16.42

Abgeordneter Mag. Gerhard Kaniak (FPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bun­desminister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Ich muss sagen, ich habe ein leichtes Déjà-vu, wenn ich heute hier stehe. Es kommt mir ein wenig so vor wie im heurigen Frühling – im April, als es nach der Pressekonferenz von Prof. Allerberger von der Ages, der den Ischglcluster aufgeklärt hat, hier im Hohen Haus eine entspre­chende Debatte über die Vorgänge und das Krisenmanagement in Tirol gegeben hat und die Bundesregierung und der Herr Bundesminister sich hier an die Regierungsbank gestellt und behauptet haben, alles habe hervorragend funktioniert, man habe keine Feh­ler gemacht.

Heute haben wir einen Bericht einer unabhängigen Expertenkommission rund um den Vorsitzenden Dr. Ronald Rohrer vorliegen, und dieser Bericht zeigt unglaubliche Verfeh­lungen und Versäumnisse auf. Weil Sie uns als Opposition auch in der Vergangenheit nicht zugehört haben und nicht geglaubt haben, wenn wir Punkte kritisiert haben, möchte ich etwas aus dem Bericht zitieren:

Punkt 1, zu den fehlenden Vorbereitungen im Gesundheitsministerium: „Obwohl die Be­amten des im Wege der mittelbaren Bundesverwaltung zuständigen Bundesministeri­ums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz die Covid-Entwicklung seit Dezember 2019 beobachteten, wurden die rechtlichen Grundlagen der in mittelbarer Bundesverwaltung zu ergreifenden gesundheitsschützenden Maßnahmen nicht oder nur unzulänglich vorbereitet. Der in Arbeit befindliche Pandemieplan wurde nicht veröffent­licht. Das Epidemiegesetz 1950 wurde weder - für die nachgeordneten Behörden er­kennbar - auf seine Anwendbarkeit“ im Tourismus „geprüft, noch wurden rechtzeitig Schritte eingeleitet, das Gesetz den Gegebenheiten der heutigen Mobilität anzupassen. Praktikable Auslegungsmöglichkeiten des Gesetzes wurden nicht wahrgenommen bzw. nicht an das Land und die Bezirksverwaltungsbehörden kommuniziert. Dadurch wurden die Bezirksverwaltungsbehörden in ihrer Entscheidungsfindung nicht unterstützt und das erforderliche rasche Eingreifen behindert“ (Zwischenruf des Abg. Hörl – Zwischenruf bei der SPÖ) – „behindert“ schreiben die Experten da, das ist keine Aussage von mir, son­dern das haben die Experten festgestellt. (Abg. Kickl: Wenn das ein anderer gemacht hätte!) Das hat das Bundesgesundheitsministerium in der Vorbereitung dieser Krise ge­leistet.

Dann kam es zu einer völlig unzureichenden Kommunikation im unmittelbaren Akutfall, als die Krise dann schließlich eskaliert ist. Die Kommunikation zwischen den verschiede­nen Behörden auf Bezirkshauptmannschaftsebene, auf Landesebene und auf Bundes­ebene war völlig unzureichend, wurde aber Gott sei Dank auf Bundesebene hinaufge­rissen – und was die Experten dazu sagen, möchte ich Ihnen auch verlesen, denn ich gehe davon aus, dass viele von Ihnen den Bericht im Detail gar nicht so genau studiert haben.

„Am 13.03. kam es unmittelbar vor der Pressekonferenz des Landeshauptmanns zu ei­nem Telefonat zwischen diesem und dem Bundeskanzler. Der Bundeskanzler teilte mit, dass im Einvernehmen mit dem Innenminister und dem Gesundheitsminister die Qua­rantäne für das Paznauntal und St. Anton a. A.“ – am Arlberg – „ausgesprochen werden soll. Der Bundeskanzler erklärte, die Bundesregierung sei zuständig und übernehme auch die Kommunikation. Der Landeshauptmann erklärte sich einverstanden, verwies aber darauf, dass sich jetzt die Stäbe rasch zusammensetzen müssen, um die Details auszuarbeiten, weil es diese noch nicht gibt. Der Landeshauptmann verständigte unmit­telbar nach dem Telefongespräch den Landesamtsdirektor, damit die erforderlichen Vor­bereitungen getroffen werden. In die weitere Vorgehensweise erachtete sich der Lan­deshauptmann nicht mehr eingebunden, weil das eine Entscheidung des Bundes ge­wesen sei.“

So, was hat der Bund nun gemacht? Was hat Bundeskanzler Kurz gemacht? Was haben Sie gemacht, Herr Bundesminister Anschober? – Sie haben unmittelbar nach diesem Telefonat, als die gesamten Vorbereitungsarbeiten für die Quarantänemaßnahmen und Evakuierung noch nicht getroffen sind, um 14 Uhr eine Pressekonferenz gemacht, in der Sie die sofortige Abriegelung des Paznauntals und von Sankt Anton bekannt gegeben haben. Was damit dann ausgelöst wurde, das kann ich Ihnen auch aus dem Bericht vorlesen, falls Sie das nicht glauben: „Die Ankündigung der Quarantäne über das Paz­nauntal und St. Anton a. A. durch den österreichischen Bundeskanzler erfolgte ohne dessen unmittelbare Zuständigkeit, überraschend und ohne Bedachtnahme“ auf die not­wendigen substantiellen Vorbereitungen. Das hätte die Landesregierung nach dem Tele­fonat ja gerade erst veranlasst. „Die dadurch bewirkte unkontrollierte Abreise hat eine sinnvolle epidemiologische Kontrolle behindert.“

Wissen Sie, was das heißt? – Dass durch die Maßnahmen und Taten der Bundesregie­rung die Eindämmung der Epidemie maßgeblich behindert wurde.

„Es war ein Kommunikationsfehler, dass die Frage der durch den Bundeskanzler ange­kündigten Quarantäne davor nicht rechtzeitig unter Einbeziehung der Bezirkshaupt­mannschaft Landeck abgeklärt wurde und niemand aus der Bundesregierung bzw. den dort eingerichteten Stäben oder von den Verantwortlichen des Landes Tirol den Bundes­kanzler darauf hinwies, welche schwerwiegenden Konsequenzen die mediale Ankündi­gung einer ‚sofortigen‘ Isolierung des Paznauntales und von St. Anton […] in der Praxis nach sich ziehen wird, sowie dass es dringend erforderlich ist, einen Hinweis auf die fortbestehende Ausreisemöglichkeit für ausländische Gäste […] zu machen.“

So, und was war nun die Folge von diesem vollkommen unkoordinierten Vorgehen und diesem Alleingang der Bundesregierung? – Ein totales Chaos im Paznauntal, in Ischgl und in Sankt Anton, Panik nicht nur unter den Einheimischen, sondern auch unter den Urlaubern. Teilweise wurde Hab und Gut zurückgelassen und wirklich fluchtartig ver­sucht, das Tal zu verlassen – was aber gar nicht so leicht war, weil kurz nach dieser Pressekonferenz der Seilbahnbetrieb eingestellt wurde. Da sind Touristen auf den Ber­gen festgesessen und konnten gar nicht mehr ins Tal hinunter. Die ÖBB haben die An­bindung eingestellt, dann kursierten Gerüchte über Ausreiseformulare, die nicht vorhan­den waren – sprich das totale Chaos. 15 Kilometer lange Staus an den Polizeikontrollen, die ja anfänglich reine Verkehrskontrollen waren, weil nämlich laut dem Bericht des Expertenteams die zuständige Verordnung aus dem Bundesgesundheitsministerium die Bezirkshauptmannschaft erst um 19.20 Uhr erreicht hat – 5,5 Stunden (Bundesminister Anschober: Das kann nicht wahr sein, dass das fünfeinhalb Stunden nach der Konfe­renz war! – Abg. Kickl: Pfusch! Von vorn bis hinten!) nach der Pressekonferenz. (Zwi­schenruf bei der SPÖ. – Bundesminister Anschober: Wieder falsch – falsch, alles falsch, was er da sagt! – Abg. Kickl: Na Sie! Sie sind der Oberpfuscher! – Heiterkeit des Bun­desministers Anschober.)

Alles richtig gemacht also? Gutes Krisenmanagement von der Bundesregierung bis nach Tirol? – Wer das als gutes Krisenmanagement und alles richtig gemacht bezeichnet, der befindet sich tatsächlich in einer anderen Realität.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat offenbar bis heute nur sehr wenig aus dieser Krise und aus diesen Fehlern gelernt, denn auch wenn Herr Bundesminister Anschober heute in seinen Ausführungen sehr ausgiebig neue Maßnah­men angekündigt hat und gesagt hat, was nicht alles vorgesehen ist: Viele Dinge, die in diesem Expertenbericht kritisiert werden, werden heute noch genauso praktiziert wie vor sieben Monaten. Noch immer praktiziert die Bundesregierung eine Ankündigungspolitik ohne rechtliche Basis, ohne Grundlage für alle ihre Ankündigungen, und sorgt damit für eine vollkommene Verunsicherung nicht nur der Bürger, sondern auch der ausführenden Behörden.

Ich möchte Ihnen nur noch ein paar Beispiele in Erinnerung rufen: das Chaos um die Betretungsverbote, um Maskenpflicht – ja, nein und wo? –, um die Sperrstunden und Ostererlässe des Herrn Bundesministers, um die angekündigte Teststrategie und Scree­ninguntersuchungen an Schulen, um die Coronaampel, die durch eine Bildungsampel vorab festgestellt wurde. Dann gab es eine vierfarbige Österreich-Ampelstrategie, nun gibt es eine europaweite Ampelstrategie. Wirkliche Konsequenzen hat das alles nicht, und die rechtliche Grundlage dafür wurde teilweise im Nachhinein geschaffen und ist teilweise noch gar nicht vorhanden. Das letzte Beispiel war die ganze Debatte um die Ankündigung einer Registrierungspflicht in der Gastronomie, die Gott sei Dank von uns noch verhindert werden konnte.

All diese Dinge sorgen in keinster Weise für die nötige Sicherheit, sondern sorgen für Chaos und Unsicherheit bei Bürgern und Behörden. (Beifall bei der FPÖ sowie des Abg. Loacker.)

Der zweite wesentliche Kritikpunkt: die rechtliche Grundlage, die Vorbereitungen, die Rahmenbedingungen, die vonseiten des Ministeriums zu schaffen gewesen wären; vor allem das Epidemiegesetz ist und bleibt eine unvollendete Baustelle. Anstatt das Epide­miegesetz über den Sommer neu aufzusetzen, was dringend angesagt gewesen wäre, hat man die Doppelgleisigkeit über das COVID-19-Maßnahmengesetz fortgesetzt.

Man hat Verschlimmbesserungen am Epidemiegesetz vorgenommen. Was hat man da alles angestellt? – Man hat den vollständigen Entschädigungsanspruch für die Betrof­fenen aus dem Epidemiegesetz herausgenommen, man hat massive und unverhältnis­mäßige Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte vorgesehen, was unter anderem auch dazu geführt hat, dass ein Gutteil der Verordnungen, die auf dem Ganzen basierten, vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben worden sind.

Dann hat man im Sommer – ich würde fast wagen, zu behaupten, in einer Husch-pfusch-Aktion – mit kürzester Begutachtungszeit dreimal den Anlauf unternommen, das Epide­miegesetz über eine Novelle noch weiter zu verschlimmbessern, wobei es nicht nur vom bundeskanzleramtseigenen Verfassungsdienst, sondern auch von unzähligen Experten und Fachgruppen negative, ja vernichtende Stellungnahmen gegeben hat. Auch im letz­ten Expertenhearing am Schluss wurde noch umfangreiche Kritik an der Letztfassung geübt.

All das hat die Regierung aber nicht davon abgebracht, dieses Gesetz in seiner Unvoll­kommenheit trotzdem zu beschließen, anstatt das zu machen, was die Experten fordern, nämlich sich Zeit zu nehmen und das Epidemiegesetz ordentlich neu aufzusetzen, und zwar mit folgenden Inhalten: mit einer klaren Definition der Begriffe und der auslösenden Umstände für die Maßnahmen aus diesem Epidemiegesetz, mit klaren Zuständigkeiten und klaren Kompetenzregelungen über alle Ebenen, mit einem hundertprozentigen Ent­schädigungsanspruch für alle, die von staatlichen Maßnahmen im Rahmen des Epide­miegesetzes betroffen sind, und vor allem ohne unverhältnismäßige Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte.

Sehr geehrter Herr Bundesminister – Herr Bundeskanzler Kurz ist heute leider nicht da, aber dieser Appell ist genauso auch an ihn gerichtet –, beenden Sie diese unsägliche Ankündigungspolitik! Beenden Sie diese katastrophale Politik der Angst und Einschüch­terung! Beenden Sie diese in der Zweiten Republik noch nie dagewesene Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte! Tun Sie Ihre Arbeit, schaffen Sie Klarheit und Transpa­renz und lernen Sie aus Ihren Fehlern! (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Wir werden uns in weiterer Folge dafür einsetzen, dass auch das sogenannte Krisenma­nagement nach Ischgl bis heute - -

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich bitte um den Schlusssatz!

Abgeordneter Mag. Gerhard Kaniak (fortsetzend): - - von unabhängigen Experten analysiert wird, genauso wie die Geschehnisse rund um Ischgl. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

16.52

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Klubobfrau Maurer. – Bitte.