9.32

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da die De­batte hier einen interessanten Beginn genommen hat, möchte ich die Gelegenheit nutzen, auch ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu den in Diskussion befindlichen Kapiteln abzugeben, denn es ist mir besonders wichtig, ein paar Punkte in diesem Zusammenhang klarzustellen.

Zum einen: Wir haben am Beginn einen Redebeitrag zum Thema Frauenalterspen­sio­nen gehört. Das begrüße ich sehr, denn die Zahl, um die es dabei geht, ist eine, die eigentlich für Österreich aus meiner persönlichen Sicht eine beschämende ist; eine durchschnittliche Alterspension beträgt nämlich 1 035 Euro. Meine sehr verehrten Damen und Herren, da hat diese Republik und da hat die Politik akutesten Hand­lungsbedarf. Deshalb wird es sich bei uns und bei mir bei jeder einzelnen Maßnahme im Pensionsbereich als Primat durchsetzen, dass wir da deutliche Verbesserungen er­reichen wollen. (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Wöginger.)

1 035 Euro, Zehntausende Frauen in Altersarmut – das kann so nicht sein, das kann nicht so bleiben! Das ist das Erbe von vielen Vorgängerregierungen, auch von vielen Sozialministerinnen und Sozialministern – es werden sich jetzt ein paar Personen hier herinnen betroffen fühlen –, da haben wir etwas zu tun, und zwar ganz konsequent und ganz ehrlich. Deswegen haben wir mit der Pensionserhöhung begonnen, nämlich damit, diese für das kommende Jahr und im Rahmen der aktuellen Pensionserhöhung ge­staffelt durchzuführen. Sie wissen, wir haben die Ausgleichszulagen auf zumindest 1 000 Euro erhöht. Wem kommt das zugute? – Genau diesen Bevölkerungsgruppen, die derzeit in einer sehr, sehr schwierigen Situation sind.

Herr Kollege Loacker, es lässt sich halt aus einer sehr wohlhabenden Situation, in der wir alle sind, vortrefflich gegenüber Menschen argumentieren, die nicht einmal 1 000 Euro pro Monat zum Leben haben. (Abg. Loacker: Zahlen Sie ...!) – Na wo sonst, wenn nicht da, sollen wir denn handeln, wenn wir Sozialpolitik ernst nehmen! (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.) Hierherzugehen, Herr Kollege Loacker, und die Bevölkerung in Wählerstimmen da und Wählerstimmen dort auseinan­der­zudividieren, kann doch nicht der Ernst von Politik sein. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Abg. Loacker: Ja, auf dem reiten ja Sie die ganze Zeit!) Wir haben doch nicht Wähler­stimmenmaximierung zu betreiben (Abg. Loacker: Ja, das machen Sie! Sie machen Wählerstimmenmaximierung ohne Rücksicht auf die Jungen!), sondern Altersarmuts­reduktion – das muss unser Ziel sein. Das muss unser Ziel sein, und deswegen ist die Pensionserhöhung so, wie wir sie umgesetzt haben, gestaffelt – viel stärker bei denen, die es brauchen, und viel geringer bei denen, die es weniger brauchen. (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Loacker.)

Dasselbe Ziel hat der nun verankerte FrühstarterInnenbonus. Ich bin stolz darauf (Abg. Belakowitsch: Den Leuten das Geld wegzunehmen!), und wir kriegen seit Tagen Gratulationen. (Heiterkeit bei der FPÖ. – Abg. Wurm: Na, na bitte ...!) – Herr Kollege Wurm, Sie kriegen keine Gratulationen, das weiß ich. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Zwischenrufe der Abgeordneten Belakowitsch und Wurm.) Sie wissen wahrscheinlich gar nicht, was das ist, das ist das Problem. (Abg. Belakowitsch: Geh, bitte ...!) Ja, ich sage Ihnen nachher dann im bilateralen Dialog, was eine Gratulation ist. Sie kennen das, glaube ich, nicht. (Heiterkeit bei Abgeordneten der Grünen. – Zwischenrufe der Abgeord­neten Belakowitsch, Wurm und Lausch.) Wir kriegen also Gratulationen aus dem Bereich der Gewerkschaften, aus dem Bereich der Arbeiterkammern und ganz beson­ders aus dem Bereich der Frauenorganisationen – und die wissen, was notwendig ist in diesem Land, die wissen, was zu tun ist. (Zwischenruf bei der SPÖ.)

Wenn wir genau für diesen Bereich, für kleinere und mittlere Pensionen, prioritär für Frauen, eine deutliche Verbesserung für all jene, die zumindest 25 Beitragsjahre haben und die zwischen 15 und 20 die entsprechenden Beiträge geleistet haben, erreichen, dann ist das ein wesentlicher zweiter Schritt in Richtung mehr Gerechtigkeit in diesem Pensionssystem – zugunsten von Frauen und zugunsten von kleinen Pensionen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! (Die Abgeordneten Belakowitsch und Wurm sprechen miteinander.) – Hören Sie zu, Herr Kollege Wurm und Frau Kollegin Belakowitsch! Schön, wenn man am Morgen dann wieder munter wird, das ist gut. Darum freue ich mich immer sehr über solche Debatten in dieser Morgenstunde. – Der zweite Bereich ist die Pflege. Hören Sie gut zu! Da hat es Vorgängerregierungen gegeben, im Übrigen auch unter Ihrer Regierungsbeteiligung, die seit Jahrzehnten eine umfassende Pflege­reform angekündigt haben. Was ist bisher daraus geworden? – Null, nichts ist daraus geworden. (Abg. Belakowitsch: Na, was haben Sie bis jetzt zusammengebracht? Gar nichts!) Wir kündigen nicht an, sondern wir setzen diese Pflegereform um (Abg. Belakowitsch: Ja, wann? Wo?) und wir sind mittendrin, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wir haben da drei konkrete Ziele; und die sind wichtig für Menschen, die jetzt überlegen, wie es denn im Alter ausschauen soll, für Menschen, die wissen – großartig! –, sie werden länger als ihre Eltern, als ihre Großeltern leben, die wissen, dass es deswegen jetzt die Planungen geben muss.

Deswegen gibt es drei Prioritäten in dieser Regierung und für mich als Sozialminister:

Erstens, wir wollen Sicherheit garantieren. Das heißt, wir brauchen auch viel, viel mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das heißt, wir werden ein Programm starten und sind gerade am Beginn davon. Gerade die Coronaarbeitsstiftungen werden einen zentralen Schwerpunkt in diesem Bereich haben. Wir brauchen bis zum Jahr 2030 über 100 000 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; das wird der größte Jobmotor in dieser Republik sein – für ganz unterschiedliche Bereiche. Ich bewerbe diesen Bereich jetzt schon, etwa auch bei jungen Männern – das ist ganz, ganz wichtig –, dass die auch in die Pflege gehen. Der Boysʼ Day, den wir jetzt gerade gehabt haben, steht ganz zentral unter diesem Motto, um zu vermitteln: Das ist ein toller Job auch für dich! – Sicherheit ist also die erste Prämisse.

Die zweite Prämisse, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss für uns Vielfalt beim Angebot sein. Es kann nicht so sein, dass ein älterer Mensch keine Auswahl­möglichkeit hat, und deswegen werden wir auch ganz stark auf neue Modelle setzen, auf Ergänzungen, auf alternative Modelle, zum Beispiel auf generationenübergreifende Wohnformen. Da geht es um das Öffnen dieses Bereiches, darum, Kreativität rein­zubringen, um regionale Planungsansätze, darum, Architektinnen und Architekten mit neuen Ideen ein Forum zu geben, damit sie handeln können – das ist Vielfalt.

Das Dritte, aufbauend auf dieser Vielfalt, wird sein, ganz stark in Richtung Selbst­bestim­mung der betroffenen Senioren und Seniorinnen zu gehen. Jeder Mensch in dieser Republik, der in die Situation eines Pflegebedarfs kommt, muss eine wirkliche Wahl­freiheit zwischen den unterschiedlichen Formen der Betreuung haben.

Das ist ein weiter Weg, das ist ein enormes Ziel, das wir uns da gesetzt haben. Daran arbeiten wir derzeit im größten Beteiligungsprozess, den es in diesen Tagen in dieser Republik gibt. Das wird erstmals keine Pflegereform vom Schreibtisch aus, keine Pfle­gereform, die die Politik erfindet, sondern wir arbeiten mit den Betroffenen und auf Basis ihrer Kompetenzen, ihrer Einschätzungen, ihres Know-hows. Sie sind in alle Bereiche eingebunden, und ich glaube, das ist schon die halbe Garantie dafür, dass wir in diesem Bereich ein gutes Ergebnis zustande bringen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeord­neten der ÖVP.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie schaut der Zeitplan aus? – Er ist sehr, sehr ambitioniert: Wir wollen bis Jänner das inhaltliche Paket fertiggestellt haben, es also im Lauf des Jänners finalisieren. Es sind mittlerweile, was die inhaltliche Erarbeitung betrifft, mehrere Tausend Menschen in diesen Reformprozess eingebunden. Wir haben über 3 300 Beteiligte an unserem digitalen Beteiligungsprozess gehabt. Also Jänner – und dann werden wir schrittweise in Richtung einer Zielsteuerungskommission Pflege gehen, um das Große zu schaffen, das wir versuchen, nämlich erstmals zu einem wirk­lich gemeinsamen Handeln von Kommunen, Städten, Ländern und Bund zu kom­men. Wir wollen gemeinsam handeln, mit dem Ziel, schrittweise in Richtung gemeinsamer Standards zu kommen, mit dem Ziel einer gemeinsamen Finanzierung, also einer Ent­flechtung und Effizienzsteigerung auch bei den Finanzflüssen – das ist ein ganz wichtiger Teil –, und mit dem Ziel – das ist die absolute Priorität, ich habe es schon gesagt –, 100 000 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für diesen tollen Beruf, für diesen Zukunftsberuf zu gewinnen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Dritter Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren: Natürlich führt diese schwerste Pandemie seit 100 Jahren, diese schwerste Wirtschaftskrise seit vielen Jahrzehnten auch dazu, dass unsere Sozial- und Gesundheitssysteme an ihre Grenzen kommen. Da müssen wir extrem achtgeben, vorsichtig sein und sie absichern. Das ist ganz, ganz wichtig, und ich glaube, über dieses Ziel gibt es einen Grundkonsens in diesem Haus.

Wir haben deswegen eine große, umfassende Studie beim Wirtschaftsfor­schungs­insti­tut, beim IHS und anderen in Auftrag gegeben, mit dem Ziel, ein Zeugnis über die soziale Lage in Österreich nach dem Ausbruch der Pandemie vorzulegen, und ich kann Ihnen sagen, es sind sehr, sehr aufschlussreiche Ergebnisse in dieser Studie. Das Erfreuliche ist, dass wir offensichtlich bisher – aber da darf man nicht nachgeben, da muss man laufend nachjustieren und dranbleiben – im Bereich armutsgefährdeter Menschen eine Stabilisierung geschafft haben und in den letzten Monaten keine Schlechterstellung hatten, trotz dieser schweren Krise. Das ist gut, aber daran müssen wir weiter arbeiten. Deswegen begrüße ich es sehr, dass diese Bundesregierung auch in einer zweiten Tranche das Arbeitslosengeld erhöhen wird. Auch das ist ein wichtiger Beitrag in diese Richtung. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Studie hat auf, ich glaube, 200 Seiten auch aufgezeigt, dass wir schon Bevölkerungsbereiche haben, die ganz besonders betroffen sind. Das sind Bevölkerungsbereiche wie etwa Alleinerzieherinnen und Alleinerzieher, die in eine ganz schwierige Dreifachbelastung gekommen sind, die auch finanziell und wirtschaftlich besonders betroffen sind. Da müssen wir uns auch noch einiges an zusätzlichen Gegenmaßnahmen einfallen lassen. Daran arbeiten wir. Auch im Bereich von kleineren Selbständigen, Einzelunternehmerinnen und Einzel­unter­nehmern, die vielfach in eine sehr prekäre Situation gekommen sind, arbeiten wir daran, dass wir gegensteuern können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! So groß die Herausforderung der Pandemie im Gesundheitsbereich ist – wir werden, denke ich, noch intensiv in diese Diskussion einsteigen, und ich freue mich darauf, weil es derzeit eine extrem akute Debatte und Problemlage ist –, so groß ist die Folgewirkung im Sozialbereich. Es bleibt das konkrete und große Ziel, dass wir es vermeiden wollen, dass aus dieser schweren Gesund­heitskrise auch eine schwere Sozialkrise wird. Das muss unser gemeinsames Anliegen in diesem Haus und in der Bundesregierung sein. Wir arbeiten daran. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

9.45

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeord­nete Fischer. – Bitte.