12.26

Abgeordnete Nurten Yılmaz (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Werte Kolle­ginnen und Kollegen! In den meisten Reden zu diesem Tagesordnungspunkt ging es darum, dass es unseren Kindern, Jugendlichen zurzeit überhaupt nicht gut geht. Es ist einmal gut, das erkannt zu haben – alle Milieus leiden darunter, wir auch –, denn bei den Kindern ist es besonders wichtig, weil wir die Aufgabe haben, darauf zu schauen, da sich die Kinder sehr schwertun, sich zu deklarieren, sich zu erklären, und dann ist es meistens zu spät oder es dauert länger, sie aus dieser Depression über dieses Ohnmachtsgefühl herauszuführen.

Deswegen ist der Antrag von Kollegin Künsberg Sarre ein guter, ein effizienter und ein straffer. Was aber machen die Regierungsparteien? – Das wird in der letzten Zeit sehr inflationär: Sie bringen einen eigenen Antrag zu dem Thema ein. Kollegin Künsberg Sar­re sagt, sie verwässern es. Ich sage Ihnen, das sind lauter Schauen-wir-einmal-Anträge. Da werden noch ein paar kommen: Schauen wir einmal! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

„Schauen wir einmal“ darf ich vielleicht für Nichtwiener und -wienerinnen erklären: Das ist so, als würden Sie sagen: Pass auf, ich mache die Türe zu, sperre sie aber eh nicht ab! Vielleicht schaffst du es mit deiner E-Card, das Schnapperl aufzumachen und hinein­zukommen! Bis man das Schnapperl aufmacht, braucht es Zeit. Ich sage Ihnen, gerade bei diesem Punkt haben wir überhaupt keine Zeit mehr. Wir müssen am Montag damit beginnen, heute ist Mittwoch.

Es gibt noch eine Gruppe unter den Schülerinnen und Schülern, das sind die, die Deutschförderklassen besuchen müssen – eingeführt durch Schwarz-Blau –, segregiert. Diese Kinder leiden genauso und sogar um vieles mehr unter der Pandemie, denn ge­rade diese Kinder leben in keiner 130-Quadratmeter-Wohnung, denen stehen insgesamt durchschnittlich circa 28 Quadratmeter zur Verfügung, da ist aber alles – Schlafplatz, Essplatz, Toilette und Bad – beinhaltet. Diesen Kindern hat man keine Erleichterungen ermöglicht, was man bei anderen SchülerInnen, die wir unterstützen – das müssen wir auch tun, ob es jetzt die MaturantInnen sind oder Aufsteigen mit einem Fünfer betrifft –, doch gemacht hat. Jene SchülerInnen aber, die diese Deutschförderklassen besuchen, müssen nach wie vor strikt Mika-D-Tests durchführen, obwohl sie auch darunter leiden.

Deswegen bringe ich folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Nurten Yılmaz, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Ein Schuljahr im Ausnahmezustand verlangt gegenüber allen SchülerInnen dieselbe Fairness“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung wird aufgefordert auch für die MIKA-D-Testungen eine faire Lösung zu finden und diese coronabedingt auszu­setzen und anstatt dessen die Beurteilung in die Hand der PädagogInnen zu legen. Außerdem müssen die wissenschaftlichen Erkenntnisse im Bereich der Deutschförde­rung dringend berücksichtigt und das Modell der Deutschförderung und Sprachstand­testung reformiert werden. Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung wird auch aufgefordert, die Fort- und Weiterbildung im Bereich Deutsch als Zweitsprache endlich auszubauen.“

*****

Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geehrte Damen und Herren, heute lese ich in der „Presse“: „Deutschklassen wer­den auf Wirksamkeit geprüft“. – Das finde ich gut, aber viel zu spät. Das machen Wis­senschafterInnen ich kann mir vorstellen, was dabei herauskommt, aber es wäre ge­genüber den WissenschafterInnen anmaßend, jetzt ein Urteil abzugeben –, jetzt beginnt man, diese Sachen wissenschaftlich zu untersuchen, und, Herr Minister, gerade deswe­gen: Wenn Sie schon evaluieren, dann setzen Sie bitte diese Prüfungen aus! Ich denke, das ist wirklich kein Drama. Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

12.31

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Nurten Yilmaz, Sonja Hammerschmid,

Genossinnen und Genossen

betreffend: Ein Schuljahr im Ausnahmezustand verlangt gegenüber allen SchülerInnen dieselbe Fairness

eingebracht im Zuge der Debatte zu Top 7 Bericht des Unterrichtsausschusses über den Antrag 1313/A(E) der Abgeordneten Mag. Martina Künsberg Sarre, Kolleginnen und Kollegen betreffend Unterstützungsmaßnahmen für Lehrerinnen und Lehrer hinsichtlich psychischer Probleme von Schülerinnen und Schülern (750 d.B.)

Am 12. März 2021 wurde endlich bekannt gegeben, dass es - ähnlich wie im Vorjahr - auch 2021 Erleichterungen bei der Matura geben soll. Auch heuer kann die mündliche Matura auf freiwilliger Basis absolviert werden. Im Rahmen einer Pressekonferenz sprach Bundesminister Faßmann von einem „fairen Angebot“, betonte aber, dass weiter nichts hergeschenkt werde, „aber wir tun nicht so, als ob nichts wäre.“ Erleichterungen gibt es nicht nur für die Maturaklassen, sondern auch für andere Schulstufen. Mit einem Fünfer darf man automatisch in die nächste Schulstufe aufsteigen, wenn das Fach im Vorjahr positiv absolviert wurde. Im Sommersemester gibt es auch nur eine Schularbeit pro Fach. Alles gleich bleibt allerdings bei den „Deutsch-Förderklassen“. Während in vielen Bereichen zu Recht nach außergewöhnlichen und einem Corona-Schuljahr ange­messenen Lösungen gesucht wurde, tut man ausgerechnet bei den MIKA-D-Tests zur Feststellung der Deutschkompetenz von Kindern und Jugendlichen so, als wäre heuer nichts Besonderes passiert. Dort wird so vorgegangen, als wäre das heurige Schuljahr eines wie jedes andere. Im Rahmen des Unterrichtsausschusses am 18. März 2021 be­schwichtigte der Bundesminister damit, dass der MIKA-D-Tests den Getesteten vor al­lem dazu diene, den Stand ihrer Deutschkenntnisse zu eruieren.

Dabei wäre gerade in dem Bereich eine besondere Sensibilität angebracht. Immerhin geht es für diese SchülerInnen darum, ob sie weiter als außerordentliche SchülerInnen in den separaten Deutsch-Klassen lernen müssen und damit nicht in den Regelschulbe­trieb übertreten können. Hinzu kommt, dass der Sprachkompetenzerwerb über Dis­tance-Learning per Video auch noch besonders schlecht funktioniert. Wir sind bereits im 2. Schuljahr mit distance learning und eingeschränktem Schulbetrieb. Diesen Kindern droht daher ein Verlust von 2 Schuljahren! Sprache lernt man eben am leichtesten im Austausch mit MitschülerInnen.

Bereits bei der Einführung der Deutschförderklassen und –kursen im Jahr 2018 wurde kritisiert, dass diese bildungswissenschaftlichen Erkenntnisse, Erfahrungen aus der Sprachdidaktik sowie der Expertise von PädagogInnen und SchulleiterInnen diametral entgegenstehen. Gleichzeitig wurden die bestehenden Modelle der kombinierten, diffe­renzierten und integrativen Sprachförderung ohne Evaluierung abgeschafft. Die Exper­tise der PädagogInnen, die autonom entscheiden konnten, wann ihre Kinder als ordent­liche Schüler geführt werden, wurde durch einen standardisierten Test ersetzt. Die Kritik an dem Modell und den Sprachstandtestungen – den sogenannten MIKA-D Testungen – ist seither nicht abgeflaut.

Eine Befragung von 1267 LehrerInnen im Jahr 2020 durch die Universität Wien1 zeigt, dass 80% der LehrerInnen die Deutschförderklassen als falschen Weg der Sprachförde­rung von SchülerInnen sehen. „Die räumliche Trennung führt zur sozialen Isolation der Kinder, die man leider oft aus dem gemeinsamen Unterricht reißt.“ Zudem sind die Päda­gogInnen, welche diese Kinder unterrichten oftmals nicht genügend hierfür ausgebildet. Lediglich ein Drittel der LehrerInnen habe eine Ausbildung in Deutsch als Zweitsprache.

Kinder sollen gemeinsam lernen und individuell bestmöglich in Deutsch gefördert wer­den. Das gelingt aber am besten in der Klassengemeinschaft. Das jetzige System segre­giert unsere Kinder auf deren Kosten und trennt sie nicht nur in Klassen, sondern auch nach sozialer Klasse. Gerade ein Schuljahr im coronabedingten Ausnahmezustand ver­langt gegenüber allen Schülerinnen und Schülern dieselbe Fairness.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung wird aufgefordert auch für die MIKA-D-Testungen eine faire Lösung zu finden und diese coronabedingt auszu­setzen und anstatt dessen die Beurteilung in die Hand der PädagogInnen zu legen. Außerdem müssen die wissenschaftlichen Erkenntnisse im Bereich der Deutschförde­rung dringend berücksichtigt und das Modell der Deutschförderung und Sprachstandtes­tung reformiert werden. Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung wird auch aufgefordert, die Fort- und Weiterbildung im Bereich Deutsch als Zweitsprache endlich auszubauen.“

1              https://kurier.at/wissen/deutschfoerderklassen-fuer-die-meisten-lehrer-der-falsche-weg/401112282

*****

Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt, ordnungsgemäß eingebracht und steht somit auch in Verhandlung.

Nun gelangt Frau MMag. Dr. Agnes Totter zu Wort. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.