Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 35. Sitzung / Seite 156

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Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Herr Kollege, es wird doch ein Bereich aus mehreren Sätzen. Wenn Sie bitte den Schlußsatz jetzt beginnen und zu Ende führen.

Abgeordneter Rudolf Anschober (fortsetzend): Ich war jetzt in meinem Satz, Herr Präsident!

19.14

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Das war also der Schlußsatz. Ihre Redezeit ist abgelaufen, Herr Abgeordneter. Es tut mir leid. (Beifall bei den Grünen für den das Rednerpult verlassenden Abg. Anschober.)

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Gusenbauer. – Bitte, Herr Abgeordneter. (Abg. Anschober: So eine Genauigkeit würde ich mir sonst bei Ihrer Vorsitzführung auch wünschen!) Ganz bestimmt. Damit können Sie rechnen. (Zwischenrufe bei den Grünen.)

19.14

Abgeordneter Dr. Alfred Gusenbauer (SPÖ): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wurde heute in dieser Debatte des öfteren der Kalte Krieg strapaziert, die Neutralität unter anderem als ein Relikt dieses Kalten Krieges bezeichnet, in diesem Zusammenhang auch die NATO und die WEU ebenso als Teil der Logik des Kalten Krieges bezeichnet, und es stellt sich die Frage: Wenn man auf Basis der Erfahrungen des Kalten Krieges diesen überwinden will, was ist die neue Grundlage für eine Sicherheitspolitik in Europa? Und da ist doch das erste Ziel in diesem Zusammenhang, daß die vorhandene Spaltung Europas in Ost und West überwunden werden muß, das heißt, daß jede künftige Sicherheitsstruktur Europas vermeiden muß, erneut einen solchen Spalt durch Europa zu ziehen.

Wenn man sich dieser Zielsetzung stellt, dann muß es natürlich das erste Anliegen sein, die ehemaligen Gegner und Feinde in eine solche Sicherheitsstruktur miteinzubeziehen (Abg. Moser: Das macht man!) , zum Beispiel den gesamten Südosten, Osten und Zentralraum Europas. Wenn man nun an diese Frage herangeht, wie das zum Beispiel die NATO gemacht hat, die in der Berliner Erklärung durchaus einige Schritte in Richtung Europäisierung setzt, aber gleichzeitig gegenüber Rußland keine stichhaltige Sicherheitsgarantien abgeben hat können, was militärische Ausdünnung in den angrenzenden osteuropäischen Staaten, Garantie über die Nichtstationierung von Atomwaffen in diesen Bereichen und eine Reihe von anderen Garantien auch betrifft, dann muß man sich die Frage stellen: Ist Berlin ein Zwischenschritt, dem weitere in der NATO folgen werden, oder ist Berlin ein Schritt, der nur eine Einladung an Rußland sein soll, zu akzeptieren, daß die vormaligen Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes Mitglied der NATO werden können: ja oder nein?

Das ist aber eine Frage, die heute letztendlich relativ schwer zu beurteilen ist, wenn man zum Beispiel ein Rußland-Bild zeichnet, wie es auch heute hier in der Debatte getan wurde. Ich gebe schon zu, auch der jetzige Wahlsieger Jelzin mit seinem Kommilitonen Lebed ist nicht unbedingt das Gelbe vom demokratischen Ei, aber – das muß man dazusagen – natürlich wird wohl dieser Wahlsieg, da er ja auch aufgrund der breiten Unterstützung des Westens stattgefunden hat, zumindest als ein Signal der Stabilisierung der demokratischen Entwicklung in Rußland gewertet werden müssen.

Ich verstehe daher nicht, warum in der heutigen Debatte, gerade nach diesem Wahlergebnis, Rußland wieder in diese Ecke "Bedrohung aus dem Osten" gestellt wurde, als ob sich da nichts geändert hätte. Das ist mir offen gestanden etwas sonderbar vorgekommen, und dieser Eindruck, den ich dabei gewonnen habe, läßt mich auch nachdenken, wie verschiedene Ankündigungen der NATO in bezug auf das Verhalten gegenüber Rußland in Zukunft aussehen werden. Ist das nur im Kontext der russischen Wahlen zu sehen gewesen, ist das im Kontext der amerikanischen Wahlen, oder ist es tatsächlich eine Strategie, die in die Richtung geht, daß man sagt: Jawohl, es soll zwar auch in Zukunft NATO heißen, weil das Teil der Verlassenschaftsverhandlung des Kalten Krieges ist – und irgendwie muß ja der Sieger des Kalten Krieges  auch  festgestellt werden,  und das war eben die NATO und nicht der Warschauer Pakt


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