18.33

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Liebe junge Menschen, die ihr in Österreich wohnt! Liebe Hannah Lessing! Ich bin schon sehr betroffen, weil ich mich eben auch an das erste Gespräch, an die erste Runde in dem Ausschuss erinnere, als ich das Gefühl hatte, dass wir gemeinsam über ein Stück österreichischer Geschichte reden und dass wir gemeinsam der Meinung sind, dass es einen Preis braucht, um über Antisemitismus aufzuklären, weil es ihn in unglaublicher Form in Österreich immer noch gibt.

Deswegen bin ich auch sehr enttäuscht, dass es so gekommen ist, wie es gekommen ist. Ich kann nur sagen (ein Buch von Simon Wiesenthal mit dem Titel „Recht, nicht Rache“ in die Höhe haltend): Dieses Buch müssen Sie lesen! Sie müssen es lesen, Sie müssen versuchen, nachzuvollziehen. Ich sage Ihnen, Sie können es alle nicht nachvoll­ziehen, weil es undenkbar ist, was diesem Simon Wiesenthal und vielen, vielen anderen Menschen passiert ist. Es ist undenkbar, unvorstellbar, aber es ist passiert!

Sie können nachlesen, wie er an einer Mauer gestanden ist und auf einmal haben die Glocken geläutet, und irgendeiner hat gesagt: Jetzt ist Vesper, gehen wir Mittagessen! – Und deshalb ist er nicht erschossen worden, sonst wäre er erschossen worden, so wie Millionen andere Menschen auch.

Sie können auch Leon Zelman lesen, Sie können Marko Feingolds Erinnerungen oder Rudi Gelbard lesen – über ihn wurde ein Film gemacht –, aber ich glaube, wir müssen vor allem den jungen Menschen sagen – in meiner Fraktion sage ich es regelmäßig, meinen Kindern sage ich es und allen Leuten sage ich es –: Ihr müsst versuchen, nachzuvollziehen! Es geht ohnehin nicht, denn es ist so schrecklich, und was noch schrecklicher ist: Es kann wieder passieren. Das ist das, was mich am meisten umtreibt, und deswegen müssen wir aufstehen und dagegen ankämpfen.

In dem Buch ist ein sehr schönes Vorwort von Peter Michael Lingens drinnen, nicht zufällig, denn Peter Michael Lingens war ja jener Journalist, der damals Simon Wiesenthal gegen Kreisky verteidigt hat. Peter Michael Lingens schreibt: Es bereitet Wiesenthal nicht Lust, in der Vergangenheit zu wühlen, sondern Leid. – Zitatende.

Das ist ja das, was wir auch über ihn wissen müssen. Das Wort Nazijäger war ja ein völliger Unsinn. Erstens ist er zufällig dazugekommen, es ist ja schon gesagt worden, er war ausgebildeter Architekt und hat dann eben gesehen, wie viele Menschen ermordet wurden. Er hat einfach die Ungerechtigkeit nicht ertragen, dass Leute fröhlich herum­laufen, die größte Schuld auf sich geladen haben, während viele seiner Verwandten umgebracht wurden, während sechs Millionen Menschen ermordet wurden. Wir wissen, wie die sechs Millionen Juden ermordet wurden. Es hat ihn umgetrieben, und Gott sei Dank hat er damals, als junger Mensch, den Entschluss gefasst, in Österreich zu bleiben, wie Zelman und viele andere auch, um hier dann auch die Menschen über all das, was passiert ist, aufzuklären.

Ich kann mich natürlich sehr gut an das Jahr 1975 erinnern. Ich habe das aufmerksam verfolgt und habe es damals als junger Mensch so belastend gefunden, dass die österreichische Geschichte auf einmal Kleingeld der Innenpolitik wird. Ich möchte jetzt hier wirklich keine Vorlesung halten, denn es kann jeder nachlesen, und in dem Buch können Sie es genau nachlesen, was Bruno Kreisky alles gesagt hat; Heinz Fischer wollte damals sogar einen Untersuchungsausschuss im Parlament gegen Simon Wiesenthal einberufen. Als man dann draufgekommen ist, dass er mit allem recht hatte, was er über Friedrich Peter herausgefunden hat, hat man diesen Unsinn eingestellt, die Idee eines Untersuchungsausschusses fallengelassen. Ich muss sagen, Heinz Fischer hat sich später dann auch entschuldigt. Er hat auch eingesehen, dass er Simon Wiesenthal natürlich Unrecht getan hat.

Deswegen bin ich jetzt wirklich betroffen, wenn Sie so wollen, traurig, dass wir im Jahr 2020 so hier stehen, wo es doch völlig normal und notwendig wäre, dass wir gemeinsam aufstehen und sagen: Schluss, wir wollen jetzt wirklich alles dafür tun, dass es mit diesem Antisemitismus zu Ende ist. Das ist ein hehrer Wunsch – ja! –, dass wir ihn bekämpfen, wenn er auch nur irgendwo auftaucht, in welcher Form auch immer, dass wir das gemeinsam tun – und auf einmal beginnen wir mit kleinem innenpolitischen Hin und Her. Es trifft mich und macht mich traurig, ich finde es schrecklich.

Präsident Sobotka ist jetzt da: Herzlichen Dank, danke für die Initiative. Vielleicht schafft es Ihre Autorität, wenn wir 1 Minute Pause machen und Sie mit Herrn Kickl oder mit Frau Belakowitsch, die sich auch sinnvoll in diesen Gesprächen eingebracht hat, reden, dass das vielleicht doch noch anders ausgeht.

Ich meine, wir sind ein Parlament, wir können miteinander reden und miteinander entscheiden. Es geht hier nicht um ein kleines Hin und Her, sondern wirklich um eine große Sache. Es geht um eine große Sache: Simon Wiesenthal, ein großer Österreicher, hat viel für uns getan, wir brauchen seine Erinnerung und wir brauchen diesen Preis gegen Antisemitismus. Stehen wir bitte miteinander auf!

Ich könnte jetzt lange polemisieren – Sie wissen, dass ich das kann –, ich tue es nicht, weil es mir wehtut, was sich im Moment abspielt. Ich bitte Sie: Stehen wir miteinander gegen Antisemitismus auf! – Danke. (Beifall bei NEOS, ÖVP, SPÖ und Grünen.)

18.38

Präsidentin Doris Bures: Frau Abgeordnete Irene Neumann-Hartberger ist die nächste Rednerin. – Bitte.