19.23

Abgeordnete Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Werter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute Vormittag schon sehr oft gehört, dass eine Landesregierung zigmal kritisiert worden ist, obwohl sie noch nicht einmal angelobt ist. Auch wenn diese Regierungsform in Österreich bis jetzt vielleicht noch nicht präsent war: Rot-Pink hat heute hier schon solch einen Shitstorm abbe­kommen, ohne noch angelobt zu sein. (Abg. Stögmüller: Das kennen wir gut, dieses Gefühl!) Einen Minister, der zu Weihnachten sein mittlerweile dreijähriges Amtsjubiläum feiert, nicht kritisieren zu dürfen, weil das frevelhaft ist, finde ich ehrlicherweise schon ein sehr starkes Stück bei dem, was wir den ganzen Tag schon erleben. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

Wir diskutieren hier zwei Untergliederungen – Bildung und Wissenschaft –, die eigentlich zukunftsweisend sein sollen. Ich habe mich heute wirklich ein bisschen gewundert: Ich habe meine Redeunterlagen vom Frühjahr herausgenommen und hätte das in Wahrheit eins zu eins sagen können, weil die Kritik noch immer dieselbe ist – bis auf eine ganz kleine Kleinigkeit. Schon im Frühjahr hat der Budgetdienst angeprangert, dass die Ungerechtigkeiten in unserem Bildungssystem gerade mit Homeschooling und Distance­learning noch verschärft werden. Auch jetzt, für das Budget 2021, stellt der Budgetdienst das wieder exakt so dar. (Beifall bei Abgeordneten der SPÖ.)

Es ist einfach ein Faktum, das wir nicht ignorieren dürfen. Um dieses Problem zu lösen, wäre ein flächendeckender Chancenindex ein gutes Mittel, um wirklich gegenzusteuern und die Bildungsvererbung endlich aufzubrechen – und nicht in solch einer Miniform: Popup-Chancenindex, haben wir schon gehört. Ich finde, das ist eigentlich sehr passend: ein bisschen etwas, nur für ein Jahr, nicht flächendeckend, eine halbseichte Geschichte, wie man so schön sagt. Gerade jetzt wäre es eigentlich ganz, ganz dringend notwendig, die Schulen, die Schülerinnen und Schüler, die Lehrerinnen und Lehrer bestmöglich zu unterstützen. Ich finde, dass durchaus auch eine Frage berechtigt ist: Warum erst jetzt und nicht schon 2018 oder 2019? Ich glaube, dass man das durchaus aussprechen darf.

Damit komme ich noch zum Bereich der Hochschulen. Im Bereich der Studierenden erkennen wir leider auch überhaupt nichts, was die Studierenden unterstützen soll: keine Ambitionen, die Studiengebühren für Berufstätige wieder abzuschaffen, keine Ambi­tionen für Investitionen in Studiheime, keine Ambitionen, den Hochschulzugang durchlässiger zu machen, und keine Ambitionen für eine echte Ausfinanzierung von Österreichs Hochschulen.

Als Daily Reminder: Der Anstieg des Hochschulbudgets resultiert aus einem Beschluss von 2017 in diesem Hohen Haus, bei dem die ÖVP nicht mitgegangen ist – auch das haben wir hier schon sehr oft dargelegt. (Beifall bei der SPÖ.)

Was bekommen wir aber mit diesem Budget? – Ein Luftschloss namens Technische Uni­versität Oberösterreich. Ich freue mich wirklich auf das Jahr 2021, in dem in Ober­öster­reich nicht nur Landtagswahlen, sondern auch Bürgermeisterinnen- und Bürgermeister- und Gemeinderatswahlen anstehen. Ich freue mich wirklich auf das Hochglanz­spaten­stichfoto zur Landtagswahl, auf dem dann wahrscheinlich der Herr Landeshauptmann, der Bildungsminister und der Herr Kanzler mit einem goldenen Spaten stehen, in die Erde stechen und sagen: Supertoll, das haben wir für Oberösterreich zustande ge­bracht! – Es ist ein Luftschloss, ein perfektes Wahlzuckerl für die Österreichische Volks­partei. (Beifall bei SPÖ und NEOS. – Zwischenruf bei der SPÖ.)

Der Druck im Bildungssystem und im Hochschulsystem besteht schon viel, viel länger – nicht nur durch Corona –, deswegen darf ich abschließend noch folgenden Entschließungs­antrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Eva Maria Holzleitner, BSc, Kolleginnen und Kollegen betreffend „flächendeckende Umsetzung des Chancenindex“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung wird aufgefordert, das 100-Schulen-Projekt sofort zu einem flächendeckenden Chancenindex auszubauen und die für alle Schularten vorgesehene Verordnung zur chancenindexierten Mittelverteilung zu erlassen.“

*****

Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

19.28

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Eva Maria Holzleitner,

Genossinnen und Genossen

betreffend flächendeckende Umsetzung des Chancenindex

eingebracht im Zuge der Debatte über den Bericht des Budgetausschusses über TOP 11: Bundesgesetz über die Bewilligung des Bundesvoranschlages für das Jahr 2021 (Bundesfinanzgesetz 2021 - BFG 2021) samt Anlagen -UG 30

Zahlreiche nationale und internationale Studien (OECD, PISA, Resilienz, usw.) kommen zum Schluss, dass der Bildungserfolg eines Kindes in Österreich nur zu einem Teil von seinen Talenten abhängig ist. Zu weiten Teilen hängt er immer noch davon ab, wie gut Eltern ihre Kinder unterstützen können. Wir wissen: Bildungsvererbung verdeckt die Talente unserer Kinder und hindert sie daran ihre vollen Potentiale zu erkennen und zu nutzen. Die Corona Krise hat wie ein Brennglas gewirkt: Kinder, die nicht auf die But­terseite des Lebens gefallen sind, haben stärker unter der Situation gelitten. Vor allem jene, die aus sozial benachteiligten Familien kommen und Lernschwächen haben, wurden überproportional stark von den Schulschließungen getroffen.

Um dieses Problem zu lösen, müssen wir die ungerechte Verteilung von (Bildungs-)Chan­cen in unserem Land beenden. Ein Chancenindex ist seit langem erforscht und könnte auf Basis der aktuellen Rechtslage seit 2017 problemlos umgesetzt werden:

Die Arbeiterkammer  hat errechnet, dass jede sechste Schule (VS, NMS und AHS) in Österreich ihre Kinder auf Grund der Lernumgebung nicht fördern kann. Das sind 745 Schulen im ganzen Land, die dringend Unterstützung benötigen. Jedoch sollen lediglich 100 (13%) dieser Schulen unterstützt werden. Auch die PISA Sonderauswertung  zur Bildungspolitik hat uns gezeigt, dass an 66% aller Schulen in Österreich nicht genügend Unterstützungspersonal tätig ist – nur ein Bruchteil wird Teil des Projektes sein.

Im Bildungsreformpaket 2017 wurde im § 5 Abs. 4 des Bildungsdirektionen-Einrich­tungsgesetzes folgendes verankert: „Die Bewirtschaftung der Lehrpersonalressourcen hat sich jedenfalls an der Zahl der Schülerinnen und Schüler, am Bildungsangebot, am sozioökonomischen Hintergrund, am Förderbedarf der Schülerinnen und Schüler sowie an deren im Alltag gebrauchter Sprache und an den regionalen Bedürfnissen zu orientieren. Das zuständige Mitglied der Bundesregierung kann zur Berücksichtigung des sozioökonomischen Hintergrunds der Schülerinnen und Schüler durch Verordnung entsprechende Kriterien festlegen.“

Leider ist das Budget für das 100-Schulen-Projekt, das sich den Kriterien eines Chan­cenindex nähert, jedoch nur mit 15 Millionen Euro dotiert. Das ist weit weg von den 300 Millionen Euro pro Jahr, die die Arbeiterkammer in ihrem Chancenindex Modell errechnet hat. Zudem sieht es das Bildungsministerium auch als Forschungsprojekt. Dieser „Pop-up Chancenindex“ startet wohl auch erst im Oktober 2021 – 18 Monate nach den ersten Schulschließungen während des Covid-19-Pandemie Lockdowns im Frühjahr 2020. Somit werden die Herausforderungen in den Schulen, die sich durch Corona nur verstärkt haben, nicht gelöst werden.

Was droht, wissen wir leider auch: die negativen Effekte der Schulschließungen aus dem Frühjahr – Reduktion der Kompetenzen, höhere Lernrückstände, verringertes Lebens­ein­kommen der Corona SchülerInnengeneration, Reduktion des langfristigen Wirt­schafts­wachstums etc. – werden somit verfestigt.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung wird aufgefordert, das 100-Schulen-Projekt sofort zu einem flächendeckenden Chancenindex auszubauen und die für alle Schularten vorgesehene Verordnung zur chancenindexierten Mittelverteilung zu erlassen.“

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Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt, ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhandlung.

Zu Wort gelangt nun MMag. Dr. Agnes Totter. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.