11.39
Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es passt gut, wenn ich auf Kollegen Loacker folge.
Generell formuliert: Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir in diesen Tagen der schwersten Krise der Gesundheitssysteme ganz Europas, der schwersten Pandemie seit 100 Jahren das Gesundheitsbudget diskutieren, ist es, glaube ich, der richtige Zeitpunkt, die Situation anzusprechen – eine Situation, die sehr, sehr, sehr, sehr ernst ist, mit dramatischen Zahlen, wie wir sie in den letzten Wochen gehabt haben und die wir leider weiterhin haben – ich werde dann darauf eingehen –, und mit einer sehr, sehr schwierigen Phase auf den intensivmedizinischen Betreuungsstationen. Wir haben mittlerweile in der Intensivmedizin in Österreich 682 Patientinnen und Patienten mit schweren Covid-Erkrankungen, die dort betreut werden müssen. Das ist im Vergleich zu den letzten 24 Stunden ein weiterer Zuwachs von 24. Das heißt, die Situation wird ernster und ernster und genau das, wovor wir seit Wochen warnen, nämlich dass diese starke Erhöhung der Neuinfektionszahlen zu einer massiven Problematik in den intensivmedizinischen Abteilungen führt, wird Schritt für Schritt Wirklichkeit.
Ich telefoniere – das ist keine Übertreibung – jeden Tag mit etlichen dieser ÄrztInnen und PflegerInnen. Einerseits kriegen wir das Reporting, wie die Auslastungssituation und auch die Einsatzmöglichkeit der PflegerInnen und ÄrztInnen aussehen, wie viele Erkrankungen wir in dem Bereich haben und wie groß die Ressourcen noch sind, jeden Tag in der Früh auf den Tisch, andererseits ist es natürlich viel, viel aufschlussreicher, wenn man mit einzelnen Abteilungsvorständen, zum Beispiel, mit Professoren, die in dem Bereich tätig sind, mit den Leuten, die vor Ort die Arbeit tun und sie großartig tun, direkt das Gespräch führt.
Es ist eine ganz besondere Belastungssituation, die gerade die MedizinerInnen und die PflegerInnen derzeit haben. Viele, viele haben Angst davor, dass sie in einigen Wochen vielleicht in die Situation kommen könnten, dass Triagen in den Spitälern notwendig werden. Diese Entscheidung zu treffen ist so ziemlich das Schlimmste, was einem Mediziner, einer Medizinerin passieren kann, und wir alle – insbesondere auch die Betroffenen vor Ort – tun gemeinsam alles dafür, dass diese Situation nicht Wirklichkeit wird und es zu keinen Triagesituationen in den österreichischen Spitälern kommt.
Dazu arbeiten in den Spitälern alle solidarisch zusammen. Es ist ganz großartig, wie hier gehandelt wird. Wir haben jetzt noch einmal Flexibilisierungsmöglichkeiten, was an Ressourcen zusätzlich zu schaffen ist, Stichwort: Nützen der Aufwachräume für intensivmedizinische Betreuung und vieles andere mehr, geklärt, damit auch alle in einer rechtlichen Sicherheit sind, wenn sie bis an die Grenzen gehen. Ich glaube, dass wir alle miteinander diesen MedizinerInnen und diesen PflegerInnen ein ganz großes, deutliches Dankeschön für ihr Engagement übermitteln sollten. (Allgemeiner Beifall.)
Ich sage Ihnen auch ganz offen: Was ich immer wieder höre, ist erstens, dass die Betroffenen in unserem Gesundheitssystem, die diese Tätigkeit durchzuführen haben, froh sind – auch wenn es uns allen wehtut, auch wenn es für alle Opfer sind, auch wenn es für alle Verzicht bedeutet, was wir in diesen 20 Tagen, heute ist der zweite Tag, erleben –, dass es damit eine Perspektive gibt, dass sich ihre Situation doch noch rechtzeitig entspannt. Deswegen meine Bitte an alle, die in diesem schönen Land leben, mit dem konsequenten Umsetzen der Kontaktverringerungen einen Beitrag zu leisten, denn nur so können wir die Neuinfektionszahlen tatsächlich verringern. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)
Was mir die Betroffenen auch sagen, ist, dass es niemand versteht, wenn wir uns in einer derartig akuten Krise gegenseitig kritisieren, teilweise beschimpfen und wenn Parteihickhack vorherrscht. Ich glaube, das ist wirklich der Tag, die Situation, die Lage, das sind die Wochen, in denen wir zusammenstehen, zusammenhalten und alles dafür tun müssen, dass wir gemeinsam gut durch diese schwere Krise kommen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)
Ich komme damit zur Beantwortung einiger Fragen und zur Stellungnahme zu einigen Punkten, die natürlich auch mit dieser Krise zu tun haben und die Sie, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, hier thematisiert haben: Das eine war die Finanzierung unseres Gesundheitssystems. Es passt sehr, sehr gut zu dem vorhin Gesagten, denn wir in Österreich können echt stolz darauf sein, dass wir ein starkes Gesundheitssystem haben, davon profitieren wir jetzt unglaublich. Wir haben eine völlig andere Situation, wenn Sie die Intensivbettenkapazitäten ansehen und sie mit unseren Nachbarstaaten vergleichen, denn wir sind besser darauf vorbereitet.
Ich bedanke mich bei all jenen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten diese weisen Entscheidungen getroffen haben. Das waren nicht meine Entscheidungen, aber wir profitieren heute von einem sehr starken, sehr engagierten Gesundheitssystem, und ich hoffe sehr, dass es in den nächsten Jahren längere Zeit hindurch keine Debatte in der Politik mehr darüber gibt, dass wir die Bettenanzahl reduzieren müssen, dass wir im Gesundheitssystem einsparen müssen. Unsere Konsequenz muss sein, dass wir dieses System weiter stärken.
Damit zur Finanzierungsfrage: Es wurde die Frage der Finanzierung der Gesundheitskasse und die der Finanzierung der Krankenanstalten in Österreich angesprochen – beides natürlich Covid-bedingt, Stichwort: Wo haben wir die Haupteinnahmen in diesem System? – Es sind die Beschäftigen, und je größer die Schwierigkeiten im Bereich der Beschäftigung sind, desto größer ist die Lücke. Das ist eine völlig logische Geschichte. Wir haben deswegen seit Wochen sehr gute Gespräche mit der Gesundheitskasse, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir bei diesen Gesprächen zu einem guten Ergebnis kommen, das sicherstellen wird, dass die politischen Zusagen, die wir gemacht haben und für die ich geradestehe – es werde zu keinen Qualitätseinbußen, zu keinen Verschlechterungen der Versorgung und zu keinen zusätzlichen Selbstbehalten und damit zu keiner Kostenerhöhung für Patienten und Patientinnen kommen –, konsequent und zu 100 Prozent eingehalten werden. Dafür stehen wir, das wollen wir so realisieren, und ich bin, wie gesagt, auf Basis der bisherigen Gespräche sehr zuversichtlich, dass wir das gut schaffen werden. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)
Zweiter Punkt: Genauso wichtig ist die Frage der Finanzierung der Krankenanstalten. Ich weiß, dass da manche, die vor vier Wochen den Alarm gestartet haben, in dieser Diskussion jetzt etwas ruhiger sind, weil der Sachverhalt mittlerweile klar ist. Wir haben eine 15a-Vereinbarung, was die Finanzierung der Krankenanstalten betrifft. Diese bedeutet ganz konkret, dass die Zahlungen sowohl der Gemeinden als auch der Länder als auch des Bundes an einen bestimmten Schlüssel am Steueraufkommen gebunden sind, und wenn das Steueraufkommen wie in diesen Zeiten leider deutlich zurückgeht, dann haben wir eine offene Finanzierungstangente sowohl im Bereich des Bundes als auch im Bereich der Länder. Deswegen starten jetzt die Gespräche, um auch hierzu eine vernünftige gemeinsame Lösung zu erreichen.
Es werden alle zusammenhelfen müssen, und wir werden mit hundertprozentiger Sicherheit keine Einsparungen bei den Spitälern realisieren, sondern voll und ganz gemeinsam – Länder, Bund und Gemeinden – das zur Verfügung stellen, was unser großartiges Gesundheitssystem braucht, damit es fit ist und den Anforderungen der nächsten Wochen, Monate und Jahre gerecht werden kann. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)
Mir ist es in dem Zusammenhang wichtig, dass es nicht nur darum geht, Qualitätssicherung zu betreiben, sondern dass wir die Qualität vor allem in jenen Bereichen, in denen wir noch Lücken haben – und ja, wir haben auch in diesem großartigen Gesundheitssystem Lücken –, weiter schrittweise verbessern wollen. Ein Beispiel ist die psychosoziale Versorgungssituation in Österreich. Es ist einfach nicht akzeptabel, dass in manchen Bereichen Wartezeiten von einem halben Jahr oder länger bestehen. Stellen Sie sich vor, dies wäre bei körperlichen Erkrankungen der Fall! Jeder würde mit Recht sagen: Das geht nicht! Und das wollen wir Schritt für Schritt verbessern. Dazu sind die Vorarbeiten sehr weit gediehen – dies im Übrigen auch mit der Gesundheitskasse, wo wir sehr, sehr gut mit den VertreterInnen und RepräsentantInnen zusammenarbeiten. Es wird deutliche Verbesserungen bei der Versorgungssituation geben. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)
Dritter Punkt ist die aktuelle Covid-Situation. Wie entwickelt sie sich? – Dazu habe ich die aktuellen Informationen für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir haben heute eine Neuinfektionszahl zu vermelden, die keine erfreuliche ist. Es ist zwar eine Stabilisierung, aber sie ist weiterhin auf einem dramatisch hohen Niveau. Wir hatten heute in den letzten 24 Stunden 7 091 Neuinfektionen, die eingemeldet wurden.
Ich sage immer den Wochenvergleich dazu; da die Entwicklung auf Basis der Einmeldungsstrukturen in das System unterschiedlich verläuft, ist das der beste Vergleich. Am vergangenen Mittwoch waren es 7 514, das heißt, doch deutlich mehr. Das bedeutet, es erfolgt eine Stabilisierung, aber wir sind noch nicht bei der notwendigen Trendwende, die wir für eine drastische Verringerung brauchen. Die Situation ist die, dass wir heute zugleich 6 251 neu Genesene zu vermelden haben. Das ist die aktuelle Datensituation, zu Ihrer Information.
Die Notlage in den Intensivstationen haben wir im Übrigen mittlerweile in ganz Europa. Das ist kein Trost für uns – ganz im Gegenteil. Ich telefoniere viel mit den GesundheitsministerInnen in anderen Ländern. Die Schweiz ist mittlerweile im Bereich der Intensivpflege an der Grenze ihrer Kapazitäten. Wir haben dieselbe Situation in Tschechien, in Frankreich, in Spanien, in Italien – überall geraten die Gesundheitssysteme an ihre Grenzen. Das ist derzeit eine Herausforderung in jedem Land. Wir haben auch aus anderen Ländern Anrufe, ob wir helfen und unterstützen können, aber momentan ist die Situation in ganz Europa extrem angespannt. Es ist eine wirklich schwierige Notlage, die wir derzeit im Bereich unserer Gesundheitssysteme in Europa haben; ich hoffe, ich kann bald hatten sagen.
Unsere Prognose ist, dass wir im Bereich der intensivmedizinischen Betreuung in der kommenden Woche in die schwierigste Phase kommen werden. Es gibt ja zwischen dem Zeitpunkt der Neuinfektion und der Einlieferung und auch in der statistischen Berücksichtigung im Bereich der Intensivmedizin einen Unterschied – eine Bremswirkung sozusagen – von rund zehn Tagen. Von daher ist zu erwarten, dass die hohen Zahlen sich kommende Woche noch einmal deutlich bemerkbar machen. Die Prognoseinstitute, die wir beauftragt haben, gehen davon aus, dass wir, wenn wir die Zahlen gegenwärtig schrittweise absenken können, Anfang Dezember eine Entspannung in der intensivmedizinischen Betreuung erreichen. Ich hoffe, dass wir bis dahin alle, vor allem die Personen in den Spitälern, noch gut durchhalten.
Die letzten zwei Punkte von meiner Seite: Wir arbeiten derzeit sehr, sehr intensiv an der Frage, wie es nach dem 6. Dezember, nach dem Lockdown weitergehen kann. Wir haben dazu ein umfassendes Programm in Vorbereitung. Da wird es unter anderem um die Stärkung und Beschleunigung des Kontaktpersonenmanagements als erste Toppriorität gehen, es wird auch um zusätzliche Schutzmaßnahmen für Seniorinnen und Senioren gehen – und damit meine ich jetzt nicht prioritär den Bereich der Alten- und Pflegeheime, sondern auch Menschen, die eben nicht in Alten- und Pflegeheimen wohnen, aber dennoch zu dieser sogenannten Risikogruppe zählen. Ich mag das Wort überhaupt nicht; kein Mensch ist ein Risiko, deswegen nenne ich sie die Gruppe, die am verwundbarsten ist. Das sind die Menschen über 70, für sie erarbeiten wir derzeit zusätzliche Schutzmaßnahmen.
Es wird auch um mehr Testungen gehen, ja. Wir bauen derzeit schon die Testmöglichkeiten und die Kapazitäten massiv aus. Es gibt derzeit täglich zwischen 30 000 und 40 000 Tests. Diese Zahl hätte sich vor einigen Monaten niemand auch nur erträumen können. 30 000 bis 40 000 Tests pro Tag sind derzeit in der Statistik verankert, und es werden dadurch deutlich mehr, dass wir die niedergelassenen Ärzte und nun auch die Apothekerinnen und Apotheker in die Testung integriert haben. Das sollte noch einmal eine starke Verbreitung und eine Verbesserung, Vereinfachung des Zugangs zur Testung für alle ermöglichen. Das heißt, ich gehe davon aus, dass sich diese Zahlen sehr rasch auf 40 000 bis 50 000 Testungen pro Tag in Österreich erhöhen werden.
Das Zweite ist: Wir sehen uns Screeningmöglichkeiten an. Wie können wir am Ende des Lockdowns ganz bestimmte Zielgruppen, die sehr frequente Kundenkontakte haben, anderen persönlich begegnen und diese auch berühren, verstärkt in die Testprogramme integrieren? Das ist ein wesentlicher Punkt. Wir sehen uns auch an, wo und vor allem auch wann und in welcher Form Massentestungen Sinn machen. Da arbeiten wir gemeinsam mit dem Bundeskanzler an entsprechenden Konzepten und sind da mittlerweile auch sehr, sehr weit.
Letzter Punkt: Unsere Hoffnungsperspektive, die Impfung. Wie steht es? – Ich kann mich erinnern, ich habe vor zwei Monaten gesagt, es könnte sein, dass es im ersten Quartal so weit ist – und ich habe sogar gewagt, einen Monat zu nennen, der Traum wäre nämlich, dass wir es im Jänner schaffen, die ersten Impfdosen nach Österreich zu bringen. Damals habe ich gesehen, dass ein paar Köpfe geschüttelt wurden und dass daran nicht so recht geglaubt wurde. Wenn Sie die internationalen Agenturmeldungen der letzten Tage lesen, dann sehen Sie: Das kann nun wirklich sehr, sehr bald realistisch werden. Frankreich meldete gestern, dass man sich auf einen Start der Impfprogramme ab Jänner einstellt und sich darauf vorbereitet; dasselbe meldet Großbritannien, Deutschland ist ebenfalls in derselben Vorbereitung. Ich kann Ihnen sagen: Wir sind sehr, sehr gut unterwegs, das professionell vorzubereiten – mit dem Ziel, möglichst viele Österreicherinnen und Österreicher und BewohnerInnen dieses Landes dazu zu motivieren, sich durch die Teilnahme an den Impfprogrammen, die selbstverständlich freiwillig sind und freiwillig bleiben, zu schützen.
Wir haben sehr, sehr gute Verhandlungen mit der Europäischen Union und durch die Europäische Union mit den Produzenten und Produzentinnen der Impfstoffe verwirklicht. Das ist ein Beweis dafür, wie Europa funktioniert, meine sehr verehrten Damen und Herren. Stellen Sie sich nur vor, wir hätten bei diesem Ressourcenkampf – und das ist es in Wirklichkeit – als kleines Österreich alleine verhandelt! Wir sind gemeinsam ganz einfach viel stärker, und das zeigt sich in einer Krisensituation. Es hat auch zu Recht Kritik an der Rolle Europas in der Krise gegeben, aber das ist wirklich ein tolles Zeugnis dafür, wie uns Europa insgesamt stärkt, indem diese Verhandlungen gemeinsam geführt wurden und mittlerweile drei große Abschlüsse erreicht wurden, das heißt, dass wir ausreichend Impfstoff haben werden.
Die Impfstrategie ist fertig. Wir haben sie gestern am Abend finalisiert. Die Logistikstrategie wird gerade finalisiert. Das heißt, wir sind sehr, sehr gut aufgestellt. Wir wissen, wer wann ein Impfangebot erhalten wird, und wir gehen davon aus, dass wir uns auf einen Start im Jänner vorbereiten müssen, können und dürfen. – Danke, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)
11.57
Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Faika El-Nagashi. – Bitte.