11.03

Abgeordnete Sigrid Maurer, BA (Grüne): Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Präsidentin! Sehr geehrte Mitglieder dieser neuen Bun­desregierung! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher vor den Bildschirmen! Ich freue mich sehr, heute, an diesem historischen Tag, an dem zum ersten Mal in Österreich ein grüner Vizekanzler eine Regierungserklärung abgegeben hat, als Klubobfrau sprechen zu dürfen. (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Wir sind in diesem Wahlkampf angetreten für saubere Umwelt, saubere Politik und so­ziale Gerechtigkeit – und wir haben geliefert. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeord­neten der ÖVP.) Wir beschließen heute ein Bundesministeriengesetz, das das größte, das das umfassendste Umwelt- und Klimaschutzressort beinhaltet, das es in dieser Republik je gab, und wir besetzen es vonseiten der Grünen mit Leonore Gewessler und damit mit einer Frau, die bis vor wenigen Monaten noch überhaupt keine Profi­politikerin war, sondern Geschäftsführerin einer Umwelt-NGO. Wir haben im Regie­rungsprogramm ein Klimaschutzprogramm verankert, das im Umfang einzigartig in Europa ist und das Österreich zum Vorreiterland in ökologischen Fragen machen wird. (Beifall bei den Grünen.)

Saubere Politik: Wir stellen mit Alma Zadić eine hoch kompetente Justizministerin, die in den letzten Wochen in sehr harten Verhandlungen erreicht hat, dass es in diesem Regierungsprogramm ein sehr umfassendes Transparenzpaket zur Parteienfinanzie­rung gibt, durch das die Einschau massiv verbessert wird, in dem auch ein Informa­tionsfreiheitsgesetz verankert ist, durch das wir das Amtsgeheimnis abschaffen, sofern wir hier eine Zweidrittelmehrheit dafür finden, was ich doch sehr hoffe, und mit dem auch der Rechnungshof gestärkt wird.

Soziale Gerechtigkeit: Wir stellen mit Rudi Anschober einen Sozialminister, der schon einmal Pionier war, und zwar in einer schwarz-grünen Koalition in Oberösterreich – ein Modell, das inzwischen recht erfolgreich in vier verschiedenen Bundesländern läuft. Auch jetzt wird er wieder Pionier sein, nämlich in der ersten grünen Regierungsbeteili­gung auf Bundesebene. Er wird sich darum kümmern, dass sich im Bereich der Ar­mutsbekämpfung, der Pflege, der Gesundheitsthemen vieles zum Besseren wendet. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Darüber hinaus haben wir eine Staatssekretärin für Kunst und Kultur, die mit vielen Wassern gewaschen und eine kämpferische Feministin und Menschenrechtlerin ist, Ulrike Lunacek, die auch ihre europäische Perspektive in die Regierungsarbeit einbrin­gen wird. Das alles geschieht unter Vizekanzler Werner Kogler, und es freut mich sehr, dass das gelungen ist. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Es freut mich auch sehr, dass dieser Regierung mehr Frauen als Männer angehören, und dass mit dem heutigen Tag auch unter den Klubobleuten mehr Frauen als Männer sind. Es bewegt sich ja doch etwas in diesem Land. Ich glaube, das ist gut so. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Loacker: Tolle Quote!)

Für diese Regierungszusammenarbeit wurden schon viele Worte gefunden: ein „Wag­nis“ wurde sie hier genannt, ein „Experiment“, ein Zweckbündnis. – Diese Regierungs­beteiligung ist die politische Konsequenz aus dem Wahlergebnis. Wir Grüne stellen uns unserer Verantwortung und einer völlig neuen Aufgabe. Es wäre möglicherweise der leichtere Weg gewesen, zu sagen, wir setzen uns nicht dem Risiko aus, als kleine Partei mit einem so unterschiedlichen Partner wie der ÖVP in eine Regierung zu ge­hen, aber wir sind nicht gewählt worden, um es uns leicht zu machen. Wir sind gewählt worden und wir sind angetreten, um die Klimakrise aufzuhalten, um das Ruder in den verbleibenden zehn Jahren herumzureißen, um unseren Beitrag zur Rettung des Pla­neten zu leisten. Und wir drücken uns nicht, wir stellen uns dieser Verantwortung. (Bei­fall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wir haben in den letzten Wochen im Winterpalais intensivst verhandelt, in Tagen und Nächten. An dieser Stelle möchte ich den Dank im Zusammenhang mit diesen Ver­handlungen zurückgeben: Sie waren sehr intensiv, sie waren teilweise auch sehr hart – man hat an bestimmten Stellen nicht gewusst, ob es denn am nächsten Tag überhaupt weitergeht –, aber wir haben es geschafft. Die Verhandlungen waren auf Augenhöhe und in einem respektvollen Miteinander und haben, denke ich, eine gute Basis für die Zusammenarbeit in dieser Regierung geschaffen. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grü­nen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Es wird einen Unterschied machen – einen großen Unterschied! –, dass wir in dieser Regierung sind und nicht die Freiheitliche Partei: Statt Korruptionsskandalen mit den Blauen wird es jetzt Korruptionsbekämpfung mit den Grünen geben, statt Posten­schacher für Personen mit äußerst fragwürdigen Qualifikationen werden wir nach ob­jektivierten Kriterien besetzen (Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger – Abg. Kickl: Vom ÖVP-Finanzkassier ins Finanzamt!), statt Hetze gegen bestimmte Bevölkerungs­gruppen wird es von uns die Einladung zum Dialog geben, und statt Tempo 140 stre­ben wir Klimaneutralität bis 2040 an. All das sind sehr große Unterschiede und ein­deutig eine Verbesserung für dieses Land. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeord­neten der ÖVP.)

Ja, es gibt auch Kritik an diesem Regierungsprogramm. Es ist richtig: Die grüne Hand­schrift zeigt sich nicht in allen Kapiteln so deutlich wie beim Klimaschutz, bei der Trans­parenz oder auch bei der Bildung, und ich kann gut nachvollziehen, dass NGOs, die Zivilgesellschaft oder auch hier im Haus die NEOS diesen Pakt in manchen Bereichen kritisieren. (Abg. Meinl-Reisinger: ... enttäuscht!) Es ist klar, dass wir Grüne uns im Bereich Asyl und Migration wenig durchsetzen konnten; die Sprache, in der diese Pas­sagen formuliert sind, ist nicht die unsere, die Positionen, die dort beschrieben sind, sind nicht die unseren.

Wir wissen auch – und das muss auch den Kolleginnen und Kollegen von den NEOS schmerzlich bewusst sein –, dass wir hier in diesem Parlament mit unseren Ansätzen, was diese Themen betrifft, immer in der Minderheit bleiben werden; ebenso auf euro­päischer Ebene. (Abg. Meinl-Reisinger: Also geben wir es auf!) Das sind Rahmenbe­dingungen, die wir zur Kenntnis nehmen müssen.

Wir wissen auch, wie dieses Kapitel ausgesehen hätte, wäre die FPÖ an dieser Stelle und wieder Teil dieser Regierung. (Abg. Meinl-Reisinger: Genau so!) Das zeigen ja die Kommentierungen, in denen von den linken Umfallern et cetera gesprochen wird. Ich denke, es ist sehr eindeutig, dass es auch im Zusammenhang mit diesem Kapitel besser ist, dass die Grünen und nicht die FPÖ Teil dieser Regierung sind. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Kritik, die ich weniger gut nachvollziehen kann, ist jene von der SPÖ, Frau Kollegin Rendi-Wagner! Die Grünen sind mit 14 Prozent in dieser Koalition, die ÖVP hat mehr als das Zweieinhalbfache der Stimmen. Ja, wir sind der Juniorpartner, ein viel kleinerer Juniorpartner, als es die SPÖ in vielen Jahren war, und ich finde es schon etwas un­glaubwürdig, wenn man uns dann ankreidet, dass wir Dinge, was beispielsweise die gemeinsame Schule betrifft, nicht erledigen können, die die SPÖ mit einem roten Kanzler und einer roten Bildungsministerin nicht umsetzen konnte. Auch wenn es um Umverteilung geht: Ich möchte schon darauf hinweisen, dass die Vermögensteuer von einem roten Finanzminister abgeschafft wurde. Wir haben alles getan, was wir konn­ten, und werden alles tun, Rudi Anschober wird alles tun, um im Sozialbereich weiter­zukommen. Also diese Kritik kann ich leider nicht gelten lassen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Der Grüne Klub und die Grüne Partei haben eine große Transformation, einen großen Transformationsprozess vor sich: von einer Oppositions- zu einer Regierungspartei. Die Grünen, eingezogen vor mehr als 30 Jahren, sehr aktionistisch, direkt aus der Au quasi, die sich über viele Jahre ihren Ruf als kompetente und akribisch arbeitende Op­positions- und Kontrollfraktion erarbeitet haben, die Grünen, die vor etwas mehr als zwei Jahren den Einzug in den Nationalrat fulminant verpasst haben und wieder in der außerparlamentarischen Opposition und gewissermaßen auf der Straße gelandet sind, sind zurück und treten nunmehr in eine komplett neue Phase ihrer Bewegung, nämlich in die erste zum Teil grün besetzte Bundesregierung ein.

Jede dieser Phasen war wichtig für die grüne Identität. Wir wissen, wie es ist, sich auf der Straße bei Protestaktionen für Anliegen einzusetzen, die oft nur wenige Menschen begeistern. Wir wissen, wie es ist, Widerstand gegen die Zerstörung der Natur zu leis­ten. Wir wissen und wir schätzen es, wie viele Menschen sich in ihrer Freizeit ehren­amtlich bei zivilgesellschaftlichen Organisationen engagieren, und wir wissen auch, wie ärgerlich es ist, wenn Abgeordnete sich manchmal nicht einmal die Mühe machen, sich die Anliegen der Zivilgesellschaft anzuhören. Wir Grüne sind eine Bündnispartei und wir werden den intensiven Dialog und die Zusammenarbeit mit den NGOs und der Zivilgesellschaft selbstverständlich aktiv weiterbetreiben. Unsere Hand ist ausge­streckt.

Wir Grüne wissen auch, was es heißt, Oppositionsarbeit zu leisten, wie ärgerlich es ist, ungenügende Anfragebeantwortungen zu erhalten, wie oberflächlich Ausschussdebat­ten oft verlaufen. Wir haben immer für einen lebendigen Parlamentarismus plädiert, für eine intensive Debatte zwischen den Fraktionen. Ich verspreche unser größtes Bemü­hen um einen guten Dialog, eine gute Zusammenarbeit und die aktive Einbindung aller Fraktionen im Haus in die Arbeit, denn einer der grünen Grundwerte ist Basisdemo­kratie. Wir sind es gewohnt, lange und intensiv zu diskutieren. Das hat die ÖVP jetzt auch in den Verhandlungen gemerkt, dass wir da anders ticken. Auch beim letzten Bundeskongress konnte man das gut beobachten: Die Grünen sind eine diskursive Partei. Meinungsverschiedenheiten und unterschiedliche Standpunkte sind kein Pro­blem, zivilisierte Verhandlung ist die Kernaufgabe in einer Demokratie.

An dieser Stelle möchte ich auch einen Appell, eine Bitte an die anwesenden Journa­listinnen und Journalisten auf der Galerie richten, nämlich nicht jede politische Ausein­andersetzung und Debatte als Streit zu diskreditieren.

Heute ist für uns ein historischer Tag. Ich glaube auch, es erfolgt eine kleine Wende in Österreich, ein Wandel im politischen Klima, und ich bin mir sicher, dass diese Re­gierungsbeteiligung das Land zum Positiven verändern wird – für AlleinerzieherInnen, für Mütter und Väter, beim Kindergartenausbau, für Menschen, die wenig verdienen, für Frauen, für LehrerInnen, für Einpersonenunternehmen, für Menschen mit Behinde­rung, für die Natur, für die Umwelt; meine Kolleginnen und Kollegen werden heute im Laufe des Tages weitere Punkte aus dem Regierungsprogramm zitieren.

Ich wünsche mir, dass es uns Abgeordneten dieses Hauses in den kommenden fünf Jahren gelingen wird, kritisch, aber sachlich und konstruktiv miteinander zu arbeiten. Ich werde meinen Teil dazu beitragen. Ich wünsche allen Regierungsmitgliedern, ins­besondere Kanzler Kurz und Vizekanzler Werner Kogler, alles Gute für die bevorste­hende Arbeit. Möge die Bewältigung der Herausforderung gelingen! – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

11.15

Präsidentin Doris Bures: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Jörg Leichtfried. – Bitte. (Abg. Meinl-Reisinger – auf dem Weg zum Rednerpult –: Das kann nicht sein!) Das erscheint leider so auf meinem Display, aber ich korrigiere das.

Sie gelangen zu Wort, Frau Klubvorsitzende. Bitte.