9.06

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Werter Herr Vizekanzler – heute in Vertretung des Bundeskanzlers hier anwesend! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe alle, die uns heute zuschauen! Wir haben für die Aktuelle Stunde heute den Titel „Warum riskieren Sie eine Generation ,Corona‘, Herr Bundeskanzler?“ gewählt – und ja, damit blicken wir nicht nur auf die jetzige Situation, sondern ganz tief in die Heraus­forderungen, in die Aufgaben im Jahr 2021 hinein, denn eines ist uns ganz besonders wichtig: Gerade bei so einer Krise hilft es nicht, die aktuellen Herausforderungen immer nur von Tag zu Tag, auf Sicht anzugehen, sondern es ist wichtig, auch mit einer Per­spektive in die Zukunft zu schauen und nach vorne zu blicken, welche Heraus­forde­rungen, welche massiven Herausforderungen auf unser Land, auf unsere Gesellschaft, auf die Menschen zukommen.

Warum tun wir das? – Nun, Österreich hat im internationalen Vergleich die zweite Coronawelle im Herbst sehr, sehr schlecht gemanagt. Die Anzahl der Toten hat mittlerweile ein wirklich schrecklich trauriges Rekordniveau erreicht, und sie steigt wei­ter – bedauerlicherweise –, muss man sagen, wenn man sich die Anzahl der Infizierten in höheren Altersgruppen, wenn man sich die Anzahl der Infizierten in Alten- und Pfle­geheimen anschaut.

Diese Regierung hat es also nicht geschafft, jene Menschen, die dem größten Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs, dem größten Risiko einer Hospitalisierung, wie das heißt, also einer Behandlung im Spital, aber vor allem auch einer intensivmedizinischen Betreuung, und auch dem größten Risiko eines tödlichen Verlaufs in Alten- und Pfle­geheimen ausgesetzt sind, zu schützen. Gleichzeitig bricht die Wirtschaft in Österreich in dramatischer Weise ein. Die OECD sieht Österreich, wenn man das Jahr 2020 und die Prognosen für 2021 und 2022 betrachtet, an zweitletzter Stelle hinter Portugal, was die Erholung angeht.

Wir stehen also wirklich schlecht da – in puncto Gesundheitszahlen, in puncto Todes­zahlen, aber auch in puncto Wirtschaft und Arbeitslosigkeit. Es gibt immer mehr Arbeits­lose; und neue Arbeitsplätze, neue Jobs, Aufschwung, Zuversicht, das alles ist mit Ihrer Politik nicht in Sicht. Ich weiß, ich habe das jetzt schon oft gehört, für die Regierung und die Regierungsparteien sind immer die anderen schuld. Die Hölle, das sind die anderen, das kennen wir auch aus der Literatur. Das sind die Menschen in Österreich, die Ge­fährder sind, die Bürgerinnen und Bürger, das ist die Opposition, das sind die Bun­des­länder, das sind die Jungen, die da irgendwie unverhältnismäßig Party gemacht haben.

Schauen wir jetzt aber einmal gemeinsam in die Zukunft!

2021 werden wir hoffentlich, dank einer Impfung, die breitflächig zur Verfügung stehen wird und die auch wirklich funktioniert und Schutz bietet, den gesundheitlichen Aspekt der Krise überwunden haben.

Übrig bleibt eine Gesellschaft, die vielleicht sogar vereinzelt Gewinner kennen wird: Viele Menschen, die dank eines abgesicherten Jobs im staatlichen Umfeld – also Bundes­bedienstete, Landesbedienstete –, aber auch in Teilen der Privatwirtschaft nicht be­troffen sind, und auch Menschen, die in Pension sind, werden keine Einkommens­einbußen und keine dramatischen Chancenverluste haben. Es wird aber auch eine Ge­sellschaft sein, die massive Verlierer kennen wird: Arbeitslose, Selbstständige, die vor der Pleite stehen, und viele, viele junge Menschen.

Einmal mehr – Sie kennen das schon von uns NEOS, wir sagen das seit März – mahnen wir eine Balance in der Krisenbekämpfung ein, auch für 2021, wenn wir auf dem Weg heraus aus der Krise sind. Gesundheit, Gesellschaft, Bildung, Soziales und Wirtschaft – all das muss bei den politischen Entscheidungen im Blick sein. Wir fordern aber auch eine Balance mit Blick auf diejenigen, die von der Krise besonders hart getroffen sind. Das sind aktuell alte Menschen in Pflege- und Altenheimen, die Sie nicht ausreichend schützen. Das sind zukünftig junge Menschen, denen Sie Chancen, Perspektive und Zukunft rauben.

Die Krise trifft die junge Generation doppelt: aktuell und direkt, was ihr Leben betrifft, was ihre Bildung betrifft, was den Zugang zu einer Lehrstelle betrifft, was vielleicht die Chance betrifft, einen ersten Job im Arbeitsleben zu bekommen. Sie trifft die Stu­die­renden, die gerade das erste Semester beginnen und im Fernunterricht sind. Sie trifft Jugendliche, die in einer Zeit, in der das für die persönliche Entwicklung so wichtig ist, keine sozialen Kontakte haben. Sie trifft die jungen Menschen, die ein Auslandssemester geplant hatten und dieses nicht durchführen können. Sie trifft die jungen Menschen, die zu den Bildungsverlierern gehören, die in der Zeit des Homeschoolings nicht erreicht werden konnten. Sie trifft gerade die, die ohnehin schon massive Startschwierigkeiten haben und für die die Politik eigentlich für Chancengerechtigkeit sorgen sollte. Sie trifft junge Selbstständige, die keine Aufträge bekommen; das ist gerade am Beginn des Selbstständigendaseins, wenn man mit Hoffnung und Zuversicht an die Sache herangeht, eine dramatische Situation. Sie trifft junge Menschen, die jetzt schon arbeitslos sind, weil eine Neuanstellung derzeit de facto unmöglich ist.

Wir müssen also im Interesse unserer Kinder, im Interesse der Jungen dringend tätig werden – und zwar wirklich tätig werden! –, um Reformen anzugehen, den Arbeitsmarkt für die Jungen abzusichern, Lehrstellen abzusichern, Bildungschancen abzusichern und vor allem auch die sozialen Auswirkungen der Coronakrise auf diese jungen Menschen abzufedern. Und ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, auch das ist ein Marathon und kein Sprint – wie schon die Coronabekämpfung –, mit einer Pressekonferenz und einer Schlagzeile kommen Sie nicht durch. Das Gute ist aber: Vorschläge liegen auf dem Tisch. Vorschläge von uns, auch von anderen Fraktionen, liegen haufenweise auf dem Tisch, und was wir uns jetzt erwarten, das sind ein Plan und eine Strategie, und zwar eine Strategie, die dazu führt, dass es nicht so weit kommt, dass wir dereinst sagen müssen, dass wir eine verlorene Generation, eine Generation Corona haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Alarmglocken schrillen – was Sie erken­nen, wenn Sie auf den Bildungsbereich schauen, darauf, wie viele Kinder und Jugend­liche dort nicht erreicht wurden, wie denen Chancen geraubt wurden und was das auch für deren weiteren Lebensweg bedeuten kann; wenn Sie auf die Arbeitsmarktdaten schauen: 38 000 junge Menschen sind ohne Arbeit, Tendenz steigend, ein Plus von 26 Prozent gegenüber dem Vorjahr, 8 000 Jugendliche mehr.

Oder: Lehrstellenmarkt. Mit Stand September ist die Anzahl der offenen Lehrstellen im Vergleich zum Vorjahr um 19,4 Prozent gesunken. Auf 10 500 Lehrstellensuchende kommen 7 600 Lehrstellen. Wie man so schön sagt: Das geht sich nicht aus. Das hat Auswirkungen auf die Erwerbsbiografie, die dramatisch und längerfristig sind.

Dazu kommt noch, dass mit Ihrer Politik des Koste-es-was-es-Wolle der Schulden­ruck­sack immer größer wird. Das heißt, auch das werden unsere Kinder dereinst ausbaden müssen. Umgekehrt müssen wir bei der Frage der nachhaltigen Absicherung der sozia­len Netze für diese Jungen in puncto Pensionen zugeben, dass wir heuer schon 24 Milliarden Euro bei den Pensionen zuschießen, weil unser Beitragssystem nicht ausreicht, um das für unsere jungen Menschen abzusichern. Wir müssen da dringend gegensteuern.

Diese Krise hat gezeigt, wo wir überall Reformbedarf haben. An kleinen Schräubchen drehen und Pressekonferenzen geben, die sehr viel PR-Geld kosten – sehr viel PR-Geld, das Sie sich jetzt wieder gönnen! –, das hat vielleicht bis jetzt gereicht. Das reicht in Schönwetterzeiten, aber nicht in Krisenzeiten. Wir müssen jetzt ernsthaft die Reformen für die jungen Menschen, für eine gute Zukunft unseres Landes angehen, und für diese Reformen braucht es eine breite Basis.

Ich fordere daher einen Zukunftskonvent, ausgehend vom Verfassungskonvent, der leider in ganz vielen Bereichen nie wirklich in die Kraft gekommen ist. Machen wir – vom Parlament ausgehend – einen Zukunftskonvent! Widmen wir uns den Fragen der Chancen der Zukunft, der Innovation, des Wohlstands der Zukunft, aber natürlich auch den Fragen des Föderalismus, weil wir es uns simpel nicht mehr leisten können, uns zurück­zu­lehnen, Pressekonferenzen und Schlagzeilen zu präsentieren und den Jungen die Zukunft zu rauben. (Beifall bei den NEOS.)

Wir krempeln also die Ärmel auf – das ist mein Vorschlag –, wir packen an für 2021, wir stellen das Jahr 2021 unter das Motto: Zuversicht und Zukunft. Die Krise und die Chancen der jungen Menschen sind in den Mittelpunkt zu stellen – diese Krise ist Anlass genug, um das endlich zu tun –, damit wir mit Zuversicht nach vorne in eine innovative Zukunft, die allen Menschen Chancen auf Wohlstand bietet, gehen. – Danke vielmals. (Beifall bei den NEOS sowie der Abgeordneten Schmidhofer und Strache.)

9.16

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Vizekanzler Werner Kogler. – Bitte.