Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 82. Sitzung / Seite 150

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systematische Neustrukturierung eines strafrechtlichen Rechtsbereichs, sondern gerade in den am meisten umstrittenen Fragen des sogenannten großen Lauschangriffs und der Rasterfahndung um schmale Randbereiche, um Ausnahmsfälle polizeilicher Ermittlungsarbeit im Dienste der Strafjustiz.

Bei näherem Hinsehen erweist sich freilich die hohe Bewertung der anstehenden Entscheidung als durchaus berechtigt, handelt es sich doch in der Tat um sehr grundsätzliche Fragen von höchster Symbolkraft. Auf der einen Seite geht es um eine der möglichen Antworten auf die sehr ernste Herausforderung des Staates und der Gesellschaft durch organisierte, häufig grenzüberschreitende Kriminalität und um die Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden mit modernster Technik, auf der anderen Seite geht es um die Ermöglichung tiefer Eingriffe staatlicher Macht in die Privatsphäre und um heimliches – auch mit sozusagen amtlicher Täuschung verbundenes – statt offenes Ermitteln.

Damit, meine Damen und Herren, ist der Zusammenprall der Grundsätze und Werte programmiert, die Interessenabwägung heikel und die Entscheidung sicher schwierig. Deshalb meine ich, daß in diesen Fragen auch unterschiedlichen Abwägungen, Gewichtungen und Standpunkten demokratischer Respekt entgegenzubringen ist. Niemand von uns kann hier doch ganz unrecht haben. Vor der Erfahrung meiner eigenen Meinungsbildung glaube ich, daß wohl auch viele von Ihnen eine "innere Mehrheitsentscheidung" treffen werden.

Ich möchte für mich in Anspruch nehmen, in der mehr als zweijährigen und durchaus nicht überhastet geführten Diskussion, die hinter uns liegt, von Anfang an auf die schwierige Gratwanderung zwischen dem Streben nach Verbesserung der polizeilichen Ermittlungseffizienz auf der einen und der weitestgehenden Wahrung der Grund- und Persönlichkeitsrechte des einzelnen auf der anderen Seite hingewiesen zu haben. Diese Abwägung kennzeichnet zwar das Strafprozeßrecht insgesamt, deshalb ist es auch als angewandtes Verfassungsrecht bezeichnet worden, bei der Überwachung von Bürgern mit technischen Mitteln ist diese Abwägung aber aufs schärfste zugespitzt, und in den Kanzleien und Therapieräumen der Berufe mit besonderer Verschwiegenheitspflicht erreicht diese Zuspitzung ihre äußerste Kulmination.

Ich glaube, das ist uns im Laufe der Diskussion allen sehr bewußt geworden, auch wenn – was inzwischen doch wohl bekannt ist – nicht der bei einem solchen Vertrauensberuf Ratsuchende Zielperson heimlicher Überwachung sein darf, auch nicht, wenn er tatverdächtig ist, sondern nur der im Verdacht schwerer Kriminalität stehende Berufsgeheimnisträger selbst und auch dieser nur unter besonders exzeptionellen Voraussetzungen und mit ausdrücklicher Ermächtigung des Rechtsschutzbeauftragten.

Es geht in diesem Punkt daher glücklicherweise keineswegs um den Alltag der Strafrechtspflege, sondern, wenn überhaupt, um die extreme Ausnahme, also, wie ich meine, mehr um Theorie als um Praxis. Das sollten wir nicht aus den Augen verlieren, ebensowenig wie den Umstand, daß es auch in vergleichbaren europäischen Regelungen lauschfreie Zonen in der angesprochenen Art nicht gibt.

Das Bundesministerium für Justiz war, wie Sie wissen, meine Damen und Herren, kein Vorreiter der neuen Ermittlungsmethoden. Wir haben uns aber der konstruktiven Diskussion nie entzogen und den Blick auch über die Grenzen und auf die Regelungen und Praktiken anderer Rechtsordnungen gerichtet. So haben wir uns der Realität unserer Zeit und zugleich unserer rechtsstaatlichen Verantwortung von Anfang an gestellt. Das Regelungskonzept des Justizministeriums für die optische und akustische Überwachung, für den automationsunterstützten Datenabgleich und für die kleine Kronzeugenregelung, das wir im Spätsommer 1995 entwickelt und der Regierungsvorlage im Jänner 1996 zugrunde gelegt haben, hat meiner Überzeugung nach die Bewährungsproben vielfältiger Diskussion bestanden. Es hat auch internationale Anerkennung gefunden. Die nachfolgenden Erörterungen haben aber auch gezeigt, daß noch weitere Verbesserungen und Feinabstimmungen sowie ein zusätzlicher Ausbau des Rechtsschutzes und der Mißbrauchsbegegnung möglich waren. Das ist nicht zuletzt das Verdienst kritischer und skeptischer Stimmen sowie das Ergebnis eingehender, oft schwieriger Diskussion auf parlamentarischer Ebene. Das verdient volle Anerkennung.


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