiges gefordert hat, nämlich ebendiesen Lockdown –: Der war richtig, der war notwendig. Wir alle hätten gerne darauf verzichtet, aber es war das richtige Instrument zum richtigen Zeitpunkt. (Abg. Martin Graf: Sagt der ...!)

Wissen Sie, das Max-Planck-Institut hat letzte Woche für Deutschland die Maßnahmen evaluiert und ist draufgekommen: Es waren zu 100 Prozent die richtigen Maßnahmen. Wir haben in etwa dasselbe realisiert. Das ist ja auch keine Neuerfindung, das ist bei einer Epidemie immer das gleiche Maßnahmenpaket, nämlich die räumliche Distan­zierung zu schaffen, zu schauen, dass Hygienemaßnahmen umgesetzt werden, und das so lange fortzusetzen, bis es ein direktes Medikament beziehungsweise eine Möglichkeit des Impfens gibt.

Dr. Popper – nicht nur der Name zeugt von Klugheit, er selbst ist auch sehr klug – macht mit seinem Team für uns in Österreich derzeit die Kapazitätsprognose­rech­nungen für die Spitäler. Das macht er ganz ausgezeichnet, er hat de facto die Entwick­lungen immer getroffen, sagt uns zehn Tage im Vorhinein, wie die Auslastungszahlen in Österreich sein werden – das ist ganz wichtig, damit die Spitäler planen können –, und jetzt hat er dahin gehend eine Modellierung durchgeführt (Zwischenruf des Abg. Wurm), ob es der richtige Zeitpunkt war, an dem wir diesen Lockdown realisiert haben. Er ist auf Folgendes draufgekommen: Hätten wir eine Woche später gehandelt (neuer­licher Zwischenruf des Abg. Wurm), nur eine Woche später gehandelt, dann hätten wir viermal mehr Erkrankungsfälle in Österreich gehabt und die Intensivstationen wären ausgelastet gewesen. Vielleicht haben wir auch Glück gehabt, aber Glück gehört zum Tüchtigen dazu, sage ich Ihnen, Herr Kollege Wurm! (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Jetzt wird es darum gehen, die zweite Welle zu verhindern. Auch da werden wir wieder alle zusammenhalten und wieder alle brauchen, denn wir brauchen die BürgerInnen, die mitmachen, wir brauchen die richtigen Maßnahmen, wir brauchen die richtigen Öffnungsschritte und die Kontrollen bei diesen Öffnungsschritten.

Wenn wir heute bei diesem Pressegespräch sagen konnten – ja, wir sind keine Gegner von Pressekonferenzen, das gebe ich schon zu (Heiterkeit bei Abgeordneten von Grünen und NEOS) –, dass wir die nächsten Öffnungsschritte mit 15. Juni machen können, dann ist das nicht unser Verdienst, sondern dann ist das die Arbeit der Bür­gerinnen und Bürger, die konsequent das umgesetzt haben, was es in diesem Land braucht. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Wir können diese zweite Welle verhindern, wenn wir drei Dinge tun, und ich bin opti­mistisch, dass wir das schaffen werden: erstens, indem wir alle in dieser Frage kon­sequent weiterarbeiten – auch Sie, Herr Kollege Wurm –; zweitens, indem wir hergehen und dann, wenn es einen Gegentrend gibt, sofort Gegenmaßnahmen set­zen – dann wird es halt doch möglicherweise wieder die eine oder andere Maßnahme geben müssen, vielleicht ist das auch regional notwendig, aber da müssen wir rasch gegensteuern. Das Dritte – da bin ich total auf einer Linie mit Kollegen Loacker, nämlich was die Analyse betrifft, nicht, was den Schluss daraus betrifft; die Analyse ist richtig –: Entscheidend ist, dass wir in solchen Situationen ganz schnell sind, erstens bei der Testung, zweitens beim Kontaktpersonenmanagement, deswegen unsere Regel: dreimal 24 Stunden maximal für die zuständigen Behörden vor Ort. Da müssen wir schnell sein.

Zu den Tests: Wo befinden wir uns derzeit? – Manche haben gesagt, es gibt wenige Tests in Österreich. Also: Eine große Universität, die Johns-Hopkins-Universität, hat gerade ein weltweites Ranking dazu gemacht, welche Länder wie viel getestet haben, umgerechnet auf 1 000 Einwohner. Na, was glaubt ihr, wo Österreich da steht? Auf Platz 120? Auf Platz 80? Auf Platz 70? Auf Platz 40? Auf Platz 30? Auf Platz 20? – Ja, auf Platz 10. Auf Platz 10, weltweit! (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Auch da bin ich mit Kollegen Loacker jetzt wieder total einig: Wir müssen noch mehr in die Breite gehen; deswegen machen wir die Screeningprogramme. Wir müssen dort, wo wir Verdachtsmomente haben, in die Breite gehen, deswegen die Breitbandtestung des Gesundheitspersonals sowie in Pflege- und Altenheimen (Zwischenruf des Abg. Kucher), aber auch in Institutionen für Menschen mit Behinderungen. Drittens – das hat uns dieser Wien-Niederösterreich-Cluster gezeigt – haben wir offensichtlich ein großes Thema bei Menschen, die in sehr prekären Lebenssituationen und Arbeits­situ­ationen sind, auf beschränktem Wohnraum sehr eng zusammenleben müssen. Dort ist der Schutz extrem schwierig, und dass sich das Virus dort ausbreiten kann, hat eine absolute Logik. Wir kennen mittlerweile Studien, etwa aus den USA, betreffend die Fleischindustrie – Tausende Infizierte, weil dort die Arbeitsbedingungen dramatisch schlecht und schwierig sind. Deswegen müssen wir jetzt auch in Österreich mit Screeningtestprogrammen offensiv in diese Strukturen hineinschauen, und das machen wir. (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Kucher.) Das machen wir jetzt, weil wir nichts unter den Teppich kehren wollen, sondern dort hinschauen (Zwischenruf des Abg. Wurm), wo das Thema ist, wo das Problem ist, und dann mit Kontaktpersonen­mana­gement reagieren.

Herr Kollege Loacker, es ist ganz einfach, es gibt genau diese Strategie für das Kontaktpersonenmanagement. Gerne können wir uns zusammensetzen und das noch einmal miteinander durchgehen. Ich weiß, dass da nicht alle Daten im Detail öffentlich sind, aber es ist eine direkte, unmittelbare Handlungsanweisung für die Gesundheits­behörden, die das ja zu tun haben. Um die geht es prioritär, darum, dass die sofort wissen, was erstens, zweitens, drittens zu tun ist, wenn ein positives Testergebnis da ist. 24 Stunden haben diese Behörden Zeit, um das Kontaktpersonenmanagement K1 – das betrifft die engere Gruppe, den unmittelbaren Kontakt – abzuschließen, damit wir keine Zeit verlieren. Da zählt jede Stunde. Sie haben das richtig analysiert. Wir haben auch die Konsequenzen daraus gezogen. Tempo ist da alles, darum geht es. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Drei Punkte noch ganz kurz zu VorrednerInnen beziehungsweise zu den Tagesord­nungspunkten:

Erstens: Plasma für Personen zu nutzen, die erkrankt sind, funktioniert in ganz spezi­fischen Bereichen. Es gibt drei Gesundungen von Personen, die schwerst erkrankt waren, an der Medizinischen Universität Graz. Das hat dort bei Menschen, bei denen man gedacht hat, sie sind nicht mehr zu retten, hervorragend funktioniert; deswegen bekommt jeder Genesene in Österreich direkt nach seiner Genesung ein Informations­schreiben, in dem er gebeten wird, sich zur Verfügung zu stellen, damit wir diese Ressourcen nützen können. Das ist ein Punkt, der absolut notwendig und richtig ist, und da sitzen wir im selben Boot.

Zweitens: der elektronische Impfpass. Auch da versuchen wir, Tempo zu machen. Ich freue mich darauf, wenn sich das Hohe Haus noch im Juni, hoffe ich, mit diesem Thema sehr intensiv auseinandersetzt und da die gesetzlichen Voraussetzungen schafft, denn ich glaube, inhaltlich sind wir uns ja einig. Das wollen wir rechtzeitig im Herbst aufbauen und schauen, dass es dann ab 1. Jänner 2021 in einer Erstvariante umsetzbar ist. Und wie Sie gesagt haben, das mit den Daten werden wir hinbringen. Was den Gesamtrollout betrifft, bin ich sehr zuversichtlich, weil jetzt auch viel mehr Bundesländer in den Testversuch einsteigen.

Das Letzte, das ist richtig gesagt worden – es war wieder Kollege Loacker –: Grippe­impfung, Influenzaimpfung ist ein Schlüsselthema, weil uns droht – und das wird uns nicht nur einmal drohen, fürchte ich –, dass sich zwei große epidemische Situationen überlappen. Ein bisschen haben wir es schon im vergangenen Winter erlebt; das könnte im kommenden Winter schärfer und schwieriger werden. Deswegen war jetzt unser erster Schritt, die Influenzaimpfung in das Kinderimpfprogramm aufzunehmen, als Gratisimpfangebot für alle Eltern, die dazu bereit sind. Ich glaube, das wäre ein großer Schritt hin in Richtung Durchimpfung einzelner Jahrgänge. Damit könnte man große Fortschritte machen, und das gratis zur Verfügung zu stellen ist, glaube ich, sowohl sozialpolitisch als auch gesundheitspolitisch ein richtiger Schritt. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

19.41

Präsidentin Doris Bures: Als nächster Redner gelangt Herr Abgeordneter Josef Smolle zu Wort. – Bitte.