Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 141. Sitzung / 92

14. September: Die Beneš-Dekrete haben nach Ansicht Fasslabends in einer rechtsstaatlichen Ordnung nichts verloren und gehören abgeschafft. – Nicht nur Harald Ofner, nicht nur Freiheitliche und andere Abgeordnete in den Bänken dieses Saales, sondern auch – wie ich zitiert habe – ein Regierungsmitglied der ÖVP und ein Abgeordneter der ÖVP sind der Meinung, daß das menschenrechtswidrig ist und entfernt werden muß!

Herr Außenminister! Du hast es in der Hand! Der Mantel der Geschichte – wie es so schön heißt – wallt durch den Saal. (Abg. Dr. Khol: Nicht der Mantel, der Geist!) Du kannst die Möglichkeit ergreifen, du kannst aber auch deine Verantwortung nicht wahrnehmen und die Dinge gleiten lassen. Du kannst dich darauf verlassen, daß du in Zukunft bilateral sicherlich weniger erreichen würdest, als es derzeit der Fall sein könnte. Ich glaube, daß dich die Geschichte aus der Verantwortung nicht entlassen wird, wenn du die Chance zugunsten der Menschenrechte in der Tschechischen Republik, zugunsten der Menschenrechte in Slowenien, zugunsten der Altösterreicher deutscher Zunge als Minderheit in dem einen und in dem anderen Staat jetzt nicht ergreifst. Du hast es in der Hand! Du hast den Fuß in der Tür! Noch gilt das Einstimmigkeitsprinzip innerhalb der EU. Du bist gefordert, dort als Repräsentant der Schutzmacht Österreich einzuschreiten! Du bist gefordert, auf diesem Sektor etwas zu tun! Du bist gefordert, dich nicht auf das Wohlwollen der anderen, das schon bisher nicht erwiesen worden ist, zu verlassen! Ich bitte dich, dieser deiner Verantwortung gerecht zu werden und die Menschenrechte und die betroffenen Altösterreicher deutscher Zunge in den beiden erwähnten Staaten nicht im Stich zu lassen! (Anhaltender Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Nowotny: Das ist hohes Pathos!)

15.19

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zur Beantwortung der Anfrage hat sich der Herr Vizekanzler gemeldet. Die Redezeit soll 20 Minuten nicht überschreiten. – Bitte, Herr Vizekanzler.

15.19

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Präsident! Hohes Haus! Ich weiß nicht, ob ich die Redezeitbeschränkung von 20 Minuten einhalten kann. Ich habe zahlreiche Fragen zur Beantwortung bekommen. Ich werde mich aber sehr bemühen, in diesem Zeitrahmen zu bleiben.

Zunächst möchte ich allgemein feststellen, daß uns in der Bewertung der Bedeutung der Menschenrechte, der Volksgruppenrechte, des Schutzes einzelner verfolgter Bürger überhaupt nichts trennt. Ich glaube nicht, daß es irgend jemanden hier im Haus gibt, ganz gleich, welcher der fünf Fraktionen er angehört, der nicht Solidarität mit den Opfern der Geschehnisse der damaligen Zeit, die ausgelöst wurden durch eines der dunkelsten Kapitel unserer Geschichte und die auch zu Folgeproblemen und zu sehr dunklen Kapiteln in der Geschichte unserer Nachbarländer geführt haben, und Mitleid im wahrsten Sinn des Wortes und die notwendige Verantwortung empfindet. Daran gibt es, wie ich meine, keinen Zweifel. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Allerdings muß man sehr wohl – das muß uns genauso erlaubt sein – die Frage aufwerfen: Welcher Weg führt zum Ziel? Welcher Weg ist der beste, um die Geschichte aufzuarbeiten? Ist es der richtige Weg, wenn man mit Drohungen und mit Junktims operiert, oder ist es der richtige Weg, daß man schrittweise versucht, die europäische Rechtsordnung in Ländern einzuführen, die bislang nur eine sehr, sehr bescheidene Tradition mit Rechtsstaatlichkeit, mit europäischer Integration, mit Menschenrechten, mit Minderheitenschutz und Volksgruppenrechten gehabt haben?

Ich glaube, das sollte man an den Beginn stellen. Wir haben uns – und das wurde von der überwältigenden Mehrheit dieses Hauses auch immer mitgetragen – für den schrittweisen Weg der Einbindung dieser Länder in die europäische Rechtsordnung, auch in die Menschenrechtsordnung, entschieden. Ich glaube, daß das ein kluger Weg ist, auf dem man weitergehen sollte.

Ich werde mir jetzt die Freiheit nehmen, die einzelnen Fragen, die sehr detailliert gestellt worden sind, auch im einzelnen zu beantworten. Ich setze voraus, daß der jeweilige Fragetext bekannt ist, sodaß ich die Frage nicht wiederholen muß.


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