Die Veranstaltung beginnt mit einem Musikstück.
(Beifall.)
Sandra Szabo (Moderation): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich ging, ich ging; „Djelem djelem“. Mit dieser musikalischen Einstimmung darf ich Sie herzlich hier im Parlament zur Veranstaltung anlässlich des Internationalen Roma-Tages willkommen heißen. Mein Name ist Sandra Szabo, und ich freue mich sehr, Sie als Moderatorin durch diese Veranstaltung begleiten zu dürfen.
Die Balkan Combo wird uns musikalisch weiterhin durch die Veranstaltung leiten. Mit diesem Einstieg haben wir auch schon die Hymne der Roma hören können. Das Lied hat von der Verfolgung der Roma erzählt. Es ist zugleich auch stolzes Bekenntnis zur eigenen Identität und zur Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Der heutige 8. April wird ja weltweit als Internationaler Roma-Tag begangen, und er erinnert auch an den Welt-Roma-Kongress vom 8. April 1971. In Österreich sind Burgenlandroma, Sinti, Lovara, Kalderasch, Gurbet und Arlije zu Hause. So ist dieser Tag auch einer des gemeinsamen Feierns und Erinnerns.
Hier im österreichischen Parlament ist dieser Tag auch dem Gedenken gewidmet. Zum 30. Mal hat sich heuer das Romaattentat von Oberwart gejährt. Drei Jahrzehnte nach dem Februar 1995 sprechen wir heute auch über das Vermächtnis Oberwart, das angesichts eines neu aufflammenden Antiziganismus und Rassismus zugleich auch Auftrag ist. Ich kann mich persönlich noch sehr, sehr gut an diese Tage vor 30 Jahren erinnern. Sie mögen vielleicht zeitlich weit weg sein, aber emotional sind sie doch sehr, sehr vielen Menschen noch sehr nahe.
Die Schriftstellerin Ceija Stojka – ich bin an dem Platz, der ihr gewidmet ist, beim Hierherfahren vorbeigekommen – hat die Konzentrationslager Auschwitz, Ravensbrück, Bergen-Belsen überlebt. Sie hat später geschrieben: Ich bin froh, dass ich meine Stimme gefunden habe, denn die Stimme ist das Wichtigste, was wir haben.
Ich möchte zunächst den Gastgeber der heutigen Veranstaltung begrüßen, den Präsidenten des Nationalrates Walter Rosenkranz. (Beifall.)
Ganz herzlich begrüßen darf ich die Präsidentin des Bundesrates Andrea Eder-Gitschthaler. (Beifall.)
Ein besonderer Gruß geht an alle Mitglieder der Volksgruppe der Roma sowie an alle anwesenden Vertreterinnen und Vertreter von Romaorganisationen und auch -institutionen, stellvertretend für die Volksgruppe der Roma begrüße ich den Volksgruppenbeiratsvorsitzenden Emmerich Gärtner-Horvath. Herzlich willkommen! (Beifall.)
Ein herzlicher Gruß, ein herzliches Willkommen geht an alle weiteren Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden im Volksgruppenbeirat in unserer Mitte. Schön, dass Sie da sind! (Beifall.)
Ein herzliches Willkommen an den Klubobmann des Grünen Klubs im Parlament Werner Kogler. (Beifall.)
Ich begrüße auch die Bereichssprecherinnen und Bereichssprecher für Volksgruppen der im Parlament vertretenen Klubs und Fraktionen sowie alle anwesenden aktiven und ehemaligen Abgeordneten zum Nationalrat und Mitglieder des Bundesrates. Herzlich willkommen. (Beifall.)
Außerdem darf ich Bundesminister außer Dienst Nikolaus Berlakovich begrüßen. (Beifall.)
Ich begrüße Herrn Landesrat Leonhard Schneemann, der heute Landeshauptmann Hans Peter Doskozil vertritt, er ist uns per Livestream zugeschaltet. Weiters darf ich das anwesende Direktorium der Parlamentsdirektion herzlich begrüßen. (Beifall.)
Expertinnen und Experten sind heute auch eingeladen. Sie werden uns im Rahmen der heutigen Veranstaltung aktiv zum Nachdenken anregen, und damit begrüße ich auch schon Brigitte Lueger-Schuster, Psychotraumatologin und Privatdozentin an der Universität Wien. Sie wird mit ihrer Keynote „Historisches Trauma, Terror und Psyche“ den Fokus bewusst nach innen legen, auf psychologische Auswirkungen von Terror, und damit auch einen Reflexionsraum eröffnen für die Basis, für all das, was dann im Außen wichtig ist, welche Anforderungen auch für Politik und Gesellschaft daraus entstehen.
Ich begrüße Sarah Gärtner-Horvath, Studentin und Romaaktivistin, Paul Schliefsteiner, Jurist und Terrorismusforscher, und Theo Kelz, pensionierter Polizist und Überlebender eines Bombenanschlags.
Es freut mich auch sehr, Sie, hochverehrtes Publikum, heute hier begrüßen zu dürfen. Auch Ihnen ein Applaus! (Beifall.)
Damit darf ich nun den Präsidenten des Nationalrates Walter Rosenkranz um seine Eröffnungsworte bitten.
Eröffnungsworte
Walter Rosenkranz (Präsident des Nationalrates): Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, es wurde der Name von Ceija Stojka erwähnt. Wir sind heute im Elise-Richter-Saal des Parlaments. Elise Richter, erste Maturantin mit 32 Jahren als Externistin an einem Wiener Gymnasium, erste habilitierte Wissenschaftlerin an der Universität Wien und auch erste Inhaberin einer ordentlichen Professur als Frau. Sie hatte nicht das Glück wie Ceija Stojka, den Holocaust zu überleben, sondern sie ist 1943 im Ghetto Theresienstadt gestorben, ein besonders – vom Namen her – geschichtsträchtiger Ort, zusätzlich zu unserem geschichtsträchtigen Hohen Haus.
Ja, erst heute früh bin ich auf eine Nachricht gestoßen, die mich tief betroffen gemacht hat. Auf mehreren Wiener Friedhöfen wurden in den vergangenen Monaten Gräber geschändet, vor allem jene von Angehörigen der Roma-und-Sinti-Gemeinschaft, darunter auch Ruhestätten von Holocaustüberlebenden.
Ich kann und will das nicht einfach zur Seite legen. Diese Untaten sind mehr als Straftaten oder bloßer Vandalismus – sie sind gezielte Angriffe auf die Erinnerung, auf die Würde Verstorbener und auf das Selbstverständnis unseres zivilisierten Zusammenlebens. Wer Gräber schändet, zerstört nicht nur Stein, er trifft die Seele einer Gemeinschaft, er trifft uns alle.
Gerade heute, am Internationalen Roma-Tag, kann ich zu Ihnen nicht über Vielfalt und Anerkennung sprechen, ohne gleichzeitig solche Taten entschieden zu verurteilen. Es ist beschämend, dass wir in Österreich im Jahr 2025 noch immer mit solchem Hass konfrontiert sind. Umso entschlossener müssen wir dagegen auftreten – als Rechtsstaat, als Gesellschaft und als Mitmenschen. Als Präsident des Nationalrates – und ich weiß, da auch im Namen der Frau Bundesratspräsidentin zu sprechen – ist es mir ein besonderes Anliegen, die Vielfalt unseres Landes darzustellen und zu schützen. Die Volksgruppe der Roma ist ein bedeutender Teil unserer Gesellschaft, historisch verwurzelt, kulturell reich – wir waren soeben Ohrenzeugen dieses Reichtums – und trotz vieler Herausforderungen stets ein Symbol für Widerstandskraft und vielleicht gerade auch deshalb ein Symbol für ganz besondere Lebensfreude. Ich sehe es als meine Aufgabe an, nicht nur die Rechte der anerkannten Volksgruppen zu wahren, sondern auch aktiv zu ihrer Sichtbarkeit und Wertschätzung beizutragen; und Sichtbarkeit hat auch mit zukünftiger Sicherheit zu tun.
Die Roma in Österreich haben einen schweren Weg hinter sich, geprägt von Diskriminierung, Verfolgung und Ausgrenzung bis hin zum Völkermord im Nationalsozialismus. Umso mehr ist es unsere gemeinsame Verantwortung, den Roma heute mit Respekt, Offenheit, Anerkennung und Unterstützung zu begegnen. Die kulturellen Beiträge der Roma, ob in der Musik, bildenden Kunst oder Literatur, bereichern unser Land in vielfältigster Weise. Gerade in einer Zeit, in der Zusammenhalt und gegenseitige Achtung wichtiger sind denn je, dürfen wir niemanden an den Rand drängen. Ich stehe dafür ein, mit allen Abgeordneten des Nationalrates und des Bundesrates, dass das Parlament ein Ort des Dialogs ist, auch und gerade mit den autochthonen Volksgruppen. Es ist mir wichtig, dass Vertreterinnen und Vertreter der Roma gehört werden und ihre Perspektiven in die politische Arbeit im Allgemeinen, aber in die Gesetzgebung im Speziellen einfließen.
Im heurigen Jahr 2025 gedenken wir – und nicht nur heute, sondern das ganze Jahr über; über Vorschlag des österreichischen Volksgruppenbeirats – am 30. Jahrestag des Attentats auf Roma in Oberwart. Es war der folgenschwerste Anschlag einer menschenverachtenden Briefbombenserie. Auch meinen Respekt vor Ihnen, Herr Kelz, und danke, dass Sie heute bei uns sind. Im Februar 1995 verloren Josef Simon, Karl Horvath, Erwin Horvath und Peter Sarközi ihr Leben, als sie eine Tafel mit der Aufschrift „Roma zurück nach Indien!“ entfernen wollten. Ein besonders hinterhältiges Attentat, eine ganz besonders perfide Falle, wo man mit einem Spruch die Emotionen so aufschaukelte, dass es kein Überlegen gab, sondern dass man sofort handeln musste, um das zu entfernen, was in Wirklichkeit die tödliche Bombe war – ganz besonders perfide!
Drei Jahrzehnte später gedenken wir der Opfer, aber wir fragen auch: Was ist das Vermächtnis von Oberwart? Welche Lehren haben wir daraus gezogen? Und wie begegnen wir dem noch immer vorhandenen Antiziganismus in unserer Gesellschaft? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der diesjährigen Gedenkveranstaltung im Parlament. Gemeinsam mit Angehörigen, Vertreterinnen und Vertretern der Volksgruppe, mit Zeitzeugen und Experten sprechen wir über das Erinnern, über das Weiterleben nach der Tat, über die Spuren, die ein solches Trauma hinterlässt und über die Verantwortung, die wir als Gesellschaft tragen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich bitte zum Schluss noch eine Anmerkung machen! Die Errichtung eines Denkmals zur Erinnerung an die im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Roma und Sinti ist ein längst überfälliger Schritt. Ich hoffe sehr, dass die laufende Standortsuche bald zu einem guten Ergebnis führt. Entscheidend ist, dass am Ende ein Ort entsteht, der der Bedeutung dieses Gedenkens gerecht wird – würdevoll, sichtbar und in Abstimmung mit der Volksgruppe. Als Präsident des Nationalrates unterstütze ich dieses Vorhaben mit voller Überzeugung, weil es um mehr geht als ein Denkmal, denn die Roma in Österreich sind keine Randgruppe, sie sind Mitbürgerinnen und Mitbürger, sie verdienen, wie ich sagte, Sichtbarkeit, Anerkennung und Schutz. Es ist unsere Aufgabe, dafür einzutreten. Vielen Dank. (Beifall.)
Sandra Szabo: Vielen Dank, Herr Nationalratspräsident. Jetzt darf ich überleiten zu Grußworten von Bundesministerin Claudia Plakolm. Nicht zuletzt die Arbeit der Fachabteilung für Volksgruppen und die im Ministerium angesiedelte Dialogplattform zeigt die Bedeutung des konstruktiven Dialogs. Frau Ministerin Plakolm hat uns diese Videobotschaft übermittelt.
Videobotschaft
Claudia Plakolm (Ministerin für Europa, Integration und Familie): Herzlichen Dank für die Einladung. Leider ist es mir heute nicht möglich, persönlich anwesend zu sein. Mir ist es aber wichtig, zumindest auf diesem Weg zu Ihrer Veranstaltung beitragen zu können, denn es freut mich, dass ich seit vergangener Woche nun auch offiziell als Ministerin für die Volksgruppen zuständig sein darf, und ich freue mich noch viel mehr darauf, viele von Ihnen bald auch persönlich kennenzulernen.
Der 8. April, der Internationale Roma-Tag ist ein besonderer Tag, denn seit 1990 wird er weltweit als Zeichen für Anerkennung, Erinnerung und Zusammenhalt begangen. Eigentlich solle es ein Festtag sein. Ein Tag, an dem wir die Kultur und die Geschichte der Roma feiern. Es ist auch die österreichische Kultur und Geschichte.
Dieses Jahr begehen wir diesen Tag aber anders. Dieses Jahr begehen wir den Roma-Tag als Gedenktag. 30 Jahre sind seit dem tragischen Attentat von Oberwart vergangen. Die Ereignisse von damals haben tiefe Spuren hinterlassen, in Familien, in der Volksgruppe und in der gesamten Gesellschaft. Das schmerzhafte Beispiel von Oberwart zeigt uns, wie real die Folgen von Rassismus und Antiziganismus sind. Die Bombe, die die vier Männer tötete, war ein Anschlag auf die Roma als Volksgruppe und damit ein Anschlag auf unsere Gesellschaft.
Gerade deswegen ist es wichtig, dass wir zusammenhalten und die Opfer nicht vergessen. Viel zu oft wird der Mörder genannt und viel zu selten die Ermordeten: Erwin Horvath, Karl Horvath, Peter Sarközi und Josef Simon. 30 Jahre später sind die Wunden noch spürbar, und umso wichtiger ist es, dass wir erinnern, zuhören und verstehen und gemeinsam auch weitergehen. Das Attentat von Oberwart darf niemals in Vergessenheit geraten. Es ist uns eine Mahnung, damals wie heute.
Österreich blickt auf eine lange Geschichte des Dialogs und der Zusammenarbeit mit der Volksgruppe der Roma zurück. Seit der offiziellen Anerkennung als Volksgruppe haben wir zahlreiche Initiativen ins Leben gerufen, viele davon in enger Partnerschaft mit den Roma-und-Sinti-Vereinen. Ein Beispiel dafür ist die Roma-Dialogplattform im Bundeskanzleramt. Sie schafft Raum für Begegnung, Austausch und konkrete Lösungsansätze im Gespräch zwischen Community und Verwaltung. Entscheidend ist immer der Dialog. Veränderung passiert nicht nur durch Gesetze und Programme, sie passiert vor allem durch gegenseitiges Verständnis und dadurch, dass man miteinander spricht und sich auch ehrlich interessiert zuhört.
Ich möchte mich ganz besonders bei den Roma-und-Sinti-Vereinen bedanken. Hier passiert viel ehrenamtliche Arbeit und vor allem wertvolle Arbeit. In den letzten 30 Jahren ist es gelungen, die Roma und Sinti in der Kultur, in den Medien, im Vereinsleben und in unserer Gesellschaft sichtbarer zu machen. Wir haben noch viel vor uns, keine Frage, aber ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind. Und ich freue mich, dass ich diesen Weg in den kommenden Jahren gemeinsam mit Ihnen gehen darf. Danke an das Parlament für die Initiative und die Organisation der heutigen Veranstaltung. Ich wünsche Ihnen allen eine erfolgreiche Veranstaltung und einen würdevollen Roma-Tag. (Beifall.)
Sandra Szabo: Jetzt zu einem Mann, der seit vielen, vielen Jahren mit viel Herz, Empathie und Verstand die Interessen der Roma vertritt: Emmerich Gärtner-Horvath. Er war selbstverständlich zuletzt auch bei der Dialogplattform autochthoner Volksgruppen hier im Parlament dabei, am 25. März, ein Austausch, der starke Impulse gesetzt hat. Wir freuen uns jetzt auf Ihre Worte, Emmerich Gärtner-Horvath! (Beifall.)
Einleitende Worte
Emmerich Gärtner-Horvath (Vorsitzender des Volksgruppenbeirates der Roma): Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Del tumenca! In der Nacht zum 5. Februar 1995 brach mit einem Mal der alte, mörderische Hass wieder über die Volksgruppe herein. Vier junge Männer starben in Oberwart durch ein rassistisches Bombenattentat. Die Schicksalsstunde der Roma wurde auch zur Bewährungsprobe für die Republik.
Doch Gewaltakte gegen Roma gibt es noch immer, auch in Österreich. Die vier Roma starben durch eine perfide Sprengfalle, die der Rechtsterrorist Franz Fuchs in der Nähe der Oberwarter Romasiedlung platziert hatte. Als sie ein Schild mit der Aufschrift „Roma zurück nach Indien!“ entfernen wollten, detonierte der Sprengsatz. Karl Horvath, Erwin Horvath, Peter Sarközi und Josef Simon waren sofort tot.
Für ihre Familien brach eine Welt zusammen. Für die Volksgruppe war es die schwerste Stunde seit dem Völkermord. Alles, was man sich gerade erst erkämpft hatte, stand plötzlich auf dem Spiel. Was fast immer geschieht und tatsächlich geschah: Man verdächtigte die Roma selbst. Von einem rechtsextremen Attentat wollten Polizei und Politik zwei Tage lang nichts wissen. Stattdessen diffamierte man die Opfer. Sofort war die Rede von einer blutigen Fehde unter Kriminellen. Polizisten durchsuchten die Wohnungen der Romafamilien nach Sprengstoff und Waffen.
Bundeskanzler und Staatsspitze stellten sich schließlich doch noch beherzt an die Seite der Opfer. Das Begräbnis in Oberwart geriet zu einem Staatsakt. Der landesweite Schulterschluss gegen den Terror gelang und ermöglichte eine Welle der Solidarität. Mit einem Schlag waren die Nöte der Volksgruppe ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Die Minderheit, von der man kaum etwas wusste, bekam ein Gesicht. Erfolge: Es hat sich in den letzten 30 Jahren viel getan.
Die Sprache Romani, welche bis 1993 mündlich weitergegeben wurde, wurde gemeinsam mit der Karl-Franzens-Universität kodifiziert und didaktisiert. 1995 wurde der Volksgruppenbeirat der Roma eingerichtet. 1996 wurde das Romani im Minderheiten-Schulgesetz im Burgenland verankert. Es wurden mehrere Romaorganisationen in ganz Österreich gegründet. Junge Musikgruppen, Tanzgruppen, Theatervereine haben sich gegründet. Es wurde versucht, die Kultur, die uns noch geblieben ist, das ist die Sprache und die Musik, der Öffentlichkeit näherzubringen.
Bildungsprojekte wie die Lernbetreuung wurden eingerichtet. Zweisprachige Zeitschriften, einsprachige Kinderzeitschriften werden herausgegeben. Im ORF Burgenland wurde eine Romaredaktion eingerichtet. Es gibt die Sendungen, wie zum Beispiel „Romano Dikipe“, die Radiosendung „Roma Sam“, „Romani Ora“ auf Radio Mora, wo es um die Zusammenarbeit mit den Volksgruppen der Kroaten geht, Internetblogs und auch TV Erba, wo Jugendliche Videobeiträge über und von der Volksgruppe produzieren.
Die Dialogplattform wurde schon erwähnt, die gibt es seit 2011. Dort werden Themen wie Arbeit, Bildung, Gesundheit und Wohnen behandelt. Daraus entstanden verschiedene ESF-Projekte. Die Roma-Strategie 2030 beschäftigt sich mit der Gleichstellung, Inklusion und Teilhabe der Roma bis 2030. Die Studie Sensiro zeigt, dass das größte Problem die Diskriminierung in allen gesellschaftlichen Bereichen ist. Die Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte beziehungsweise eine Forderung nach einem nationalen Aktionsplan gegen Rassismus sind notwendig.
Seit längerer Zeit gibt es eine Zusammenarbeit mit den sechs autochthonen Volksgruppen in Österreich, die Ständige Volksgruppenkonferenz. Hier möchte ich stellvertretend für alle Vorsitzenden und Stellvertreter der Volksgruppenbeiräte den Vorsitzenden der Ständigen Vorsitzendenkonferenz, Herrn Bernard Sadovnik, begrüßen. (Beifall.)
Themen im Bildungsbereich, zur Sprache, aber auch zu Rassismus und Diskriminierung, welche der Volksgruppe der Roma entgegengebracht werden, werden den Ministerien nähergebracht, um gemeinsame Lösungen zu finden. Ein gutes Beispiel ist die Errichtung des Volksgruppenhauses in Oberwart für die drei burgenländischen Volksgruppen, welches 2026 eröffnet werden soll. Seit einigen Jahren wird auch im Parlament die Dialogplattform der sechs Volksgruppen abgehalten. Die Errichtung einer nationalen Gedenkstätte für die ermordeten Roma und Sinti in Wien wird gemeinsam in Abstimmung des Nationalfonds und des Volksgruppenbeirates der Roma vorangetrieben.
Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren! Derzeit herrscht große Unzufriedenheit, nicht nur in Österreich, sondern auch in anderen europäischen Ländern. Menschen werden auseinanderdividiert, Hass, Rassismus werden verbreitet und mehrere Gruppierungen werden geschaffen. Meine Bitte an Sie und vor allem an die Politik: Unterstützen Sie weiterhin diese wichtige Volksgruppenarbeit! Die Gesellschaft, die noch immer die alten Klischeebilder der Roma und Sinti in den Köpfen hat, können so verschwinden und somit wird es ein anderes Bild von der Volksgruppe der Roma und Sinti geben.
Zum Abschluss meiner Rede möchte ich mit einem Spruch enden: Es geht nicht gut nebeneinander und nicht gut hintereinander, schon gar nicht gegeneinander. Meine Damen und Herren, es geht nur miteinander. Palikerav. Danke. (Beifall.)
Sandra Szabo: Danke, Emmerich Gärtner-Horvath.
Lassen wir uns jetzt auf einen weiteren Raum des Ausdrucks ein, auf die Musik. Die Balkan Combo mit „Cajorije sukarij“, schönes Mädchen, ein musikalisches Spiegelbild von Tanzmusik und dem guten Ja zum Leben.
Es folgt ein Musikstück.
(Beifall.)
Sandra Szabo: Vielen Dank.
Ich darf nochmals Frau Prof. Brigitte Lueger-Schuster begrüßen. Sie leitet die Arbeitsgruppe Psychotraumatologie an der Universität Wien; zu ihren Forschungsinteressen gehören Missbrauch in Institutionen, psychosoziale Folgen von traumatischem Stress, Resilienz und vieles mehr. – Ich bitte um Ihre Keynote.
Keynote Speech zum Thema „Historisches Trauma, Terror und Psyche“
Brigitte Lueger-Schuster (Psychotraumatologin, Universität Wien): Es ist jetzt natürlich sehr schwierig, nach so einer bezaubernden Musik, die so viel Wohlgefühl auslöst, über historisches Trauma, Terror und Psyche zu sprechen. Ich begrüße Sie, meine Damen und Herren, und danke für die Einladung, heute vor Ihnen sprechen zu können!
Es ist sehr schwierig, über diese lange Geschichte des Terrors, des Traumas, über diese Jahrhunderte zu sprechen, um klarzumachen: Was bedeutete und bedeutet dieses Attentat hier und heute?
Ich habe eine Einteilung gewählt, die sich mit dem historischen Trauma, dem kollektiven Trauma und der intergenerationalen Weitergabe beschäftigt. (Die Rednerin unterstützt in der Folge ihre Ausführungen mittels einer Powerpoint-Präsentation.) Im historischen Trauma entsteht so etwas wie eine kollektive, gemeinsame Erzählung, nicht nur über Jahrzehnte hinweg, sondern auch über die Jahrhunderte hinweg. Sie drückt sich aus in einem Gefühl steter Diskriminierung, Unterdrückung, Erniedrigung, einem konstanten Misstrauen, Erschöpfung, interkulturell gebundenen Symptomen. Wir finden sie in vielen Bevölkerungen auf unserer Welt.
Es ist klar festzuhalten, dass Roma jahrhundertelang einer Ausgrenzung unterworfen waren, eine kontinuierliche massive Diskriminierung, Ausbeutung und Rassismus erlebt haben. Die nationalsozialistische Vernichtungsideologie und Politik fiel in eine schon vorhandene Tradition des Antiziganismus, der im Nationalsozialismus dann auch noch rassistisch unterfüttert wurde. Sie waren und sind damals von Massenvernichtung bedroht gewesen. Es gab eine enge Verknüpfung zwischen den Verbrechen an den Roma und den europäischen Juden, allerdings ohne diesen massiven industriellen Charakter, wie das auch passiert ist.
1939, 1940 fanden die ersten Deportationen statt; die ersten Massenmorde gab es im August, September 1941. Im Burgenland und auch anderswo wurden historisch-traumatische Erfahrungen gemacht, heute historisch, damals höchst lebendig, mit großen Schmerzen. Das Lager Lackenbach wurde im November 1940 etabliert. Es gab eine unzureichende Versorgung, die zu Hungerkrisen, Erkrankung und Tod führte. Im Herbst 1941 wurden 5 007 Personen in das Ghetto von Lodz überführt, das sogenannte Zigeunerlager, abermals mit absolut katastrophalen Lebensbedingungen. Es gab eine Vernichtung im Lager Kulmhof. Es gab im Dezember 1942 den Beschluss, alle Roma in die KZs zu deportieren. Und es gab eine unsystematische Erforschung – bis heute, mit großen Lücken –, die zu einer hohen Dunkelziffer der nationalsozialistischen Massenmorde an den Roma geführt hat; das wird zumindest vermutet, wir haben keine konkreten Zahlen.
Und hier sind wir nun im sogenannten kollektiven Trauma, in dem traumatische Erfahrungen geteilt werden, die entweder mit oder ohne historischen Bezug entstehen können, wie Versklavung, schwere Unterdrückung, Kriege, vielfach verbunden mit etwas, das wir Institutional Trauma nennen, wo man betrogen wird von den Institutionen um alles, was einem eigentlich zustehen müsste und sollte, es aber verweigert wird. Und es gibt bis heute aktuelle soziale Benachteiligungen sowie eine intergenerationale Weitergabe, aber keine kollektive Opfererzählung, wohl auch, weil viele eben verstorben sind. Man muss es so benennen.
Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung habe ich besprochen. Das kollektive Trauma zeigt: Es gibt keine Familie, die nicht verfolgt wurde, die nicht betroffen war, die nicht versucht hat, zu entkommen, und die nicht Tote, Ermordete zu beklagen hat. 1945 wurde die Marginalisierung in leicht veränderter Tradition – verzeihen Sie den Zynismus – weitergeführt.
Es kam zu einem Leben am Rande der Gesellschaft, das geprägt war von Armut mit wenig Bildungschancen, viel Rassismus und einer anhaltenden Diskriminierung. Und es gab, soweit ich das verstanden habe, auch eine Verschwörung des Schweigens – einerseits durch die Täter, andererseits auch durch die Überlebenden. Das heißt, es wurde über etwas einfach gar nicht gesprochen, mit vielen unterschiedlichen psychologischen Folgen und Konsequenzen, auf die ich aus Zeitgründen hier nicht eingehen kann.
Jedenfalls kann man sagen, dass eine Volksgruppe in dieser Verschwörung des Schweigens verschwand, und als es ihr gelang, daraus herauszutreten, kam es zu diesem verheerenden Attentat. Und damit wollen wir uns jetzt beschäftigen: Was bedeuten denn diese ganzen historischen und kollektiven Traumata für das Hier und Jetzt? Denn es gibt eine Generation, die schon ein böses Erbe mitbekommen hat. Da geht es um die intergenerationale Weitergabe eines Traumas, erforscht unter anderem an den Überlebenden des Holocaust, mit vielen Folgen auf einer sozialen, aber auch auf einer psychologischen Ebene; auch da habe ich leider nicht die Zeit, um ins Detail zu gehen, aber es wirkt bis heute.
Die Nachfolgegeneration ist auch noch geprägt von all diesen übelsten rassistischen, nationalsozialistischen Erfahrungen und dem, was da 1945, was da 1995 geschah. Wie kann man es verstehen? – Wir kennen zwei Mechanismen aus der Forschung. Der eine ist jener, dass man den Glauben an das Wohlwollen der Welt und den Wert des eigenen Selbst verloren hat. Dieser Mechanismus wird weitergegeben an die nächste Generation, was wiederum zu posttraumatischem Stress, zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen kann. Wir sprechen hier von einer sogenannten sekundärtraumatischen Erfahrung mit ähnlichen Folgen wie von der primärtraumatischen Erfahrung.
Weiters kennen wir den Mechanismus der sogenannten Event Centrality – das Ausmaß, in dem Traumaüberlebende die Erinnerung an traumatische Ereignisse als integralen Bestandteil ihres Lebens wahrnehmen –, und das gilt als einer der einzigartigen Mechanismen, die tatsächlich die Symptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung übertragen. Also es gibt sie. Es ist nicht nur etwas, wo man vermutet, dass das so sein könnte, nein, Trauma wird weitergegeben – in einer Situation, in der die traumatischen Expositionen ständig anwachsen.
Basierend auf der jahrhundertelangen Ausgrenzung – mit Armut, wenig Bildungschancen, in der eigenen Kultur unterdrückt zu sein, die eigene Kultur wurde verboten – folgt die Massenvernichtung im Nationalsozialismus; eine weitere Spirale, die zu einem Verlust von Ressourcen führt und zu einem Steigen der Belastungen, die durch diese sozialen und gesellschaftlichen Möglichkeiten gegeben waren.
Dem folgt die massive Diskriminierungserfahrung nach 1945 mit Diskriminierungen, beispielsweise dass die Kinder in Sonderschulen kamen, regelhaft, dass es willkürliche Kindesabnahmen gab, dass es kaum Bildungs- und Berufschancen gab, gefolgt von – endlich – der Anerkennung als Volksgruppe im Jahr 1993; und 1995 der Anschlag – also, Sichtbarmachung hat einen Anschlag zur Folge. Wie dieser Zusammenhang genau zu erklären ist, darüber müssen Historiker:innen arbeiten.
Die Folge dieses steten Verlustes an Ressourcen durch die Diskriminierungen, die rassistischen Erfahrungen, die dramatischen Expositionen ist jedenfalls eine besondere Verletzbarkeit dieser Gruppe. Wir sprechen hier von einer erhöhten Vulnerabilität für die Entwicklung psychischer Probleme, weil einfach zu wenige Ressourcen vorhanden sind.
Wir sprechen von der Verstärkung der intergenerationalen Weitergabe, wir sprechen von einem weiteren Verlust an Ressourcen, von kaum anlassbezogener psychosozialer Versorgung. Wir haben dazu telefoniert, und ich muss sagen, ich war absolut erstaunt und wirklich baff, dass es in diesen 30 Jahren keine regelhafte psychosoziale Versorgung für die Überlebenden, für die Nachkommen der Überlebenden der Volksgruppe der Roma gegeben hat – bis heute nicht!
Wir sprechen, ausgedrückt in Symptomen, von Misstrauen, von einer erhöhten Schreckhaftigkeit, einer erhöhten Wachsamkeit, von verstärktem Risikoverhalten, vermehrten gesundheitlichen Problemen und komplexen Trauerprozessen. Wir sprechen aber auch – und deshalb in Gold – von der Ausprägung von Überlebenskompetenzen und dem Schutz durch familiären Zusammenhalt. Das ist etwas, was tatsächlich geholfen hat.
Was geschah direkt nach dem Attentat? Was verstehen wir in der Psychotraumatologie in solchen Situationen? Die Frage: Was haben wir getan, sind wir so anders, dass sie uns töten können?, war eine alles Beherrschende. Die Angst vor weiteren Attentaten war groß, es gab eine massive Verunsicherung und einen großen Schock.
Wir sprechen hier von der peritraumatischen Reaktion, also jener Reaktion, die rund um die traumatisch Expositionen passiert. Die ist prägend für das, was weiter passiert. Und es kam einerseits zu einer Opfer-Täter-Umkehr, was die peritraumatischen Reaktionen verstärkt hat, und andererseits zu einer Reaktivierung der Traumata bei jenen, die Konzentrationslager und Massenvernichtung durch den Nationalsozialismus überlebt hatten.
Die Getöteten waren Kinder von Eltern, die die nationalsozialistische Massenvernichtung überlebten. Das heißt, auch diese Familien haben schon gelitten und hatten wenig Ressourcen. Es gab auch wenig Möglichkeiten, dann tatsächlich adäquat damit umzugehen, gepaart mit Armut und versagten Bildungschancen. Es gab kaum Schutz vor der überbordenden Distanzlosigkeit der Medienvertreter:innen. Und die vier Männer hinterließen vier Familien, eigene Kinder, Geschwister, Eltern, Ehefrauen, Freund:innen, Verwandte, Kolleg:innen. Es waren nicht nur vier Familien, es war das Dorf, es war die Gemeinschaft, die hier massiv betroffen war, und es stand die Entscheidung an: Sprechen wir darüber? Sprechen wir über all das, was uns passiert ist, oder bleiben wir weiter still?
Längerfristige Reaktionen möchte ich hier in einer Grafik zusammenfassen: Sie sehen hier in Blau umrahmt die Symptome der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung, die sich in vielerlei Hinsicht ausdrücken, aber auch eines klarmachen: Das macht es schwierig, miteinander und untereinander – nicht nur, dass man unter Flashbacks, unter Vermeidungsproblemen leidet, nicht nur, dass man erhöhte Wachsamkeit hat, dass man sehr leicht erschreckt, dass man ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis hat, nein, man tut sich bisweilen auch miteinander schwer, weil so viel Gewalt in den eigenen Biografien und in den Herkunftsbiografien vorhanden ist.
Was heißt das ausgedrückt in Häufigkeiten? – Hier gibt es keine Zahlen aus der Community der Roma, sondern Zahlen aus der allgemeinen Bevölkerung nach Terroranschlägen. In einer allgemeinen Bevölkerung ohne Vorerfahrung, wie es die Roma machen mussten, leiden ein Jahr danach 0,9 bis 3,5 Prozent an der posttraumatischen Belastungsstörung – schlimm genug. Bei direkten und indirekten Opfern des Terroranschlages, solchen, die das wirklich miterlebt haben beziehungsweise jemanden verloren haben, sind es circa 30 Prozent, die unter der posttraumatischen Belastungsstörung leiden, in den ersten sechs Monaten 39 Prozent, ein Jahr danach 22 Prozent. Also da gibt es schon so etwas wie eine Selbstheilungskapazität, aber sie reicht nicht, ein Fünftel der Betroffenen ist ganz einfach zu viel. Darüber hinaus haben wir Komorbiditäten, also zusätzliche Erkrankungen, auch 14 bis 15 Jahre nach derartigen Attentaten.
Viel schlimmer wird es bei Ersthelferinnen und Ersthelfern. Hier liegen die Prävalenzzahlen ebenfalls noch in einem wirklich beachtlichen Bereich: rund 10 Prozent. Und bei Angehörigen von Opfern, solchen, die verletzt oder getötet wurden, liegen die Prävalenzzahlen bei 23 Prozent, also ein Viertel oder ein Fünftel, je nachdem, wie man genau hineinschaut, leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, auch viele, viele Jahre danach. Umso erstaunlicher ist, dass es niemals das Angebot einer psychosozialen Versorgung mit Traumakompetenz gab. Wir wissen, dass es das gibt, ich werde es Ihnen gleich noch erzählen.
Ja, es ist nun einmal passiert. Terrorismus und Trauma bei vulnerablen Gruppen nach historischen und kollektiven Traumaerfahrungen: Es poppen einige Fragen auf: Wer braucht Hilfe, alle oder nur spezielle Personen? Bin ich jemals wieder sicher? Kann man uns überhaupt noch helfen? Können Behörden und Politiker:innen helfen? Wie lange werde ich noch leiden? Kann ich mir selbst helfen? Und was tun mit den Kindern?
Wer braucht Hilfe? Da ist jetzt etwas verrutscht, Verzeihung, offensichtlich beim Transfer von der Uni ins Parlament. – Je näher jemand mit den Opfern in Beziehung stand, desto eher braucht es psychosoziale Hilfe. Also je näher jemand durch familiäre Verbundenheit, freundschaftliche Verbundenheit oder auch berufliche Verbundenheit dran war, desto stärker sind die krankheitswertigen Reaktionen, die entsprechende kompetente Behandlung brauchen. Eltern, Geschwister, Partner:innen, engste Freundinnen sind zu nennen; Menschen mit einem Risiko für eine psychische Krankheit, das sind wiederum die Kinder, die Jugendlichen, ältere und marginalisierte Menschen sowie Menschen mit psychiatrischen Vorerkrankungen und traumatischen Vorerfahrungen sowie finanziellen Schwierigkeiten. Im Falle des Attentats von Oberwart möchte man meinen: alle; insbesondere aber jene, die direkte Familienangehörige verloren haben, bei denen die intergenerationale Weitergabe und die Ressourcenarmut ganz einfach am ausgeprägtesten ist.
Ja, die psychologische Versorgung ist bislang ausstehend – wie schon gesagt. Mit der sozialen Unterstützung funktioniert es ganz gut, soweit ich verstanden habe, aber auch hier könnte man genauer hinschauen. Was tun mit den Kindern, damals und heute? Damals ging es darum – oder hätte es darum gehen sollen, ich weiß nicht, was passiert ist –, nichts zu verschweigen; Einbinden in die Trauerarbeit; Sicherheit durch tägliche Routine; Gefühle gemeinsam leben; Hilfe, die kindlichen Emotionen zu regulieren, trösten; und Hilfe holen. Das ist etwas, was heute noch notwendig ist.
Heute geht es um die Demonstration von Verbundenheit, und nicht nur um die Demonstration, auch das Fühlen von Verbundenheit und Sicherheit; die Prävention von Substanzmissbrauch; Möglichkeiten zu kompetenter, evidenzbasierter psychologischer Hilfe anzubieten und auch zu finanzieren. Psychotherapie, psychologische Hilfe ist unfassbar teuer – eigentlich billig, gemessen an dem, was sie bewirken kann, aber wer kann sie bezahlen? – Die Wenigsten; ein Manko, unter dem unter anderem auch die Bevölkerung der Roma leidet.
Und es geht um Forschung, um den Bedarf für die Versorgung der psychosozialen Folgen konkret zu verstehen.
Bin ich jemals wieder sicher? – Ja, aber: Wer hätte jemals gedacht, dass es massive Hatecrimes geben kann? Wer hätte gedacht, dass Inklusion, Diversität und Ähnliches nicht mehr selbstverständlich sind? Wer hätte gedacht, dass rassistische Gefährdungen wieder zunehmen?
Insgesamt bleibt ein andauerndes Gefühl von Unsicherheit, dass zum Teil auch Symptomcharakter hat. Sicherheit, äußere wie innere, kann hergestellt werden, zum Beispiel durch behördliche und polizeiliche Arbeit sowie durch die psychosoziale Verarbeitung des Attentats.
Wie lange werde ich noch leiden? Kann ich mir selbst helfen? Kann man uns überhaupt helfen? – Traumafolgestörungen und traumatische Reaktionen können gut behandelt werden. Auch die irritierenden und belastenden psychologischen Antworten können deutlich reduziert werden – das ist alles, was wir unter Flashbacks verstehen, das Gefühl zu haben, als wäre man urplötzlich aus heiterem Himmel wieder genau in dieser Situation wie damals: Man hört die Geräusche, man riecht den Geruch. Das kann man gut behandeln, wenn man wirklich die richtigen Methoden anwendet. Das Gleiche gilt für die komplexen Traumareaktionen, die lange anhalten, oft sehr intensiv sind, und man hat das Gefühl, sie hören nie auf. Und ja, Selbsthilfe ist möglich!
Ich bekomme das Zeichen, dass ich ganz schnell sein muss. Ich beeile mich.
Es gibt so etwas wie eine evidenzbasierte Psychotherapie und Selbsthilfe, wir sprechen hier von der kognitiven Verhaltenstherapie mit einem Traumafokus. Das gibt es auch in Österreich, wenn auch nicht in genügender Art und Weise, aber hier kann wirklich geholfen werden.
Und wie kann ich mir selber helfen? – Durch adaptives Coping: Ich passe mich an, ich überlege nicht mehr, sondern ich tue auch, was mir guttut. Ich hole mir Hilfe, ich kann mich gemeinsam mit anderen ablenken und ich kann den Zusammenhalt fördern. Ich kann zielstrebig sein: Ich will etwas erreichen, und das tue ich dafür. Ich kann optimistisch sein: Jeder Tag vergeht, und er ist eigentlich ganz gut vergangen. Es ist nicht der langfristige Optimismus, es ist der Von-Tag-zu-Tag-Optimismus, der uns hilft. Humor, Lachen hilft tatsächlich und trotz alledem. Und ich kann selbstwirksam sein: Das, was ich erreicht habe, ist auf meine Anstrengungen zurückzuführen. – Verzeihen Sie die Verrutschungen, wir haben es gut weggeschickt.
Praktische Herausforderungen und Ungerechtigkeiten – das sind jetzt noch ganz frische Forschungen, die aus Israel kamen, von den Überlebenden der dortigen Terroranschläge –: Es geht und ging um finanzielle Schwierigkeiten aufgrund vermehrter Gesundheitsausgaben und Einkommensverluste; um die Bürokratie in den Entschädigungsverfahren; um das Versäumnis im System, das Täter:innen nicht vollständig zur Rechenschaft zieht. – Das sind israelische Daten, möchte ich nochmal anmerken. – Es geht um die Wahrnehmung eines Rechtssystems, das oft die Rechte und das Wohlergehen der Terroristen und Terroristinnen priorisiert anstatt jenes der Opfer und Überlebenden; Gerichtsverfahren haben einen massiv retraumatisierenden Charakter.
All das kann man traumainformiert gestalten, indem man den Merksatz nimmt: Nichts für uns, ohne uns!
Ja, und dann die gute Nachricht zum Schluss: Es gibt so etwas wie posttraumatisches Wachstum. Resilienz und Sinnfindung stehen hier im Zentrum; man kann zu einem, einer Aktivist:in werden für Frieden und Rechte von Terrorismusopfern; man kann die Erinnerung an Angehörige aufrechterhalten und pflegen; Religion und Spiritualität können als Quelle der Kraft dienen; tiefere Wertschätzung des Lebens kann entstehen – muss nicht entstehen –; die Identität der Überlebenden als Quelle von Stolz und Verantwortung kann man erleben. Aber das braucht auch Rahmenbedingungen, sich selbst als tatkräftig und einflussreich zu erleben, und das ist etwas, das mit dem Zugang zu Ressourcen verbunden ist, zur Herstellung von realer Chancengleichheit in Bildung, Gesundheit, Berufsausübung, Teilhabe an der Gesellschaft.
Dann kann auch dieses Attentat noch zu etwas führen, das uns vielleicht ein Stück empathischer macht im gemeinsamen Tun und Leben. – Vielen Dank. (Beifall.)
Sandra Szabo: Vielen Dank, Frau Prof. Lueger-Schuster! Wir sehen uns einander sofort in der Gesprächsrunde noch einmal. Es sind Worte, die man nachklingen lassen sollte, und dazu eignet sich ja kaum etwas besser als Musik.
Es folgt ein Musikstück.
(Beifall.)
Podiumsdiskussion
Sandra Szabo: Erinnerung und Gegenwart sind eng miteinander verknüpft und damit auch die Frage, wie Zukunft noch besser gestaltet werden kann.
Wir wollen jetzt in einem Gespräch hier am Podium die Themen vertiefen. Dazu begrüße ich sehr herzlich Sarah Gärtner-Horvath, Theo Kelz, Paul Schliefsteiner und noch einmal Frau Prof. Lueger-Schuster. – Bitte schön. (Beifall.)
Sarah Gärtner-Horvath ist Lehramtsstudentin, Lernbetreuerin und Teil der Roma-Community, wenn man so sagen darf, und Vertreterin der jungen Generation – darum wird es jetzt auch gleich gehen.
Paul Schliefsteiner ist Jurist und Terrorismusforscher, Direktor des österreichischen Zentrums für Geheimdienst- und Sicherheitsforschung an der Uni Graz. Er hat sich unter anderem intensiv mit dem Terror der 1990er-Jahre und mit den Auswirkungen auch auf die Polizeiarbeit in Österreich auseinandergesetzt.
Theo Kelz wurde im Einsatz als Polizist in der deutsch-slowenischen Renner-Volksschule in Klagenfurt schwer verletzt. – Sie haben das Leben sprichwörtlich wieder selbst in die Hände genommen. Kurz vorher haben wir noch über Ihre langen Motorradfahrten rund um die Welt in alle Richtungen gesprochen. Schön, dass Sie auch in der Runde sind.
Und an Sie auch noch einmal ein Willkommen, Frau Professor.
Sarah Gärtner-Horvath, ich möchte Ihnen zuerst die Frage stellen: Sie sind 22 Jahre, haben Sie mir vorhin verraten, 2002 auf die Welt gekommen; Sie sind mit dem Attentat als Geschichte aufgewachsen. Welche Bedeutung hat das heute in Ihrem Leben?
Sarah Gärtner-Horvath (Tochter von Emmerich Gärtner-Horvath, Lehramtsstudentin): Ich bin von klein auf damit aufgewachsen. Meiner Familie, vor allem meinen Eltern war es sehr wichtig, dass sie mit mir über das Attentat sprechen, was da genau passiert ist. Vor allem jetzt im Erwachsenenalter und auch jetzt, in der heutigen Zeit bereitet mir das eigentlich schon ein mulmiges Gefühl, dass vier Männer aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit ums Leben gekommen sind.
Sandra Szabo: Wir haben vorhin in der Keynote sehr viel gehört von posttraumatischen Belastungsstörungen, von dem, was getan werden könnte. Was würde denn Ihnen ganz konkret helfen? Haben Sie überhaupt das Bedürfnis, dass jemand käme und sagen würde: Ich hätte da etwas für Sie, wollen Sie Unterstützung?
Sarah Gärtner-Horvath: Ich persönlich würde schon gerne darüber sprechen, welche Maßnahmen man eben auch setzen könnte. Aber ich kann mir auch gut vorstellen, wenn es jetzt vor allem die ältere Generation betrifft, dass sie darüber nicht sprechen möchte, eben aufgrund von Schutzmechanismen, oder dass es einfach zu emotional ist oder noch zu nahe geht, sodass sie darüber einfach noch nicht sprechen können.
Sandra Szabo: Danke schön.
Herr Kelz, was hat Ihnen denn geholfen in den Tagen, in den Jahren nach dem Attentat? Was hat Ihnen denn geholfen direkt nach dem Anschlag? – Sie können einfach ins Mikrofon sprechen, Sie brauchen es nicht einzuschalten.
Theo Kelz (Anschlagsopfer): Was mir nach diesem Anschlag in Klagenfurt am meisten geholfen hat, war natürlich meine Familie, die mir großartigst zur Seite gestanden ist. Meine Tochter, die heute auch hier ist, hat mich genau an diesem wunden Punkt getroffen, und zwar habe ich ja immer gesagt: Aufgeben tut man nur einen Brief!, und da ist sie zu mir ans Krankenbett gekommen und hat gesagt: Papa, ich sage dir nur eines: Aufgeben tun wir nur einen Brief (Beifall), und wir werden schauen, dass diese Sache wieder hundertprozentig weitergehen wird!
Und so, muss ich ganz ehrlich sagen, sind meine Frau, meine Tochter, meine gesamten Geschwister, Freunde, Kollegen, die mir da wirklich tatkräftigst zur Seite gestanden sind, wirklich diejenigen Faktoren, durch die eben das Leben nach einem solchen Anschlag - - Man muss sich einmal vorstellen: Man wacht auf und hat keine Hände mehr, überhaupt keine. Was soll man jetzt machen? Man muss schauen, dass einem irgendjemand hilft. Und da haben meine Frau, meine Tochter und alle meine Geschwister und alle Kollegen und Freunde, alle mich unterstützt, und deswegen ist es mir gelungen, aus diesem nicht einfachen Weg wieder herauszukommen. Ich bin neun Monate nach diesem Anschlag wieder arbeiten gegangen und habe dort natürlich mit meinen Kollegen versucht, das Ganze wieder in Angriff zu nehmen. Das hat wirklich super funktioniert, und ich habe bis zu meinem 60. Lebensjahr meinen Dienst als Polizeibeamter in der Polizeidirektion Klagenfurt durchgeführt, und das natürlich – denn Beschäftigung ist die beste Therapie - hat mir am meisten geholfen; und auch in Zukunft.
Und meine ganzen Reisen, die ich vor meinem Unfall getätigt habe – ich bin da gemeinsam mit meiner Tochter, vorher schon, in der Welt herumgereist, nach Afrika, nach Kanada, Alaska und in viele andere Gebiete. China war die letzte Reise, da sind wir dann zurück, und man sieht – und das muss ich natürlich in dieser großen Runde mitgeben –: Man muss einfach zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer bestimmten Örtlichkeit sein. Ich bin mit meiner Tochter von China nach Hause gefahren, weil meine Tochter krank geworden ist – meine ursprüngliche Rückkehr war erst für Ende Oktober geplant gewesen –, und so musste ich schon am 24. Oktober in Klagenfurt bei der Renner-Schule meinen Dienst als Sprengstoffexperte ausüben, und dabei ist es bei dieser Renner-Schule zu diesem fatalen Unfall gekommen, wo eben beim Untersuchen dieses Sprengkörpers - eines Rohrs, circa 60 Zentimeter lang, 12 Zentimeter im Durchmesser - dieser ganz genau dann in die Luft gegangen oder hochgegangen ist, wenn ich so sagen darf. Während natürlich der Inhalt des Rohres großteils schon entfernt war, ist der Rest noch hochgegangen, und das hat solche Auswirkungen gehabt, dass ich beide Hände verloren habe, und auch mein Augenlicht. Als ich dann munter geworden bin, ist meine Tochter am Krankenbett gestanden und hat zu mir gesagt: Papa, eines sage ich dir, aufgeben tun wir nur einen Brief und sonst nichts, und wir werden dich in allen Bereichen unterstützen, wo es nur möglich ist! - Und so war es auch. (Beifall.)
Sandra Szabo: Herr Schliefsteiner, Sie haben sich intensiv mit den polizeilichen Ermittlungen rund um die Briefbombenserie befasst. Was hat Sie denn daran persönlich besonders beschäftigt?
Paul Schliefsteiner (Jurist, Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies): Persönlich besonders beschäftigt oder überrascht: Es gibt natürlich so Aspekte, wie sie heute angesprochen wurden - der Herr Volksgruppenvorsitzende hat es gesagt, natürlich im Zusammenhang mit Oberwart: es ist heute hoffentlich unvorstellbar, dass sozusagen die Opfer als Erste verdächtigt werden, bis hin zu Hausdurchsuchungen –; bis zu einem gewissen Grad natürlich auch, was dadurch alles ins Rollen gekommen ist in der Modernisierung der Polizei.
Da muss ich jetzt das Klischee der Insel der Seligen bedienen: Das sieht man irgendwie auch, denn das sehen wir sozusagen immer wieder, dass größere Terroranschläge oder Terrorserien hier zu Modernisierung und Professionalisierung geführt haben.
Aber was mich insgesamt in der Befassung mit den Brief- und Rohrbomben fasziniert hat – das würde ich gerne ansprechen, weil heute mehrfach sozusagen die Erinnerung, die Aufarbeitung betont worden ist –: Gefühlt geht das ab 2000 so runter. Ich habe immer wieder festgestellt – auch in meinen Publikationen –, dass nach der Verhaftung von Franz Fuchs und dem Prozess, bei dem er so aufgetreten ist, wie er aufgetreten ist, offenbar das Kapitel zugemacht wurde und danach eigentlich nur mehr zu halbrunden und runden Jahrestagen eine mediale Auseinandersetzung irgendwo passiert ist, aber forscherisch eigentlich kaum irgendetwas. Das war für mich immer sehr spannend.
Sandra Szabo: Das ist die langfristige Beobachtung von Ihnen. Wie politisch war denn aus Ihrer wissenschaftlichen Sicht der Terror damals?
Paul Schliefsteiner: Ui, das ist sozusagen eine aus meiner Sicht schwer zu beantwortende Frage, insofern als Fuchs eindeutig – wenn wir jetzt davon ausgehen, was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch so war, dass er ein Einzeltäter war, dafür ist er ja auch verurteilt worden – die BBA war, und in den Bekennerschreiben haben wir diese klar rassistisch-antiziganistischen, teilweise antisemitischen Aspekte drinnen, und wir haben ganz klar Parallelen zum heutigen Rechtsterrorismus. Auf der anderen Seite war Fuchs kein Nationalsozialist, den Nationalsozialismus hat er abgelehnt, und – das mag jetzt bizarr klingen – Fuchs ging es, zumindest in seiner Darstellung und Rechtfertigung, sehr viel um die Gleichheit. Also für ihn waren die anderen - - Ja, ich verstehe die Reaktion, aber er hat sozusagen nicht mit der Gefährlichkeit der anderen - -, sondern die erheben sich über sozusagen die gewöhnlichen Bürger.
Bei Fuchs – und das ist jetzt meine laienpsychologische Meinung, die Frau Professor wird das vielleicht anders sehen, aber was ich so herauslese – geht es ganz viel um ihn selbst, und er viktimisiert Menschen sozusagen, die teilweise wohl Aufmerksamkeit bekommen haben, teilweise ist es vielleicht auch eine Rebellionshaltung. Wir haben all diese Elemente, aber es ist ein bisschen schizophrener, es ist nicht ganz so eindeutig, wie wir es heute haben, aber es sind eben all diese rassistischen Elemente da. Aber die Frage ist eben: Wie viel kommt aus ihm heraus, wie viel kommt aus der Umgebung?
Wolfgang Gombocz, der auch mein Professor war, hatte dazu eine ganz klare Meinung: dass das das Milieu der Südsteiermark war. – Ich finde, das ist bisher ein bisschen zu wenig erforscht.
Sandra Szabo: Sarah Gärtner-Horvath, Sie studieren ja auch Geschichte. Hängt das Interesse an diesem Studium auch mit Ihrer persönlichen Geschichte zusammen, mit der Geschichte der Volksgruppe der Roma, mit den Ereignissen?
Sarah Gärtner-Horvath: Ich habe Geschichte als Zweitfach gewählt, auch aufgrund der Volksgruppe. Ich studiere ja auch im Burgenland, und da wird eben auch stark auf die Volksgruppen eingegangen. Das ist sehr erfreulich, dass wir auch noch so viel über die Volksgruppe gelernt haben.
Sandra Szabo: Sie arbeiten ja ganz intensiv mit Kindern und mit Jugendlichen, mit der nächsten Generation. Wie schaffen Sie es denn da, Lernräume zu schaffen, in denen es keine Angst gibt?
Sarah Gärtner-Horvath: In letzter Zeit ist es bei den Kindern und Jugendlichen häufig auch zu Vorfällen gekommen, bei denen sie mit Diskriminierung in der Schule zu kämpfen hatten oder auch noch immer haben, und wir, die Lernbetreuung, schauen eben, dass wir mit den Kindern viel darüber sprechen, was es überhaupt heißt, Volksgruppenangehörige zu sein, warum sie jetzt mit Hass oder mit gewissen Beschimpfungen konfrontiert werden. Die Kinder wissen, dass sie mit uns über alles sprechen können, und es ist schon notwendig gewesen, dass wir auch mit den Lehrkräften und mit den Schulen Kontakt aufnehmen.
Sandra Szabo: Gibt es da etwas, von dem Sie sagen, das würde Ihnen ganz praktisch in Ihrem täglichen Alltag helfen, da wäre noch mehr Unterstützung notwendig?
Sarah Gärtner-Horvath: Oft ist es eben bei Lehrkräften – oder allgemein bei Menschen – der Fall: Solange es mich nicht betrifft, hört man einfach weg. Wenn man dann aber selber betroffen ist, dann engagiert man sich einfach viel mehr. Ich würde mir eben wünschen, dass Lehrkräfte diesen Rassismus viel ernster nehmen würden, konkrete Maßnahmen setzen und auch Konsequenzen ziehen würden und eben auch die Eltern aufklären würden, denn meistens kommt das eh vom Elternhaus – die Stereotype, die eben den Kindern weitergegeben werden.
Sandra Szabo: Danke schön.
Frau Prof. Lueger-Schuster, ein Einblick in die Praxis: Sie haben in Ihrer Keynote immer wieder die psychosoziale Versorgung eingemahnt. Wie könnte die denn heute, 30 Jahre später, aussehen? Ist das überhaupt möglich, drei Jahrzehnte später?
Brigitte Lueger-Schuster: Da würde man meinen, das ist alles viel zu spät. Das stimmt aber nicht. Es gibt in Wien beispielsweise Esra, das ist die psychosoziale Versorgung für Holocaust-Überlebende und ihre Nachkommen, die in einer extrem gekonnten Art und Weise einfach diese gesamte Bevölkerungsgruppe adressieren – mit einer Vielfalt an Angeboten, sei das betreffend die psychosomatischen Beschwerden, die entstehen, sei das Unterstützung in der Kindererziehung, sei das ganz einfach Alterspsychotherapie, wo man dann so ein Stück validieren kann: Was ist in meinem Leben geschehen?, um auch irgendwann Zufriedenheit und Ruhe zu finden. Also es ist nie zu spät. Und man kann mit Sicherheit ein ähnliches Ambulatorium auch für die Volksgruppen anbieten; das ist zum Beispiel für die Kärntner Slowen:innen geschehen, für die Esra ein Angebot gestellt hat. Also es ist nie zu spät.
Ich denke, man kann noch sehr, sehr viel erreichen, auch wenn es nicht unmittelbar nach diesem Attentat zu einer Hilfe kam. Man kann immer noch lernen: Wie kann ich trotz dieser Biografie zu einem guten Leben kommen? Denn eines ist auch klar: Das Trauma kann man nicht wegtherapieren, aber die damit verbundene Reaktion kann man deutlich mildern: Man schreckt nicht mehr in der Nacht hoch, weil – keine Ahnung – irgendjemand seine Flasche auf die Straße fallen hat lassen, sondern hört es nicht einmal, weil man einfach ein Stück weiter entspannt ist. Man muss sich nicht fürchten, man findet eine gute Antwort auf rassistisches Mobbing in der Schule. Man kann seinen Kindern vieles mitgeben, damit sie selbstbewusst, aber auch empathisch in die Schule gehen können, wenn die Eltern eine gute Möglichkeit hatten, diese ganzen transgenerationalen Traumata, die weitergegeben worden sind, auch zu verarbeiten – oder eben auch die jungen Menschen, so wie Sie es sind.
Sandra Szabo: Als Professorin für Psychotraumatologie sprechen Sie oft von Resilienz. Das ist ein Wort, das wir individuell vielleicht schon kennen, aber: In welchem Zusammenhang steht es denn mit der Volksgruppe der Roma?
Brigitte Lueger-Schuster: Ich habe vorhin schon versucht, das ein Stück klarzumachen. Wir haben diese Kumulierung von Traumata über die Jahrhunderte hinweg, ganz massiv dann mit Beginn des 20. Jahrhunderts, bis hin zum Terrorattentat und allem, was danach kam, und da gibt es einfach eine unfassbare Überlebenskompetenz. Man sieht, da haben sich Menschen auf die Hinterbeine gestellt und haben gesagt: Uns steht zu, wir brauchen, wir möchten, wir sind im Dialog, wir sind gemeinsam, wir sind heute hier, wir können uns vertreten, wir können für uns eintreten, wir können uns aber auch für andere einsetzen! Man ist empathisch, man hat Vertrauen zu anderen, man hat sich ein Stück normalisiert. – Das verstehe ich unter Resilienz, und das speist sich aus Faktoren wie Optimismus, Selbstwirksamkeit, Humor, sozialer Verbundenheit und auch aus dem inneren Gefühl, sicher zu sein – nicht nur die äußere Sicherheit ist es, die da zählt –, und das kann ein Ergebnis von guten therapeutischen Verläufen sein.
Sandra Szabo: Sicherheit ist ein Stichwort, das mich gleich zu Ihnen führt: Was braucht es denn an heutiger Sicherheitsausstattung? Wie schätzen Sie das ein?
Paul Schliefsteiner: Das ist ein bisschen schwierig. Wir haben ja die Thematik und die Debatte sozusagen über erweiterte Rechte, neue Technologien, und hier wird man sicher mit der Zeit gehen müssen. Das ist – ganz kurz – auch historisch der Fall: Mit dem Fall Franz Fuchs hatten wir dann die Streitdebatte über Rasterfahndung und großen Lauschangriff, das wurde dann eingeführt und hat Gott sei Dank nicht zum Polizeistaat geführt. Aber die heutigen Themen sind natürlich ein bisschen weiter führend.
Ich denke, was es immer braucht, sind Ressourcen und natürlich – da bin ich jetzt leider zu wenig informiert – Anlaufstellen, das heißt, dass die – wenn wir es jetzt konkret auf die Roma runterbrechen – Ansprechpartner haben, vielleicht sozusagen niederschwellig, bevor etwas passiert ist, bevor man etwas zur Anzeige bringt, wo man hingehen kann und sagen kann: Du, dieses und jenes ist vorgefallen, könnt ihr euch das anschauen?, und die einschlägigen Institutionen, sei das die Polizei, seien das die Landesämter für Extremismus- und Terrorismusbekämpfung, einfach sagen: Okay, das ist jetzt noch keine strafrechtliche Anzeige, aber wir sind wachsam.
Das ist sozusagen in den wenigen Opfergesprächen, die ich führen konnte, auch ein Thema, das – und das haben wir heute ja auch gehört – dann schon einmal sozusagen die Schwelle ist – oder früher war; ich hoffe, es ist heute anders –, sich an die Exekutive, an die öffentlichen Stellen zu wenden: weil man eben selbst in Verdacht gerät oder nicht ernst genommen wird.
Und ganz generell – das ist vielleicht vorhin noch zu kurz gekommen, und es hat jetzt nicht so sehr mit dem Thema Sicherheit zu tun –, weil Sie es angesprochen haben: Was aus meiner Sicht in der Beschäftigung auch generell fehlt, ist sozusagen die Opferperspektive, also jetzt sowohl für die Roma, für Oberwart konkret, aber auch generell. Wie gesagt, das fällt dann ziemlich ab, es geht sozusagen großteils nur um Fuchs und um den Verlauf, das aber ist kaum angeschaut worden. Es ist ja auch angesprochen worden, dass das natürlich nicht leicht ist – wir haben mit Zeitzeugeninterviews et cetera dieses Thema des Wiedererlebens des Traumas –, aber ich denke mir: 30 Jahre danach – wenn man noch lange zuwartet, wird es die Möglichkeit, mit den Zeitzeugen und denjenigen, die es unmittelbar erlebt haben, zu sprechen, nicht mehr geben.
Sandra Szabo: Sarah Gärtner-Horvath, wie schätzen Sie denn diese Darlegungen ein? Können Sie sich das vorstellen: Aufarbeitung mit den Hinterbliebenen, Zeitzeug:innenarbeit?
Sarah Gärtner-Horvath: Damit haben Sie vollkommen recht, dass bald keine Zeitzeug:innen mehr da sind und dass es jetzt bald auch geschehen muss. Ich persönlich könnte es mir schon vorstellen, aber es ist ja nicht von mir abhängig, sondern von den betroffenen Personen. Und es ist eben schwierig, einzuschätzen, wie viel Interesse überhaupt da ist, beziehungsweise ob man das bewältigen kann aufgrund der Traumata.
Sandra Szabo: Es ist auch immer wieder die Rede von der Gefahr des Vergessens. Wie kann man denn das verhindern – sodass der Terroranschlag, das Gedenken vor allem, in die Erinnerung rückt?
Sarah Gärtner-Horvath: Ich kann jetzt nur von mir sprechen: Als zukünftige Lehrkraft ist es mir eben wichtig, dass ich die Geschichte der Roma und auch das Attentat beziehungsweise allgemein die örtliche Geschichte meinen Kindern dann näherbringe. Es sollte eben auch die Aufgabe unserer Gesellschaft sein, dass wir uns mit der örtlichen Geschichte und allgemein mit der Geschichte Österreichs auseinandersetzen. Sobald man beginnt, zu vergessen, macht man eben Türen auf, dass sich die Geschichte wiederholt, und das sollte auf keinen Fall passieren.
Sandra Szabo: Danke schön.
Theo Kelz, ich habe in Interviews mit Ihnen immer wieder gelesen, dass Sie nie Hass gespürt haben. Wie ist denn das möglich?
Theo Kelz: Ja, das ist vollkommen richtig. Hass- und Rachegefühle sind die schlechtesten Begleiter, die ein Mensch, dem etwas Schlimmes widerfahren ist, überhaupt haben kann, denn dadurch behindert er sich nur selbst in seinem Fortkommen, dass er sich wieder in die normale Gesellschaft integriert. Er muss alles daransetzen, dass es einfach möglich ist, dass man selber wieder auf die Beine kommt und selber wieder das tun kann, was einem Freude macht. Ich zum Beispiel bin begeisterter Motorradfahrer und ich habe fast alle Kontinente dieser Erde bereist, und das mit meinen neuen Händen. Viele haben gesagt, das ist nicht möglich, das wird nicht gehen – und es geht alles, wenn man will und wenn man daran glaubt. Ich habe daran geglaubt, dass ich zwei neue Hände bekommen werde, und so ist es auch geschehen an der Innsbrucker Klinik, wo eben ein großartiges Ärzteteam unter der Leitung von Herrn Prof. Margreiter und von Frau Prof. Hildegunde Piza diese großartige Transplantation einmalig in Österreich durchgeführt hat. Prof. Margreiter hat mir nach 50 Stunden mitgeteilt: Herr Kelz, wir haben Ihre beiden Hände, Ihre neuen Hände transplantiert, und es ist ein voller Erfolg geworden! – Da können Sie sich vorstellen, meine geschätzten Damen und Herren, welche Freude und welcher - -
Sandra Szabo: Glück?
Theo Kelz (fortsetzend): - - welcher großartige Schwung durch einen geht, wenn man sieht, dass der Lebenswunsch, den man gehabt hat, in Erfüllung geht. Und wenn da die ganze Familie mithilft und auch darüber hinaus – und Rache- und Hassgefühle sind die schlechtesten Begleiter überhaupt –, dann kommt man sehr, sehr viel weiter und man kann auch arbeiten, so wie ich gearbeitet habe, bis zum 60. Lebensjahr, und dann ist das Ganze natürlich auch von Erfolg gekrönt.
Sandra Szabo: Vielen Dank. (Beifall.)
Theo Kelz, was wünschen Sie sich denn für die Zukunft?
Theo Kelz: Was ich mir für die Zukunft wünsche, ist eines: Dass solche Anschläge beziehungsweise solche Taten, wie sie von Franz Fuchs durchgeführt worden sind, nie mehr passieren mögen. Da sieht man eben, wie weit man mit Rache- und Hassgefühlen, egal gegen wen auch immer, kommen kann. Deswegen kann ich alle nur ersuchen, sollte da nur irgendwo ein geringes Rache- oder Hassgefühl aufkommen, dagegen aufzutreten und zu sagen: Freunde, mit dieser Sache kommen wir nicht weiter, wir müssen versuchen, andere Wege einzuschlagen, dann werden wir das Ganze auch entsprechend machen können.
Sandra Szabo: Danke schön.
Frau Professorin, wir sind schon in der Schlussrunde, und so ein Tag wie heute ist natürlich auch immer Gelegenheit, nach vorne zu blicken. Jetzt weiß ich schon, die Prophetie ist meistens nicht so das Geschwisterpaar der Wissenschaft, aber: Wenn Sie an die nächsten 30 Jahre denken, gibt es etwas, was Sie als Wunsch in die Zukunft legen wollen?
Brigitte Lueger-Schuster: Ja: Also es wäre wunderbar, wenn es keine Menschen mehr gäbe, die unter so massiven Traumatisierungen leiden; wenn es nur mehr in einem geringen Anteil eine intergenerationale Weitergabe von Traumata gäbe und wenn es ausreichend Kenntnis und Wissen darüber gäbe, wer was in der psychosozialen Versorgung ganz einfach braucht. Das könnte schon erzielt werden, wenn es gelänge, Volksgruppen zum Beispiel als voll integrierten Bestandteil einer Gesellschaft zu sehen; dass man nicht mehr sagt: Das ist die Mehrheitsgesellschaft und das sind die Volksgruppen, sondern: Das sind wir in Europa. – Das könnte ich mir gut vorstellen. Wie das wissenschaftlich erreichbar ist und was wir da unterstützen können, weiß ich allerdings an dieser Stelle auch nicht.
Sandra Szabo: Danke schön.
Auch an Sie die Einladung, ein bisschen in die Zukunft zu blicken: Gibt es etwas, wo Sie gerne stehen würden, was Sie gerne in 30 Jahren hier sehen, hier besprechen würden?
Paul Schliefsteiner: Ui, also ich muss gestehen, da würde ich jetzt einfach an das anschließen – denn das ist der Historiker in mir –, dass man einfach sagt: Man hat die verbliebene Zeit noch genutzt, hat das eben auch aus der Perspektive der Opfer, der Exekutivbeamten, die unmittelbar betroffen waren, gut dokumentiert. Und: In 30 Jahren ist der letzte Vorfall dann sozusagen 60 Jahre her, sage ich jetzt einmal so, und kein neuer absehbar. – Das wäre wahrscheinlich so die Hoffnung und der Wunsch.
Sandra Szabo: Sarah Gärtner-Horvath, in 30 Jahren sind Sie ziemlich sicher noch mitten im Berufsleben. Was erhoffen Sie sich denn?
Sarah Gärtner-Horvath: Ich würde mir wünschen, dass dann meine Kinder und eventuell auch Enkelkinder mit den Stereotypen, mit denen die Kinder und Jugendlichen und eben auch ich zu kämpfen haben, nicht mehr zu kämpfen haben. Und, wie die Frau Professor schon gesagt hat, dass wir wir sind – und nicht die Minderheit oder dass es eben die Mehrheitsgesellschaft gibt und die anderen oder dass wir eben auch abgestempelt werden als die „Menschen zweiter Klasse“, unter Anführungszeichen. Das würde ich mir wünschen.
Sandra Szabo: Damit danke Ihnen, danke Ihnen allen für die Inputs in dieser Gesprächsrunde. Der Dialog ist noch nicht zu Ende.
Ich darf jetzt noch einmal die Balkan Combo mit zwei Musikstücken zu uns bitten; das zweite werden Sie vermutlich erkennen. Wenn Sie wollen, können wir gerne gemeinsam noch hier am Podium bleiben und von hier aus zuhören, diese Perspektive ein bisschen genießen.
Es folgen Musikstücke.
(Beifall.)
Sandra Szabo: Vielen herzlichen Dank der Balkan Combo, vielen herzlichen Dank Ihnen! Theo Kelz ist auch in unserer jetzt schon erweiterten Runde. Danke Ihnen fürs Dasein, fürs Mitdiskutieren, Im-Gespräch-Bleiben, für das Intensivieren des Gesprächs. Auch darum geht es jetzt gleich weiter.
Im Namen des Parlaments darf ich Sie nun auf den Empfang hinweisen, und es steht noch ein besonderer Moment auf dem Programm – darauf freue ich mich schon sehr, sehr lange, diesen jetzt anzukündigen –, ein sogenanntes Speed-Dating, und zwar mit den Bereichssprecherinnen und Bereichssprechern, die bereits auf Sie warten; sie freuen sich schon auf Sie, auf einen informativen Austausch. Sie werden an den Tischen rechts von Ihnen, links von mir zu finden sein. Das Gespräch geht weiter, der Dialog wird intensiviert – herzlichen Dank.
Ich wünsche Ihnen in diesem Sinne noch einen bereichernden Nachmittag. – Danke schön. (Beifall.)