Die Veranstaltung beginnt mit einem Musikstück.
(Beifall.)
Daniela Kraus (Moderation, Generalsekretärin des Presseclub Concordia): Herzlichen Dank an Jakob Steinkellner fürs In-die-freudige-Laune-Bringen und für die musikalische Begleitung durch den heutigen Nachmittag.
Mein Name ist Daniela Kraus, ich bin die Generalsekretärin des Presseclub Concordia und ich freue mich sehr, dass wir, wie schon seit 15 Jahren, auch heuer wieder die Concordia-Preise hier im Herzen der Demokratie verleihen können.
Ich freue mich sehr, Sie heute hier begrüßen zu dürfen, und es ist mir eine Freude, zuerst die Gastgeber:innen der heutigen Veranstaltung begrüßen zu dürfen: die Dritte Nationalratspräsidentin Doris Bures (Beifall) und Parlamentsdirektor Dr. Harald Dossi. (Beifall.)
Der Präsident des Nationalrates Walter Rosenkranz, die Präsidentin des Bundesrates Andrea Eder-Gitschthaler und der Zweite Präsident des Nationalrates Peter Haubner sind terminlich verhindert und können daher der Veranstaltung leider nicht beiwohnen.
Es ist mir eine Ehre, Bundesministerin Anna Sporrer in unserer Mitte begrüßen zu dürfen – herzlich willkommen, Frau Ministerin! (Beifall.)
Ich darf außerdem namentlich begrüßen: Klubobmann Werner Kogler (Beifall), Bundesminister außer Dienst Rudolf Anschober (Beifall), den Präsidenten des Bundesrates außer Dienst Herwig Hösele (Beifall) und die Dritte Präsidentin des Nationalrates außer Dienst und unserer liebe Juryvorsitzende für die Concordia-Preise Dr. Heide Schmidt: Hallo, liebe Heide! (Beifall.)
Begrüßen möchte ich natürlich auch die Vertreter und Vertreterinnen des Presseclub Concordia, und stellvertretend für das Präsidium Petra Stuiber, unsere Vizepräsidentin. (Beifall.)
Und ganz herzlich begrüßen möchte ich die Preisträger und Preisträgerinnen Johannes Greß und Christof Mackinger, Barbara Tóth und Armin Thurnher – sie kriegen natürlich noch ausgiebig Applaus; ganz, ganz, ganz herzlich willkommen! (Beifall) – sowie die Laudator:innen Maria Windhager, Naz Küçüktekin und Franz Schuh. (Beifall.)
Ein: Herzlich willkommen!, auch allen anwesenden aktiven und ehemaligen Abgeordneten zum Nationalrat und Mitgliedern des Bundesrates und natürlich allen Vertretern und Vertreterinnen aus den Medien, der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Politik. – Herzlich willkommen! (Beifall.)
Und jetzt darf ich das Wort an die Dritte Nationalratspräsidentin Doris Bures für die Eröffnungsworte weitergeben. – Herzlichen Dank! (Beifall.)
Eröffnungsworte
Doris Bures (Dritte Präsidentin des Nationalrates): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Daniela Kraus, vielen Dank für die freundliche Begrüßung! Sehr geehrte Frau Juryvorsitzende Heide Schmidt! Liebe Frau Vizepräsidentin Petra Stuiber! Frau Bundesministerin Anna Sporrer, es ist mir eine große Freude, dass auch du heute bei uns bist! Herr Parlamentsdirektor! Aber vor allem: Verehrte Preisträgerin und liebe Preisträger! Es ist mittlerweile, und darauf wurde schon Bezug genommen, gute Tradition, dass die Verleihung der Concordia-Preise für besondere publizistische Leistungen hier im österreichischen Parlament, eben dem Herzen der Demokratie, stattfindet, und ich möchte Ihnen auch sagen, dass es mir eine große Freude und auch Ehre ist, Sie hier begrüßen zu dürfen und heute auch ein bisschen die Schirmherrschaft über diesen Abend zu übernehmen.
Demokratie, Freiheit und unabhängiger Journalismus, das ist eine existenziell notwendige, ich würde fast meinen, eine symbiotische Kombination, weil das eine ohne dem anderen nicht geht, doch sowohl die parlamentarische Demokratie wie auch Journalismus, der sich und seine Aufgabenstellungen ernst nimmt, wir alle haben schon bessere Zeiten erlebt. Demokratischer Diskurs funktioniert nur, wenn es ein gemeinsames Verständnis über faktische und empirische Grundlagen gibt. Auf deren Basis kann dann ein fairer, demokratischer Wettbewerb, begleitet eben auch von kritischer journalistischer Berichterstattung stattfinden, nach zivilisierten, konsensualen demokratischen Regeln, mit ausgewogenen Checks and Balances.
Dieses Rahmenregelwerk der demokratischen Willensbildung ist heute nicht mehr unumstritten, ja, ich würde sagen, es wird sogar heftigst attackiert. Plumpe Autokratien verhehlen heute gar nicht mehr ihre Verachtung für liberale Demokratien, die Meinungsfreiheit und die Menschenwürde. Sie inszenieren sich stolz und eitel als so etwas wie ein überlegenes Modell der effizienten Machtausübung, von Putin über Erdoğan, von Trump bis zu seinen Techmilliardären mit all ihren Allmachtsfantasien.
Demokratie, Humanismus und die Meinungsfreiheit durch unabhängigen Journalismus, wir alle kämpfen im Moment wahrlich gegen zunehmende Widerstände, und das nicht zum ersten Mal in der Geschichte. Umso wichtiger ist es mir, die Gelegenheit heute wahrzunehmen, um auch Ethik und Verantwortungsgefühl – eben Journalismus – den Rücken zu stärken, denn ökonomischer, politischer, sozialer Druck wirken heute stärker denn je auf seriösen Journalismus. Die verzerrende Konkurrenz durch US-Onlinegiganten lässt fairen Wettbewerb fast als Illusion erscheinen. Dazu kommen politische Verirrungen wie Message-Control und simplifizierte Freund-Feind-Schemen, und beides ließ den Journalismus zum Feindbild werden – Stichwort Fake News, Stichwort Lügenpresse.
Und was eben auch noch neu ist, das ist die Glaubwürdigkeitskrise der Medien und des Journalismus. Bislang war zwar die Politik immer wieder im Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik – daran hat man sich schon gewöhnt –, neu ist jedoch, dass auch die Medienlandschaft großem Rechtfertigungs- und Legitimationsdruck ausgesetzt ist. Ich denke, dass man diesem, im Übrigen wie auch jenem in der Politik, nur durch Integrität, Professionalität und Transparenz begegnen kann, und ich denke, dass es auch so etwas wie eine gesunde Distanz des Journalismus zur Politik und zur Wirtschaft braucht. Das kann da schon auch hilfreich sein.
Der heutige Preisträger Armin Thurnher, der für sein Lebenswerk geehrt wird, die Preisträgerin Barbara Tóth und die Preisträger Johannes Greß und Christof Mackinger, sie stehen mit ihrem Wirken jedenfalls in der Tradition eines ethischen und verantwortungsvollen, seriösen und faktenverpflichteten Journalismus, der sich eben nicht dem Mainstream-Opportunismus anbiedert. Dies sind selten gewordene journalistische Leistungen, die wir heute hier auszeichnen und auch noch gebührend am heutigen Abend würdigen werden.
Ich darf Ihnen jetzt schon sehr herzlich dazu gratulieren und ich wünsche uns allen einen interessanten, einen informativen und vielleicht auch einen verbindenden gemeinsamen Abend hier im Hohen Haus. – Vielen Dank. (Beifall.)
Daniela Kraus: Ganz herzlichen Dank!
Ich möchte an dieser Stelle auch den Gebärdensprachdolmetscher:innen ganz herzlich danken, die hier die anstrengende Aufgabe übernehmen, alles zu übersetzen. Vielen Dank und einen Applaus! (Beifall.)
Und schon gebe ich die Bühne für einleitende Worte der Concordia-Vizepräsidentin und stellvertretenden Chefredakteurin des „Standard“ Petra Stuiber frei. Danke, liebe Petra, dass du heute hier sprichst. – Unser Präsident Andreas Koller entschuldigt sich krankheitshalber, und ich freue mich sehr, liebe Petra Stuiber, dich nach vorne bitten zu dürfen. (Beifall.)
Einleitende Worte
Petra Stuiber (Vizepräsidentin des Presseclub Concordia): Daniela hat mir aufgetragen, ich muss alle noch einmal schön begrüßen. Ich tue mein Bestes, okay? – Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrter Herr Minister a. D.! Sehr geehrter Herr Vizekanzler a. D.! Sehr geehrter Herr Parlamentsdirektor! Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident a. D.! Sehr geehrte Frau Stadträtin! Sehr geehrte liebe Heide Schmidt! Sehr geehrte Abgeordnete – ich sehe sehr viele, und ich freue mich wahnsinnig darüber, weil das nämlich nicht immer so ist! Liebe Preisträgerin, lieber Preisträger, liebe Preisträger! Liebe Laudatorinnen und lieber Laudator! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich und ich bin ein bisschen aufgeregt, dass ich heute hier stehen darf und ein bisschen zu euch sprechen darf.
Wie wir alle wissen, ist heuer ja ein sehr wichtiges Jahr des Gedenkens: 80 Jahre ist das Ende des Zweiten Weltkriegs her, der Zusammenbruch der Naziherrschaft – ein ganzes langes Menschenleben schon! Man könnte auch sagen: Nicht einmal ein ganzes langes Menschenleben, und schon müssen wir wieder diskutieren, ob sich Geschichte nicht vielleicht doch wiederholen könnte auf die eine oder andere Art, ob Demokratie, Rechtsstaat, freie, unabhängige Medien vielleicht für einige – hoffentlich nicht für allzu viele – nicht mehr die höchsten aller Werte sind, die unser Land, die unsere westlichen Demokratien ausmachen.
Wir müssen nur über den Atlantik blicken, um zu sehen, woher der Wind weht, und wir müssen uns nur ein bisschen in der näheren Umgebung umschauen, um zu erkennen, welche Saat hier ausgesät wird.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Mit dem Ausschluss klassischer Medien aus Press-Briefings des Weißen Hauses fängt es an, zuletzt die AP. Warum werden sie ausgeschlossen? – Weil sie sich weigern, den Golf von Mexiko auch so zu benennen. Es geht weiter mit der Weigerung der Pressesprecherin, Fragen von Journalistinnen und Journalisten überhaupt zuzulassen. Es wird fortgeführt mit der Abkanzelung von Reportern und Reporterinnen, die dennoch wagen, eine Frage zu stellen, die die Sprecherin des Weißen Hauses als nicht angemessen empfindet – angemessen im Sinne von, ob denn auch die guten Intentionen des Präsidenten in dieser Frage entsprechend gewürdigt werden. Es setzt sich fort mit Klagsdrohungen und tatsächlichen Klagen gegen Medien, die es immer noch wagen, kritische Berichterstattung zu machen. – So ließe sich das fortsetzen, wenn man nach Amerika blickt. Jede Woche kommt ein Stückchen dazu.
Vor Kurzem ist der australisch-britische Historiker Sir Christopher Clark in Wien gewesen. Er ist in der Hofburg beim Bundespräsidenten gewesen, bei einer Feierlichkeit eben zu 80 Jahre Kriegsende, und er hat dort vom Ende dessen, was wir einst Moderne nannten, gesprochen. Er sieht neben einem Zusammenbruch des Vertrauens in das Fachwissen der Wissenschaft und damit auch in die Glaubwürdigkeit von Behörden sowie in einer wachsenden Skepsis gegenüber Medien den Kern des Problems. Und er hat gesagt: Die Klatschmäuler des Internets haben die Informationsinitiative an sich gerissen. Die Krise der Zeit passiere nicht nur vor unseren Augen, sondern auch in unseren Köpfen.
Ich stimme mit Sir Clarks pessimistischem Befund und mit seiner Beschreibung des Status quo total überein, auch darin, dass er sagt, wir stünden vor einer Entscheidung zwischen der pluralistischen, rechtsstaatlichen Demokratie und einer Reihe von autoritären Alternativen – von der illiberalen Demokratie bis hin zu offener Gewalt und Willkürherrschaft.
Allerdings hat er seine Ausführungen dann damit geschlossen, dass er in Anspielung auf Österreichs Neutralität sagte, er hoffe nur, dass wir uns in dieser Frage nicht neutral verhalten würden. Das ist mir persönlich ein bisschen zu wenig, vor allem aus journalistischer Perspektive. Dieses Beschränken auf eine vage Hoffnung können wir Journalistinnen und Journalisten uns nicht leisten. Unsere Aufgabe ist es, zu recherchieren, nachzufragen, Hintergründe zu beleuchten, aufzuklären, aufzudecken, den Finger in die Wunde zu legen, sich nicht zu fürchten und nicht nachzulassen – niemals aufzugeben. Wenn wir heute nicht erkennen, dass wir für die Freiheit der Medien kämpfen müssen, wer wird denn dann am Ende für Demokratie und Rechtsstaat und Menschenrechte kämpfen?
Der „New Yorker“ ist heuer 100 Jahre alt geworden – ein legendäres Blatt. Und sein Chefredakteur David Remnick hat eine Reihe von Interviews und Podcasts gemacht und hat in einem dieser Podcasts gesagt, auf die Frage: Bei all diesen pessimistischen Befunden, was ist die Conclusio, wie tun wir? – Na was wohl? Wir machen immer weiter, was bleibt sonst zu tun?
Meine Damen und Herren, genau deshalb gibt es den Presseclub Concordia seit über 165, 166 Jahren. Was bliebe sonst zu tun, als Journalistinnen und Journalisten in ihrem Tun und in ihrer demokratiepolitisch wichtigen Rolle zu unterstützen? Und das ist im Übrigen auch der Sinn der Concordia-Preise. Die sind dazu da, dass wir jenen Anerkennung zollen, die eben nicht nachlassen, die immer wieder über das berichten, was andere gerne verdrängen. Und auch deshalb gibt es seit 15 Jahren hier in diesem Haus die Preisverleihung. Das ist das Haus der Demokratie. Da gehören wir hin, weil wir für unabhängigen und qualitätsvollen Journalismus stehen. Und ich danke Ihnen, Frau Präsidentin, dass Sie das auch so sehen und uns diesbezüglich stets und seit Jahren bestärken und unterstützen. Und ich danke Ihnen allen, die Sie aus der Politik hier sind und mit Ihrer Anwesenheit auch bestärken, dass Sie das anerkennen, was wir hier tun und dass Sie das schätzen, was wir hier tun, auch wenn es manchmal unbequem ist.
Wir sind jedes Jahr stolz auf unsere Preisträgerinnen und Preisträger. Ich bin das auch heute ganz besonders und möchte schon einmal im Voraus gratulieren, ich werde es dann noch oft tun. Aber wir sind auch deswegen stolz, weil sie von einer so hochkarätigen Jury unter der Leitung von Dr. Heide Schmidt ausgewählt wurden.
Ich möchte Ihnen, Frau Dr. Schmidt, und der Jury ganz besonders danken. Ich weiß, ihr macht es euch nicht leicht – nie. Umso mehr wie gesagt freue ich mich für die Preisträgerinnen und Preisträger. Diese Preise – in Wien sagt man: Ohne Geld ka Musi! – haben ja auch potente Unterstützer, und auch dafür danke ich den Preisstiftern: Johannes Strohmayer von der Strohmayer Privatstiftung – die Strohmayer Privatstiftung stiftet den Preis für Pressefreiheit – und Marion Morales von der Bank Austria – sie stiftet den Preis für Menschenrechte. – Vielen Dank ihnen allen. (Beifall.)
Nur falls jemand mit unseren Usancen nicht so vertraut ist: Die Jury vergibt den Menschenrechtspreis und den Preis für Pressefreiheit, das Concordia-Präsidium den Ehrenpreis für das journalistische Lebenswerk – nur damit wir hier ganz korrekt sind.
Lassen Sie mich schließen mit dem Wahlspruch der „Washington Post“, den ausgerechnet Jeff Bezos bei der Übernahme der Zeitung von der Redaktion ausarbeiten ließ, jener Jeff Bezos, der nun, da Trump zum zweiten Mal regiert, in mancherlei Hinsicht so vorauseilend gehorsam agiert, was brandgefährlich ist für die Medienfreiheit. Dieser Wahlspruch – Sie kennen ihn alle – lautet: „Democracy Dies in Darkness“. Lassen wir alle nicht zu, dass das passiert! Lassen wir einfach nicht nach! – Vielen Dank. (Beifall.)
Daniela Kraus: Vielen Dank, Petra Stuiber.
Ich gebe jetzt das Wort an Heide Schmidt, die Vorsitzende der Jury. – Bitte, liebe Heide.
Jurybegründung
Heide Schmidt (Juryvorsitzende): Einen schönen guten Tag! Ich mache diese Aufgabe in der Jury jetzt schon ziemlich lang und ich empfinde sie als sinnvoll und wichtig. Ich muss aber zugeben, dass ich sie auch immer belastender empfinde. Und damit meine ich nicht den Arbeitsaufwand, den kenne ich im Übrigen auch schon aus anderen Jurys, da habe ich seinerzeit mit anderen gemeinsam den von Bürgerinnen und Bürgern geschaffenen Ort des Respekts jeweils ausgezeichnet. Und ich sage Ihnen, das war damals eine Arbeit, die beglückend war, während die jetzige depressive Spuren hinterlässt. Es war nämlich so schön seinerzeit, all diese Beispiele zu lesen, was Menschen bereit sind, alles Gutes zu tun – einfach so. Und jetzt muss ich die Beispiele dafür lesen, was Menschen alles bereits sind, Schlechtes zu tun – einfach so.
Es ist eine Binsenweisheit, dass der Mensch eben beides kann, beides tut. Und es ist nun einmal die Aufgabe des Journalismus, beides sichtbar zu machen, damit Konsequenzen daraus gezogen werden für das Verhalten, für die Spielregeln, für Zieldefinition, für Sanktionen. Damit der Journalismus diese Aufgabe erfüllen kann, muss er frei und unabhängig sein, qualifiziert und engagiert, seinem Berufsethos verpflichtet und mutig. Gerade wenn man die vielen Einreichungen gelesen hat, dann spürt man, wie sehr es auf ein differenziertes Wahrnehmungsvermögen ankommt und welchen Mut es oft braucht, einfach nur seinen oder ihren Job zu machen.
Ich gehe davon aus, dass viele von Ihnen Timothy Snyders Büchlein „Über Tyrannei“ kennen und seine „Zwanzig Lektionen für den Widerstand“. Die erste lautet: Leiste keinen vorauseilenden Gehorsam. Die anderen 19 sind nicht weniger wichtig, aber wenn Journalistinnen und Journalisten gegen dieses erste Gebot verstoßen, dann hat das besonders verheerende Auswirkungen für die Demokratie, und du hast es genau in dieser Form auch angesprochen.
Es sind also nicht nur die von der Politik geschaffenen Rahmenbedingungen für den Journalismus wichtig, sondern vor allem, wie jede und jeder Einzelne damit umgeht, und in dem Zusammenhang darf ich auch auf die letzte der Lektionen, auf die Nummer 20, verweisen, die lautet: Sei so mutig wie möglich. Ich weiß schon, dass das hier vielleicht Eulen nach Athen tragen heißt, aber ich finde einfach, bei einer solchen Veranstaltung gehört es einfach wieder gesagt.
Die zum Thema Pressefreiheit eingereichten Beiträge bieten eine ganz breite Palette von Portraits über Verfechterinnen und Verfechter dieses Grundrechts im In- und Ausland über die Information über die unterschiedlichsten Druckmittel mit ihrer Auswirkung und ihrer Systematik, von der Wichtigkeit des Faktenchecks bis zum Versuch, Menschen eine Stimme zu geben und Themen eine Stimme zu geben, die in der Berichterstattung aus unterschiedlichsten Gründen bisher nicht an die Öffentlichkeit gelangt sind.
Wir haben uns für einen Beitrag von Barbara Tóth entschieden, die der doch überwiegenden Unreflektiertheit ihrer Branche in diesem einen Fall, um den es geht, in diesem einen tragischen Fall, mit Verantwortung und Rechercheaufwand entgegengetreten ist. Alexandra Föderl-Schmid – Sie wissen es – war Opfer einer perfiden Strategie der Rechten: Ein Skandal wurde erfunden, Föderl-Schmid diskreditiert und verleumdet und in weiterer Folge von einem Medienportal und den sozialen Medien tagelang nahezu verfolgt. Fast die ganze Branche hat relativ zugeschaut eine Zeit lang. Tóth recherchierte, stellte richtig, deckte auf. Und das Ergebnis war nicht nur eine Rehabilitierung Föderl-Schmids, sondern hoffentlich auch ein Aufrütteln und Nachdenken darüber, wie man künftig mit solchen Situationen umgehen wird, die eine Bedrohung für Mensch und System sind. – Danke. (Beifall.)
Die Einreichungen zum Thema Menschenrechte waren noch deprimierender zu lesen. Sie reichten von Diskriminierungen unterschiedlichster Art, die das Leben der Betroffenen nachhaltig und extrem beeinträchtigen, wobei die Gesellschaft weitgehend wegschaut, von alleingelassenen Gewaltopfern, von Krieg und dessen Traumata, von der humanitären Dimension, von Konflikten, von menschenverachtenden Wohnsituationen und ihrer Unentrinnbarkeit, von Gefangenschaft und Flucht – um nur einige Beispiele zu nennen.
Wir haben uns für einen im „Standard“ erschienenen Bericht der freien Journalisten Johannes Greß und Christof Mackinger entschieden, die den Titel trägt „Donau-Kreuzfahrten - Ausbeutung inmitten von Luxus und Flussromantik“. Ein Bericht der internationalen Arbeitsorganisation der UNO, der ILO, war für sie Anlass, sich mit den Arbeitsbedingungen von Beschäftigten auf Donaukreuzschiffen zu beschäftigen. Und dabei ergab sich ein verheerendes Bild der Menschenverachtung und Ausbeutung. Ihre Recherchen zeigten auch die verzweigten, undurchschaubaren Rechtskonstruktionen, derer sich der Anbieter, der sich zynischerweise als Familienunternehmen geriert, bedient. Die ausgebeuteten Beschäftigten finden sich in einer wehrlosen Situation, die Luxusreisenden ahnen nicht, welch menschenverachtendes Modell sie mit ihrer Buchung bedienen. Die beiden Journalisten haben hingesehen, wo kaum jemand hinsieht, mit ihrer Arbeit ausgeleuchtet, wie Menschenrechte verletzt werden und hinter welchen glitzernden Paravents das erfolgreich versteckt wird. – Danke. (Beifall.)
Und im Übrigen bin ich der Meinung, dass Armin Thurnher den vom Präsidium verliehenen Preis in der Kategorie Lebenswerk mehr als verdient. Ich freue mich und gratuliere. – Danke. (Beifall.)
Es folgt ein Musikstück.
(Beifall.)
Daniela Kraus: Danke, Heide Schmidt und stellvertretend auch an die ganze Jury, denn es ist wirklich ein Haufen Arbeit, wenn ich das auch einfach einmal so sagen darf.
Preisträger in der Kategorie Menschenrechte
Daniela Kraus: Wir schreiten zur ersten Laudatio und ich darf Naz Küçüktekin, Journalistin und Laudatorin für die Preisträger in der Kategorie Menschenrechte, nach vorne bitten. (Beifall.)
Naz Küçüktekin (Laudatorin in der Kategorie Menschenrechte): Vor genau zwei Tagen circa um diese Uhrzeit wurden in Wien die Wahllokale geschlossen. Wienerinnen und Wiener wählten in den Stunden und Tagen zuvor, wer sie in den nächsten Jahren im Gemeinderat und in den Bezirken vertreten soll. Wie Wien gewählt hat, wissen wir mittlerweile. Wobei, so ganz wissen wir es eigentlich nicht, denn rund ein Drittel aller Menschen im wahlfähigen Alter durfte am Sonntag ihre Stimme nicht abgeben. Ihnen fehlt der österreichische Pass und damit das Mitspracherecht.
Wer diesen erhält, also die österreichische Staatsbürgerschaft, ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer mehr zu einer Frage des Geldes geworden. Menschen, die an der Supermarktkassa stehen, die Kranke und Ältere pflegen, die unsere Gebäude reinigen, die uns Essen liefern, wenn wir bei verregnetem Wetter selbst nicht hinausgehen wollen, diese Menschen verdienen selbst, wenn sie Vollzeit arbeiten, meist nicht genug, um die österreichische Staatsbürgerschaft zu beantragen.
Das ist – anders kann man es kaum sagen – eine demokratische Schieflage – eine Schieflage, die vor allem Arbeiterinnen und Arbeiter betrifft; eine Schieflage, die vor allem auch Menschen mit Migrationsbiografien betrifft; eine Schieflage, die nicht einfach passiert ist: Sie ist das Ergebnis von politischen Entscheidungen – Entscheidungen darüber, wer dazugehört und wer draußen bleiben muss. Diese Menschen, die draußen bleiben müssen, haben keine Stimme in diesem Land – in diesem Land, in dem sie arbeiten, dessen Gesellschaft sie bilden, in dem sie Leben und ganze Systeme aufrechterhalten.
Was bedeutet das für unsere Demokratie? – Eine Demokratie lebt davon, dass möglichst viele mitbestimmen können, dass nicht nur jene entscheiden, die die meisten Ressourcen haben oder die lautesten Stimmen. Ich glaube nicht daran, dass man jemand anderem eine Stimme geben kann, jede und jeder hat eine eigene, unersetzbare Stimme. Aber ich glaube daran, dass man helfen kann, dass Stimmen Gehör finden.
Wir als Journalistinnen und Journalisten können das zum Beispiel. Wir können jenen, die sonst überhört werden, dabei helfen, aus ihrem Echo hervorzutreten, indem wir uns fragen, wem wir eine Bühne geben und wem wir eine Plattform bieten. Gerade heute, wo Populismus, Desinformation und Polarisierung zunehmen, braucht es verantwortungsvollen Journalismus mehr denn je. Journalismus, der nicht nur die Lauten lauter macht, sondern die Leisen hörbar, Journalismus, der die Realitäten aller Menschen sichtbar macht, nicht nur derjenigen, die am meisten Macht haben.
Ich kenne Christof und Johannes nun schon seit einigen Jahren. Wir sind Kollegen, Kolleginnen, Freunde, Freundinnen und Weggefährten. Uns verbindet viel, unsere Arbeit als Journalisten und auch das FYI-Kollektiv, das wir zusammen mit drei weiteren Kollegen, Milena Österreicher, Nadja Riahi und Christian Bunke betreiben. Aber vor allem verbindet uns unser gemeinsames journalistisches Werteverständnis, wo wir hinschauen wollen und welche Stimmen wir laut ertönen lassen möchten.
In Johannes’ und Christofs Arbeiten kommen oft jene Stimmen zu Wort, die man sonst weniger hört, Menschen, die nicht nur überhört werden, sondern oft auch ausgebeutet. Und manchmal oder oft liegt diese Ausbeutung gar nicht so fern, wie man glauben möchte, wie etwa auf den Donaukreuzfahrten, die hier vor unserer Haustür anlegen.
Am Deck genießen Touristen, Touristinnen die Aussicht auf Wien, auf Burgen und Weinberge, auf das malerische Donautal, sie feiern auf Sonnendecks, speisen in schicken Restaurants, lassen sich vom Fluss treiben und glauben an ein Stück Luxus und ein Stück Romantik.
Doch unter Deck sieht die Welt ganz anders aus: Dort schuften Arbeiter und Arbeiterinnen aus Osteuropa oder Südostasien bis zu 14 Stunden am Tag. Sie reinigen Kabinen, schleppen Gepäck, servieren Menüs, schrubben Decks für Löhne, die kaum zum Leben reichen, ganz zu schweigen von fairen Arbeitsbedingungen. Während oben Flussromantik herrscht und Wohlstand inszeniert wird, bleibt ihre Arbeit unsichtbar, ihre Geschichten bleiben ungehört, ihre Realität wird ausgeblendet.
Auch diese Zustände sind kein Zufall, sie entstehen dort, wo Rechte ausgehöhlt werden, wo Schutzmechanismen bewusst unterlaufen werden und wo Arbeitskraft billig gehalten werden soll – koste es, was es wolle.
Auch sie sind Teil jener, deren Stimmen wir hörbar machen müssen, denn nur wenn wir auch die leisen Stimmen hören, wird unsere Gesellschaft gerechter. Nur wenn wir die Arbeit der Unsichtbaren sichtbar machen, kann sich auch wirklich etwas verändern. Nur wenn wir Journalisten und Journalistinnen als Bürgerinnen und Bürger, als Mitmenschen Verantwortung übernehmen, brechen wir die Echokammern auf, die so viele Menschen zum Schweigen bringen.
Aber es geht nicht nur darum, einzelne Stimmen hörbar zu machen, es geht darum, Strukturen sichtbar zu machen, die diese Stimmen lange überhört haben. Es geht darum, die Mechanismen zu hinterfragen, die bestimmen, wer spricht und wer nicht sprechen darf. Es geht um Fragen wie: Warum wird es manchen Menschen so schwer gemacht, eine österreichische Staatsbürgerschaft zu bekommen, oder wieso können Menschen aus Osteuropa oder Südostasien kommen, über Subunternehmen in Ländern wie Zypern beschäftigt werden und zu Dumpinglöhnen auf Kreuzfahrtschiffen arbeiten? Es geht nicht nur um Einzelfälle, es geht nicht nur um einzelne Geschichten, es geht um Systeme, die Ungerechtigkeit ermöglichen und Ungleichheit reproduzieren. Es geht darum, all diese Fragen zu stellen und Räume neu zu denken – Räume, in denen alle gehört werden, nicht nur wenige.
Das haben Johannes und Christof mit dem Artikel, der heute zu Recht mit dem Concordia-Menschenrechtspreis ausgezeichnet wird, getan. Es war mir eine Ehre, diese Laudatio zu halten. (Beifall.)
Daniela Kraus: Danke ganz herzlich dafür. Könntest du für ein Foto noch vorne bleiben? Ich ersuche jetzt Johannes Greß für die Preisträger, Petra Stuiber und Marion Morales für die Bank Austria nach vorne zur Übergabe der Urkunden und zu einem Foto, und ich würde doch sagen, dass die Laudatorin auch am Foto drauf ist, am besten. – Bitte, Johannes.
Und während die Urkunden übergeben werden, unterhält uns Jakob mit ein paar Tönen.
Mit musikalischer Untermalung erfolgt die Übergabe der Auszeichnung.
(Beifall.)
Daniela Kraus: Bitte, Johannes. – Johannes Greß.
Johannes Greß (Preisträger in der Kategorie Menschenrechte): Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Menschen, die 800 Euro für eine 70-Stunden-Woche bekommen, Stundenlöhne von unter 3 Euro, das klingt irgendwie nach Sweatshop, nach Kakaoplantage, nach Kindern in Kobaltminen; aber um auf Menschen zu stoßen, die zu solchen Bedingungen arbeiten, muss man nicht in den globalen Süden schauen, es reicht ein Spaziergang zum Wiener Hafen. Dort polieren einige von ihnen womöglich gerade die Kronleuchter jener Luxusdampfer, die im Sommer zu Tausenden von Passau ans Schwarze Meer fahren. Wie gibt es das bei uns hier im beschaulich sozialpartnerschaftlichen Österreich?
Zuallererst: Solange ein Stundenlohn von 3 Euro für einen Philippiner attraktiv genug ist, dass er nach Österreich zum Arbeiten kommt, läuft etwas grundsätzlich falsch, und einmal am Schiff hat er wenig Möglichkeiten, sich zu wehren. Sein Arbeitsplatz ist auch sein Wohnort, Stress mit dem Chef kann bedeuten: Zurück in die Heimat!
Und wer soll ihm helfen? Für Gewerkschaften und Behörden sind die Schiffsbediensteten kaum zu erreichen. Die Schifffahrtsbranche ist in höchstem Maße intransparent. Zur Erinnerung – es wurde heute schon einige Male genannt –: Das größte Schifffahrtsunternehmen hierzulande firmiert lediglich als sogenanntes Reisebüro, bezeichnet sich zwar selbst als Familienunternehmen, beschäftigt aber Arbeiter:innen über Subunternehmen in der Schweiz, in Zypern und in Rumänien.
Insofern freut es mich ganz besonders, dass mit diesem Preis vielleicht – hoffentlich – die Schifffahrtsbranche wieder etwas mehr Aufmerksamkeit bekommt.
Wir, mein Kollege Christof Mackinger und ich, dürfen uns an dieser Stelle bei vielen Menschen bedanken, die sehr großen Anteil an dieser Recherche haben. Wie immer gibt es in den Gewerkschaften, aber auch in der Schifffahrtsbranche Menschen, die etwas an solchen untragbaren Bedingungen verändern wollen. Sie haben uns mit Infos versorgt, sie haben Sachverhalte erklärt, sie haben Kontakte weitergegeben. – Danke dafür.
Großer Dank gilt auch unseren Kolleg:innen vom FYI-Kollektiv – ganz besonders Naz für die nette Laudatio –, die das oft einsame Arbeiten als freie Journalisten um ein Vielfaches angenehmer machen. Unser Dank gilt natürlich auch dem Presseclub Concordia, der Jury sowie dem Parlamentspräsidium.
Besonders hervorheben möchten wir das Netzwerk Recherche sowie die Stiftung Munda, die diese Recherche finanziell unterstützt haben. Monatelang zu einem Thema zu recherchieren, ist für uns als freie, selbstständige Journalist:innen ohne Stipendium nicht möglich. Die Medienbranche ist unter Druck, Redaktionen bauen Stellen ab, kürzen Löhne – wir Freie bekommen das ganz besonders zu spüren.
Vielleicht wirkt das jetzt paradox: Ich stehe hier gerade und nehme im feierlichen Rahmen einen 5 000-Euro-Preis entgegen. Trotzdem oder gerade deswegen möchte ich darauf hinweisen: Das Leben vieler anderer freier Journalist:innen hat mit Prunk und Glanz wenig zu tun. Laut dem deutschen Honorarreport verdienten selbstständige Journalist:innen 2024 im Schnitt knapp 10 Euro netto pro Stunde, 1 600 Euro pro Monat – knapp über der Armutsgrenze. Und in Österreich ist die Situation im besten Fall nicht schlechter.
Das bringt mich zum letzten Punkt: Journalismus braucht bessere Rahmenbedingungen! Oft wird behauptet, dafür sei kein Geld da. Das stimmt nur zum Teil, denn in Form von Inseraten und Presseförderungen bekommen gerade die, die Lügen, Hass und Hetze auf Papier drucken, jährlich Millionen an Steuergeldern überwiesen. Und davon profitieren Parteien, die Lügen, Hass und Hetze zu ihrem Kerngeschäft gemacht haben. Der Präsident dieses Hauses, Herr Walter Rosenkranz, ist heute leider nicht da, aber vielleicht kann es ihm ja wer ausrichten: Es freut mich besonders, dass ausgerechnet der von seiner Partei zum – Verzeihung – Scheißblatt gekürte „Standard“ diesen Preis bekommt.
Vielen Dank auch an euch, an Josef Gepp, den Ressortleiter Wirtschaft, der mir immer wieder mit Rat und Tat zur Seite steht, und an Petra Stuiber und die gesamte Redaktion. – Ihr macht großartige Arbeit und ich würde mir wünschen, es gäbe in diesem Land viel mehr – noch einmal Verzeihung – Scheißblätter. (Beifall.)
Aber Journalismus, der die FPÖ zur Fäkalsprache motiviert, kostet Geld und braucht politische wie finanzielle Unabhängigkeit. Ich denke, wir haben alle zu Jahresanfang mitbekommen, was auf dieses Land, was auf den Journalismus in diesem Land zukommt, wenn die FPÖ das Sagen hat. Ich hoffe, die jetzige Regierung hat den Ernst der Lage erkannt, wer weiß, wie lange wir sonst hier in diesem Haus noch einen Preis für Menschenrechte und Pressefreiheit vergeben. – Vielen Dank. (Beifall.)
Daniela Kraus: Herzliche Gratulation an Johannes Greß und Christof Mackinger und auch vielen Dank für die Arbeit.
Ich darf jetzt Maria Windhager, allseits bekannte Medienanwältin, als Laudatorin für Barbara Tóth nach vorne bitten. (Beifall.)
Preisträgerin in der Kategorie Pressefreiheit
Maria Windhager (Laudatorin in der Kategorie Pressefreiheit): Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Liebe Preisträger:innen! Dr.in Barbara Tóth muss ich Ihnen nicht lange vorstellen, sie ist uns allen bereits als herausragende Journalistin, Wissenschafterin und Autorin bekannt. Sie ist leitende Redakteurin beim „Falter“ mit den Schwerpunkten Politik, Medien und Zeitgeschichte und wurde für ihre Arbeit bereits mehrfach ausgezeichnet.
Ich bin mit Barbara Tóth nicht befreundet und erst seit Kurzem per Du, sie ist mir aber schon lange vor allem wegen ihrer tiefgehenden Recherchen und ihrer kritischen Distanz aufgefallen. Sie stellt sich regelmäßig gesellschaftspolitischen Herausforderungen, und das außerordentlich professionell und informativ. Ich lese ihre Texte freiwillig und nicht nur berufsbedingt immer zu Ende, sie lässt also auch dauergestresste Leser:innen wie mich nicht los. Das klingt vielleicht banal, halte ich aber in Zeiten der digitalen Informationsflut für nicht mehr selbstverständlich.
Heute geht es um eine besonders zu würdigende Leistung von Barbara Tóth: ihre Berichterstattung zum Fall Föderl-Schmid. Der Fall hat einen sehr empfindlichen Nerv der Pressefreiheit getroffen: den Schutz von Journalist:innen, die zunehmend mit Hass und Hetze konfrontiert sind. Wie geht die Medienbranche damit um?
Dr.in Alexandra Föderl-Schmid, Magazinchefin, damals stellvertretende Chefredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, davor langjährige Chefredakteurin des „Standard“, ist eine der prominentesten Journalistinnen Österreichs. Ich habe in meiner Beratungstätigkeit als Medienanwältin für den „Standard“ jahrelang mit ihr sehr erfolgreich zusammengearbeitet und konnte mich selbst von ihrer journalistischen Integrität überzeugen.
Kurz zur Erinnerung: Das deutsche Branchenmagazin „Medieninsider“ warf Föderl-Schmid im Dezember 2023 vor, dass sie in ihrer Zeit als Israelkorrespondentin für die „Süddeutsche Zeitung“ aus Quellen zitiert, diese aber nicht transparent gemacht habe. Sofort sprangen rechte Medien auf diese Vorwürfe auf und produzierten einen Skandal.
Da half es wenig, dass Föderl-Schmid erklärte, wie es zu den – unter Anführungszeichen – „Auffälligkeiten“ gekommen war, und sich bis zur Klärung der Vorwürfe auf ein Tagesgeschäft zurückzog. Die „Süddeutsche Zeitung“ wiederum war mit der Skandalisierung ziemlich überfordert, zumal vermutet wurde, dass vertrauliche Informationen aus dem Haus an den „Medieninsider“ gespielt wurden. Die hausinternen Nachforschungen stießen erst recht auf breite Kritik in der Branche. Als die „Süddeutsche Zeitung“ verkündete, dass eine externe Kommission die Vorwürfe gegen Föderl-Schmid prüfen wird, half auch das wenig.
Anfang Februar ging es nämlich erst so richtig los, als der selbsternannte Plagiatsjäger anprangerte, Plagiate in der Dissertation von Föderl-Schmid gefunden zu haben. Er wurde, so stellte sich heraus, vom rechten Onlinenachrichtenportal „Nius“ bezahlt, wo diese Vorwürfe nach allen Regeln des Dirty Campaignings ausgeschlachtet wurden. Auf X legte der Chefredakteur von „Nius“ Julian Reichelt nach, er machte aus den Vorwürfen ein Politikum, indem er eine Verbindung zu den Plagiatsvorwürfen der „Süddeutschen Zeitung“ gegen Alice Weidels Dissertation herstellte. Reichelt wörtlich: „Und es ist eben kein Journalismus, inquisitorisch Plagiate zu jagen, wenn man selber seine Karriere aufs Abschreiben gebaut hat.“ – Zitatende. Häme und Hass gegen Föderl-Schmid waren die beabsichtigte Folge.
Barbara Tóth stieg am 6.2.2024 in den Fall ein und schilderte in einem „Falter“-Newsletter unter dem Titel: „Der Fall Föderl-Schmid und was die Rechtsaußenpresse daraus macht“ bereits sehr genau, was sich hier abspielte: „Frau, kritisch, exponiert – diese Kombination ist für die Far-Right-Bewegung und ihre Portale ein ideales Feindbild.“ – Zitatende. Sie erklärte nicht nur den Anlassfall für die Kritik, sondern machte auch transparent, wie Journalist:innen mit Quellen arbeiten. Und sie veröffentlichte am 7.2.2024 auf X einen wichtigen Thread zur Dissertation, den sie so einleitete: „Weil es mich jetzt als promovierte Historikerin (und Begutachterin von Masterarbeiten an der FH Wien) gereizt hat, habe ich mir die 292 Seiten starke Diss von @foederlschmid angeschaut, die @SprachPhilo unter ,schwerwiegenden Plagiatsverdacht‘ stellt“. – Zitatende.
Barbara Tóth hat also etwas gemacht, was eigentlich sehr naheliegend ist: Sie hat die Dissertation von Föderl-Schmid gelesen, sie hat sich durchgeackert. Sie hat sich das wohl auch zugetraut, weil sie selbst promoviert hat und wissenschaftliches Arbeiten beherrscht. Sie prüfte die Vorwürfe im Detail, ordnete sie sorgfältig ein und machte für uns Leser:innen transparent und nachvollziehbar, wie unverhältnismäßig, wie haltlos die Vorwürfe waren. Und sie fand deutliche Worte für die ungeheuerlichen Vorgänge: Treibjagd, Hetzkampagne.
Ihre Recherchen wurden dann auch im „Falter“ veröffentlicht, und viele andere Medien haben sich in der Folge auf ihre Recherchen berufen. Ohne ihre richtungsweisende Einordnung wäre die Berichterstattung über den Fall zweifellos ganz anders ausgefallen. Ich nehme an, die meisten Medien wären auch weiterhin ziemlich hilflos dem rechten Framing ausgesetzt gewesen und hätten dem – wie leider so oft – nichts entgegenzusetzen gehabt.
Warum war Barbara Tóth die einzige Journalistin zu diesem Zeitpunkt, die, wie sie selbst dazu sagt, ihren Job gemacht hat? Faktenjournalismus, Knochenarbeit, Check, Recheck, Double Check. Die Antwort ist: Das Naheliegende ist nicht immer ganz einfach. Im Gegenteil: Das Naheliegende erfordert oft besonders viel Mut. Naheliegend ist nämlich in solchen Fallkonstellationen auch, dass Barbara Tóth die Nächste sein würde, die angegriffen wird: Frau, kritisch, exponiert, mit einer starken Positionierung gegen rechte Hetze.
Damit hat Barbara Tóth gerechnet, es war ihr bewusst, dass sie damit in das Visier von rechts außen und des Plagiatsjägers geraten wird und auch ihre Dissertation geprüft werden wird. Sie hat sich von ihren Recherchen nicht abbringen lassen, sie hat Mut bewiesen und sie ist das Risiko eingegangen, ebenfalls von rechts außen zur Sau gemacht zu werden. Immerhin – und das muss besonders betont werden – konnte sie die Recherchen mit dem Wissen und der Zuversicht in Angriff nehmen, dass sie eine starke Redaktion hinter sich hat, eine Redaktion, die bereits interne Mechanismen etabliert hat, wie vorzugehen ist, wenn solche Angriffe kommen.
Barbara Tóth hat in der Folgeberichterstattung darauf hingewiesen, dass auch Medienhäuser ein spezielles Krisenmanagement für derartige Treibjagden brauchen. Und sie hat eine zentrale Frage gestellt: Wer zieht die Grenzen für die Menschenjagd im Netz, wenn die halbe Branche zuschaut?
Auf diese zentrale Frage gibt es schon einige Antworten, aber noch keinen gesellschaftspolitischen Konsens. Barbara Tóth wörtlich: „Denn allzu viele schauten dem wüsten Treiben im Internet zu, hielten sich zunächst zurück, warteten ab. Es betraf ja eine von der Konkurrenz, und außerdem: Wer weiß? Vielleicht würde ja noch etwas kommen. Vielleicht stimmt ja alles.“ – Zitatende.
Schutz und Unterstützung für eine Journalistin, tatkräftiger Einsatz und Sicherstellung von Pressefreiheit sehen anders aus. Wenn aber Medien, wenn Journalist:innen ihren Job nicht machen, verlieren sie nicht nur ihre Glaubwürdigkeit, ihr Job wird auch immer riskanter und gefährlicher. Die Ziele und Methoden von rechts außen sollten eigentlich schon hinlänglich bekannt sein: Qualitätsmedien systematisch diskreditieren, als Lügenpresse unglaubwürdig machen, kritische Journalist:innen herausschießen.
Zum Schutz von Journalist:innen brauchen wir daher wehrhafte Reaktionen. Sie müssen sich ihren Platz in einer lebendigen Demokratie zurückerobern, indem sie Themen setzen und sich positionieren, so wie es Barbara Tóth gelungen ist. Auch die Justiz muss in die Pflicht genommen werden, denn auch dort ist noch nicht ausreichend angekommen, wie gefährdet Journalist:innen sind. Für diesen Kampf braucht es auch finanzielle Mittel. Wenn Medienhäuser glauben, diesen auch rechtlichen Konflikten ausweichen zu können, sägen sie an ihrem eigenen Ast. Fest steht aber auch – und das stimmt mich zuversichtlich und soll heute gefeiert und gewürdigt werden –: Es gibt Journalist:innen wie Barbara Tóth, die besonders mutig und engagiert ihren Job machen. Bravo, Barbara! Und vor allem: Danke, Barbara! (Beifall.)
Daniela Kraus: Und bitte komm nach vorne. – Johannes Strohmayer, bitte, und Pezi Stuiber.
Mit musikalischer Untermalung erfolgt die Übergabe der Auszeichnung.
Daniela Kraus: Barbara Tóth.
Barbara Tóth (Preisträgerin in der Kategorie Pressefreiheit): Mir wurde gesagt, ich soll eine klassische Dankesrede halten, und die habe ich auch vorbereitet. Ich danke zuerst unseren Gastgebern, dem Parlament, dem Presseclub Concordia, dem Preisstifter und der Jury unter Vorsitz von Frau Heide Schmidt.
Es ist für mich heute ein besonderer Tag, weil so viele Menschen da sind, die mir lieb und wichtig sind. Ich danke zuerst dem „Falter“, meiner Redaktion, und bei dieser Gelegenheit, wir haben es heute schon gehört, möchte ich sagen, wie großartig es ist und wie dankbar ich auch dafür bin, in einer Redaktion zu arbeiten und nicht als Einzelkämpferin.
Wir sind im „Falter“ manchmal ein ziemlich streitender Haufen, aber genau dieser Widerspruch, dieses Ringen um die richtige Geschichte, den originellen Zugang und die beste Aufmachung, die macht am Ende unsere Texte so richtig gut. Ich möchte mich ganz besonders bei meinem Kollegen Martin Staudinger bedanken, der heute da ist, und bei meiner Kollegin Nina Horaczek, die nicht da sein kann. Beide haben mich in dieser schwierigen Geschichte, die sich ja über mehrere Tage und Wochen gezogen hat, begleitet, und Martin hat den Text, der dann im „Falter“ als Longread erschienen ist, wie immer fantastisch redigiert. Danke dafür. (Beifall.)
Es gibt einige Menschen, von denen ich sehr viel gelernt habe und die heute nicht da sein können. Auch sie möchte ich kurz erwähnen. Das ist zum einen Oliver Rathkolb, mein Lehrer und Mentor an der Universität Wien. Das ist zum anderen Karl Schwarzenberg, der leider schon verstorben ist, mit dem ich an einigen Buchprojekten arbeiten durfte und von dem ich sehr, sehr viele Lebensweisheiten gelernt habe. Und das ist Armin Thurnher. – Lieber Armin, wegen dir bin ich beim „Falter“ gelandet.
Dieser Preis ist natürlich wunderbar, aber der beste Preis in meinem Leben sind meine beiden Söhne. Ich habe das jetzt abgesprochen, und ich darf sie erwähnen – es ist ihnen nur ein bisschen peinlich –: Bruno und Joschka, ich habe euch wahnsinnig lieb und ich bin sehr stolz auf euch. (Beifall.)
Ja, und man sagt: „It takes a village to raise a child.“ – Ich habe das große Glück und Privileg, dass ich das in meinem Leben habe. Danke Martin, dem Papa von Bruno und Joschka, und auch seiner Lebensgefährtin, die, glaube ich, nicht da ist, Ditia. Danke für eure Unterstützung immer dann, wenn es bei mir eng wird, und das passiert leider öfters mal. Miki, dem Mann an meiner Seite: Danke für alles.
Ja, und ohne meine Eltern, die auch da sind, stünde ich heute nicht da. Sie haben mir die Liebe zu den Wörtern, aber vor allem auch den kritischen Blick auf alles, was uns umgibt, mitgegeben – sehr wahrscheinlich weil Deutsch nicht ihre Muttersprache war und sie auch nicht in Österreich geboren wurden. Ich sehe es vor mir, wie wir – ich ein Schulkind – beim Abendessen vor den Nachrichten sitzen, und da fällt im Fernsehen irgendein Wort, und wir alle sind uns nicht ganz sicher, was es bedeutet, und dann springt meine Mutter auf, läuft zur Kommode, wo das Wörterbuch immer griffbereit gestanden ist, und blättert nach, was dieses Wort wohl wirklich heißt und wie man es in anderen Formulierungen, in Synonymen wiedergeben kann. Und ziemlich sicher ist dann bei uns zu Hause beim Abendessen auch eine Diskussion darüber entstanden, wie man dieses Wort oder diese Formulierung im Tschechischen oder im Ungarischen sagen würde. Kurzum: Ich konnte eigentlich gar nichts anderes werden als Journalistin.
Somit: Köszönöm szépen, z celého srdce děkuji, danke euch und danke euch allen. (Beifall.)
Daniela Kraus: Danke dir und herzliche Gratulation!
Barbara Tóth: Danke!
Ehrenpreis in der Kategorie Lebenswerk
Daniela Kraus: Darf ich nun Franz Schuh ans Rednerpult bitten. Ich hoffe, die Höhe passt – sonst wäre da das Knopferl.
Franz Schuh (Laudator in der Kategorie Lebenswerk): Ich habe 8 Minuten. – Armin Thurnher steht in einer Reihe mit österreichischen Publizisten, die dem Land ein Gesicht gegeben haben. Na und? Das hat doch Hugo Portisch auch getan. Also gut: Armin Thurnher steht in einer Reihe mit den Publizisten, die dem Land ein Gesicht gegeben haben, das man im Lande nicht so gerne sieht.
Das Wort Publizist würde ich lieber nicht verwenden, denn dass ein Mann oder eine Frau, eine Publizistin, etwas publiziert, ist im Gegensatz zu dem, was damit gemeint sein will, inhaltsleer, nämlich bloßes Veröffentlichen, ein Formalismus: Veröffentlichen, egal was. Gemeint aber ist hier und heute: das Veröffentlichen von Öffentlichkeitswürdigem.
Der Publizistik Thurnhers, seiner Art zu analysieren, seinem Gesichterzeigen und seinem Gesichtermodellieren, haftet eine Art von Mitte, von Vermittlung an. Sein Österreich, also unser Österreich ist nicht so grauslich, wie das Teile der Österreichdichtung von Werner Schwab oder Josef Winkler zu Recht ans Licht bringen, nicht zu reden von Jelineks „Die Kinder der Toten“.
Thurnhers Publizistik bearbeitet das im Lande idiotisch Auseinanderfallende, das nicht Zusammenzubringende, die Triggerpunkte, das Zusammengehörige und die gut, manchmal gut funktionierende legal abgesicherte Korruption, der man auch durch Gesetze nichts anhaben kann. Es gilt ja die Unschuldsvermutung. Thurnher bearbeitet unsere schöne alte Welt durch die Mühsal des Versuchs der Revitalisierung von Aufklärung.
Die „Republik ohne Würde“, so heißt daher ein Buch Thurnhers, ein Buch, dessen Brennpunkt, die Würdelosigkeit, sich rasant wiederholt und zu einem Lauffeuer geworden ist. Vorsicht aber bei der Kritik am noch demokratischen System! Ich erlaube mir nicht, im Hohen Haus die Realsatiren zu zitieren, die die „Republik ohne Würde“ überliefert.
Thurnher ist der Sisyphus der österreichischen Publizistik, und Sisyphus – so Albert Camus – muss man sich als glücklichen Menschen vorstellen. Kein Wunder, dass dieser Satz von Camus in Zeiten wie diesen Gefahr läuft, allzu gängig zu werden – ein Satz, der versucht, das Unglück ganz ohne Kitsch ins menschenmögliche Glück umzuinterpretieren. Ich stelle mir Sisyphus nicht als glücklichen Menschen vor. Da es Sisyphus nicht gelingt, mit seinem Unglück aufzuhören, ist es bloßer Pragmatismus, es sein Glück zu nennen.
Meine Teilhabe an Thurnhers Glück war am intensivsten, als im Wiener Schauspielhaus das Buch präsentiert wurde, das Thurnhers Kolumnen in einem Band versammelte. Der sogenannte Sammelband zeigte, dass die journalistisch, also getrennt voneinander erscheinenden Kolumnen eine Erzählung bilden können, ein sogenanntes Narrativ. Das ist aber nur möglich, weil der Autor Armin Thurnher ein Schriftsteller ist, der journalistisch arbeiten kann. – Stupid, es ist nicht die Gattung, es ist die Schreibweise!
Wenn nun dieser Schriftsteller Thurnher weniger Publizist genannt sein soll, wie kann man, wie muss man Thurnhers Beruf aufgrund seiner Arbeit nennen? – Ich nehm’ mir dafür ein heikles Wort: Armin Thurnher ist ein Intellektueller. In erster Linie wird er auch als Intellektueller wahrgenommen, selbst von Leuten, die den Begriff gar nicht verwenden. Mit dem gerne totgesagten Typus des Intellektuellen tun sich die offiziellen Anerkennungsmaschinen Österreichs nicht immer leicht.
Dafür sind Intellektuelle in Österreich konkurrenzlos – es gibt im Land fünf oder sechs davon, so wenig, dass jeder von ihnen ein Monopol hat (Heiterkeit) und kaum einer, kaum eine mit seinesgleichen, mit ihresgleichen konkurrieren müsste. Ein Intellektueller, so steht es im Buch, begleitet die Institutionen des Staates und der Gesellschaft mit begründetem Widerspruch. Ich nenne zwei der „unheroischen Tugenden“, die Jürgen Habermas dem Intellektuellen zuschreibt – Zitat –: erstens „eine argwöhnische Sensibilität für Versehrungen der normativen Infrastruktur des Gemeinwesens“, zweitens „die ängstliche Antizipation von Gefahren, die der mentalen Ausstattung der gemeinsamen politischen Lebensform drohen“.
Damit ist Thurnhers Arbeitsplatz durch all die Jahre beschrieben und zugleich auch, wen er automatisch zum Feind hat: den Rechtsruck und seine mehr oder weniger extremistischen Exponenten.
Aus Eigeninteresse muss ein Intellektueller nicht zuletzt versuchen, die Institutionen der Öffentlichkeit, die sogenannten Medien, vor dem Schlimmsten zu bewahren – zum Beispiel das öffentlich-rechtliche System vor der Abschaffung oder auch nur der teilweisen Zerschlagung, wie es mehr oder weniger verschleiert propagiert wird.
Das hat heutzutage ein fundamentales Problem im Schlepptau: „in Österreich“, schreibt Armin Thurnher, „leben wir noch im Feudalismus, wenngleich wir alles tun, um ihn digital zu entstellen und auf postdemokratische Weise neu zu formulieren.“ Dagegen stellen sich Thurnhers Interventionen – in Rücksicht auf Karl Kraus und im Wissen und Gewissen von der Unnachahmlichkeit des Karl Kraus: „Journalismus“, so Thurnher, „ist eben nicht nur eine Unwahrheitsmaschine (oder nur in Teilen).“ Journalismus „hat in seinen besseren Teilen Methoden und Prozesse entwickelt, sich der Wahrheit anzunähern und sie faktenweise ans Licht zu bringen. Karl Kraus“, so Thurnher weiter, „genügte oft schon ein Wort, eine Phrase, [...] ein Zitat, um einen Lügner zu überführen. Seine Stärke waren das Ohr, mit dem er die falschen Töne hörte, mit denen die Weltverführer ans Werk gingen, und die Zunge, mit deren Schärfe er sie aus dem Lügenschlamm herauspräparierte.“ – Zitatende.
Man denke an das Paradox, dass im Stiftungsrat des ORF ein ausgedienter Altpolitiker sitzt, ein Politstrizzi, der für seine taktvolle Intellektualität weltbekannt ist und der auf einem Privatsender unaufhörlich den ORF, den er im Stiftungsrat voranbringen sollte, zum Teufel wünscht – unter der stupiden Wiederholung des Ausrufes: Zwangsgebühren, Zwangsgebühren!
Thurnher ist nun keinesfalls jemand, der in die austriazistisch organisierten Medien bloß hineinredet, ihnen gut oder böse zuredet. Thurnher ist selbst ein Medienunternehmer, der eine sagenhafte Fähigkeit bewiesen hat: Unglaublich, wie Armin Thurnher mehrere Redaktionen ersetzt hat – ersetzen musste – und wie er dabei die Qualität des Blattes verbesserte.
Ich will aber noch einen Text Thurnhers extra erwähnen, weil dieser Text die Auszeichnung hier besonders verdient. Es ist kein kritischer Text, kein satirischer Text, sondern es ist ein deskriptiver Text. Thurnher beschrieb ausführlich und detailliert die Zusammenarbeit und rettende Solidarität der Bevölkerung im Waldviertel nach einer verheerenden Überflutung der Thaya. Das Phänomen der Nachbarschaftshilfe ist bekannt, aber es wurde selten so präzise, so empathisch und vor allem so erinnerungswürdig beschrieben wie von Thurnher. Es ist ein Lehrstück für die praktische Zusammengehörigkeit von Menschen – anders als die traditionell spaltende Zusammengehörigkeitsrhetorik, mit der die Neovölkischen von sich reden machen.
Ein guter Intellektueller – ein richtiger Intellektueller – hat auch eine spielerische, eine künstlerische Seite. Dazu fällt mir ein berühmter Satz ein: „Man müsste Klavier spielen können“, und Thurnher kann Klavier spielen, aber wirklich. Öffentlich hat er mit dieser Fähigkeit gegeizt, aber es gibt Anzeichen dafür, dass er allmählich sein Coming-out in Angriff nimmt. (Heiterkeit.) Der nach Wittgenstein größte österreichische Philosoph, Heinz Conrads (Heiterkeit), hat gesungen: „Den Wurschtl kann keiner derschlagen!“ – Den Intellektuellen übrigens auf Dauer auch nicht. (Beifall.)
Daniela Kraus: Herzlichen Dank.
Das Foto mit Franz Schuh machen wir nachher.
Mit musikalischer Untermalung erfolgt die Übergabe der Auszeichnung.
(Beifall.)
Daniela Kraus: Danke, Franz Schuh.
Armin Thurnher.
Armin Thurnher (Ehrenpreisträger in der Kategorie Lebenswerk): Exzellenzen! Magnifizenzen! Verantwortungs- und Bedenkenträger und -trägerinnen! Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Freundinnen und Freunde! Ich habe zu danken: erstens dem abwesenden Andreas Koller und allen anderen Mitgliedern der Jury oder des Präsidiums, wie ich gelernt habe, der Concordia, die mir noch zu Lebzeiten den Preis für mein Lebenswerk zuerkannt haben; zweitens den Menschen von der Concordia selbst und der Chefin Daniela Kraus, die das alles hier so würdig gestaltet (Beifall); drittens dem Parlament und seiner Dritten Präsidentin Doris Bures, deren Anwesenheit uns präsidiale Peinlichkeiten erspart (Beifall); viertens natürlich Franz Schuh, der in Überwindung physischer Hemmnisse mein Werk so kritisch würdigt, wie ich es gerade noch ertrage. (Beifall.) Fünftens danke ich allen Menschen, Männern und Frauen, vor allem Frauen, die mich durchs Leben getragen, mich ertragen und mein Werk ermöglicht haben. Und selbstverständlich danke ich – sechstens – Ihnen allen, die Sie gekommen sind, es mit mir zu feiern, auch denen, die gar nicht meinetwegen hier sind.
Lassen Sie mich zuerst etwas zur Vorstellung sagen, ich hätte durch mein Wirken die Öffentlichkeit geprägt oder verändert. Ich fürchte, ich habe nichts dergleichen getan. Der heimische, also der hämische Boulevard welkt und melkt wie eh und je, „Kronen-Zeitung“ und Mediaprint fretten sich unzerschlagen in alter Muffigkeit fort, der ORF pfeift darauf, seine Pflicht als öffentlich-rechtliches Medium auch nur zu erkennen, und die Medienpolitik unterwirft sich den medialen Raubritter:innen im Lande und zieht es vor, statt Politik zu machen, Schutzgeld zu zahlen.
Was digitale Bildung betrifft, kann ich die schüchternen Versuche, wenigstens die Unterrichtsstunden in Schulen handyfrei zu machen, nicht meinem Wirken zuschreiben. Die substanzielle Ratlosigkeit im Umgang mit unserer durch und durch technooptimistisch kontaminierten digitalen Kommunikation fange ich hier nicht einmal an zu beschreiben, sonst erwürgt mich die Einsicht meiner diesbezüglichen Wirkungslosigkeit.
Sollte ich anfangen, dennoch an so etwas wie meine Wirkung zu glauben, brauche ich nur kurz daran zu denken, wie ich vor fast auf den Tag genau zehn Jahren gegen die kommunikative Dominanz der USA auf allen Gebieten ein europäisches Silicon Valley gefordert habe.
Hätte ich irgendwie gewirkt oder Österreichs Öffentlichkeit auch nur ansatzweise geprägt, wäre zumindest einiges davon anders.
Man soll nicht unbescheiden sein. Ich nehme den Preis fürs Werk auch ohne Wirkung. (Beifall.)
Und was ist mit dem „Falter“? – Ja, den „Falter“ habe ich mitgegründet und jahrzehntelang mitgeprägt – immerhin etwas. Zukünftige Historiker werden die „Falter“-Geschichte zuerst aber eher als Geschichte einer jahrzehntelangen Ausgrenzung interpretieren, ehe sie zu seiner Wirkungsgeschichte vorstoßen.
Vor allem jedoch ist zu sagen, dass der Mensch nicht allein wirkt, sondern nur zusammen mit anderen. Hier möchte ich meinen Mitgesellschaftern danken, vor allem aber meinem jahrzehntelangen Partner Siegmar Schlager, der als Geschäftsführer die selten mit Preisen geehrte Aufgabe erfüllt hat, ein Medienunternehmen auch ökonomisch erfolgreich zu machen, das wenig Wahrscheinlichkeit für einen solchen Erfolg in Anspruch nehmen konnte.
Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich in nunmehr 48 Jahren zusammengearbeitet habe. Das waren nicht wenige. Ein Lebenswerk ist nie das Werk eines Einzelnen. Der Erfolg des „Falter“ ist das Werk vieler Hunderter, wenn nicht Tausender Menschen; von den Leserinnen und Lesern ganz zu schweigen, die ihn auch dann nicht fallen ließen, wenn er einmal nicht so gut war.
Ich danke der jetzigen Redaktion des „Falter“ unter meinem Nachfolger Florian Klenk, die dieses Blatt in Reichweitenhöhen bringen, die ich nie und nimmer bewirkt hätte.
Ich danke auch meinen Verlegern Herbert Ohrlinger von Zsolnay, der nicht nur fünf politische Österreich-Bücher, sondern auch meine beiden Romane veröffentlicht hat, und Benedikt Föger vom Czernin-Verlag, der schon einen zweiten Band meiner Worte in Versen herausbrachte.
So, und jetzt fehlt mir die letzte Seite dieses Textes. Nein, sie ist da, sie klebt nur dran, glaube ich. – Ja, hier ist sie.
Zur Abrundung – diesen Vortrag hätte ich schon gerne abgerundet – des Lebenswerk-Bildes gehören Dinge, die hier gar nicht bepreist werden: Musiker, mit denen ich spielen und von denen ich hörend lernen durfte; meine Funktionen beim Klangforum, bei der Viennale und dem Community-TV Okto. Hier konnte ich vermutlich doch das eine oder andere bewirken, vielleicht auch, weil es dankenswerterweise kaum bemerkt wurde.
Werk und Merkung, reicht das schon für ein Lebenswerk? Man hat mir nachgesagt, der Entdecker und Ausbildner von Journalistinnen und Journalisten zu sein. Ich darf Sie in dieser Stunde aufklären: Ich habe niemanden erzogen, nicht einmal gebildet, geschweige denn ausgebildet. Ich hatte nur das Glück, die richtigen Leute anzuziehen und die richtigen abzustoßen, sodass sich um mich herum ein Milieu bildete, das sich selbst erzog.
Ich hatte bloß die Nerven, all diesen Leuten einen möglichst großen Freiraum zu geben – zumindest solange sie ihren Job machten und mich als Primus inter Pares akzeptierten. Da kamen und kommen dann die Talente zum Vorschein.
Aller offiziellen Propaganda zum Trotz ist das mediale Österreich in weiten Teilen eine Veranstaltung zur Eliminierung von Kreativität. Daran wollte ich mich nie beteiligen. Wie auch immer: Wirkungslosigkeit ist etwas Schönes, vor allem solange man nichts Böses bewirkt.
In diesem Sinne danke ich noch einmal für diesen schönen Preis und für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
Daniela Kraus: Herzlichen Dank und herzliche Gratulation an alle.
Vielen Dank für die Zeitdisziplin an alle Redner und Rednerinnen. Das heißt, wir können nachher in der Säulenhalle bei einem Glas Wein noch schön miteinander reden. Herzlichen Dank, dass auch das möglich ist.
Jakob Steinkellner gibt uns noch ein letztes Ständchen für heute, und dann übersiedeln wir rüber. (Beifall.)
Es folgt ein Musikstück.
(Beifall.)
Daniela Kraus: Gute Gespräche in der Säulenhalle! Ich bitte alle Redner und Rednerinnen noch für ein Foto nach vorne.