Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll24. Sitzung / Seite 106

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Meine sehr verehrten Damen und Herren, das geheime Wahlrecht ist eines der wich­tigsten Rechte, die man sich in der Demokratie hart erkämpft hat. Es ist in mehreren Gesetzen verankert: Im Artikel 26 des Bundes-Verfassungsgesetzes; im Artikel 8 des Staatsvertrages von Wien; im Artikel 3 des ersten Zusatzprotokolls zur Menschen­rechtskonvention. Dieses Recht, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird nun­mehr massiv ausgehöhlt! (Präsidentin Dr. Glawischnig-Piesczek übernimmt den Vor­sitz.)

Ich frage mich vor allem, warum die SPÖ hier mitmacht. Warum ist die SPÖ schon wie­der umgefallen? (Abg. Dr. Cap: Von welcher SPÖ sprechen Sie? – Abg. Strache: Die SPÖ ist das BZÖ von heute!)

Denn dass es hier immer wirklich ernsthafte Bedenken gegeben hat, das beweist ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes schon aus dem Jahre 1985. Das Erkenntnis ist zur niederösterreichischen Wahlordnung für Statutarstädte ergangen, und da wurde eindeutig der Verstoß der Bestimmungen über die Briefwahl gegen die Verfassungs­prinzipien der geheimen und persönlichen Wahl festgestellt. Dieses Erkenntnis kennen also offensichtlich die Damen und Herren von der SPÖ nicht.

Dass natürlich die ÖVP da mitmacht und dass es von der ÖVP kommt, ist ganz klar! Denn der Verfassungsbogen zählt ja immer nur für andere, für sie selbst zählt der Ver­fassungsbogen niemals.

Ich darf hier einmal aus diesem Verfassungsgerichtshoferkenntnis zitieren: Geheim in der Bedeutung des Artikel 26 Abs. 1 B-VG, in diesem Umfang inhaltsgleich – andere Verfassungsgerichtshoferkenntnisse werden hier zitiert –, ist ein Wahlrecht nur dann, wenn der Wähler seine Stimme derart abzugeben vermag, dass niemand, weder die Behörde noch sonst jemand, erkennen kann, wen er gewählt hat. Demgemäß verlangt der Grundsatz des geheimen Wahlrechts wirksame Vorkehrungen zur Geheimhaltung.

Die geheime Wahl soll also den Wähler nicht bloß vor unerwünschter Einflussnahme auf seine Willensbildung im Zug des Wahlvorgangs bewahren. Sie soll ihm auch die Sorge und Furcht nehmen, dass er wegen seiner Stimmabgabe in bestimmte Richtung Vorwürfen und Nachteilen, welcher Art immer, ausgesetzt sei. – Ermacora, „Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte“.

Schon Kelsen hat gesagt, dass der Wähler vor der Wahlbehörde persönlich auftreten muss.

Meine Damen und Herren von ÖVP und SPÖ, das alles haben Sie offensichtlich ver­gessen. Wenn Sie heute hier dieses Gesetz beschließen, dann laufen Sie Gefahr, dass Sie ein verfassungswidriges Verfassungsgesetz beschließen, das eventuell auch auf­gehoben werden kann.

Schauen wir uns das doch einmal an! Die „Presse“ schreibt in ihrem „Rechtspanorama“ sehr schön:

„Nur die geheime Wahl ist frei: Pfeiler der Demokratie bedroht“, und sie nimmt vor allem Bezug auf diese eidesstattliche Erklärung: „‚An Eides statt zu erklären, dass die Stimmabgabe persönlich und geheim erfolgt ist‘: Wollen wir darüber rätseln, wie oft eine solche Erklärung überprüft werden wird? Sprechen wir es offen aus: Diese Erklä­rung ist genauso sinnvoll wie die von Touristen bei ihrer Einreise in gewisse Länder verlangte Erklärung, sie seien kein Mitglied einer terroristischen Vereinigung.“

Meine Damen und Herren, das ist ein Problem, hier wird weiterhin das Wahlrecht aus­gehöhlt. Es wundert mich, warum die SPÖ noch im Jahre 1985, gemeinsam mit der Freiheitlichen Partei, dieses Wahlrecht, dieses Briefwahlrecht in Niederösterreich be­kämpft hat – und nunmehr wird es von Ihnen beschlossen! Sie fallen andauernd um.


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