Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 58. Sitzung / Seite 47

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Ich selbst hatte die Freude, am Freitag gemeinsam mit dem slowenischen Amts­kollegen Toni Rop auf dem Gipfel im Dreiländereck zu stehen, wo wenige Kilometer entfernt der Isonzo, das Isonzo-Tal liegt, wo im Ersten Weltkrieg 1,5 Millionen Men­schen gestorben sind. Und es ist eine besondere Freude, zu spüren, dass sich so etwas nie mehr wiederholen kann!

Es war am gleichen Abend in Preßburg/Bratislava eine große Freude, und es war spürbar, dass die Menschen empfinden, dass die Slowaken zum ersten Mal in ihrer Geschichte frei entscheiden können, demokratisch entschieden haben, dass sie die­sem gemeinsamen Europa angehören wollen, dass sie nicht mehr fremdbestimmt sind von Budapest oder von Wien oder von Prag – auch nicht, bitte, von Brüssel. Das ist eine große Freude und viel wichtiger als so manches Thema, das in diesen Tagen so besonders hochgespielt wird. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Frei­heitlichen.)

Oder: Als ich mit Péter Medgyessy, dem ungarischen Ministerpräsidenten, in Sopron­puszta, in der Nähe von Ödenburg, noch einmal symbolisch den Stacheldraht durch­schnitten habe, war das sicherlich eine Geste, aber es war auch viel mehr: Es war wirklich die Heimkehr in Europa, es war die Wiedervereinigung Europas spürbar!

Und ich sage ganz offen: Darüber sollten wir an einem Tag wie heute ein wenig reflek­tieren und vielleicht die innenpolitischen Diskussionen ein bisschen zurückstellen.

Vor zehn Jahren hat Peter Sloterdijk, ein großer europäischer Philosoph, der ja teilwei­se in Österreich lebt, ein Bändchen geschrieben – ich habe es mitgenommen –, welches absolut lesenswert ist. Für diejenigen, die es interessiert, es heißt: „Falls Eu­ropa erwacht“ und ist im Suhrkamp-Verlag erschienen.

Lesens- und nachdenkenswert ist, was Sloterdijk damals visionär vorausgesagt hat: Europa sei eine Weltgegend, in der auf eigentümliche Weise nach der Wahrheit und nach der Güte des Lebens gefragt werden muss. Die Europäer müssten sich als Rebellen gegen die Misere empfinden. Und sobald Europa wieder erwacht – so auch der Titel des Buches –, müssten die Wahrheitsfragen wieder in die große Politik zurück. Europas tiefster Gedanke: dass man der Verachtung widerstehen muss.

Das sind auch jene Fragen, die uns alle berühren: Friede, Freiheit, soziale Gerechtig­keit, wirtschaftliche Leistung. Und ein solches Europa – ich sage sogar, nur ein solches Europa – hat Gewicht als Global Player, wird eine Friedensmacht sein, wird ein einheitlicher, funktionierender Wirtschaftsraum sein und eine soziale und politische Einheit! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Und jetzt reibt sich dieser große Essay, den ich für wichtig und für bewegend halte, was vielleicht manche mit mir teilen, mit jenen Themen, die wir heute schon be­sprochen haben. Eine junge Journalisten hat kürzlich unter dem Titel „Provinz“ ge­schrieben: Es sei provinziell, die kleinen Fragen aufzuzeigen. – Ich glaube das über­haupt nicht!

Auch die Neuen haben Themen, Ängste, Sorgen, die sie berühren, etwa den Aus­verkauf ihrer Heimat an die reichen Westeuropäer oder die Schutzmöglichkeiten für ihre Industrie (Zwischenruf des Abg. Dr. Jarolim), von der befürchtet wird, dass sie nicht voll wettbewerbsfähig sei, oder auch der Identitätsverlust. Und genauso wie wir deren Sorgen ernst nehmen, sind auch die Sorgen der Österreicherinnen und Öster­reicher ernst zu nehmen! Man muss eben beides sehen: Die große Linie, das Ganze, aber auch die Themen, die jeden Einzelnen direkt berühren.

Eine der großen Fragen in diesen Tagen lautet natürlich: Sind und bleiben unsere Arbeitsplätze sicher?

 


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