Stenographisches Protokoll

610. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

Dienstag, 19. März 1996

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gedruckt auf 70g chlorfrei gebleichtem Papier

Stenographisches Protokoll

610. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Dienstag, 19. März 1996

Dauer der Sitzung

Dienstag, 19. März 1996: 10.03 – 19.27 Uhr

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Tagesordnung

1. Protokoll Nr. 1 zum Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe

2. Protokoll Nr. 2 zum Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe

3. Bundesgesetz, mit dem das Urheberrechtsgesetz und die Urheberrechtsgesetznovelle 1980 geändert werden (Urheberrechtsgesetz-Novelle 1996 – UrhG-Nov. 1996)

4. Bundesgesetz über den Transport von Tieren im Luftverkehr (Tiertransportgesetz-Luft – TGLu)

5. Protokoll über eine Änderung des Artikels 50 lit. a des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt, unterzeichnet in Montreal am 26. Oktober 1990

6. Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Slowenien über die Benützung zweier Teile des slowenischen Staatsgebietes im Bereich des Skigebietes "Dreiländereck"

*****

Inhalt

Bundesrat

Erklärung der Bundesregierung

Bundeskanzler Dkfm. Dr. Franz Vranitzky 36

Debatte:

Dr. Peter Kapral 43

Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck 50

Albrecht Konečny 62

Dr. Helmut Prasch 65

Jürgen Weiss 70

Karl Drochter 75

Bundeskanzler Dkfm. Dr. Franz Vranitzky 80

Dr. Paul Tremmel 85


Bundesrat
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610. Sitzung / Seite 2

Engelbert Schaufler 89

Dr. Michael Rockenschaub 91

(tatsächliche Berichtigung)

Stefan Prähauser 92

Mag. Dieter Langer 96

Ing. Johann Penz 100

Josef Rauchenberger 104

Unterbrechungen der Sitzung 36 und 92

Wortmeldung des Bundesrates Gottfried Jaud zur Geschäftsordnung 7

Einwendung des Bundesrates Jürgen Weiss gegen das Aviso 106

Personalien

Krankmeldungen 5

Entschuldigungen 5

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse 7

Bundesregierung

Schreiben des Bundeskanzlers betreffend Amtsenthebung der mit der Fortführung der Verwaltung betrauten Bundesregierung und Staatssekretäre 5

Schreiben des Bundeskanzlers betreffend Ernennung einer neuen Bundesregierung 5

Vertretungsschreiben 6

Ausschüss


Bundesrat
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610. Sitzung / Seite 3

e

Zuweisungen 7

Verhandlungen

Gemeinsame Beratung über

(1) Beschluß des Nationalrates vom 28. Februar 1996 betreffend ein Protokoll Nr. 1 zum Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (9 und 41/NR sowie 5138/BR d. B.)

(2) Beschluß des Nationalrates vom 28. Februar 1996 betreffend ein Protokoll Nr. 2 zum Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (10 und 42/NR sowie 5139/BR d. B.)

Berichterstatter: Herbert Platzer 8

[Antrag, zu (1) und (2) keinen Einspruch zu erheben]

Redner:

Peter Rieser 9

Katharina Pfeffer 11

Dr. Peter Kapral 12

DDr. Franz Werner Königshofer 13

einstimmige Annahme des Antrages des Berichterstatters, zu (1) und (2) keinen Einspruch zu erheben 14

(3) Beschluß des Nationalrates vom 28. Februar 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Urheberrechtsgesetz und die Urheberrechtsgesetznovelle 1980 geändert werden (Urheberrechtsgesetz-Novelle 1996 – UrhG-Nov. 1996) (3 und 40/NR sowie 5136 und 5140/BR d. B.)

Berichterstatter: Josef Rauchenberger 14

(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)

Redner:

Dr. Reinhard Eugen Bösch 15

Dr. Günther Hummer 16

Herbert Platzer 18

Mag. Dieter Langer 19

Bundesminister Dr. Nikolaus Michalek 21

Dr. Michael Ludwig 23

Annahme des Antrages des Berichterstatters, keinen Einspruch zu erheben, mit den Stimmen der Bundesräte der ÖVP und der SPÖ, gegen die Stimmen der Bundesräte der Freiheitlichen 24

Gemeinsame Beratung über

(4) Beschluß des Nationalrates vom 29. Februar 1996 betreffend ein Bundesgesetz über den Transport von Tieren im Luftverkehr (Tiertransportgesetz-Luft – TGLu) (1 und 44/NR sowie 5137 und 5141/BR d. B.)

(5) Beschluß des Nationalrates vom 29. Februar 1996 betreffend ein Protokoll über eine Änderung des Artikels 50 lit. a des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt, unterzeichnet in Montreal am 26. Oktober 1990 (17 und 45/NR sowie 5142/BR d. B.)

Berichterstatter: Karl Hager 24

[Antrag, zu (4) und (5) keinen Einspruch zu erheben]

Redner:

Dipl.-Ing. Richard Kaiser 26

Michaela Rösler 28

Dr. Paul Tremmel 29

Gertrude Perl 30

einstimmige Annahme des Antrages des Berichterstatters, zu (4) und (5) keinen Einspruch zu erheben 32

(6) Beschluß des Nationalrates vom 29. Februar 1996 betreffend ein Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Slowenien über die Benützung zweier Teile des slowenischen Staatsgebietes im Bereich des Skigebietes "Dreiländereck" (8 und 35/NR sowie 5143/BR d. B.)

Berichterstatter: Gottfried Jaud 32

(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)

Redner:

Josef Pfeifer 33

Dr. Helmut Prasch 34


Bundesrat
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610. Sitzung / Seite 4

Alfred Gerstl 35

Annahme des Antrages des Berichterstatters, keinen Einspruch zu erheben, gegen die Stimme des Bundesrates Gerstl 36

Eingebracht wurden

Berichte

2486-3241-EU über Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Artikel 23e B-VG

Bericht des Bundesministers für Umwelt betreffend den Vierten Umweltkontrollbericht (III-146-BR/96)

Anfragen

der Bundesräte Ursula Haubner, Dr. Susanne Riess-Passer und Kollegen an die Bundesministerin für Frauenangelegenheiten betreffend Reisekostenabrechnung der Weltfrauenkonferenz (1168/J-BR/96)

der vom Vorarlberger Landtag entsandten Bundesräte Jürgen Weiss, Ilse Giesinger und Dr. Reinhard Eugen Bösch an den Bundeskanzler betreffend Bundesstaatsreform (1169/J-BR/96)

der Bundesräte Alfred Gerstl und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend aktuelle Probleme der Tabakverschleißer (1170/J-BR/96)


Bundesrat
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610. Sitzung / Seite 5

Beginn der Sitzung: 10.03 Uhr

Präsident Johann Payer: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich eröffne die 610. Sitzung des Bundesrates.

Das Amtliche Protokoll der 609. Sitzung des Bundesrates vom 29. Februar 1996 ist aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Krank gemeldet haben sich die Mitglieder des Bundesrates Grete Pirchegger, Franz Richau, Ing. Georg Leberbauer, Elisabeth Haselbach und Hedda Kainz.

Entschuldigt haben sich die Mitglieder des Bundesrates Erhard Meier und Dr. Susanne Riess-Passer.

Einlauf und Zuweisungen

Präsident Johann Payer: Eingelangt ist ein Schreiben des Bundeskanzlers betreffend Amtsenthebung der mit der Fortführung der Verwaltung betrauten Bundesregierung und der Staatssekretäre.

Ich ersuche die Schriftführung um Verlesung dieses Schreibens.

Schriftführerin Ilse Giesinger:

"An den Präsidenten des Bundesrates

Ich beehre mich mitzuteilen, daß der Herr Bundespräsident mit Entschließung vom 12. März 1996, Zl. 800.410/2/1996, die mit der Fortführung der Verwaltung betraute Bundesregierung und Staatssekretäre vom Amte enthoben hat.

Franz Vranitzky"

Präsident Johann Payer: Eingelangt ist weiters ein Schreiben des Bundeskanzlers betreffend Ernennung der neuen Mitglieder der Bundesregierung.

Ich ersuche die Schriftführung um Verlesung dieses Schreibens.

Schriftführerin Ilse Giesinger: "Ich beehre mich mitzuteilen, daß der Herr Bundespräsident mit Entschließung vom 12. März 1996, Zl. 800.410/1/1996 mich gemäß Artikel 70 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes zum Bundeskanzler ernannt hat.

Weiters hat der Herr Bundespräsident auf meinen Vorschlag gemäß Artikel 70 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes ernannt:

Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel zum Vizekanzler und zum Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten,

Bundesminister Dr. Johannes Ditz zum Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten,

Bundesminister Franz Hums zum Bundesminister für Arbeit und Soziales,

Bundesminister Mag. Viktor Klima zum Bundesminister für Finanzen,

Bundesministerin Dr. Christa Krammer zur Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz,

Bundesminister Dr. Caspar Einem zum Bundesminister für Inneres,

Bundesminister Dr. Nikolaus Michalek zum Bundesminister für Justiz,


Bundesrat
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610. Sitzung / Seite 6

Bundesminister Dr. Werner Fasslabend zum Bundesminister für Landesverteidigung,

Bundesminister Mag. Wilhelm Molterer zum Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft,

Bundesminister Dr. Martin Bartenstein zum Bundesminister für Umwelt und in Verbindung mit Artikel 77 Abs. 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes bis zur Änderung des Bundesministeriengesetzes mit der vorläufigen Leitung des Bundesministeriums für Jugend und Familie betraut,

Bundesministerin Elisabeth Gehrer zur Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten,

Bundesminister Dr. Rudolf Scholten zum Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst und in Verbindung mit Artikel 77 Abs. 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes bis zur Änderung des Bundesministeriengesetzes mit der vorläufigen Leitung des Bundesministeriums für öffentliche Wirtschaft und Verkehr betraut;

gemäß Artikel 70 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 78 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes: Bundesministerin Dr. Helga Konrad zur Bundesministerin ohne Portefeuille;

gemäß Artikel 70 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 78 Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes: Staatssekretär Mag. Karl Schlögl zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt,

Staatssekretärin Dr. Benita Ferrero-Waldner zur Staatssekretärin im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten.

Franz Vranitzky"


Bundesrat
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610. Sitzung / Seite 7

Präsident Johann Payer:
Ich danke der Schriftführung. Dieses Schreiben dient zur Kenntnis.

Eingelangt sind Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Ministervertretungen.

Ich ersuche die Schriftführung um Verlesung dieser Schreiben.

Schriftführerin Ilse Giesinger: "Der Herr Bundespräsident hat am 15. März 1996, Zl. 800.420/28/96, folgende Entschließung gefaßt:

Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung des Bundesministers für Inneres Dr. Caspar Einem am 19. März 1996 sowie am 25. und 26. März 1996 die Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz Dr. Christa Krammer mit der Vertretung.

Hievon beehre ich mich, mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mitteilung zu machen."

"Der Herr Bundespräsident hat am 18. März 1996, Zl. 800.420/30/96, folgende Entschließung gefaßt:

Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten Dr. Johannes Ditz am 18. und 19. März 1996 den Bundesminister für Umwelt Dr. Martin Bartenstein mit der Vertretung.

Hievon beehre ich mich, mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mitteilung zu machen."

"Der Herr Bundespräsident hat am 18. März 1996, Zl. 800.420/31/96 folgende Entschließung gefaßt:

Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung des Bundesministers für Land und Forstwirtschaft Mag. Wilhelm Molterer am 18. und 19. März 1996 die Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten Elisabeth Gehrer mit der Vertretung.

Hievon beehre ich mich, mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mitteilung zu machen."

Präsident Johann Payer: Auch diese Schreiben dienen zur Kenntnis.

Den eingelangten Bericht des Bundesministers für Umwelt betreffend den Vierten Umweltkontrollbericht (III-146-BR/96 der Beilagen) habe ich dem Ausschuß für Familie und Umwelt zugewiesen.

Eingelangt sind ferner Berichte (2486 bis 3241-EU) über Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Artikel 23e Bundes-Verfassungsgesetz. Diese Berichte habe ich dem EU-Ausschuß zugewiesen.

In Anbetracht des Umfanges habe ich gemäß § 18 Abs. 2 Geschäftsordnung des Bundesrates nach Rücksprache mit den Vizepräsidenten angeordnet, daß eine Vervielfältigung und Verteilung zu unterbleiben hat, alle Vorlagen jedoch in der Parlamentsdirektion zur Einsichtnahme aufliegen.

Eingelangt sind jene Beschlüsse des Nationalrates, die Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.

Ich habe diese Beschlüsse den in Betracht kommenden Ausschüssen zur Vorberatung zugewiesen. Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschußberichte erstattet.

Absehen von der 24stündigen Aufliegefrist

Präsident Johann Payer: Im Hinblick darauf sowie mit Rücksicht auf einen mir zugekommenen Vorschlag, von der 24stündigen Aufliegefrist Abstand zu nehmen, habe ich alle diese Vorlagen auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Ich gebe weiters bekannt, daß um 13.30 Uhr die Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung durch den Herrn Bundeskanzler erfolgen wird. Ich werde daher die Verhandlungen zur Tagesordnung – sofern sie bis dahin noch nicht zu Ende sein werden – zur Worterteilung an den Herrn Bundeskanzler unterbrechen.

Es meldet sich Herr Bundesrat Jaud zur Geschäftsordnung. – Bitte, Herr Bundesrat.

10.14

Bundesrat Gottfried Jaud (ÖVP, Tirol) (zur Geschäftsordnung): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Hoher Bundesrat! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich melde mich deshalb zu Wort, weil ich in der heutigen Sitzung gegen die Abstandnahme von der 24stündigen Aufliegefrist stimmen werde, und ich möchte das auch begründen.

Wenn wir die Arbeit im Bundesrat hier ernst nehmen – ich weiß, daß das alle Bundesräte tun –, dann müssen auch die Arbeitsbedingungen so gestaltet werden, daß diese Arbeit entsprechend möglich ist. Es muß auch dem Bundesratsdienst die nötige Zeit für eine sorgfältige Bearbeitung der Nationalratsbeschlüsse und der Ausschußberichte des Bundesrates eingeräumt werden.

Die heutige Tagesordnung ist aus meiner Sicht auch ohne 24stündige Aufliegefrist ohneweiters ordnungsgemäß zu bewältigen. Anders ist dies mit der Sitzung am 25. April. In dieser Sitzung werden etwa 100 Änderungen von Bundesgesetzen, zusammengefaßt in einem Budgetbegleitgesetz, beschlossen.

Diese Sitzung findet zwei Arbeitstage nach der Nationalratssitzung statt, und die in der Geschäftsordnung des Bundesrates vorgesehene Aufliegefrist von 24 Stunden wird nicht eingehalten. Das ist nach meiner Auffassung eine Termingestaltung, die eine der Bedeutung der Gesetze angemessene sorgfältige Behandlung und Beratung nicht zuläßt. Deshalb stimme ich heute schon warnend gegen diese Abstandnahme von der 24stündigen Aufliegefrist für die Sitzung am 25. April, und ich werde dies natürlich auch vor der Sitzung oder in der Sitzung am 25. April tun.


Bundesrat
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Sehr geehrter Herr Präsident! Ich freue mich darüber, daß der Bundesrat durch Sie im Internet vertreten ist. Ihr Credo dort lautet: Eine lebendige Demokratie braucht den Föderalismus. Bitte sorgen Sie dafür, daß wir im Bundesrat auch die entsprechenden Arbeitsmöglichkeiten haben. – Ich danke. (Beifall bei der ÖVP.)

10.16

Präsident Johann Payer: Herr Bundesrat Jaud hat keinen Antrag gestellt. Daher gehen wir in der Tagesordnung weiter.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die mit der Abstandnahme von der 24stündigen Aufliegefrist der gegenständlichen Ausschußberichte einverstanden sind, um ein Handzeichen. – Dies ist Stimmenmehrheit.

Der Vorschlag ist mit der nach § 44 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Dies ist nicht der Fall.

Behandlung der Tagesordnung

Präsident Johann Payer: Aufgrund eines mir zugekommenen Vorschlages beabsichtige ich, die Debatte über die Punkte 1 und 2 sowie 4 und 5 der Tagesordnung zusammenzufassen.

Wird dagegen ein Einwendung erhoben? – Dies ist nicht der Fall. Wir werden daher in diesem Sinne vorgehen.

1. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 28. Februar 1996 betreffend ein Protokoll Nr. 1 zum Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (9 und 41/NR sowie 5138/BR der Beilagen)

2. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 28. Februar 1996 betreffend ein Protokoll Nr. 2 zum Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (10 und 42/NR sowie 5139/BR der Beilagen)

Präsident Johann Payer: Wir gelangen nun zu den Punkten 1 und 2 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem abgeführt wird.

Es sind dies:

ein Protokoll Nr. 1 zum Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe und

ein Protokoll Nr. 2 zum Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe.

Die Berichterstattung über die Punkte 1 und 2 hat Herr Bundesrat Herbert Platzer übernommen. Ich bitte den Herrn Bundesrat um seine Berichterstattung.

Berichterstatter Herbert Platzer: Zum Protokoll Nr. 1:

Die bewährte Kontrolle der Einhaltung des Folterverbotes der Europäischen Menschenrechtskonvention durch den aufgrund des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe – in der Folge "Übereinkommen" – eingesetzten Ausschuß ist bisher nur im Rahmen der Mitgliedstaaten des Euro


Bundesrat
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parates möglich. Durch das Protokoll Nr. 1 soll das Übereinkommen nunmehr für Nichtmitgliedstaaten des Europarates geöffnet und dadurch der wirksame Kontrollmechanismus auch über den Rahmen des Europarates eingesetzt werden.

Dem Nationalrat erschien bei der Genehmigung des Abschlusses des vorliegenden Staatsvertrages die Erlassung von besonderen Bundesgesetzen im Sinne des Artikels 50 Abs. 2 B-VG zur Überführung des Vertragsinhaltes in die innerstaatliche Rechtsordnung nicht erforderlich.

Der Rechtsausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 18. März 1996 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Zum Protokoll Nr. 2:

Die Mitglieder des durch das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe – in der Folge "Übereinkommen" – eingesetzten Ausschusses werden für die Dauer von vier Jahren gewählt. Sie können derzeit nur einmal wiedergewählt werden. Mit Protokoll Nr. 2 zum Übereinkommen soll die zweimalige Wiederwahl der Ausschußmitglieder ermöglicht und eine ordnungsgemäße Neuwahl der Mitglieder des Ausschusses durch deren regelmäßige Hälfteerneuerung garantiert werden.

Dem Nationalrat erschien bei der Genehmigung des Abschlusses des vorliegenden Staatsvertrages die Erlassung von besonderen Bundesgesetzen im Sinne des Artikels 50 Abs. 2 B-VG zur Überführung des Vertragsinhaltes in die innerstaatliche Rechtsordnung nicht erforderlich.

Der Rechtsausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 18. März 1996 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Präsident Johann Payer: Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen.

Wir gehen in die Debatte ein, die über die zusammengezogenen Punkte unter einem abgeführt wird.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Peter Rieser. Ich erteile dieses.

10.20

Bundesrat Peter Rieser (ÖVP, Steiermark): Sehr verehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Die Konvention des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe gehört neben der Menschenrechtskonvention, der Österreich 1958 beigetreten ist, zu den starken und wirksamen Instrumenten des Europarates. Menschenrechte und Grundrechte sind in ihrem Wesen politisch und rechtlich manifestbare Grundlagen unserer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung.

Die Bürger der Republik Österreich haben im historischen und internationalen Vergleich ein Höchstmaß an bürgerlichen Rechten. Der Rechtsstaat ist auch die Voraussetzung für die Freiheit, und Freiheit ist etwas Besonderes, muß täglich behütet werden und verlangt natürlich von der Politik auch den notwendigen Stellenwert.

Ich versuche, mit einem kurzen Sprichwort Freiheit zu definieren: Freiheit, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist, wie man eine Rebe bindet, anstatt sie sich im Staube windet, sich frei in die Lüfte erhebt. Freiheit ist mehr als Schutz vor staatlicher Willkür; Freiheit ist Recht, Freiheit ist aber auch Pflicht. Ein Rechtsstaat braucht verantwortungsvolle Bürger, eine verantwortungsvolle Exekutive und weisungsfreie Richter. Ohne Rechtsnormen gibt es keine Gesellschaft, in der die Menschen friedlich miteinander leben können.

Fehler der Geschichte dürfen nicht wiederholt werden. Minderheitenschutz, Nationalitätenrecht sind auch Menschenrechte, und wer die Zukunft gestalten will, muß in der Gegenwart leben und sich auch an der Vergangenheit orientieren.


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Am 28. Februar 1996 wurde die Russische Föderation im Europarat aufgenommen. Gegenwärtig sind alle 39 Mitgliedstaaten zugleich auch Vertragsstaaten der Menschenrechtskonvention.

Und gerade das jüngste Mitglied, Rußland, hat für uns alle eine große Bedeutung. Dieses große Land, historisch und vom menschlichen Leid schwer geprüft, reich an Bodenschätzen, mit über 150 Millionen Einwohnern, braucht nicht unsere materielle, sondern in erster Linie unsere geistige Hilfe.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vertraten viele Menschen im Westen die Meinung, daß sich nun auf der ganzen Welt demokratische Systeme durchsetzen würden. Die Gegenwart lehrt uns aber eines Besseren.

In meiner beruflichen Tätigkeit habe ich gerade in Rußland hoffnungsvolle Reformpolitiker kennengelernt. Ich denke an Ripchen, ich denke an Gajda, an Smirnov und Kudinova, die im Westen bekannt sind, die heute aber nicht mehr das Sagen haben, das sie gehabt haben.

Es wird am Europarat liegen, wie aktiv die Kommissionen tätig sind, wie gewichtig Protokolle sind und wie die Absicht über ein Lippenbekenntnis hinausgeht. Unsere Politik im Europarat in Straßburg muß gerade in der Einhaltung der Menschenrechte besonders stark sein, muß die Menschenrechte auf einen bestimmten Mindeststandard bringen und sich auch den Ländern des ehemaligen Ostblocks geistig öffnen. Und ich lege besonderen Wert auf das Wort "geistig".

Für die Vorbereitung meiner ersten Rede hier in diesem Hohen Haus habe ich mit großer Aufmerksamkeit den Jahresbericht 1995 von Amnesty gelesen. Der Jahresbericht gibt Auskunft über die Menschenrechtssituation in Europa und auf der ganzen Welt, insbesondere auch in jenen 39 Mitgliedstaaten, die sich zu den Grundrechten bekennen.

Auch die österreichische Politik sollte es sich nicht nehmen lassen, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einmischen zu wollen und bei gegebenen Anlässen immer wieder ihre Stimme in Richtung Menschenrechte zu erheben.

Selbstverständlich setzt dies zunächst voraus, daß auch in unserem eigenen Land die Bestimmungen der Menschenrechtskonvention und der Zusatzprotokolle auf Strich und Punkt eingehalten werden. Darüber hinaus soll dem Geist und den Intentionen des Europarates und der Menschenrechtskonvention in allen Handlungen der Staatsorgane und der Staatsbürger in vorbildlicher Weise entsprochen werden.

Wir alle – unsere Vertreter im Europarat und im Europäischen Parlament, aber selbstverständlich auch in den innerstaatlichen Parlamenten – sollen uns dieser Notwendigkeit der ständigen Weiterentwicklung des Menschenrechtsgedankens und des Menschenrechtsstandards bewußt sein und uns darum bemühen.

Durch die gegenwärtigen Protokolle soll das Übereinkommen nunmehr auch für Nichtmitgliedstaaten geöffnet werden, und in diesem Zusammenhang ist auf den Kontrollmechanismus besonderes Augenmerk zu legen. Gerade vor dem Hintergrund der furchtbaren Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien, die sich vor den Augen der internationalen Staatengemeinschaft abgespielt haben und sich noch immer abspielen, und trotz der Tausenden und Abertausenden Opfer, die diese kriegerischen Auseinandersetzungen gefordert haben, müssen wir uns bemühen, einen Beitrag zum Frieden und zu der Menschenrechtsbestimmung zu leisten.

Es muß uns aber auch bewußt sein, daß die Menschenrechte unteilbar sind, daß sie keinesfalls und auch nicht teilweise am Altar sonstiger vermeintlicher staatspolitischer Interessen geopfert werden dürfen. Das gilt ganz besonders auch für die Minderheitenrechte, wie sie etwa in der neuen Rahmenkonvention zum Minderheitenschutz des Europarates von 1995 enthalten sind. Wie kaum bei einem anderen Beispiel gilt gerade hier der Grundsatz: Wehret den Anfängen!

Um nochmals auf das ehemalige Jugoslawien zurückzukommen, sei festgehalten – ich glaube, hier stimme ich mit allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses überein –: Die Wahrung der Minderheitenrechte und das damit verbundene rechtzeitige Eintreten gegen die in unserem Jahrhundert schon so oft ausgelebten nationalistischen Tendenzen hätte dort ganz sicher eine


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derartige Entwicklung verhindert. Wir sollten im Interesse der Bevölkerung daraus lernen – auch in einem anderen, ebenfalls in unserer Nachbarschaft gelegenen Staat Europas. Ich denke, wir sollen daraus lernen, was in der Slowakei vorgefallen ist. Die Vernunft und das Geschick der Politiker ist heute mehr denn je gefordert. Nehmen wir in diesem Zusammenhang zur Kenntnis, daß auch die Zunge eine Waffe ist und man damit großes menschliches Leid anrichten kann.

Menschenrechte können nur durch Zusammenarbeit, gegenseitige Akzeptanz, Vertrauen und Abbau von Vorurteilen erreicht werden. Nehmen wir aber auch zur Kenntnis, daß Freude und Leid, Glück und Schmerz von jedem gleich empfunden werden und daß ein Mutterherz keine Nationalität kennt.

Deshalb geben wir diesem Protokoll zum Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe die Zustimmung. (Allgemeiner Beifall.)

10.30

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Katharina Pfeffer. – Bitte.

10.30

Bundesrätin Katharina Pfeffer (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh, daß diese beiden Protokolle auf der Tagesordnung des Bundesrates stehen. Als unterstützendes Mitglied von Amnesty International weiß ich, was sich in anderen Erdteilen bezüglich Folter und anderer menschenverachtender Dinge tut. Ich muß zugeben, daß wir zwar Folterungen, die in anderen Ländern vorkommen, verabscheuen, aber trotzdem stehen wir dem Ganzen hilflos gegenüber.

Mein Vorredner hat schon erwähnt: Die Konvention des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe gehört neben der Menschenrechtskonvention zu den starken und wirksamen Instrumenten des Europarates. Andererseits kann man als österreichischer Staatsbürger darüber froh sein, daß offensichtlich in unserem Lande die Notwendigkeit dieser sogenannten Folterkonvention gar nicht mehr realisiert wird, weil wir das Glück haben, davon persönlich nicht betroffen zu sein beziehungsweise in unserer Heimat nicht Gefahr laufen können, den Schutz und die Möglichkeit dieses Europäischen Übereinkommens einmal in Anspruch nehmen zu müssen.

Es gibt aber leider auch Ausnahmen. Ein Fall bei uns im Burgenland zeigt, daß teilweise versucht wird, Geständnisse mit Schlägen und Tritten aus einem in Verdacht geratenen Bürger herauszupressen.

Ganz kurz: Ein junges Mädchen machte eine Anzeige bei der Gendarmerie, sie wäre vergewaltigt worden. Man konnte auch mit Hilfe des Mädchens den mutmaßlichen Täter erwischen. Dieser leugnete. Bei der Einvernahme durch die Gendarmerie wurde er geschlagen. Die Folgen: ein Nasenbeinbruch und eine Verletzung an der Hand. Bei weiteren Recherchen hat sich herausgestellt, daß die Kollegen des Gendarmeriebeamten nur einen Kollegen, also diesen besagten, mit dem mutmaßlichen Täter allein ließen. Das Ende vom Lied war: Das Mädchen wurde gar nicht vergewaltigt, das hat dann die Untersuchung herausgestellt. Es hatte nur einen Zorn auf den Täter, weil er ihr nichts zu trinken bezahlt hat. Gegen den Gendarmeriebeamten ist ein Disziplinarverfahren anhängig. – Mit Recht meiner Meinung nach. Das Mädchen wurde wegen Irreführung der Behörde verurteilt. Hohes Haus! Sie sehen, daß auch bei uns einiges vorkommt, was wir nicht goutieren sollten.

Am 26. 11. 1987 ist in Straßburg dieses Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterzeichnet worden. Wir nennen es Folterkonvention. Es sind darin Mechanismen eingeführt worden, die für Menschen, die in ihren Heimatländern in einer solchen Situation sind, Hilfe in weitester Form bringen können.

Dieses Übereinkommen ist von seiner Konzeption her eines des Europarates gewesen und ist es nach wie vor. Das heißt, Mitglieder dieses Übereinkommens konnten bisher naturgemäß nur


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Mitgliedstaaten des Europarates sein. Nun ist durch diese beiden heute zur Beschlußfassung vorliegenden Zusatzprotokolle die Möglichkeit geschaffen worden, daß auch Staaten, die nicht Mitglieder des Europarates sind, beitreten können und Mitglieder in den Ausschuß entsenden können. Damit kann das Übereinkommen, die Folterkonvention, auch auf nichteuropäische Staaten, die nicht Mitglieder des Europarates sind, angewendet werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es sind fast alle europäischen Länder Mitglied des Europarates. Jetzt könnte man fragen: Wozu müssen wir dann überhaupt die Möglichkeit schaffen, daß auch Nichtmitgliedstaaten beitreten können? – Ich glaube, daß da ein sehr interessanter Ansatz für die europäischen Demokraten, die im Europarat das gemeinsame Dach gefunden haben, vorhanden ist, daß nämlich auch Staaten eingeladen werden können, die nie Mitglied des Europarates werden können und als nichteuropäische Staaten dieser Konvention beitreten können. Beispiele dafür sind USA und Israel, die in einer Kooperation mit dem Europarat stehen, aber durchaus auch andere.

Das Protokoll Nr. 2 hat im wesentlichen inhaltliche Bestimmungen, die es ermöglichen, daß Ausschußmitglieder zweimal wiedergewählt werden können. Eine Funktionsperiode beträgt vier Jahre. Das heißt, aufgrund dieser Bestimmung kann es sein, daß ein Ausschußmitglied diese Funktion zwölf Jahre lang ausübt.

Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist sicher wichtig, daß wir – auch im Hinblick auf unser Ansehen im Europarat – diese beiden Beilagen heute beschließen werden. – Ich danke schön. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

10.35

Präsident Johann Payer: Weiters zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Peter Kapral. – Bitte, Herr Bundesrat.

10.35

Bundesrat Dr. Peter Kapral (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Es geht bei diesen beiden Tagesordnungspunkten um zwei wichtige Anpassungen des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. Einerseits soll dieses Übereinkommen auch Nichtmitgliedsländern des Europarates zugänglich gemacht werden, und andererseits sollen die Mitglieder des Ausschusses, der aufgrund dieses Übereinkommens existiert und dem eine wichtige Überprüfungsfunktion zukommt, in Hinkunft zweimal wiedergewählt werden können.

Dieses Übereinkommen steht in engem Konnex mit der Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die nunmehr mehr als vierzig Jahre in Geltung ist. Diese Konvention geht wiederum in ihrer Zielsetzung parallel mit den Zielen der Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Menschenrechte, die ihren Niederschlag in der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte gefunden hat, die bereits 1948 verabschiedet wurde, aber bis heute rechtlich nicht verbindlich ist. Es gibt kein umfassendes internationales Abkommen, das verbindlich und kontrollierbar den Schutz der Menschenrechte festhält.

Bei der Öffnung der Europäischen Konvention für Nichtmitgliedsländer des Europarates handelt es sich demnach schon um einen wichtigen Schritt, der Beachtung verdient, wenn auch bezweifelt werden muß, daß er wesentliche Bedeutung über den europäischen Kontinent hinaus erfahren wird.

Außerordentlich bedauerlich ist es aber, daß – wie aus einem Entschließungsantrag des Europäischen Parlaments hervorgeht – auch im Bereich der Mitgliedsländer der Europäischen Union Menschenrechte verletzt werden, und zwar in der Form, daß in einigen Haftanstalten dieser Länder – die in diesem Entschließungsantrag auch beispielhaft angeführt sind – menschenunwürdige Haftbedingungen herrschen.

Gleichzeitig weist aber das Europäische Parlament in analogen Entschließungsanträgen auch auf Gewalt in chinesischen Waisenhäusern und auf Menschenrechtsverletzungen in Saudi Arabien, Afghanistan und Sierra Leone hin.


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Der Schutz der angeborenen, unveräußerlichen und unantastbaren Rechte und Freiheiten des einzelnen gegenüber staatlichen Eingriffen wurzelt aus staats- und rechtspolitischer Sicht im Naturrecht, das natürlich primär seinen Ursprung im von Europa geprägten Denken findet. Die von der Konvention erfaßten Bereiche der Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung decken einen Kernbereich der Menschenrechte ab. Darauf sollte immer wieder hingewiesen werden, auch außerhalb des vom europäischen Denken geprägten Rechtskreises.

Wir dürfen daher nicht verabsäumen, bei allen Gelegenheiten – ohne missionarisch wirken zu wollen –, bei Besuchen, bei Einladungen, anläßlich von Reisen und Delegationen auf die Achtung der Menschenwürde und die Beachtung der Grundrechte, wie eben zum Beispiel die Verhütung der Folter, hinzuweisen, auch wenn diese Überlegungen aus unterschiedlichen Gründen, sicherlich diskutierbaren, aber auch solchen, die von vornherein abzulehnen sind, nicht gerne gehört werden.

Keineswegs kann aber das Einmahnen der Einhaltung der Menschenrechte und der Beachtung der Grundrechte als Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes bezeichnet und mit diesem Argument zurückgewiesen werden. Die Menschenrechte sollten vielmehr ein unteilbares Ganzes sein und im ausgehenden 20. Jahrhundert in allen Ländern dieser Welt Beachtung finden.

In diesem Sinne wird meine Fraktion dem Antrag, keinen Einspruch zu erheben, zustimmen. (Allgemeiner Beifall.)

10.41

Präsident Johann Payer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Bitte, Herr Bundesrat.

10.41

Bundesrat DDr. Franz Werner Königshofer (Freiheitliche, Tirol): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Albert Camus hat einmal gesagt: Die schlimmste aller menschlichen Martern ist die, ohne Gesetz gerichtet zu werden.

Meine Damen und Herren! Wir haben das Glück, in Mittel- und Westeuropa in Rechtsstaaten zu leben, und Professor Klecatsky hat einmal gesagt, das Gesetz ist die Drehscheibe eines jeden Rechtsstaates. Ohne das Gesetz kann es kein Recht geben und damit auch keine rechtsstaatliche Ordnung.

Begrüßenswert ist, daß dieses Übereinkommen nunmehr über die Mitgliedstaaten des Europarates hinaus ausgedehnt wird, sodaß der Kontrollmechanismus des Europarates auch dort – wenn auch aufgrund einer freiwilligen Unterwerfung – wirksam werden kann.

Es ist aber auch so, daß europäische Rechtsstaaten, auch Mitglieder des Europarates nicht unbedingt davor gefeit sind, Menschenrechte zu verletzen. Gerade unsere Republik Österreich ist diesbezüglich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte schon einige Male aufgefallen und von diesem auch verurteilt worden.

Ich möchte darauf hinweisen, daß die letzte Verurteilung erst wenige Jahre zurückliegt und Österreich wegen Verletzung des Grundrechtes auf Meinungsfreiheit verurteilt wurde. Das betraf im wesentlichen das bestehende ORF-Monopol, und die Bundesregierung hat seither kaum etwas getan, wenn man vom Regionalrundfunkgesetz absieht, um diese Situation zu ändern. Österreich ist deshalb nach wie vor in einer medienpolitischen Steinzeit, und es ist bedauerlich, erwähnen zu müssen, daß die Reformländer des Ostens diesbezüglich schon wesentlich weiter sind als wir.

Aus diesem Grunde würde ich auch an den Herrn Bundesminister appellieren, dahin gehend zu wirken, daß auch das Medienrecht in Österreich den Menschenrechtsstandards in Europa angepaßt wird.


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Ein Zweites will ich noch erwähnen, ein meiner Meinung nach ungutes Beispiel für ein bedenkliches rechtsstaatliches Verhalten: Das ist die Änderung der Spruchpraxis des Immunitätsausschusses des Nationalrates. Wenn man jetzt hergeht, ohne ein Gesetz zu ändern, und einfach die Spruchpraxis dahin gehend abändert, um bei Anlaßfall einen Abgeordneten auszuliefern, in einem anderen Fall nicht, so halte ich das doch für sehr bedenklich.

Unsere Meinung ist: Wenn man hier schon eine Änderung will, dann sollte man diese Änderung auf gesetzlicher Basis durchführen, so wie Klecatsky sagt: Das Gesetz ist die Drehscheibe des Rechtsstaates. Ansonsten sollte man von Änderungen diverser Spruchpraxen Abstand nehmen. – Danke schön. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

10.45

Präsident Johann Payer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Der Berichterstatter verzichtet.

Die Abstimmung über die vorliegenden Beschlüsse des Nationalrates erfolgt getrennt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 28. Februar 1996 betreffend ein Protokoll Nr. 1 zum Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 28. Februar 1996 betreffend ein Protokoll Nr. 2 zum Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

3. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 28. Februar 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Urheberrechtsgesetz und die Urheberrechtsgesetznovelle 1980 geändert werden (Urheberrechtsgesetz-Novelle 1996 – UrhG-Nov. 1996) (3 und 40/NR sowie 5136 und 5140/BR der Beilagen)

Präsident Johann Payer: Wir gelangen nun zum 3. Punkt der Tagesordnung: Bundesgesetz, mit dem das Urheberrechtsgesetz und die Urheberrechtsgesetznovelle 1980 geändert werden.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Josef Rauchenberger übernommen. Ich bitte um den Bericht, Herr Bundesrat.

Berichterstatter Josef Rauchenberger: Der gegenständliche Beschluß enthält im wesentlichen folgende Neuregelungen:

Einführung eines eingeschränkten Ausstellungsrechts in Form eines Vergütungsanspruchs,


Bundesrat
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Einführung einer Reprographievergütung, durch die in diesem Bereich die Vervielfältigung zum eigenen Gebrauch abgegolten wird,

Verbesserung der Rechtsstellung der Filmurheber,

Verschärfung der strafrechtlichen Vorschriften bei gewerbsmäßig begangenen Urheberrechtsverletzungen. (Vizepräsident Dr. Schambeck übernimmt den Vorsitz.)

Diese Maßnahmen entsprechen – abgesehen von der ebenfalls geforderten Einführung des Folgerechts – dem wesentlichen Inhalt des von den Salzburger Urheberrechtskongressen verabschiedeten Forderungsprogramms, soweit dieses noch offen war und nicht über den Bereich des Urheberrechtsgesetzes hinausgeht.

Die Maßnahmen:

bestimmte Erleichterungen des Zugangs zu urheberrechtlich geschützten Werken im Bereich von Unterricht und Wissenschaft und

Einführung einer gesetzlichen Lizenz für die Aufführung von Filmen mit Hilfe handelsüblicher Videokassetten in Beherbergungsbetrieben,

tragen Wünschen der jeweiligen Nutzer urheberrechtlich geschützter Werke und Leistungen Rechnung.

Der Rechtsausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 18. März 1996 mit Stimmenmehrheit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch. Ich erteile es ihm.

10.48

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche, Vorarlberg): Herr Vizepräsident! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Wir Freiheitliche haben im Nationalrat zur Urheberrechtsgesetz-Novelle im Rahmen eines Abänderungsantrages einige Verbesserungen vorgeschlagen, welche allerdings dort nicht die erforderliche Mehrheit fanden, weshalb wir gegen dieses Gesetz heute Einspruch erheben werden, um es an den Nationalrat zur neuerlichen Behandlung zurückzuverweisen.

Das Anliegen des Urheberschutzes ist uns ein wichtiges, und über weite Strecken wird ihm diese Novelle auch gerecht. Die Regierungsparteien haben diese Lösung schon über einige Legislaturperioden hinweg angekündigt. Es war vor allem wichtig, daß die Leerkassettenvergütung zugunsten der Filmschaffenden in der Form geändert wird, in der sie über weite Strecken jetzt in dieser Novelle festgeschrieben worden ist.

Die Regelung betreffend die Altfilme ist allerdings unzureichend ausgefallen. Wir wollen, daß die Filmschaffenden in der Vergütung auch dieser Filme bessergestellt werden, als dies im Gesetz vorgesehen ist.

Auch im Bereich der Übersetzung und der Bearbeitung befürchten wir eine Verschlechterung der Position der Urheber, da diese Rechte den Produzenten zukommen sollen.

Das Zweite, das hier kritisch anzumerken ist, betrifft die Reprographievergütung oder die Kopierabgabe. Darin sehen wir über weite Teile eine schwerwiegende Belastung für die Wirtschaft. Wir haben nämlich neben dem Vergütungsanspruch bei Vervielfältigungen auch eine Gerätevergütung, die der Kopiergerätehersteller zu leisten hat und die sich dementsprechend auch auf die Höhe des Preises dieser Geräte auswirken wird. Diese Abgabe soll nunmehr alle Kopiergeräte treffen, egal, was auf ihnen schwergewichtsmäßig reproduziert wird. Es besteht aber nach unserem Dafürhalten vom Wert her ein urheberrechtlicher Unterschied zwischen einem


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Kopiergerät in einer Handelsfirma und einem in einer Bibliothek. Und diese Differenzierung fehlt in diesem Gesetz.

Wir wollen auch, daß das Gesetz detaillierter, als es der Fall ist, auf neue Technologien eingeht, um auch in den Bereichen von neuen Trägermedien Urheberrechte für die Zukunft geltend machen zu können.

Wir glauben auch, daß diese zusätzlichen Abgaben, die hier in Bildungseinrichtungen, wie Bibliotheken und Universitäten, obgleich es über weite Strecken Ausnahmen geben wird, vorgesehen sind, in Zeiten von Belastungspaketen allerdings nicht vertretbar sind, geschweige denn gewinnbringend administriert werden können.

Wir sehen zusammenfassend in diesem Gesetz wesentliche Lücken und werden daher dem Antrag, keinen Einspruch zu erheben, nicht zustimmen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

10.51

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist weiters Herr Bundesrat Dr. Günther Hummer. Ich erteile es ihm.

10.51

Bundesrat Dr. Günther Hummer (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrter Herr Bundesminister! Hoher Bundesrat! Meine Damen und Herren! Die vorliegende Novelle zum Urheberrechtsgesetz enthält eine Fülle von Neuerungen, von denen insbesondere die Reprographievergütung, von der mein Vorredner schon gesprochen hat, in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt werden soll.

Die Reprographievergütung bedeutet zunächst den Ersatz eines Ausschließungsrechtes, also eines gesetzlichen Verbotes, durch einen Vergütungsanspruch des Urhebers. Es werden damit im umfassenden Sinne neue Vergütungsansprüche geschaffen. Es ist zunächst festzuhalten, daß diese Vergütungsansprüche, insbesondere die Reprographievergütung, seit vielen Jahren, man könnte fast sagen: seit Erfindung der Reprographie, von den Urhebern verlangt wird. Zweitens muß man sagen, das Copyright steht faktisch seit Jahren nur mehr auf dem Papier, weil ein Ausschließungsrecht einfach nicht zu vollstrecken und zu vollziehen ist. Und drittens muß man festhalten, daß Vergütungsansprüche von Urhebern natürlich nie gelegen kommen und der Vorwurf, sie bedeuteten eine Belastung der Wirtschaft – übrigens auch der öffentlichen Hand –, natürlich stets anzubringen sein wird.

Man könnte gerade in einer Zeit, in der ein Sparpaket geschnürt werden und auch halten soll, fragen: Wird hier nicht Zusätzliches verlangt, worauf man zumindest jetzt verzichten sollte? Wird hier der öffentlichen Hand, insbesondere den Gebietskörperschaften, nicht wieder etwas auferlegt, was die Investivkraft, die jetzt so notwendig gefördert werden soll, wieder schwächt? Sollte man nicht gerade zu dieser Zeit Transfers aller Art verhindern? – Diese kritischen Fragen müssen gestellt werden.

Worum geht es nun bei dieser Reprographievergütung? – Es geht erstens um eine Gerätevergütung und zweitens um eine Betreibervergütung.

Zur Gerätevergütung: Wenn ein Werk von der Art ist, daß es sich zur Vervielfältigung durch die Reprographie oder ähnliche Verfahren eignet und ein Interesse an einer solchen Vervielfältigung naturgemäß vorliegt, so soll nach diesem Gesetzesbeschluß des Nationalrates ein Anspruch auf eine Gerätevergütung zugunsten des Urhebers entstehen, und zwar dann, wenn ein Vervielfältigungsgerät im Inland gewerbsmäßig entgeltlich in den Verkehr kommt, also praktisch durch den Importeur. Die Gerätevergütung hat also derjenige zu leisten, der das Vervielfältigungsgerät im Inland als erster gewerbsmäßig entgeltlich in den Verkehr bringt. Vergütungsansprüche dieser Art können nur von Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden. – Dies ist die Gerätevergütung.

Nun zur Betreibervergütung: Der Anspruch darauf entsteht, wenn Vervielfältigungsgeräte entgeltlich oder unentgeltlich bereitgehalten werden, sei es nun in Schulen, Forschungs


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einrichtungen, öffentlichen Bibliotheken oder in Einrichtungen, die gewerbsmäßig Vervielfältigungsgeräte zur Benützung bereithalten. Bei der Gerätevergütung ist die Bemessung der Vergütung auf die Leistungsfähigkeit des Gerätes, bei der Betreibervergütung auf die Art und den Umfang der Nutzung des Gerätes abgestellt, die unter den jeweiligen Umständen wahrscheinlich ist. Die Benutzung von Bild- und Schallträgern in der Öffentlichkeit zugänglichen Einrichtungen, wie Bibliotheken und Bild- oder Schallträgersammlungen, zu öffentlichen Vorträgen und Aufführungen soll gleichfalls einem Vergütungsanspruch unterliegen, der nur von Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden kann.

Das Land Oberösterreich hat sich gegen die Neueinführung dieser Vergütungsansprüche sowie der Reprographievergütung ausgesprochen und hat dabei auf die zusätzliche Belastung der öffentlichen Hand, insbesondere der Länder, verwiesen. Die Reprographievergütung ist nach Auffassung des Landes Oberösterreich ein ungeeignetes Instrument, die Ansprüche der Urheber abzugelten. Bei Ämtern und Behörden steht eine große Zahl von Geräten, die in der Praxis kaum eine Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke zum Gegenstand haben. Sie dienen vielmehr der Vervielfältigung behördlicher Erledigungen aller Art, ferner von Erlässen, Verordnungen, Dienstanweisungen, Gesetzblättern, Urkunden und ähnlichem. Durch die Einführung der Reprographievergütung würden demnach Leistungen Ansprüchen unterworfen, die keinen urheberrechtlichen Bezug hätten. Die Reprographievergütung sei deshalb nur geeignet, das gesetzte Ziel, die Kosten der Verwaltung zu senken, zu unterlaufen.

Das Land Oberösterreich hat in diesem Zusammenhang auch das Vorgehen des Bundes bei der Einführung der Bibliothekstantieme bei der letzten Novelle zum Urheberrechtsgesetz gerügt, bei der seit langem und auch derzeit noch um das Zustandekommen einer Pauschalvereinbarung gerungen wird. Der Bundesgesetzgeber habe zunächst die Bibliotheksbenützer als die zur Entrichtung der Tantieme verpflichteten gesetzlich institutionalisiert, um dann in einer Entschließung des Nationalrates die Länder unter Erinnerung an ihre kulturpolitische Aufgabe aufzufordern, Pauschalvereinbarungen mit den Verwertungsgesellschaften abzuschließen und die Kosten der Bibliothekstantiemen zu übernehmen. Ein solches Vorgehen widerspreche, wie das Land Oberösterreich dargelegt hat, den Grundsätzen von Treu und Glauben sowie den Prinzipien eines kooperativen Bundesstaates. Es ist zu hoffen, daß ein Konsultationsmechanismus, wie er beschlossen werden soll, in Zukunft echte Kooperation in allen Bereichen gesetzgeberischen Wirkens Wirklichkeit werden läßt.

Das Land Oberösterreich hat aufgrund dieser Erfahrungen auch im Fall der Reprographievergütung die Befürchtung geäußert, daß Vergütungsansprüche an private Einrichtungen an den Bund, die Länder und die Gemeinden abgewälzt werden könnten. Zweifellos ist es eine wichtige Aufgabe und wird es eine vornehmliche Aufgabe des Bundesrates sein, ähnliches Vorgehen in Zukunft zu verhindern.

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage wird auf das deutsche Urheberrechtsgesetz verwiesen, das eine ähnliche Rechtslage, wie sie bei uns geschaffen werden soll, seit der Urheberrechtsgesetz-Novelle 1985 kennt. Danach hätte sich die Belastung der Wirtschaft als sehr mäßig erwiesen. Der Ersatz eines Ausschließungsrechts des Urhebers durch einen Vergütungsanspruch habe sogar eine preisdämpfende Wirkung gezeigt.

Der Kampf der Urheber um eine Reprographievergütung – das muß man festhalten – ist beinahe schon eine unendliche Geschichte. Die Reprographievergütung, so meine ich, ist eine zwar plumpe Waffe im Kampf der Urheber gegen die ständige Verletzung ihres Urheberrechtes und trifft viele, die Urheberrechte nicht mißbrauchen – das wird schon stimmen –, sie scheint aber zu einer Zeit, in der das Kopiergerät nicht nur in jedem Büro zu finden ist, sondern auch schon in privaten Haushalten und sich jede Kontrolle des Einsatzes jeder Administrierbarkeit entzieht und unvermeidlich ist, letztlich doch der Weisheit letzter Schluß zu sein.

Bei der Meinungsbildung zu diesem Gesetzesbeschluß des Nationalrates ist mir das Grünbuch der Europäischen Kommission zur Innovation in die Hand gefallen, in dem als eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß die Innovationskräfte im Bereich der EU gefördert werden, der Schutz des Urheberrechtes und überhaupt der Schutz bei jeder kreativen Tätigkeit bezeichnet wird, und


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es wird als Beispiel angeführt, daß die Patentanmeldungen innerhalb der EU nur ein Drittel dessen ausmachen, was sie in den USA betragen. Das heißt, der Ansporn, sich im weitesten Sinn des Wortes schöpferisch zu betätigen, ist innerhalb der Staaten der EU zu gering. Es wird nachdrücklich darauf hingewiesen, daß die Staaten innerhalb der EU dafür Sorge zu tragen hätten, daß sozusagen eine neue Erfinderepoche in die Wege geleitet wird.

Das Urheberrecht hat seinen Ursprung zweifellos im Schutz der Werke der Kultur, der Kunst und der Musik. Es ist aber nicht zu verkennen, daß es seinem Wesen nach weit über diese klassischen Bereiche hinausgreift. Bei der letzten Novelle zum Urheberrechtsgesetz wurden auch Computerprogramme – das sei in Erinnerung gerufen – dem Urheberrecht unterworfen. Man sieht hier, wie ähnlich Urheberrecht, Patentrecht, Marken- und Musterschutz einander im Grund genommen von ihrer geistigen Substanz her sind und daß es sich eigentlich nur mehr um rechtliche Unterteilungen handelt, wobei das wesentliche Substrat des Gesamten ein und dasselbe ist.

Deshalb bin ich – trotz all dieser Bedenken – in unserer Klubbesprechung zu dieser Novelle zur Überzeugung gekommen, daß man die Urheber schützen muß. Aber die Urheber weiterhin im Ungewissen zu lassen, kann in einem Rechtsstaat doch nicht die Antwort des Gesetzgebers sein. – Deshalb bitte ich Sie namens der ÖVP-Fraktion, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben. (Beifall bei der ÖVP.)

11.04

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Herbert Platzer. Ich erteile es ihm.

11.04

Bundesrat Herbert Platzer (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren Bundesräte! Von meinem Vorredner haben wir bereits gehört, daß dieses Urheberrechtsgesetz schon eine etwas längere Geschichte hat. Wir wissen auch, daß es 1993 novelliert wurde und daß damals besonders die Wünsche der Kunstschaffenden nicht in entsprechendem Maß berücksichtigt wurden.

Nun liegt nach zweijährigen Beratungen eine größere Novelle vor, und wir wissen auch, daß diese EU-Richtlinie seit Juli 1995 bereits umgesetzt sein sollte. Es handelt sich also heute um ein Nachziehverfahren, um das einmal so zu bezeichnen.

Ich habe aufmerksam zugehört und kann nur zustimmen, daß die vorliegende Gesetzesnovelle nicht ganz zufriedenstellend ist, besonders was die finanziellen Regelungen betrifft. Diese Novelle stellt allerdings einen Kompromiß dar, ein Kompromiß ist immer zu begrüßen. Kompromisse neigen dazu, oft sehr lange bestehen zu bleiben. (Bundesrat Mag. Langer: Leider!)

Es ist in Österreich – aber das ist sicherlich nicht nur in Österreich der Fall – so, daß das Eigentum, vor allem wenn es sich um materielle Werte handelt, sehr stark geschützt ist. Eigentum ist uns heilig. Es wird alles getan, um Eigentum zu schützen. Nicht so ernst nehmen wir es aber mit dem geistigen Eigentum. Man könnte boshafterweise sagen, das läßt tief blicken und ist nicht unbedingt schmeichelhaft.

Mit dieser Novelle soll nun endlich das Ziel erreicht werden, daß die Kulturschaffenden doch etwas weniger abhängig sein sollen und nicht mehr um Subventionen betteln gehen müssen. Sie erhalten die Möglichkeit, ein ihren Leistungen entsprechend halbwegs gerechtes Entgelt zu bekommen.

Wir müssen aber auch endlich anerkennen, daß auch geistige Produkte einen Marktwert haben. Es ist also einfach gerecht, daß hinsichtlich geistigen Eigentums gesetzliche Regelungen geschaffen werden, daß man gesetzliche Lizenzen einräumt.

Meine Damen und Herren! Ich habe gelesen, daß etwa die Kosten für Film, Fernsehen, Video, Graphik, Werbung et cetera 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, also rund 25 Milliarden Schil


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ling, ausmachen. Daran ist deutlich abzulesen, daß diese Urheberrechtsgesetz-Novelle auch einen wirtschaftlichen Faktor darstellt.

Diese Novelle hat daher auch eine große Bedeutung im Rahmen der gesamten Rechtsordnung, und zwar sichert sie den Schutz der Urheber genauso wie das Interesse der Allgemeinheit am gesetzmäßigen Zugang zu den urheberrechtlich geschützten Leistungen. Ich meine daher auch, daß ein verstärkter urheberrechtlicher Schutz eine größere Unabhängigkeit von öffentlichen und/oder privaten Mäzenen garantieren könnte. Eigentlich müßten das auch jene anerkennen, die gerne über die sogenannten Staatskünstler lamentieren oder räsonieren.

Diese Novelle ist ein wichtiges Element der Förderung der kulturellen Leistung unseres Landes. Neben der Verbesserung der Rechtsstellung der Filmurheber, neben der besseren Verfolgungsmöglichkeit von gewerbsmäßig betriebenen Urheberrechtsverletzungen, neben der gesetzlichen Lizenz für die Aufführung von Filmen über Videokassetten in Beherbergungsbetrieben ist für mich als Lehrer wichtig, daß es Erleichterungen beim Zugang zu gesetzlich geschützten Werken gibt, ob das nun im Unterrichtsbereich von den Pflichtschulen bis zu den Hochschulen oder im Bereich der Erwachsenenbildungseinrichtungen ist. Jeder weiß – es sind auch einige Berufskollegen hier anwesend –, daß in den Bildungseinrichtungen mit Kopien von geistigem Eigentum gearbeitet wurde und nach wie vor wird, was einen Verstoß gegen das derzeit geltende Gesetz bedeutet. Ob nun Gedichte oder Werke von anderen Künstlern kopiert oder auch in Form von Overheadfolien gezeigt wurden, es hat sich immer um Raubkopien oder um Raubdruck gehandelt. Es kann also meiner Meinung nach nicht weiter so bleiben, daß permanent in allen Bildungseinrichtungen nicht korrekt vorgegangen wird.

Es ist mir klar, daß die Befolgung dieser Novelle etwas kosten, die Schulerhalter und den öffentlichen Haushalt belasten wird. Trotzdem meine ich aber, wir müßten uns dazu durchringen, zuzugestehen, wer eine Leistung erbringt, soll dafür auch ein Entgelt bekommen.

Mit dem Hinweis auf Schulen und Bildungseinrichtungen habe ich, wie ich meine, den Hauptpunkt der Novelle angesprochen, nämlich die Reprographievergütung, also die Vergütung für jede Art der Vervielfältigung. Mein Vorredner hat bereits darauf hingewiesen, daß es sich sowohl um eine Gerätevergütung, etwa eher für den persönlichen Gebrauch gedacht, als auch um eine Betreibervergütung handelt. Ich finde es gut, daß der Gesetzgeber über die Höhe der Vergütung nichts aussagt. Das wird sicher noch auszuverhandeln sein.

Am Beginn habe ich davon gesprochen, daß ich es für gut halte, daß mit der vorliegenden Novelle ein Kompromiß geschlossen wird. Einen Kompromiß sehe ich vor allem darin, daß das sogenannte Folgerecht nicht umgesetzt wird. Die Gründe dafür sind uns bekannt. So befürchten etwa Vertreter des Kunsthandels und Galerienbesitzer, daß Künstler, deren Werke in späteren Jahren im Wert sehr hoch steigen, am Erlös von Werken ihrer frühen Schaffungsperiode mitbeteiligt werden müßten. Es bleibt abzuwarten, ob und wann dieses Folgerecht in einer künftigen EU-Richtlinie umgesetzt wird. Dann werden sich der Nationalrat und auch der Bundesrat wieder damit zu befassen haben.

Abschließend möchte ich nur noch sagen: Ich meine, daß wir dieser Novelle trotz aller Einwände, die es gibt, besonders was die Kosten und die Belastung des öffentlichen Haushalts betrifft, mit gutem Gewissen zustimmen können, und zwar sowohl vom wirtschaftlichen Standpunkt als auch vom Standpunkt der Künstler und Kulturschaffenden aus. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

11.13

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist weiters Herr Bundesrat Mag. Dieter Langer. Ich erteile es ihm.

11.13

Bundesrat Mag. Dieter Langer (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Die vorliegende Novelle – so steht es im Bericht des Justizausschusses – entspricht in ihrem wesentlichen Inhalt einem Forderungsprogramm, das aufgrund des Salzburger Urheberrechtskongresses verabschiedet wurde – wohlgemerkt:


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einem Forderungsprogramm! Es ist die vorliegende Urheberrechtsgesetz-Novelle ein Versuch, zusätzliche Vergütungsansprüche für Urheber von Werken für deren geistiges Eigentum zu erwirken, und sie soll – so haben wir es auch gehört – die Unabhängigkeit von Künstlern und Autoren entsprechend fördern.

Im Gegensatz zu meinen Vorrednern bin ich der Ansicht, daß es sich um einen Versuch mit untauglichen Mitteln handelt. Es ist heute angeklungen, daß in der vorliegenden Novelle in der Frage des Folgerechtes noch keine Übereinstimmung erzielt ist und daß die Lösung dieser Frage noch auf uns zukommt; das läßt noch Schlimmes befürchten.

Es wurde betont, daß es sich bei der vorliegenden Novelle um einen Kompromiß aller Beteiligten und aller betroffenen Gruppen handeln soll. Bei einem Kompromiß in dieser Form stelle ich in Abrede, daß auch die Interessen der Wirtschaft und der betroffenen Gruppen von seiten der Künstler berücksichtigt worden sind.

Wir Freiheitlichen sind immer dafür eingetreten, geistiges Eigentum zu schützen und auch das Urheberrecht entsprechend zu verankern und abzusichern. Wir traten auch in den vergangenen zwei Jahren dafür ein, als diese Novelle zur Debatte stand, und haben auch selbst einen Fristsetzungsantrag gestellt. Wir sind daher nicht gegen Urheberrechtsschutz und gegen Vergütung für geistiges Eigentum, sondern wir sind gegen eine schlechte Umsetzung dieser an sich guten Zielsetzungen. Denn das, was Sie uns vorlegen, ist unüberlegt und ungerecht. Es schafft neue Belastungen, und es schafft eine neue Abgabe. Sie bezeichnen es verschämt als Reprographievergütung, was sich als Vergütung auf Geräte und als Vergütung von Betreibern, sprich für Kopien, herausstellt.

Sie waren offenbar bisher immer bereit, nach dem Gießkannenprinzip Subventionen auszuteilen oder auch Steuerbelastungen vorzunehmen, Sie haben nun offenbar dasselbe Prinzip zur Richtschnur für eine Einnahmenregelung gemacht, indem Sie undifferenziert über alles drüberfahren und alle Geräte und alle Kopien, allerdings unter bestimmten Voraussetzungen, mit einer Belastung oder Abgabe versehen, ohne Überlegung, ohne nachzufragen, ob überhaupt geistiges Eigentum kopiert wird oder ob es sich um notwendige Kopien handelt, die eben nicht vom Urheberrechtsschutz betroffen sind. (Bundesrat Ing. Penz: Sie wollen überall hingehen und fragen?)

Ich bezeichne das, was Sie hier einführen, als eine Kopiersteuer, denn nichts anderes ist es. Es ist eine gesetzlich aufgezwungene Abgabe, in diesem Fall eine Vergütung, mit Strafbestimmungen versehen. Sie belastet die Wirtschaft, die öffentliche Hand, Schulen, Bildungseinrichtungen, das Wirtschaftsförderungsinstitut, das BFI, die Kammern, Bibliotheken, gewerbliche Vervielfältiger und so weiter.

Sie berücksichtigen dabei auch noch nicht einmal die neuesten Vervielfältigungsmethoden und haben es trotz zweijähriger Diskussion nicht geschafft, etwas Eigenständiges zu entwickeln, denn Sie haben diese Bestimmung 1 : 1 von den Bestimmungen in der Bundesrepublik Deutschland "abgekupfert". Sie haben die Kopiersteuer kopiert, allerdings haben nicht Sie, sondern die Wirtschaft, die öffentliche Hand und die Bildungseinrichtungen diese Steuer zu bezahlen. Wir wissen noch nicht einmal, wieviel das sein wird, und das ist doch wohl das Größte an dieser Angelegenheit. Denn es steht hier: Es ist auf folgende Umstände Rücksicht zu nehmen: auf die Leistungsfähigkeit des Gerätes und die Art und den Umfang der Nutzung des Vervielfältigungsgerätes.

Sehr geehrte Damen und Herren! Man ist mangels einer gesetzlichen Rahmenregelung der Willkür, dem Druck und dem Diktat der Verwertungsgesellschaften ausgeliefert. Diesem Druck und Diktat sind aber ebenso die Autoren und Künstler, die Urheber all dieser Werke ausgeliefert, denn es ist auch nicht gesagt, in welcher Art und Weise und in welcher Höhe die Verwertungsgesellschaften, die davon leben, und zwar nicht schlecht davon leben – ein großer Teil der eingenommenen Vergütung geht für die Verwaltungskosten auf –, diese Vergütung an die Urheber ausschütten sollen. Dafür gibt es Belastungen für die Wirtschaft in Zeiten der Rezession und im Hinblick auf zukünftige Belastungen durch das heranstehende Belastungspaket. Wo waren die Wirtschaftsvertreter von seiten der ÖVP, wenn auch Frau Abgeordnete


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Fekter selbst zugibt, nicht sehr glücklich zu sein, aber das ist auch schon das einzige, was sie in diese Richtung an Äußerungen für die Wirtschaft getan hat?!

Wir wissen also nicht genau, wie hoch die Abgabe sein soll. Schätzungen zufolge sollen es bis zu 10 Prozent auf die Geräte sein und bis zu 30 Groschen auf die Kopie, andere sagen, es ist wesentlich weniger. Wir haben gehört, daß in Deutschland die Belastung nicht so hoch ist, was zur Folge hat, daß sich die Wirtschaft dadurch auch nicht belastet fühlt. Ich kann mir das nicht vorstellen. Wenn die Vertreiber von diesen Geräten die Vergütung, also die Gerätesteuer, abführen müssen, dann ist es selbstverständlich, daß diese auf den Verkaufspreis geschlagen wird, und all jene, die solche Geräte erwerben, haben die Vergütung als zusätzlichen Bestandteil des Kaufpreises zu bezahlen.

Aber wie ist das in der Praxis? Welcher Betrieb kopiert denn wirklich Bücher oder ganze Werke? – Wenn ich mir zum Beispiel einzelne Absätze aus einer Gesetzessammlung herauskopiere und damit arbeite, weil ich das Buch nicht verschmieren möchte, dann habe ich doch beim Kauf des Werkes – dieses Buches – meine Urheberrechtsabgabe schon entrichtet und muß das nicht doppelt – beim Kauf des Gerätes und beim Kopieren – tun. Wenn ich also einzelne Absätze daraus zur Verfügung haben will, dann müßte ich auf die antiquierte Form des Abschreibens zurückgreifen, denn das Abschreiben von Werken ist mit keiner Abgabe belastet. Das ist natürlich wesentlich zeitaufwendiger, hat aber denselben Effekt.

Oder: Gehen Sie in die Schulen, in die Praxis! – Da werden Angaben für eine Schularbeit, für einen Physik- oder Chemietest kopiert – was ja, sehr geehrte Damen und Herren, das geistige Eigentum des betreffenden Professors ist –, und die Schule oder der Elternverein zahlt an die Verwertungsgesellschaft eine Vergütung beziehungsweise eine Steuer, damit diese Verwertungsgesellschaft auf Kosten unseres Bildungsauftrages geistiges Eigentum hauptsächlich an ausländische Autoren – denn es kommt zum geringsten Teil den Österreichern zugute – weiterleitet.

Ich sage, das ist ein Kniefall vor einer Lobby, die sich den leichtesten Weg ausgesucht hat, entsprechende – auch von uns befürwortete – Ansprüche im Rahmen des Urheberrechts umzusetzen, und die neuen Technologien, die eine wesentlich leichtere Kopierarbeit gewährleisten, sind dabei noch gar nicht berücksichtigt – das hätte man bei einer zweijährigen Überlegensphase durchaus machen können. Die Möglichkeit, über Scanner, CD-ROM, Disketten, Speicherbänder oder Platten auf urheberrechtlich geschützte Werke zuzugreifen, ist wesentlich gefährlicher und umfassender, als das im Rahmen von Kopien vorgenommen werden kann, weil diese wesentlich zeitaufwendiger sind.

Sie gehen doch in diesem Fall nur von der Tatsache aus, daß mit einem Vervielfältigungsgerät eben auch urheberrechtlich geschützte Werke vervielfältigt werden können; das heißt, Sie setzen die Steuer schon dort an, wo überhaupt noch keine Absicht, sondern nur die Möglichkeit besteht. Ich gebe Ihnen einen guten Tip: Auch Papier ist von seiner Natur her durchaus geeignet, daß darauf vervielfältigt wird. Warum belasten Sie also nicht gleich jedes Blatt Papier mit einer Kopiersteuer und mit einer Vergütung, die Sie dann den Verwertungsgesellschaften zum Zwecke der Verteilung und Abhängigmachung der Autoren in den Rachen werfen?

Meine Damen und Herren! Wir Freiheitlichen sagen ja zum Schutz des geistigen Eigentums. Wir sagen ja zu einer gerechten Vergütung der Leistung an die Urheber, aber nur dann, wenn dies ausgewogen und gerecht ist. Das ist bei der vorliegenden Novelle nicht der Fall. Wir können daher nicht zustimmen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

11.24

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Dr. Michalek. Ich erteile es ihm.

11.24

Bundesminister für Justiz Dr. Nikolaus Michalek: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussion zur vorliegenden Novelle hat sich im besonderen an den


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Vorschlägen hinsichtlich der Reprographievergütung entzündet. Ich möchte daher in meiner Wortmeldung im wesentlichen darauf eingehen.

Das Urheberrecht soll – das ist neben dem Schutz der ideellen Interessen seine vornehmste Aufgabe – dem geistigen Schöpfer, dem Urheber, die wirtschaftlichen Früchte seines geistigen Schaffens sichern. Dabei knüpft es von alters her an die verschiedenen Möglichkeiten, ein Werk zu nutzen, an. Diese Werknutzungsmöglichkeiten sind sehr stark vom technischen Fortschritt abhängig.

So war es vor der weiten Verbreitung von Tonbandgeräten, Kassettenrecordern oder Videogeräten technisch gesehen nur sehr aufwendig möglich, Aufzeichnungen von im Rundfunk gesendeten oder auf handelsüblichen Bild- und Schallträgern festgehaltenen Werken anzufertigen. Als jedoch nahezu jeder Haushalt über derartige Geräte verfügte, war der Gesetzgeber aufgerufen, die dadurch eingetretene Aushöhlung des Urheberrechts – damals durch die Leerkassettenvergütung, die im wesentlichen ein Vorbild für die jetzige Regelung ist – in den Griff zu bekommen.

In derselben Situation befinden wir uns heute hinsichtlich der Verwendung der Kopiergeräte. Die Herstellung von Kopien ist jedermann leicht möglich. Das heute erwähnte, in der Vergangenheit mühsam erfolgte Abschreiben ist fast gänzlich aus unserer Erinnerung entschwunden.

Kaum jemand, der ein Kopiergerät benützt, ist sich im klaren darüber, innerhalb welcher Grenzen er die freie Werknutzung zum eigenen Gebrauch vornehmen darf. Es darf uns daher nicht wundern, daß im großen Stil Verletzungen des Urheberrechts geschehen, ohne daß dies den betroffenen Personen überhaupt bewußt wird. – Das auch deshalb, weil die Rechteinhaber bei der gerichtlichen Geltendmachung von Rechtsverletzungen außerordentlich zurückhaltend waren und seit Jahren lieber eine vernünftige gesetzliche Regelung angestrebt haben.

Die hier zur Beschlußfassung vorliegende Urheberrechtsgesetz-Novelle sieht daher eine Legalisierung der derzeitigen Praxis und somit auch eine Liberalisierung vor. Der Käufer des Gerätes wird damit künftig das Recht erwerben, urheberrechtlich geschütztes Material für seinen Bedarf vervielfältigen zu dürfen. Bestimmte Großbetreiber, die in der Regel im großen Umfang Vervielfältigungen für andere herstellen, werden dies durch Bezahlung der Betreibervergütung künftig recte tun dürfen.

Insbesondere zugunsten von Schulen und Hochschulen, aber auch in anderen Bereichen sieht das Gesetz eine wesentliche Ausdehnung der Nutzungsrechte vor, die künftig ohne Zustimmung des Berechtigten – die derzeit hätte eingeholt werden müssen – wahrgenommen werden dürfen. Als Ausgleich für diese künftigen zusätzlichen Nutzungsmöglichkeiten sieht das Gesetz eine angemessene Vergütung vor, die der Importeur beziehungsweise der Betreiber des Kopiergerätes zu entrichten haben wird. Es handelt sich dabei keineswegs um eine Steuer, noch hat die Regelung überhaupt irgend etwas mit unserem Sparpaket zu tun. Es handelt sich mit anderen Worten um keine Regelung, die dem Staat Einnahmen bringen soll, im Gegenteil: Es wird ihn künftig mit Ausgaben zugunsten der bisher diesbezüglich übergangenen beziehungsweise umgangenen Urheber belasten.

Die Höhe der Vergütung wird durch Gesamtverträge, an denen Zahlungspflichtige und Berechtigte gemeinsam mitwirken werden, festgelegt. Anders als bei der Leerkassettenvergütung, die auf Musik abstellt, ist kein größerer Geldabfluß ins Ausland zu befürchten. Hinsichtlich des deutschsprachigen Raumes muß man in diesem Zusammenhang bedenken, daß durch die Regelung nunmehr ein Gleichklang mit der Gesetzeslage in Deutschland hergestellt wird. Derzeit genießen österreichische Urheber in der Bundesrepublik Deutschland Schutz und sind an der Reprographievergütung beteiligt, nicht aber umgekehrt.

Zusammenfassend glaube ich doch, eindeutig festhalten zu können, daß die vorliegende Novelle ein gelungener Kompromiß ist, ein ausgewogener Ausgleich zwischen den Interessen der Urheber auf der einen Seite und den Interessen der Allgemeinheit am besseren Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken. Es ist dies auch ein wirtschaftlich gut abgestimmtes


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Gesetz, mit dem Österreich wieder an seine Tradition eines hohen urheberrechtlichen Schutzniveaus anschließt und gleichzeitig die Bedürfnisse der Nutzer besser berücksichtigt. – Danke vielmals. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

11.31

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Michael Ludwig. Ich erteile es ihm.

11.31

Bundesrat Dr. Michael Ludwig (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Was ist das Ziel dieser Novelle? – Sinn und Inhalt dieser Urheberrechtsgesetz-Novelle ist, daß österreichische Künstlerinnen und Künstler für ihr Werk, für ihre Leistung, für ihr geistiges Eigentum eine angemessene Abgeltung bekommen. Deshalb ist es mir eigentlich nicht einsichtig, Herr Mag. Langer, daß gerade jene, die immer wieder besonders darauf hinweisen, daß Kulturschaffende von der Unterstützung der öffentlichen Hand oder von Subventionen unabhängig sein sollten, diesem Antrag und dieser Novelle keine Unterstützung geben können. (Bundesrat Mag. Langer: Ich habe es erklärt! Sie können aber nicht zuhören!) Damit werden wirtschaftliche Rahmenbedingungen geschaffen, die es Künstlerinnen und Künstlern ermöglichen, unabhängig von Subventionen agieren zu können und durch eine gerechte Abgeltung entsprechend ihrer Leistung wirtschaftlich abgesichert zu sein.

Diese Novelle dient zweifellos der Anerkennung der Leistungen der österreichischen Kulturschaffenden und verbessert deren ökonomische und soziale Lage. Die Novelle sichert über die Verwertungsbeiträge den Künstlern Entgelt für erbrachte Leistungen. Erst ein starker urheberrechtlicher Schutz macht Künstlerinnen und Künstler von privaten Sponsoren und von Subventionen der öffentlichen Hand unabhängig. Diese Novelle ist somit ein wichtiges Element der Kulturförderung in Österreich und dient, wie bereits erwähnt, auch der sozialen Absicherung der Kulturschaffenden.

Der Gesetzentwurf enthält eine Reihe von Neuregelungen, so zum Beispiel bestimmte Erleichterungen des Zuganges zu urheberrechtlich geschützten Werken im Bereich von Unterricht und Wissenschaft. Schulen und Hochschulen – ich gehe davon aus, auch die Einrichtungen der allgemeinen und beruflichen Erwachsenenbildung – dürfen für Zwecke des Unterrichts beziehungsweise der Lehre in dem dadurch gerechtfertigten Umfang Vervielfältigungsstücke anfertigen und den entsprechenden Schulklassen aushändigen. Schulen und Hochschulen dürfen für Zwecke des Unterrichts beziehungsweise der Lehre außerdem Werke der Filmkunst und die damit verbundenen Werke der Tonkunst öffentlich aufführen. Auch das ist eine deutliche Erleichterung im Bildungsbereich für das Einsetzen von kulturell wichtigen und interessanten Werken.

Die Reprographievergütung wird zusätzliche Belastungen für Schulen, Universitäten, Forschungseinrichtungen und Einrichtungen der allgemeinen sowie der beruflichen Erwachsenenbildung mit sich bringen. Vor allem die Anschaffung von Kopiergeräten wird zu einem zusätzlichen finanziellen Aufwand führen. Sofern die Kopien den Teilnehmern zur Verfügung gestellt werden, ist diese Vergütung in den Preis einzurechnen. Zu bezahlen ist sie vom Bezieher der Kopie. Das bedeutet, es wird sich natürlich auch der Preis der Kopien, die in Bildungseinrichtungen eingesetzt werden, erhöhen.

Dennoch gibt es eine Reihe von Vorteilen für diese Bildungseinrichtungen. Die Verwendung von Kopien im Unterricht und im Kursgeschehen wird entkriminalisiert. Der Herr Bundesminister hat schon darauf hingewiesen, daß diese Maßnahmen auch dazu führen, daß eine Praxis, die da und dort im Schul-, aber auch im Erwachsenenbildungsbereich praktiziert wurde, legalisiert wird und der Zugang zu vielen Werken dadurch erleichtert wird. Der heutige Rechtsstand des Urheberrechtsgesetzes sieht nämlich vor, daß Schulen nur mit Kopien arbeiten dürfen, wenn die Genehmigung des berechtigten Künstlers eingeholt wurde – eine Hürde, die oft nicht genommen wurde, wodurch der Zugang der Schüler zu wichtigen Werken bis jetzt verschlossen war beziehungsweise in den Schulen und Bildungseinrichtungen nicht gesetzeskonform agiert wurde.


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Durch diese Novelle wird dieser Unrechtszustand behoben, und es werden den Schülerinnen und Schülern und den Teilnehmern an der Erwachsenenbildung diese Werke erschlossen. Mit dieser Novelle des Urheberrechtsgesetzes sind Lehrende in Schulen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung, aber auch der Universitäten nicht mehr in der Situation, abwägen zu müssen, ob sie auf den Einsatz von interessanten künstlerischen Werken verzichten oder gegen bestehendes Recht agieren sollen – ein nicht zu unterschätzender Vorteil, den diese Gesetzesnovelle mit sich bringt.

In Abwägung der Vor- und Nachteile, das heißt, auf der einen Seite der finanziellen Belastungen für öffentliche und private Einrichtungen und auf der anderen Seite der berechtigten Abgeltung von Leistungen, die Kulturschaffende in unserem Land erbringen, treten wir für die Annahme dieses Antrages ein, um entsprechende Rahmenbedingungen für Künstlerinnen und Künstler zu schaffen, wirtschaftlich und sozial unabhängig in Österreich agieren zu können. (Beifall bei der SPÖ und Beifall des Bundesrates Pramendorfer .)

11.36

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist daher geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Das ist ebenfalls nicht gegeben.

Hoher Bundesrat! Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmenmehrheit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen .

4. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 29. Februar 1996 betreffend ein Bundesgesetz über den Transport von Tieren im Luftverkehr (Tiertransportgesetz-Luft – TGLu) (1 und 44/NR sowie 5137 und 5141/BR der Beilagen)

5. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 29. Februar 1996 betreffend ein Protokoll über eine Änderung des Artikels 50 lit. a des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt, unterzeichnet in Montreal am 26. Oktober 1990 (17 und 45/NR sowie 5142/BR der Beilagen)

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Wir gelangen nun zu den Punkten 4 und 5 der Tagesordnung des Bundesrates, über welche die Debatte ebenfalls unter einem abgeführt wird.

Es sind dies ein Bundesgesetz über den Transport von Tieren im Luftverkehr (Tiertransportgesetz-Luft – TGLu) und ein Protokoll über eine Änderung des Artikels 50 lit. a des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt, unterzeichnet in Montreal am 26. Oktober 1990.

Die Berichterstattung über die Punkte 4 und 5 hat Herr Bundesrat Karl Hager übernommen. Ich ersuche ihn höflich um die Berichterstattung.

Berichterstatter Karl Hager: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für öffentliche Wirtschaft und Verkehr zum Tiertransportgesetz-Luft.


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Es hat sich in letzter Zeit deutlich gezeigt, daß Mißstände beim Transport von Tieren im Luftverkehr – wenngleich nicht in Österreich – durch die bereits vorhandenen internationalen, jedoch innerstaatlich nicht verbindlichen Regelungen nicht verhindert werden können. Es ergibt sich daher für den österreichischen Gesetzgeber die Notwendigkeit, ein entsprechendes Gesetz zum Schutz der Tiere beim Transport mit Luftfahrzeugen zu erlassen, um ein Übergreifen dieser Mißstände auf Österreich auch in Zukunft verhindern zu können.

Der vorliegende Gesetzesbeschluß soll den bestmöglichen Schutz für Tiere, die mit Luftfahrzeugen transportiert werden, gewährleisten. Gleichzeitig sollen das Europäische Übereinkommen zum Schutz von Tieren beim Internationalen Transport und die Richtlinien des Rates vom 19. November 1991 über den Schutz von Tieren beim Transport für den Bereich der Luftfahrt umgesetzt werden.

Die genaue Höhe der Kosten, die im Rahmen der Überwachung dieses Bundesgesetzes entstehen, läßt sich noch nicht feststellen. Wegen der geringen Anzahl von Tiertransporten im Luftverkehr von oder nach Österreich ist jedoch keine nennenswerte Mehrkostenbelastung zu erwarten.

Der Ausschuß für öffentliche Wirtschaft und Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 18. März 1996 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Ich bringe weiters den Bericht des Ausschusses für öffentliche Wirtschaft und Verkehr über den Beschluß des Nationalrates vom 29. Februar 1996 betreffend ein Protokoll über eine Änderung des Artikels 50 lit. a des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt, unterzeichnet in Montreal am 26. Oktober 1990.

Durch den vor allem in den letzten Jahren stark erweiterten Mitgliedstand der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO), die durch das Abkommen von Chicago 1944 gegründet wurde und der Österreich seit 1948 angehört, entspricht die Anzahl der das ständige Exekutivorgan – den Rat – bildenden Staaten nicht mehr den aktuellen beziehungsweise künftigen Anforderungen.

Durch Beschluß der 28. außerordentlichen Vollversammlung der ICAO am 25. Oktober 1990 und der Unterzeichnung durch den Präsidenten und den Generalsekretär der Organisation am 26. Oktober 1990 wird der Mitgliedstand des Rates von 33 auf 36 erhöht.

Da die Änderung des Artikels 50 lit. a des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt lediglich institutionelle Änderungen innerhalb der ICAO zur Folge hat, ist die EU-Konformität gegeben.

Dem Nationalrat erschien bei der Genehmigung des Abschlusses des vorliegenden Staatsvertrages die Erlassung von besonderen Bundesgesetzen im Sinne des Artikels 50 Abs. 2 B-VG zur Überführung des Vertragsinhaltes in die innerstaatliche Rechtsordnung nicht erforderlich.

Das vorliegende Abänderungsabkommen ist ein gesetzändernder Staatsvertrag. Es hat nicht politischen Charakter und enthält keine verfassungsändernden Bestimmungen. Eine Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG ist nicht erforderlich, da keine Angelegenheiten, die den selbständigen Wirkungsbereich der Länder betreffen, geregelt werden.

Gemäß Artikel 49 Abs. 2 B-VG ist dieser Staatsvertrag hinsichtlich der authentischen Texte in russischer und spanischer Sprache dadurch kundzumachen, daß diese im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten zur öffentlichen Einsicht aufgelegt werden.

Der Ausschuß für öffentliche Wirtschaft und Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 18. März 1996 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag , keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Wir gehen in die Debatte ein, die über die zusammengezogenen Punkte unter einem abgeführt wird.


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610. Sitzung / Seite 26

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dipl.-Ing. Richard Kaiser. Ich erteile es ihm.

11.42

Bundesrat Dipl.-Ing. Richard Kaiser (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Hohes Haus! Wir behandeln heute das Tiertransportgesetz-Luft, ein eigenes Gesetz für den Transport von Tieren im Luftverkehr, mit dem eine Weiterentwicklung in diesem Bereich erfolgt, wie wir sie mit dem Tiertransportgesetz-Straße für den Transport auf der Straße bereits eingeleitet haben. Im wesentlichen geht es um die Abstellung von Mißständen beim Lufttransport, es geht aber auch um die Vertragstreue. Wie schon vom Berichterstatter erwähnt, sind wir seit 1973 Vertragspartner des Europäischen Übereinkommens über den Schutz von Tieren, und dessen Sonderbestimmungen über den Lufttransport von Tieren werden nun verbindlich umgesetzt.

Auch die EU hat mit der Richtlinie 91/628/EWG Regelungen zum Schutz von Tieren beim Transport erlassen, und es gibt sogar einen besonderen Abschnitt für den Transport auf dem Luftweg.

Das Gesetz regelt die erfaßten Tiergattungen, die Durchführung des Transportes und so weiter. Der Versender hat eine Transportbescheinigung zu erstellen. Diese hat folgende Angaben zu enthalten: die Art und Anzahl der transportierten Tiere, den Zweck des Transports, tierärztliche Bestätigungen über die Transportfähigkeit, den Zeitplan über Fütterung und Tränkung, bei weiblichen Tieren gegebenenfalls das Stadium der Trächtigkeit, die Zeitabstände der Melkung bei Milchkühen und die erforderliche Beschaffenheit und Menge von Futter und Wasser.

Geregelt ist auch die Frage der Begleitpersonen und eventueller Transportbehälter sowie die Versorgung nach Entladung oder bei Zwischenlandungen.

Ich meine, daß diese gesetzliche Regelung nicht nur notwendig, sondern auch sinnvoll und tierfreundlich ist. Österreich bekräftigt einmal mehr seine Vorreiterrolle in diesem Bereich und ist der erste Staat, der diese Tiertransportrichtlinien in dieser Form umsetzt.

Die Verhandlungen über unser Tiertransportgesetz für die Straße, an denen ich teilgenommen habe, waren nicht leicht. Ich glaube aber, daß ein vernünftiger Kompromiß gefunden wurde und die wichtigsten Kernpunkte, nämlich Regelungen bezüglich Fahrzeit, Entfernung, Ausstattung der Transportfahrzeuge, Be- und Entladen, Fütterung und Tränkung, in diesem Gesetz enthalten sind.

Es wurde aufgrund unserer Forderung auch klargestellt – dafür danke ich dem Verkehrsminister –, daß in die Fahrzeit und in die Anzahl der zurückgelegten Kilometer – es geht um die sechs Stunden und die Entfernungsbegrenzung im Ausmaß von 350 Kilometer – auch die Fahrzeit im Ausland und die ausländischen Kilometer miteingerechnet werden. Denn es hat Versuche gegeben, dieses Gesetz dadurch zu umgehen, daß man zum Beispiel bayrische Tiere über Tschechien nach Österreich gebracht und gemeint hat, man sei nur eine Stunde und vielleicht nur 50 Kilometer unterwegs gewesen. Unsere diesbezügliche Forderung war daher gerechtfertigt, daß man das klarstellt, und es gibt auch eine entsprechende Verordnung dazu.

In der EU wurden 1995 Neuregelungen der Tiertransportbestimmungen diskutiert. Dort wird allerdings eine Entfernungsbegrenzung völlig abgelehnt – ich erwähne nochmals: bei uns 350 Kilometer –, und auch die Sechs-Stunden-Frist war völlig chancenlos.

Anläßlich der Beratungen hat der Hauptausschuß des Nationalrates damals den Landwirtschaftsminister zunächst nicht ermächtigt, bei diesen Beratungen von der Sechs-Stunden-Frist abzugehen. Er war daher praktisch von der Debatte und den Beratungen ausgeschlossen. Vertreter einiger Staaten, Südländer, haben eine 20-Stunden-Frist verlangt, andere meinten, 12 Stunden wäre die richtige Zeitdauer. Herr Landwirtschaftsminister Molterer konnte daher Kommissär Fischler bei seiner Forderung nach einer achtstündigen Kompromißformel zunächst nicht unterstützen.


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Interessant ist auch, daß anläßlich dieser Debatte im Hauptausschuß Sympathisanten von Gruppierungen, die sich beim Beschluß des Tiertransportgesetzes aus Protest über die Mangelhaftigkeit an einem Fahrzeug angekettet hatten, plötzlich vom besten Tiertransportgesetz der Welt gesprochen haben. Ich sehe eine Parallele zu den derzeitigen Ereignissen und zum Tierschutz-Volksbegehren. Da geht es bekanntlich um die Forderung nach Übertragung der Tierschutzkompetenz an den Bund, die Aufnahme der Würde des Tieres in die Verfassung, die Schaffung eines Tieranwaltes, der fünf Jahre bei einem Tierschutzverein gearbeitet und ein abgeschlossenes Jusstudium haben muß, und um die Mittelbereitstellung für Maßnahmen des Tierschutzes.

Ich verweise in dieser kritischen finanziellen Situation auch darauf, daß die Kosten der Verwirklichung dieser Vorschläge etwa auf 10 Milliarden Schilling geschätzt wurden.

Vordergründig geht es gewissen Kreisen offensichtlich doch mehr um die Schaffung neuer Arbeitsplätze für ihre Sympathisanten zu Lasten anderer. Sie wollen Behördencharakter bekommen und bieten sich für die Ausstellung von Bestätigungen über die artgerechte Erzeugung und ähnlichem an – allerdings nicht kostenlos.

Nichtopportune Forderungen, wie zum Beispiel bezüglich des Tierleids, das sicher nicht selten auch bei der Heimtierhaltung auftritt, werden nicht gestellt. Etwa die Frage der Vogelkäfige, der Katzen- und Hundehaltung in Miniwohnungen, die Situation der nicht ausgemisteten Käfige von Meerschweinchen, der Fische in Aquarien –, all das ist kein Thema. Ich glaube, wenn man eine Gesamtbetrachtung anstellt, müßte man sich auch darüber Gedanken machen.

Ich bin gegen völlig unrealistische Forderungen, die die Produktion in Österreich unmöglich machen und den Markt für Produkte aus unkontrollierten Massenproduktionen im Ausland freimachen. Ich bin für die Beibehaltung der Tierschutzkompetenz bei den Ländern und für eine rasche Umsetzung der Bestimmungen, auf die sich die Länder als Mindesterfordernisse in Form eines 15a-Vertrages geeinigt haben. Die Tierschutzerfordernisse bei einem Tiroler Bergbauern sind eben andere als in einem städtischen Haushalt.

Interessant ist, daß sich auch der international anerkannte Tierschutzexperte Universitätsdozent Bartussek, der häufig als Experte der Grünen im Haus tätig war, für solche 15a-Verträge ausspricht, weil er meint, daß man dadurch den Erfordernissen besser Rechnung tragen kann. Ich unterstütze daher den Antrag, daß gegen den vorliegenden Gesetzestext kein Einspruch erhoben werden soll.

Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir abschließend noch ein Wort: Ich war bis zum 15. Jänner Mitglied des Nationalrates und bin seit 25. Jänner Mitglied des Bundesrates. Ich werde mit Ablauf des heutigen Tages diese Funktion zurücklegen, weil ich wieder in den Nationalrat zurückkehre.

Ich möchte mich für die freundschaftliche Aufnahme in diesem Hause sehr bedanken. Das gilt nicht nur für den eigenen Klub, sondern für alle drei Klubs.

Ich muß sagen, das Klima, das zwischen den Fraktionen hier herrscht, ist vorbildlich. Man hat nie den Eindruck, daß irgend jemand einen anderen als Feind betrachtet, was anderenorts manchmal doch der Fall sein könnte.

Ich möchte mich daher wirklich recht herzlich bedanken. Ich habe es für eine Selbstverständlichkeit gefunden, bei der Ehrung der Schriftführerin gestern dabeizusein, und ich betrachte es als eine ganz große Sache, daß alle Fraktionen dabei waren. – Recht herzlichen Dank. (Allgemeiner Beifall.)

11.50

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Ich danke Herrn Bundesrat Dipl.-Ing. Richard Kaiser für seine an uns alle gerichteten Worte. Ich glaube, im Namen des gesamten Bundesrates zu sprechen, wenn ich dem Herrn Nationalrat in spe und derzeitigen Bundesrat


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Dipl.-Ing. Kaiser für sein weiteres parlamentarisches Wirken den verdienten Erfolg wünsche. (Allgemeiner Beifall.)

Es ist weiters zu Wort gemeldet Frau Bundesrätin Michaela Rösler. Ich erteile es ihr.

11.51

Bundesrätin Michaela Rösler (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Wir alle kennen die erschütternden Bilder, die immer wieder über die TV-Schirme in unsere Wohnzimmer kommen und uns vor Augen führen, welche Mißstände bei den Tiertransporten herrschen – nicht nur auf der Straße, sondern auch in der Luft und zum Teil auch im Rahmen der Transporte mit der Eisenbahn. (Bundesrat Ing. Penz: Aber nicht in Österreich!) Nein, ich habe jetzt gar nichts von Österreich gesagt. (Bundesrat Konečny: Nur aufschreien, wenn Sie wirklich betroffen sind!) Ich habe kein Wort von Österreich gesagt, sondern nur grundsätzlich versucht, uns allen diese Bilder vor Augen zu führen.

Gerade kürzlich – ich glaube, es war vor eineinhalb Wochen in der Sendung "Hohes Haus" – wurde wieder gezeigt – es war nicht Lufttransport und nicht Straßentransport –, wie die Verladung von Tieren auf die Schiffe erfolgt. Meinem Sohn hat nach diesen Bildern das Mittagessen nicht mehr geschmeckt. Wir alle kennen, wie gesagt, diese erschütternden Bilder, und wenn wir heute das Tiertransportgesetz-Luft diskutieren, wissen wir auch – das wurde von meinem Vorredner bereits klar ausgeführt –, daß Österreich nur in geringem Ausmaß davon betroffen ist. Wir wissen, daß in Europa primär Frankfurt die Drehscheibe der Tiertransporte ist, und was sich dort abspielt, war vor zirka einem oder eineinhalb Jahren in einem "Report" zu sehen. Und ich muß sagen, es ist ein Sittenbild der Gesellschaft – leider Gottes! –, und ich möchte wirklich darauf hinweisen, daß es als solches auch gesehen wird.

Wir sollten uns wirklich vor Augen führen, daß Mißhandlung zwar insgesamt sehr verachtet wird – wir haben heute schon darüber diskutiert, wie in manchen Ländern mit Menschen vorgegangen wird, nämlich mit Folter und Mißhandlung –, aber die Mißhandlung und die Quälerei von Tieren wird eigentlich mehr oder weniger auf die Seite geschoben. Ich persönlich sage aber: Jemand, der mit Tieren so umgeht, wird auch vielfach zu Menschen nicht besser sein. Und es sagt viel über die Achtung der lebenden Kreaturen aus – seien es jetzt Menschen oder auch Tiere –, wie man mit ihnen verfährt und wie man sich ihnen gegenüber verhält. Die Tiere werden gefangen, sie werden gequält, sie werden mißhandelt. Und meist sind sie, wenn sie beim Empfänger angekommen sind, bereits verendet.

Meine Damen und Herren! Vielfach aus Prestigegründen oder aus Freude oder Spaß möchten sich Menschen Tiere halten, die aus fremden Ländern kommen. Sie sollen als Erinnerung an den Urlaub dienen oder das Bedürfnis, etwas Fremdes bei sich zu Hause zu haben, befriedigen. Sie werden dort gefangen, werden gequält, viele sterben bereits beim Fang, viele dann beim Transport – viele werden auch zu Versuchszwecken nach Österreich beziehungsweise in unsere Nachbarstaaten transportiert. Sie werden in viel zu kleinen Käfigen transportiert, wo sie kaum Luft bekommen – viele ersticken. Da gibt es zwar eine Richtlinie innerhalb der EU, die das klar regelt, aber sonstige Bestimmungen fehlen zum Teil noch. Vielfach bekommen sie tagelang kein Futter, werden nicht getränkt. Unter diesen schrecklichen Bedingungen kommen sie nach Europa, auch zum Teil nach Österreich.

Sie alle kennen die Zahlen, die belegen, daß nur ein geringer Teil, ein geringer Prozentsatz der Tiere, die in fremden Ländern, in fremden Kontinenten gefangen werden und auf den Transport geschickt werden, den Empfänger lebend erreicht. Und ich glaube, das ist der eigentliche Skandal an dieser Sache, daß beispielsweise von den transportierten Papageien nur rund 20 Prozent lebend den Empfänger erreichen – 80 Prozent der Tiere verenden beim Transport! – und es trotzdem noch ein Geschäft ist. Es ist immer noch günstiger für die Händler und für jene, die mit diesen Tieren Geschäfte machen, diese irgendwo zu fangen und nach Europa zu bringen, anstatt sie hier zu züchten und so wesentlich schonender und vor allem auch für die Natur schonender in den Verkehr zu bringen. Der Handel mit den Tieren ist ein Geschäft, und es ist immer noch ein Geschäft, wenn man diese rund um die Welt schickt und dabei 80 Prozent verenden.


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Angesichts dieser Zahlen, dieses geringen Prozentsatzes von Tieren, die den Empfänger lebend erreichen, muß man sagen, daß die Hälfte oder wahrscheinlich zwei Drittel der Transporte überhaupt nicht notwendig wären.

Meine Damen und Herren! Menschen – wie ich schon gesagt habe –, die mit Tieren so umgehen, werden auch mit Menschen nicht anders umgehen. Ich glaube, daß es ein Gesellschaftsproblem ist und daß es notwendig ist – abgesehen von den gesetzlichen Regelungen, die in Österreich geschaffen werden; ich hoffe, daß es gelingen wird, auch auf die übrigen Mitgliedsländer der EU Einfluß zu nehmen, daß auch dort die entsprechenden Regelungen geschaffen werden –, daß es hinsichtlich des Umganges mit den Ressourcen, hinsichtlich des Umganges mit den Lebewesen auf dieser Welt zu einer Bewußtseinsänderung kommt.

Es werden Tiere auf anderen Kontinenten in ihrer Existenz bedroht, sie werden verschickt und landen dann im Bestimmungsland bei der Tierkörperverwertung. Es muß wirklich viel gearbeitet werden, um eine Bewußtseinsänderung herbeizuführen.

Unter Berücksichtigung der vorher angeführten Punkte war es längst notwendig, ein Tiertransportgesetz-Luft zu erlassen. Wie mein Vorredner gesagt hat, regelt es den Transport nach Österreich, den Transport von Österreich weg beziehungsweise auch innerhalb von Österreich, wobei wir wissen, daß das kaum in Betracht kommt, weil der Transport in der Luft innerhalb von Österreich zu teuer ist. Unsere Flughäfen sind nur zu einem geringen Teil betroffen, das wird sich auch in Zukunft nicht ändern, ganz im Gegenteil. Ich glaube, daß aufgrund unserer gesetzlichen Bestimmungen die Flughäfen in Österreich – primär der Flughafen Schwechat – wahrscheinlich vermehrt gemieden werden, und in Zukunft, wenn es innerhalb der EU Richtlinien und Gesetze gibt, wird man auf Flughäfen in den ehemaligen Oststaaten ausweichen.

Ich glaube, es ist im Grunde genommen eine Verlagerung der Problematik von Österreich in andere Länder, solange es uns nicht gelingt, hier grundsätzliche Änderungen herbeizuführen. Es wird daher die Aufgabe Österreichs innerhalb der EU sein, die übrigen Staaten zu beeinflussen und dahin zu bringen, gleichlautende und ähnliche Bestimmungen zu erlassen.

Meine Damen und Herren! Ich finde es aber grundsätzlich traurig, daß so selbstverständliche Dinge wie die Schonung der Lebewesen gesetzlich vorgeschrieben werden müssen und nicht eine Selbstverständlichkeit sind.

Ich hoffe darüber hinaus, daß die gesetzlichen Bestimmungen, die mit diesem Tiertransportgesetz-Luft heute von uns abgesegnet und bestätigt werden, kontrollierbar sind und daß sie auch entsprechend greifen werden, denn wir wissen, daß beim Transport der Tiere auf der Straße trotz Kontrollen und trotz hoher Strafen leider immer noch große Mißstände herrschen. Ich werde daher in der Hoffnung, daß wir sowohl in Österreich als auch in unserer Umgebung mit unserem Gesetz in diesem Bereich etwas ändern können und einen positiven Einfluß ausüben, der vorliegenden Gesetzesvorlage gerne zustimmen. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.00

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist weiters Herr Bundesrat Dr. Paul Tremmel. Ich erteile es ihm.

12.00

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren des Bundesrates! Wir werden beiden Vorlagen unsere Zustimmung geben, und ich möchte mich in meinen Ausführungen mit einer Vorlage etwas länger beschäftigen, nämlich mit der Vorlage zu Punkt 4 der Tagesordnung: dem Tiertransportgesetz-Luft. Nur aus den Erwägungen des besonderen Tierschutzes werden wir dieser Materie unsere Zustimmung geben. Dies möchte ich deshalb besonders erwähnen, weil derzeit ein Volksbegehren zum Tierschutz durchgeführt wird.

Sie werden sich denken: Dieses Begehren widerspricht ja eigentlich den föderalistischen Momenten, die wir uns hier im Bundesrat zu eigen gemacht haben und denen wir verpflichtet sind. Ich glaube, daß das nicht der Fall ist und daß diese Materie umfassender geregelt werden sollte,


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daß sie aus der Länderkompetenz herausgenommen werden und in Bundeskompetenz übergehen sollte. Tierschutz ist so wie Artenschutz und Menschenschutz nicht teilbar. (Bundesrat Ing. Penz: Seit wann sind Sie für Zentralismus, Herr Kollege?)

Ich bin nicht für Zentralismus, ich bin für effektiven Tierschutz, Herr Direktor Penz! (Bundesrat Ing. Penz: Den gibt es ja! Es gibt ja die 15a-Verträge!) Darf ich jetzt darlegen, wie ich das verstehe!? Sie haben ja dann die Möglichkeit, sich selbst dazu zu äußern und – wenn es Ihnen gelingt – meine Aussagen zu konterkarieren.

Ich glaube, daß diese Materie umfassender geregelt werden soll – in diesem Bereich stimme ich dieser Vorlage zu, sonst müßte das ja auch länderumfassend geregelt werden. In dieser Richtung ist diese Gesetzesmaterie richtig angelegt. Ich meine allerdings, daß sie hinsichtlich der Kasuistik, die diese Materie beinhaltet, nicht richtig angelegt ist. Es gibt in den einzelnen Bereiche eine Menge von Dingen, die beachtet werden sollten. Wenn jemand dies genauer machen würde, würde er feststellen, daß sich das Gesetz selbst ad absurdum führt.

Ich glaube, daß dieses Gesetz eine lex imperfecta ist, denn es sind folgende Voraussetzungen notwendig: eine Transportbescheinigung, die unter anderem enthält: Bestätigung des Tierarztes – diese darf nicht älter als 48 Stunden sein –, bei artengeschützten Tieren muß eine entsprechende Erklärung vorliegen, die aber auch im Artenschutzgesetz enthalten ist. (Zwischenruf der Bundesrätin Rösler. ) Deswegen haben wir ja – ich habe davon gesprochen – eine Zersplitterung der Materien. Es ist im Detail auszuführen, welche Medikamente verabreicht wurden. – Wie soll eine Bezirksverwaltungsbehörde, die durchführende Behörde ist, das wirklich kontrollieren?

Meine Damen und Herren! Damit möchte ich Ihnen zeigen, daß das nicht nur ein Fehlgriff im Bereich der Legistik ist. Wir machen hier ein Gesetz, das schon jetzt dazu verurteilt ist, reformiert zu werden. Das hat keinen Sinn, und darauf wollte ich in diesem Zusammenhang hinweisen!

Der Gedanke des Tierschutzes ist es, der uns heute hier bewegt, aber auch der Wunsch, diese Materie umfassender zu regeln – nicht nur österreichweit, sondern europaweit; vielleicht sogar weltumspannend. Dies umzusetzen, wäre unsere Aufgabe, um den Tierschutz effektiv zu gestalten.

Der vorsitzende Herr Präsident meinte scherzhaft, ich solle in diesem Zusammenhang erzählen, wie der Tierschutz in Afrika gehandhabt wird. Ich war vor kurzem dort und möchte Ihnen folgende Passage hier dartun: Meine Damen und Herren! Wollten wir dieses Tierschutzgesetz international übergelegt haben, wären wir voll zum Scheitern verurteilt. Und es würde letztlich dazu führen, daß diese Materie in diesem Gebiet als lächerlich angesehen wird.

Die Situation ist dort so, daß diese Materie einer umfassenderen Regelung, einer nicht zu kasuistischen Regelung bedürfe, sonst würden sich die Leute überhaupt nicht daran halten. Dann wäre das ein Gesetz für unser kleines Landl, und es hätte nicht einmal richtige Auswirkungen im Bereich der Europäischen Union.

Das sind die inneren Vorbehalte, die ich hier anmelden und im Namen meiner Fraktion nennen wollte. Dem Gesetz selbst – ich habe das am Anfang bereits ausgeführt – werden wir die Zustimmung geben, weil wir dem Tierschutz einen ganz besonderen Wert zuordnen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

12.05

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist weiters Frau Bundesrätin Gertrude Perl. Ich erteile es ihr.

12.05

Bundesrätin Gertrude Perl (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! "Tiertransporte" – zu Recht ein Reizwort in den Ohren engagierter Tierschützer und Menschen, die sich ein Herz bewahrt haben. Ich möchte in dasselbe Horn wie mein Vorredner stoßen und sagen: Wieviel unsägliches Tierleid


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beim Tiertransport wird uns immer wieder in allen Medien vor Augen geführt! Wir verschließen Augen und Ohren, damit wir unser Schnitzel nur ja genießen können! Ich frage mich oft, wie all jene, die mit diesen Transporten zu tun haben, diese Herzlosigkeiten und Grausamkeiten aufbringen beziehungsweise aushalten, die den Tieren, auch wenn sie "nur" Schachttiere sind, täglich beim Transport zugefügt werden.

Abgesehen davon kann ich persönlich mir nicht vorstellen, daß das Fleisch dieser Tiere qualitativ hochwertig ist, wenn sie ihre letzten Tage und Stunden derart unter Streß, in Angst und in Schmerzen verbringen müssen, egal, ob es sich um Schlachttiere, Hühner et cetera handelt.

Es ist für mich ausschließlich eine Frage der Kultur einer Gesellschaft, wie mit wehrlosen Geschöpfen, mit Tieren umgegangen wird. Es ist daher zu begrüßen, daß es bereits seit vorigem Jahr ein Tiertransportgesetz-Straße gibt und wir heute ein Tiertransportgesetz-Luft beschließen werden. Es wird also für eine weitere Minimierung dieser Mißstände im Tiertransport gesorgt.

Mißstände, die beim Tiertransport im internationalen Luftverkehr wiederholt aufgetreten sind, konnten in Österreich wegen fehlender verbindlicher innerstaatlicher Regelungen bisher nicht abgestellt werden. Dieser Gesetzesbeschluß ist daher zum Schutz der Tiere vor Gefahren, die sich beim Tiertransport mit Luftfahrzeugen ergeben können, äußerst notwendig. Genaue Bestimmungen, die alle Bereiche des Lufttransportes umfassen, sind im Gesetz festgelegt, sie wurden explizit aufgezählt und reichen bis zu Vorkehrungen für unvorhersehbare Notsituationen, die sich bei solchen Transporten durchaus ergeben können.

Seien wir froh, Herr Kollege Tremmel, daß es da genaue Auflagen gibt! Sie können gar nicht scharf genug sein! – Ich hoffe, daß sie auch eingehalten werden.

Für mich ist das Gesetz für den Tiertransport in der Luft ein weiterer Schritt zur Vermeidung, zur Verringerung von Tierleid. Ein Kritikpunkt ist lediglich, daß sich die Exportförderungen der Europäischen Union und Importförderungen mancher südlicher Länder als zu hoch herausstellen, daher die Kosten für einen sehr weiten Transportweg lächerlich gering sind und der Anreiz für zu weite Tiertransporte, bei denen die meisten Mißstände auftreten, zweifellos zu hoch ist. Noch so strenge Tierschutzbestimmungen können diesen enormen wirtschaftlichen Anreiz nicht wettmachen.

Mir ist schon klar, daß alle Bereiche – vom Züchter bis zum Transporteur – Profit erzielen wollen und auch müssen, aber dieser Konkurrenzkampf wird auf dem Rücken von Lebewesen, von oft unsäglich gequälten Lebewesen, ausgetragen. Ich begrüße daher nach dem Tiertransportgesetz-Straße das heute zu beschließende Tiertransportgesetz-Luft als weiteres wichtiges Gesetz zum Schutz der Tiere.

Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Mir fällt in diesem Zusammenhang ein Ausspruch, der Albert Schweitzer zugeordnet wird, ein, der lautet: "Bevor der Mensch seinen Kreis des Mitleids nicht auf alles Lebende ausdehnt, so lange wird er keinen Frieden finden!" – Dem ist nichts hinzuzufügen, außer daß ich die Hoffnung ausspreche, daß wir demnächst auch das Tiertransportgesetz-Schiene beschließen können, welches wegen der leider vorgezogenen Neuwahlen im Herbst 1995 eine Verzögerung erfahren mußte.

Noch einmal: Meine Fraktion wird die Zustimmung zum vorliegenden Bundesgesetz über den Transport von Tieren im Luftverkehr geben. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

12.10

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Das ist nicht gegeben.


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Wir gelangen daher zur Abstimmung über die vorliegenden Beschlüsse des Nationalrates, die getrennt erfolgt.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 29. Februar 1996 betreffend ein Bundesgesetz über den Transport von Tieren im Luftverkehr.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Hoher Bundesrat! Wir kommen nun zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 29. Februar 1996 betreffend ein Protokoll über eine Änderung des Artikels 50 lit. a des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt, unterzeichnet in Montreal am 26. Oktober 1990.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

6. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 29. Februar 1996 betreffend ein Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Slowenien über die Benützung zweier Teile des slowenischen Staatsgebietes im Bereich des Skigebietes "Dreiländereck" (8 und 35/NR sowie 5143/BR der Beilagen)

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Wir gelangen nun zum 6. Punkt der Tagesordnung, nämlich Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Slowenien über die Benützung zweier Teile des slowenischen Staatsgebietes im Bereich des Skigebietes "Dreiländereck".

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Gottfried Jaud übernommen. Ich ersuche ihn höflich um die Berichterstattung.

Berichterstatter Gottfried Jaud: Sehr geehrter Herr Präsident! Die wirtschaftliche Stagnation in der österreichischen Grenzregion im Bereich des Dreiländerecks Österreich-Slowenien-Italien führte zu Bemühungen des Landes Kärnten, neue Touristenattraktionen zu erschließen.

Das Abkommen bezweckt die Errichtung eines grenzüberschreitenden österreichisch-slowenischen Skigebietes samt der erforderlichen Infrastruktur sowie die Erlaubnis zur Benützung dieses Skigebietes für österreichische und slowenische Staatsbürger sowie Staatsangehörige von Drittstaaten, die weder in der Republik Österreich noch in der Republik Slowenien der Sichtvermerkspflicht unterliegen.

Das Abkommen beinhaltet im wesentlichen Bestimmungen über

die Abgrenzung jener Teile des slowenischen Staatsgebietes, die das Skigebiet bilden sollen,

die dort geltende Rechtsordnung und die Befugnisse österreichischer und slowenischer Organe, von Hilfsmannschaften sowie von im Skigebiet beschäftigten Personen,

die Ausstattung der Gebietsteile sowie deren Öffnung für den Wintersport und

den Benützerkreis sowie die Rechte und Pflichten der Benützer der Gebietsteile.

Die Kosten für die Anbringung von bodengleich gesetzten Grenzzeichen und Hinweistafeln auf den Verlauf der Staatsgrenze betragen zirka 50 000 S, allenfalls 60 000 S.


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Der gegenständliche Staatsvertrag ist gesetzändernd und gesetzesergänzend, enthält aber keine verfassungsändernden Bestimmungen.

Eine Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG ist nicht erforderlich, da keine Angelegenheiten, die den selbständigen Wirkungsbereich der Länder betreffen, geregelt werden.

Dem Nationalrat erschien bei der Genehmigung des Abschlusses des vorliegenden Staatsvertrages die Erlassung von besonderen Bundesgesetzen im Sinne des Artikels 50 Abs. 2 B-VG zur Überführung des Vertragsinhaltes in die innerstaatliche Rechtsordnung nicht erforderlich.

Der Ausschuß beschloß mit Stimmeneinhelligkeit folgende von Bundesrat Konečny eingebrachte Ausschußfeststellung:

"Im Ausschuß wurden Bedenken geäußert, daß durch die Öffnung der Grenzregion verstärkt zollfreie Waren über eingerichtete Duty-free-Shops nach Österreich einfließen könnten."

Der Außenpolitische Ausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 18. März 1996 mit Stimmenmehrheit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Josef Pfeifer. Ich erteile es ihm.

12.14

Bundesrat Josef Pfeifer (SPÖ, Kärnten): Geschätzter Herr Präsident! Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Dem gesetzesergänzenden Staatsvertrag beziehungsweise dem Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Slowenien über die Benützung zweier Teile des slowenischen Staatsgebietes im Bereich des Skigebietes "Dreiländereck", das ein äußerst beliebtes Skigebiet bei in- und ausländischen Gästen ist und von vielen – vor allem slowenischen und italienischen – Gästen, sprich: Skifahrern, besucht wird, ist ein uneingeschränktes Ja zu geben.

Bereits seit 1980 existieren Pläne des Bürgermeisters der Marktgemeinde Arnoldstein, ein grenzüberschreitendes Skigebiet anzulegen. Es führten diese Pläne und Bemühungen zur Bildung einer gemischten Arbeitsgruppe für die Entwicklung des Wintersportes im Grenzgebiet am Dreiländereck Arnoldstein in Kärnten. Dieses Anliegen wurde auch vom Land Kärnten mit Nachdruck unterstützt, da die Vorteile eventuelle Nachteile bei weitem überwiegen.

Die wirtschaftliche Stagnation in der österreichischen Grenzregion – Sie kennen sicher die Diskussion im Zusammenhang mit der BBU und den verlorengegangenen Arbeitsplätzen – erfordert eine neue Touristenattraktion. Es ist dieses Gebiet entsprechend zu erschließen. Die Errichtung dieses Skigebietes – ich meine die Erweiterung und Erleichterung – wird zu einer wirtschaftlichen Belebung in dieser Region und damit auch zu entsprechenden Mehreinnahmen auch der öffentlichen Hand führen und die relativ geringen Kosten relativieren.

Es ist, meine Damen und Herren, Frau Staatssekretärin, sehr wichtig, neue wirtschaftliche Impulse für den gesamten Fremdenverkehr zu setzen – und der Tourismus geht ja uns alle an.

Ich darf auf einen Hinweis, der in der Ausschußsitzung gebracht wurde, eingehen: Es sind Bedenken geäußert worden, daß durch die Öffnung der Grenzregion verstärkt zollfreie Waren über eingerichtete Duty-free-Shops nach Österreich einfließen könnten. Ich glaube, daß das dort nicht so sehr der Fall sein wird. Die berühmten Rucksacktouristen (Zwischenruf des Bundesrates Gerstl ) – Herr Kollege Gerstl – haben wir auch jetzt schon beim Skifahren gehabt. Ich möchte nicht behaupten, daß es immer nur Einkehrschwünge waren, sondern leider halt auch diese Dinge; dies wird es auch in Zukunft geben.

Ich glaube, man müßte den Hebel woanders ansetzen; er ist schon angesetzt worden. Es gibt ja schon – ich komme aus solch einer Grenzregion, aus Unterkärnten, und habe das selbst bereits gesehen – verstärkte Kontrollen. Es ist das Bedürfnis – nicht immer nach der Brieftasche, es


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gibt auch andere Bedürfnisse –, etwas zu schmuggeln, schon etwas eingedämmt worden allein durch den Umstand, daß man weiß, daß man kontrolliert wird.

Ich habe, Herr Kollege Gerstl, Verständnis für Ihre Ansicht, für Ihre Befürchtungen, denn Sie müssen ja – das ist so auch richtig – Ihre Berufsgruppe vertreten. (Zwischenruf des Bundesrates Bieringer .) Dann muß er es ja machen, gar keine Frage.

Meine Damen und Herren! Noch einen Aspekt möchte ich in diesem Zusammenhang hier anführen und Sie um Unterstützung in einer weiteren Angelegenheit ersuchen, die das Dreiländereck in Kärnten betrifft. Die drei Länder Kärnten, Julisch-Venetien und Slowenien haben sich – wie ja bekannt ist – für die Olympischen Spiele im Jahre 2006 beworben. Es sind jetzt die Richtlinien so geändert worden, daß grenzüberschreitende Olympische Spiele stattfinden können.

Ich glaube, das heißt, ich bin überzeugt davon, meine Damen und Herren, daß Sie das auch machen werden. Wir brauchen Ihre Unterstützung.

Vor allem möchte ich noch erwähnen, daß die Olympischen Spiele auf die Infrastruktur dieser drei Länder großen Einfluß hätten und auch umweltfreundlich und kostengünstig durchgeführt werden könnten.

"Grüne Spiele im weißen Schnee" – so kann oder könnte man es auch bezeichnen, denn die Infrastruktur ist ja zum Großteil vorhanden. 80 Prozent der Sportstätten bestehen bereits, und für die übrigen ist durchaus für deren Nachnutzung gesorgt, und diese ist auch gewährleistet.

Erlauben Sie mir, daß ich hier einige Orte erwähne, die aus Kärntner Sicht in Frage kämen: Hermagor, Arnoldstein, Achomitz, Velden, Klagenfurt, Bad Kleinkirchheim und natürlich auch die Sportstadt Villach. Ich wäre ein schlechter Kärntner Vertreter, wenn ich jetzt nicht für unsere Orte hier in diesem Gremium Werbung machen würde.

Meine Damen und Herren! Das war nur ein kleiner Ausschnitt. Ich glaube, daß dieses Abkommen gut ist, vor allem weil es für Schifahrer in Zukunft möglich sein wird, zwischen 15. November und 15. April die Grenzen ohne die üblichen Formalitäten zu überschreiten. Ich bitte daher um Zustimmung zu diesem wichtigen Abkommen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie bei den Freiheitlichen.)

12.22

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Helmut Prasch. Ich erteile es ihm.

12.22

Bundesrat Dr. Helmut Prasch (Freiheitliche, Kärnten): Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Hohes Haus! Im wesentlichen hat mein Vorredner die Situation erläutert. Es ist auch aus Sicht der Freiheitlichen dieser Beschluß eine längst notwendige Maßnahme im Sinne der Stärkung des grenzüberschreitenden Tourismus im Dreiländereck. Es geht vor allen Dingen um die Verbindung der Schiregion "Dreiländereck" mit dem Weltcup-Ort Kranjska Gora, wo täglich bis zu 5 000 Schifahrer sind. In Kranjska Gora gibt es relativ wenige Fremdenverkehrsbetten, während im Dreiländereck in Kärnten die Infrastruktur bereits bestens vorbereitet ist – in Hinblick auf Olympia im Jahre 2006. Man verspricht sich durch diese Lockerungsmaßnahmen, die wirklich notwendig gewesen sind, eine stärkere Verbindung dieser beiden Regionen.

Ich glaube nicht, daß es zulässig ist – wie das Kollege Konečny im Ausschuß versucht hat –, diesen Beschluß mit einer Diskussion über die Duty-free-Shops zu verknüpfen. Ich glaube einfach, daß die Duty-free-Shops ein Phänomen sind, mit dem man zu leben lernen muß. In Zeiten, in denen die Bundesregierung, die sich ja bekanntermaßen aus SPÖ und ÖVP zusammensetzt, permanent die Tabaksteuer und die Mineralölsteuer anhebt, braucht man sich aber nicht allzu sehr darüber zu wundern, wenn die Bürger eben in die benachbarte Länder aus


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weichen, in denen Zigaretten und Benzin um 50 Prozent billiger sind, um dort diesen Einkaufsvorteil zu nützen.

Aber ich kann Sie, Kollege Gerstl, beruhigen, denn die Kontrollsituation in Kärnten ist derzeit sehr streng. Es gibt am Wochenende Staus in den Grenzgebieten, es wird sehr streng kontrolliert, und mehr als eine Stange Zigaretten nimmt eigentlich dann niemand mehr mit, weil die Strafen und Kontrollen zu scharf geworden sind.

Ich bitte ebenfalls, dem vorliegenden Beschluß die Zustimmung zu erteilen. (Beifall bei den Freiheitlichen und Beifall des Bundesrates Bieringer .)

12.24

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist weiters Herr Bundesrat Alfred Gerstl. Ich erteile es ihm.

12.24

Bundesrat Alfred Gerstl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Ich hätte mich nicht zu Wort gemeldet, aber mein Kollege Bundesrat Konečny war so gütig und hat im Ausschuß einen echten Kompromiß herbeigeführt, nämlich den Kompromiß, daß er das auch glaubhaft in den Raum gestellt hat, was zur offenen Frage wurde. Ich möchte aber wiederholen, was ich im Ausschuß gesagt habe:

Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß sich der Schmuggel weiter verstärken wird – aber nicht nur der Schmuggel, sondern auch die legale Einfuhr von Tabakwaren ohne Steuer, also Billigwaren aus Slowenien. Jetzt frage ich mich: Wäre es nicht die erste Aufgabe hier als Vertretung des Volkes, Tausende unserer Geschäftsleute und kleine Händler in ihrer Existenz zu schützen? Zum Beispiel dadurch, daß wir uns alle gegen die Tabaksteuererhöhung in Österreich aussprechen, die sowieso bereits die höchste in ganz Europa ist? Wäre das nicht auch ein Weg von uns, darauf hinzuweisen (Bundesrat Waldhäusl: Unsere Unterstützung haben Sie!), daß die Schließung der Duty-free-Shops eine Bedingung ist, wenn wir gutnachbarliche Beziehungen weiterhin pflegen wollen? – Wir können als Österreicher nicht immer nur die Gebenden sein. Abgesehen davon ist das sowieso kein Dauerverhältnis, wenn nur einer dauernd der Gebende ist; ein Dauerverhältnis im Leben ist immer, wenn beide Seiten profitieren. Das glaube ich zumindest, das weiß ich auch aus Lebenserfahrung.

Ich glaube, man sollte darauf hinweisen, daß durch eine solche Maßnahme Waren einfließen, die zollfrei sind, und wieder unsere Geschäftsleute geschädigt werden. Lieber Kollege Konečny! 1973 habe ich mit Finanzminister Androsch verhandelt, er war ein g’scheiter Bursch’. Er hat nämlich genau gewußt, daß mit diesem Kleinhandel der Trafikanten durch den Staat nicht nur soziale Verpflichtungen des Staates erfüllt werden, nachdem viele Invalide ihre Existenz in diesem Berufsstand gefunden haben. Er hatte damals zur Existenzsicherung dieses Berufsstandes auch die Handelsspanne auf 19 Prozent festgesetzt, also auf 16,4 Prozent ohne Mehrwertsteuer, also um 0,5 Prozent mehr, als bis 1973 gewährt wurde, und nun ist sie bereits auf 15,42 Prozent gesunken, obwohl wir immer davon reden, daß wir für den "kleinen" Geschäftsmann da sind und ihn unterstützen. (Präsident Payer übernimmt den Vorsitz.)

Und jetzt soll durch eine Tabaksteuererhöhung wieder die Handelsspanne der Trafikanten weiter gesenkt werden; damit wird der Schmuggel beziehungsweise die legale Einfuhr sozusagen provoziert und noch weitere Existenzen von Trafikanten vernichtet werden. Denn 1987, bevor diese Duty-free-Shops entstanden sind, gab es immerhin noch 13 500 Trafiken in Österreich – das sind immerhin über 50 000 Menschen, die dort ihre Existenz gefunden haben! Heute gibt es nur mehr zirka 10 000 Trafiken in Österreich. Warum denn eigentlich? – Das ist die Frage!

Jetzt wird wieder eine Maßnahme gesetzt – nach außen hin wird sie verteidigt mit dem Argument, daß sie Geld bringt, in Wahrheit sind dies lauter "Verbeugungen", die uns Geld kosten. Daher seien Sie nicht böse, ich nehme für mich die Freiheit in Anspruch, dagegen zu stimmen. Ich bin sonst ein disziplinierter Mensch und halte mich immer an gewisse Mehrheitsbeschlüsse; aber hier ist mein Gewissen dagegen, weil ich genau weiß, daß diese außenpolitische Maß


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nahme – sosehr ich sie begrüße, wenn es die Duty-free-Shops nicht mehr gäbe – einen Berufsstand wieder in seiner Existenz weiter gefährdet. (Beifall bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

12.28

Präsident Johann Payer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Dies ist nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung .

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Dies ist Stimmenmehrheit .

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen .

Die Tagesordnung ist erschöpft.

Ich unterbreche nunmehr die Sitzung bis 13.30 Uhr zur Abgabe der Erklärung der Bundesregierung durch den Herrn Bundeskanzler.

(Die Sitzung wird um 12.29 Uhr unterbrochen und um 13.30 Uhr wiederaufgenommen .)

Präsident Johann Payer: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und ersuche, die Plätze einzunehmen.

Erklärung der Bundesregierung

Präsident Johann Payer: Wir gelangen nun zur Erklärung der Bundesregierung.

Ich begrüße Herrn Bundeskanzler Dr. Franz Vranitzky und Herrn Finanzminister Mag. Viktor Klima auf das herzlichste. (Allgemeiner Beifall.)

Ebenso herzlich begrüße ich Herrn Justizminister Dr. Michalek und Frau Staatssekretärin Dr. Ferrero-Waldner. (Allgemeiner Beifall.)

Auch der Herr Staatssekretär Mag. Schlögl ist in unserer Mitte. Herzlich willkommen, Herr Staatssekretär! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Bevor ich dem Herrn Bundeskanzler das Wort erteile, gebe ich bekannt, daß mir ein schriftliches Verlangen von fünf Bundesräten im Sinne des § 37 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Bundesrates vorliegt, im Anschluß an die vom Herrn Bundeskanzler namens der Bundesregierung abgegebenen Erklärung eine Debatte durchzuführen. Da dieses Verlangen genügend unterstützt ist, werde ich ihm ohne weiteres stattgeben.

Ich darf nun dem Herrn Bundeskanzler zur Abgabe der Regierungserklärung das Wort erteilen.

13.31

Bundeskanzler Dkfm. Dr. Franz Vranitzky: Sehr geehrter Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Meine Damen und Herren! Ich stelle Ihnen, als den Vertretern der Bundesländer, heute die neue Bundesregierung und ihr Programm für die kommende Gesetzgebungsperiode vor. Ich tue das in einer guten Tradition der Zusammenarbeit zwischen Gesetzgebung und Verwaltung, zwischen dem Parlament und der Regierung. Am Beginn der XX. Gesetzgebungsperiode der Zweiten Republik, die uns zugleich bis zum nächsten Jahrtausend führen soll, lade ich alle Damen und Herren des Bundesrates zur Zusammenarbeit ein.


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Die Aufgaben und Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind alles andere als leicht. Wenn ich von einer guten Tradition spreche, dann meine ich den Ausgangspunkt, denn nicht alles, was Tradition ist, kann für die Zukunft angewendet werden, und es kann deshalb auch nicht immer als gut bezeichnet werden.

Das Konflikthafte, das Zuspitzen, das Erstreiten, all das wird uns nicht erspart bleiben. Wir dürfen es uns gar nicht ersparen. Kämen wir aber hernach nicht zu Lösungen, hätten wir umsonst gestritten und würden zu Recht kritisiert.

Die Sozialdemokratische Partei Österreichs ging als stimmen- und mandatsstärkste Partei aus dem Wahlgang im Dezember 1995 hervor. Als Vorsitzender dieser Partei hat mich der Herr Bundespräsident mit der Regierungsbildung beauftragt. Diese ist nunmehr gemeinsam mit der Österreichischen Volkspartei abgeschlossen.

So manchem mögen zweieinhalb Monate für eine Regierungsbildung zu lange erscheinen, umso mehr als ein Bundeshaushalt für das Jahr 1996 zu erstellen war. Ich kann und werde Ihnen aber berichten, daß es in dieser Zeit zu weit mehr als zur Bildung einer neuen Bundesregierung und zur Erstellung eines sehr umfangreichen Arbeitsprogrammes gekommen ist:

Erstmals in der Zweiten Republik werden, meine Damen und Herren, dem Parlament sowohl ein Budget für das laufende als auch ein solches für das nächste Jahr vorgelegt werden. Damit stellt die neue Bundesregierung nicht nur kurzfristig, sondern auch mittelfristig die Konsolidierung des Staatshaushaltes sicher.

Wir haben in den zurückliegenden Wochen die Gehaltsrunde mit dem öffentlichen Dienst abgeschlossen, die Finanzausgleichsverhandlungen mit den Bundesländern und den Gemeinden positiv erledigt und zahlreiche Strukturreformen eingeleitet. Nach arbeitsintensiven Tagen und Wochen stehen wir damit am Beginn einer ebenso arbeitsintensiven Gesetzgebungsperiode.

Hoher Bundesrat! Sozialdemokraten und Volkspartei interpretieren das Wahlergebnis vom 17. Dezember 1995 als den Wunsch der österreichischen Bevölkerung, daß sich beide Parteien die vollen nächsten vier Jahre zur Bewältigung der anstehenden Themen in unserem Land zu verpflichten haben.

Alle Mitglieder der Bundesregierung bringen diese Verpflichtung ein – auch im Wissen und im Vertrauen auf eine ebensolche Zusammenarbeit hier im österreichischen Parlament. Das zeigt nicht Schwäche, sondern Stärke des österreichischen Parlamentarismus, denn ohne Parlament kann eine Regierung nicht – jedenfalls nicht sinnvoll – regieren!

Die beiden Parteien haben den Wählerinnen und Wählern in der Wahlbewegung ihre Ideen und Forderungen vorgetragen. In den Verhandlungen haben sie folgerichtig ihre wichtigsten Forderungen aus dem Wahlkampf zusammengestellt, gegeneinander abgeglichen und zu einem Kompromiß gefunden. Nun haben die Wähler das Recht, daß dieser Kompromiß auch vollständig und zügig umgesetzt wird. Das Suchen von Mehrheiten im Einzelfall stünde diesem Verlangen diametral entgegen.

Ich bekenne mich zur Zusammenarbeit dieser beiden Parteien nicht nur aus Einsicht in die politische Arithmetik. Es ist gelungen, ohne Preisgabe von Grundsätzen und unter Einbindung der Sozialpartner, anderer Interessengruppen und der Gebietskörperschaften, Weichenstellungen vorzunehmen, die in einer anderen Form der politischen Zusammenarbeit sicher nicht gelungen wären.

Die unvermeidliche Frage nach dem Gewinner ist bereits gestellt worden. Die Antwort ist einfach: Der Gewinner ist unser Land, das wieder eine berechenbare und stabile, auf gutem Fundament ruhende Bundesregierung erhält.

Mir ist aber auch noch eine anderer Grund sehr wichtig, warum die Zusammenarbeit zwischen SPÖ und ÖVP für unser Land unter den gegebenen Umständen das Beste ist. In einer Zeit, in der Radikalismen nicht mehr nur exotische Randerscheinungen sind, in der politisch motivierte


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610. Sitzung / Seite 38

Terroranschläge auch in unserem Land wieder verübt werden, geht es um zivilisierte und berechenbare Umgangsformen in der Politik. In einer solchen Zeit geht es auch um Mäßigung und Rücksichtnahme in der politischen Argumentation und in der Sprache. In einer solchen Zeit ist das Miteinander wichtiger als das Gegeneinander oder das Gegeneinander-Ausspielen. Österreich braucht eine Regierung, die den Konsens zu ihrer Handlungsmaxime macht und nicht die Polarisierung verstärkt.

Meine Damen und Herren! Eine Regierungserklärung hat in erster Linie die grundsätzliche politische Positionsbestimmung vorzunehmen. Da diese Bundesregierung Österreich bis zum magischen Jahr 2000 führen soll, sollten am Beginn ihrer Arbeit grundsätzliche Überlegungen stehen, in welche Richtung unser Land steuert und welche Klippen es dabei zu umschiffen hat.

Unsere Welt verändert sich in einer noch nie gekannten Geschwindigkeit und einem noch nie gekannten Ausmaß. Daß Politik gefordert, daß Politiker gefordert sind, erscheint mir daher selbstverständlich. Die Zeiten sind krisenhafter geworden, komplexer und unübersichtlicher als je zuvor. Politik und Politiker, so sagt man, so wird behauptet, seien angesichts dessen ratloser geworden. Ich meine, so ist es nicht, sie werden nur zunehmend zu einer Art "universeller Verantwortungsnehmer", wie das der deutsche Soziologe Niklas Luhmann ausdrückt – zu "universellen Verantwortungsnehmern", die auf möglichst alles möglichst rasch und möglichst generell möglichst konkrete Antworten parat haben müssen. Diese Ansprüche sind von der Politik nicht zu befriedigen.

Politik der Zukunft wird darin bestehen, den Menschen einen Leitfaden zu geben, ihnen Möglichkeiten zu eröffnen, sich aus einer guten ökonomischen und sozialen Absicherung heraus selbst zu entfalten, ihre eigenen Chancen wahrzunehmen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen – aber doch zu wissen, im Ernstfall nicht allein zu sein.

Die fortschreitende Arbeitsteilung führt zu einer stärker werdenden inneren Unterscheidung in der Gesellschaft. Große Betriebseinheiten werden mehr und mehr in kleinere Einheiten zerlegt, immer größere Anteile der Produktion werden bei Zulieferern bestellt.

Oder: Frauen mit Matura – vor 20 Jahren zahlenmäßig noch in der Minderzahl – sind heute eine bedeutende Gruppe; in weiteren 20 Jahren werden sie mehr sein als alle Hilfsarbeiterinnen und Hilfsarbeiter zusammen.

Das traditionelle Lebensmuster, wonach man in der Jugend eine Ausbildung macht, in der man alles für den Beruf Erforderliche erlernt, wird immer seltener. Es wird vom lebensbegleitenden Lernen abgelöst. Wissen und Information werden schneller, umfangreicher, diversifizierter produziert, verteilt und verkauft, als dies mit alten ökonomischen Erklärungsmustern heute noch wirklich erfaßbar ist.

Diese Beispiele ließen sich fortsetzen. Das sind neue Gesellschaftsbilder, die auch neue Instrumente des Politikmachens verlangen. Der Staat kann nicht für alle und alles zuständig und verantwortlich sein. Aber er hat für die grundlegenden Absicherungen zu sorgen, er hat auch die Infrastruktur, also Straßen, Bahnen, Schulen, Spitäler und Telekommunikation, bereitzustellen. Das kostet Geld und kostet angesichts der größeren Bildungschancen, des längeren Lebens und der besseren Gesundheit immer mehr Geld. Verantwortungsvolle Politik wird sich daher immer wieder in das Feld der Alternativen zu begeben und sich dort, Wege markierend, zurechtzufinden haben. Dazu gehört es außerdem und vor allem, die wirtschaftlichen Grundlagen so vorzubereiten, daß zukunftsorientierte Arbeitsplätze und damit auch Konsum und Steuerleistungen gesichert sind.

Die Arbeitslosigkeit wird wieder zu einem der drängendsten Probleme unserer Gesellschaft. Weltweit sind heute mehr als 800 Millionen Menschen ohne Arbeit, und auch ein neuerlicher Aufschwung der Weltwirtschaft wird nicht ausreichen, um die globale Massenarbeitslosigkeit zu beenden.


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610. Sitzung / Seite 39

Wir werden immer wieder daran zu arbeiten haben, wie wir mit dem Problem der Unterbeschäftigung und jenem der Überproduktion umgehen und welche Position in einer weltweiten Wirtschaft unser Österreich und unsere Arbeitnehmer haben werden.

Es ist jedenfalls eines der ganz großen Ziele der Bundesregierung, den Wirtschaftsstandort Österreich auszubauen und die Beschäftigung zu sichern. Österreich hat hochqualifizierte Arbeitskräfte, Österreich verfügt über viel Kreativität, Einsatz und Fleiß. All das müssen wir gemeinsam nutzen, und deshalb hat die Bundesregierung eine neue Offensive für Wachstum und Beschäftigung ins Leben gerufen.

Wir finden uns also bewußt nicht mit dem Satz ab, den Gunter Hofmann, ein Deutscher, vor kurzem schrieb, der da lautet: "Heute diktieren die Verhältnisse die Gesetze."

Meine Damen und Herren! Fünf große Ziele sind es, denen sich die neue Bundesregierung mit ihrer Arbeit verschrieben hat, fünf große Ziele, die in den nächsten vier Jahren verfolgt werden sollen.

Zusätzlich zur Beschäftigungsoffensive und zum Ausbau des Wirtschaftsstandortes Österreich wird es uns um einen konsolidierten Staatshaushalt gehen. Dabei verstehen wir Sparen nicht als Selbstzweck, sondern als notwendige Voraussetzung dafür, Bewegungsspielraum zu haben und politisch handlungsfähig zu bleiben.

Der dritte große politische Bereich, dem sich die neue Bundesregierung widmen wird, ist Österreichs Rolle als Mitglied der Europäischen Union. Vor Beginn der EU-Regierungskonferenz in diesem Jahr und zwei Jahre vor der Präsidentschaft Österreichs in der Europäischen Union, aber auch vor der ersten EU-Wahl in Österreich, müssen neue Impulse gesetzt werden, um noch stärker als bisher mitentscheiden und mitgestalten zu können.

Ein viertes großes Politikfeld ist das der Sicherheit. Dabei gehen wir von einem umfassenden Sicherheitsbegriff aus, der neben der inneren und äußeren Sicherheit auch die soziale und ökologische Sicherheit anspricht. Denn sowohl bei den ökologischen als auch bei den sozialen Standards hat Österreich eine Vorreiterrolle übernommen.

Schließlich wollen wir uns einer ganzen Reihe von Reformmaßnahmen in sehr unterschiedlichen Gebieten widmen, etwa dem der Ausbildung, der Justiz, der Gesundheit und dem des Verkehrs.

Dieses Programm ist ein offensives Reformprogramm in allen Gesellschaftsbereichen. Wir schreiben die Gegebenheiten, die Zustände nicht einfach fort. Die Staatsaufgaben und Staatsausgaben wurden auf ihre Sinnhaftigkeit hin überprüft, sie wurden quantitativ und qualitativ bewertet. So entstand ein durchaus mutiges Programm, weil es sehr viele sogenannte Tabuthemen aufgreift.

Hoher Bundesrat! Die Bundesregierung hat längst vor ihrer formellen Bildung gemeinsam mit den Sozialpartnern eine Offensive für Wachstum und Beschäftigung gestartet. Obwohl unsere Konjunkturdaten deutlich besser sind als die der meisten EU-Mitglieder, dürfen wir nicht warten, bis die Krise auch auf Österreich überschlägt. Die Aufgabe ist ernst: Selbst Wirtschaftswachstum führt nicht notwendigerweise zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit. Arbeitsplätze zu garantieren und sie über das Budget zu finanzieren, ist kein gangbarer Weg. Erforderlich ist eine Wirtschaftspolitik, die es möglich macht, bestehende Betriebe auszubauen und neue zu errichten – sei es durch Inländer, sei es durch Ausländer – und auf diese Weise sinnvolle Arbeitsplätze zu schaffen beziehungsweise zu erhalten.

Da das Exportpotential der österreichischen Wirtschaft nicht ausgeschöpft ist, muß die Präsenz Österreichs auf Auslandsmärkten unterstützt, müssen Industrieansiedlungen gefördert und muß für kleinere und mittlere exportintensive Unternehmen der Zugang zur Kapitalbeschaffung erleichtert werden. Investitionen in den Bereichen Verkehr, Umwelt, Energie und Telekommunikation verbessern nicht nur die Lebensqualität, sondern vor allem auch die Qualität des Wirtschaftsstandortes.


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Die Erhöhung der Wohnbauförderungsmittel, Erleichterungen bei Umweltinvestitionen und Gebäudesanierungen helfen der österreichischen Bauwirtschaft. Weil die Wirtschaft am besten durch Gründung neuer Unternehmen belebt wird, wird die Bundesregierung zahlreiche Maßnahmen zur Unterstützung neuer Unternehmen ergreifen. Sie setzt damit ein Signal, nicht des gedankenlosen Sparstiftes, sondern des vernünftigen Impulses.

Wir wissen, Österreich hat in der Technologiepolitik noch einiges aufzuholen, um die Forschungsaktivitäten in der österreichischen Wirtschaft auf das europäische Niveau zu heben. Das ist aber nicht nur eine Sache der Geldinvestitionen der öffentlichen Hand in Forschung und Entwicklung, sondern das ist sehr stark eine Aufgabe der österreichischen Unternehmen, von denen so manche dafür erst gewonnen werden müssen. Die Bundesregierung wird vorangehen und Teile der Privatisierungserlöse der Forschungs- und Technologieförderung zuführen.

Meine Damen und Herren! Qualifizierte Beschäftigte – vor allem Facharbeiter und Ingenieure – sind traditionell eine der größten Stärken der österreichischen Wirtschaft. Deshalb ist es eine der ganz großen Herausforderungen dieser Bundesregierung, gemeinsam mit den jungen Menschen in den Lehrberufen, gemeinsam mit der Wirtschaft, gemeinsam mit den Sozialpartnern im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel eine gute Ausbildung sicherzustellen. Das reicht vom Bildungsangebot über die Verfügbarkeit von überbetrieblichen Lehrwerkstätten bis hin zur Verbreiterung der Lehrberufe und vom verbesserten Fremdsprachenunterricht bis zur ausgeprägteren Förderung von Frauen.

Flexibilisierung und Mobilität können nicht nur von den Arbeitskräften eingefordert werden, sie sind auch im staatlichen Bildungsangebot vorzugeben. Das Thema der Öffnung und der Durchlässigkeit in den einzelnen Schultypen steht daher auf der Tagesordnung. Absolventen einer Lehre sollen direkten Zugang zu den Fachhochschulen haben, die als Schultyp hervorragend angenommen werden.

Im übrigen geht es nicht nur um die Ausbildung an sich, sondern auch um die längst fällige Anerkennung der Facharbeiter in der Gesellschaft, wie sie ihnen tatsächlich zukommt.

Um in der Beschäftigungs- und Standortoffensive auch andere neue Wege zu gehen, werden wir uns von der politischen Seite zu einem kreativen Dialog mit den Sozialpartnern zusammenfinden, wie wir die Arbeitszeiten gestalten können: daß sie einerseits bestmöglich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie dienen und andererseits den Bedürfnissen der Wirtschaft im Wettbewerb und den unterschiedlichen Nachfragezyklen entgegenkommen.

Nicht zuletzt sei erwähnt, daß wir einen neuen Anlauf nehmen müssen, um die Verwaltung zu vereinfachen und die behördlichen Verfahren zu verkürzen. Das gilt für Betriebsgründungen ebenso wie für Betriebsansiedlungen und Infrastrukturprojekte größeren Umfangs.

Wenn jemand einen Betrieb nur deshalb nicht gründet oder erweitert, weil er jahrelang auf eine Genehmigung warten muß, wird er bald einen Standort außerhalb Österreichs interessanter finden oder sich statt einer Werkstatt ein Wertpapier kaufen.

Hoher Bundesrat! Anders als sehr viele andere Staaten hat Österreich in den letzten Jahren einen großen Strukturwandel hervorragend bewältigt. Noch vor einem Jahrzehnt war die Krise der verstaatlichten Industrie Tagesgespräch. Seither ist viel geschehen: Große Teile der verstaatlichten Industrie wurden erfolgreich an der Börse eingeführt und arbeiten teilweise mit hohen Gewinnen. Der dabei eingeschlagene pragmatische Weg wird fortgesetzt. Wir werden dort ausgliedern und privatisieren, wo es sinnvoll ist, wo es für die österreichischen Interessen und selbstverständlich vor allem für die Arbeitnehmer von Vorteil ist.

Für die kommenden vier Jahre haben wir uns vorgenommen, die Bundesanteile der Bank Austria und der Creditanstalt abzugeben, die Post in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln und Umstrukturierungsschritte bei Austria Tabak, bei den Salinen und bei der Staatsdruckerei vorzunehmen. All das wird unter Bedachtnahme dessen erfolgen, daß der dabei sicherzustellende gesunde wirtschaftliche Prozeß im Vordergrund steht.


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Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, das Defizit im Bundesbudget bis 1997 auf 2,7 Prozent des Bruottinlandsproduktes abzusenken. Die Bundesländer und die Gemeinden haben sich bereit erklärt, ihr Defizit auf 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu senken.

Die wichtigste Begründung für diese Politik besteht darin, politischen Handlungsspielraum zu erhalten. Steuergeld darf nicht im Übermaß in die Rückzahlung von aufgenommenen Darlehen fließen, sondern in politisch sinnvolle und gewollte Leistungen. Wir wollen mit dem Konsolidierungsprogramm sparen, aber wir müssen unbedingt gleichzeitig auch Reformen bewirken. Wir sehen daher die Notwendigkeit zum Sparen als Chance!

Bei den großen Ausgabenbereichen in den öffentlichen Haushalten wird die Dynamik beim Personalaufwand eingedämmt, und durch Verkürzung der Verwaltungsabläufe werden Kosten vermindert. Länder und Gemeinden tragen diese Ziele in ihren Wirkungsbereichen mit.

Ich sage an dieser Stelle auch ein Wort des Dankes und der Anerkennung an die öffentlich Bediensteten. Sie und ihre Vertreter in der Gewerkschaft öffentlicher Dienst haben in besonders verantwortungsvoller Weise zum Entstehen des Konsolidierungskurses beigetragen und dabei auch für sie wenig erfreuliche Maßnahmen akzeptiert. Das ist umso beachtlicher, als der Arbeitsanfall für die Beamten in den letzten Jahren nicht weniger, sondern bedeutend mehr geworden ist, nicht zuletzt durch die EU-Mitgliedschaft und durch die Öffnung der Grenzen im Osten unseres Landes. Der öffentliche Dienst sorgt für das klaglose und vorbildhafte Funktionieren der Verwaltung und tut das oft unter großen Belastungen und meistens unbedankt. An dieser Stelle sei er besonders hervorgehoben.

Bei den insgesamt stark ins Gewicht fallenden öffentlichen Transferzahlungen wird eine Straffung der Leistungen und eine effektive Mißbrauchskontrolle das soziale System ausgewogener gestalten und gleichzeitig ein Kürzung der Gesamtausgaben ermöglichen. Die Wirtschaftsförderung soll sich verstärkt an EU-Programmen orientieren, um eine optimale Nutzung von Kofinanzierungen zu ermöglichen. In anderen Worten: An die Fonds der EU eingezahltes Geld soll stärker als bisher nach Österreich wieder zurückfließen.

Auf der Einnahmenseite wird die Bundesregierung die bisherige Linie der Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen und der Schließung von Steuerlücken fortsetzen. Eine befristete steuerliche Begünstigung von längerfristig nutzbaren Investitionen soll die Standortqualität anheben.

Zur Erhöhung von Steuersätzen auf Leistungseinkommen wird es im Sinn der Sicherung der Attraktivität des Standorts Österreich nicht kommen. Insbesondere werden damit die Arbeitskosten stabilisiert, eine Verteuerung des Faktors Arbeit wird verhindert.

Gleichzeitig ist aber die Ökologisierung des Steuersystems voranzutreiben. In die Energiebesteuerung sind Strom und Erdgas einzubeziehen. Im Verkehrsbereich sollen durch geeignete Maßnahmen höhere Kostenwahrheit und Einsparungseffekte erzielt werden.

Durch eine Anhebung der Kapitalertragsteuer sowie der Erbschafts- und Schenkungssteuer wird sichergestellt, daß alle Einkommensarten einen angemessenen Beitrag zur Konsolidierung leisten. Die Tabaksteuer soll ebenfalls maßvoll erhöht werden.

Mit diesen Vorhaben der Bundesregierung wird die soziale Ausgewogenheit der Maßnahmen sichergestellt. Bezieher höherer Einkommen leisten einen höheren Beitrag, Bezieher niedriger Einkommen einen niedrigeren Beitrag zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.

Die Bundesregierung selbst trägt auch ihren Teil zum allgemeinen Sparen bei: zwei Bundesministerien und drei Staatssekretariate weniger als bei der Regierungsbildung 1994!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind jetzt mehr als ein Jahr Mitglied in der Europäischen Union. Einige Wirtschaftszweige und Berufe haben zweifellos mit Anpassungsschwie


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rigkeiten zu kämpfen. In Summe lassen sich jedoch alle erheblichen Vorteile für Österreich eindeutig ermessen.

Zur eigentlichen Beurteilung unserer EU-Mitgliedschaft ist es aber wert, daran zurückzudenken, daß wir nicht wegen einiger Preisvorteile oder Lebensmittelkennzeichnungen beigetreten sind. Vielmehr haben wir ja die Grundidee für richtig gehalten, mit anderen Europäern eine Gemeinsamkeit zu errichten, innerhalb derer alle Lebens- und Politikbereiche zu bestmöglicher Entfaltung kommen sollen. Diese Gemeinsamkeit dient vor allem dazu, nach tausenden Jahren Krieg in Europa den tragfähigen Frieden für alle Zeiten herbeizuführen.

Deshalb stellt sich die Frage "ja oder nein zum gemeinsamen Europa" heute nicht mehr, sondern nur die Frage nach dem zukünftigen "Wie in Europa".

Im übrigen haben wir noch nicht überall die richtige Einstellung zur Europäischen Union gefunden. Zu oft herrscht noch das "hier Wien, da Brüssel" vor und umgekehrt. In Wirklichkeit sind wir selbst Brüssel oder zumindest ein Teil davon, denn als eines von fünfzehn gleichberechtigten Mitgliedsländern am Tisch der Union können wir die großen Linien der europäischen Politik mitgestalten und mitbestimmen.

Für vitale österreichische Interessen ist es selbstverständlich oberste Pflicht der Bundesregierung, bei Entscheidungen innerhalb der Union für dieselben einzutreten. Andere Mitgliedsstaaten tun das auch. Daher kommt es auch, einmal mit uns, einmal mit anderen Mitgliedstaaten, zu Auseinandersetzungen. Das geht im Lauf der Zeit jedem Mitgliedsland so. Und politische Auseinandersetzungen gibt es auch im Inland genug.

Meine Damen und Herren! Weder Klassenletzter noch Musterschüler sind hier geeignete Kategorien. Wahrnehmung von Interessen auf dem Boden der durch die Mitgliedschaft erworbenen Rechte und eingegangenen Verpflichtungen: Das ist unsere politische Aufgabe, damit ist unsere politische Position beschrieben.

Es wird jedenfalls auch eine Hauptaufgabe der Bundesregierung sein, europäische Prozesse transparenter zu machen. Zu diesem Zweck werden wir demnächst eine neue Informationsaktion der Bundesregierung starten. Dabei wollen wir vor allem den Dialog mit der Bevölkerung über die Zukunft der Union und unsere Rolle dabei führen.

Osterweiterung, Währungsunion, Regierungskonferenz 1996 und die Präsidentschaft Österreichs 1998 werden dabei die besonderen Anliegen sein, die es mit der Bevölkerung zu diskutieren gilt.

Das Problem der inakzeptabel hohen Arbeitslosigkeit in Europa, das Problem ökologischer Ungleichgewichte und das Problem mangelnder Sicherheit werden – besonders dank des österreichischen Engagements – auf der Tagesordnung der Regierungskonferenz stehen.

Für ein Land wie Österreich, das aufgrund seiner stabilitätsorientierten Währungspolitik auch eine sehr erfolgreiche Beschäftigungspolitik betrieben hat, ist die Währungsunion eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Export- und damit Beschäftigungspolitik. Österreich wird deshalb danach trachten, bei den ersten Ländern zu sein, die der Währungsunion angehören, sich außerdem aber auch dafür einsetzen, daß das Sozialabkommen des Maastrichter Vertrags in den neuen Vertrag aufgenommen wird, um Wettbewerbsverzerrung durch Sozialdumping zu vermeiden.

Ohne Einbindung der mittel- und osteuropäischen Staaten werden sich soziale und ökologische Ungleichgewichte innerhalb der Union noch drastischer im Verhältnis der EU zu diesen Ländern ausbilden. Dies wiederum ist der gesamteuropäischen Stabilität abträglich. Deshalb sollten bald nach Abschluß der Regierungskonferenz die Beitrittsverhandlungen mit den erwähnten Ländern aufgenommen werden.

Hoher Bundesrat! Hinsichtlich der detaillierten Darstellung der Vorhaben der österreichischen Bundesregierung in den einzelnen Aufgabenbereichen ersuche ich Sie, auf meine Regierungs


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erklärung, die ich in der vergangenen Woche vor dem Nationalrat abgegeben habe, verweisen zu dürfen.

Gerade vor der Länderkammer des Parlaments erscheint es mir aber besonders wichtig, darauf hinzuweisen, daß zentrale Ziele dieses Regierungsprogramms, insbesondere die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen, nur in einer gemeinsamen Anstrengung aller Gebietskörperschaften erfolgreich zu bewältigen sein werden. Die Mitarbeit der Bundesländer bei der Erstellung der Grundlagen für die Budgets 1996 und 1997 hat den Weg dazu geebnet.

Nicht zuletzt im Interesse des Bundes- und der Länderbudgets wird daher einer der Eckpfeiler dieser neuen Partnerschaft ein Mechanismus sein, der eingerichtet werden wird, um finanzielle beziehungsweise budgetäre Probleme und unvorhergesehene Belastungen durch die Gesetzgebung einer jeweils anderen Gebietskörperschaft zu verhindern.

Auf dieser Basis können wir mit großer Zuversicht daran gehen, auch die darüber hinausgehenden wichtigen und notwendigen Projekte in Angriff zu nehmen, wie zum Beispiel eine moderne, bürgernahe und effizientere Aufgabenverteilung zwischen den Gebietskörperschaften oder die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit gemeinsam mit den Ländern und Gemeinden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hoher Bundesrat! Das Arbeitsprogramm der neuen Bundesregierung ist von ehrlichem Bemühen geprägt, für Österreich Reformen umzusetzen, die ihm einen guten Eintritt in das nächste Jahrtausend ermöglichen.

Es ist ein Programm, das nach bestem Wissen und Gewissen erstellt wurde, ein Programm, das der Zusammenarbeit all derer, die guten Willens sind, bedarf.

Ich lade Sie alle zu dieser sachlichen Zusammenarbeit ein. Österreich verdient es, daß die politisch Verantwortlichen, die Bundesregierung, das Parlament, die Länder und Gemeinden, vor allem aber auch die Sozialpartner, gemeinsam an einer guten Zukunft arbeiten.

Wir alle tragen große Verantwortung. Es ist eine übertragene Verantwortung vom Souverän, vom Volk. Wir wollen sie mit Mut, Phantasie, Kraft und Würde übernehmen. Es geht um unser Österreich. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

14.01

Präsident Johann Payer: Ich danke dem Herrn Bundeskanzler für seine Regierungserklärung.

Bevor wir in die Debatte eingehen, erlaube ich mir, weitere Mitglieder der Bundesregierung hier im Bundesrat willkommen zu heißen, nämlich Frau Bundesministerin Elisabeth Gehrer, Frau Bundesministerin Dr. Helga Konrad und Herrn Bundesminister Franz Hums. Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Peter Kapral. – Bitte sehr, Herr Bundesrat.

Debatte über die Regierungserklärung

14.02

Bundesrat Dr. Peter Kapral (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Mitglieder der Bundesregierung! Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Vor etwas mehr als 15 Monaten haben Sie, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, hier vor dem Bundesrat namens der damaligen Regierung Ihr Programm für die nächsten vier Jahre dargelegt.

Es war damals die vorherrschende Meinung, daß dieser Bundesregierung kein langes Leben beschieden sein wird. Ich selbst habe davon gesprochen, daß sie, nämlich diese Bundesregierung, auf einem brüchigen Fundament steht. Die Entwicklung hat gezeigt, daß diese Vorhersage nicht ganz unzutreffend war.


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Diesmal – das ging sowohl aus Ihrer Erklärung hervor, aber insbesondere natürlich auch aus dem Koalitionsübereinkommen, das Ihre Partei mit der Österreichischen Volkspartei abgeschlossen hat – haben Sie Ihren Partner ganz fest an die Brust genommen und ihn nach allen Regeln der Kunst an sich gebunden – und er hat sich auch binden lassen.

Die Frage wird natürlich sein, ob dabei nicht eine gewisse Schmerzgrenze überschritten wurde, eine Schmerzgrenze, die zum Beispiel Landeshauptmann Pröll in einem Interview so beschrieben hat: Eine Schmerzgrenze für die ÖVP wird dort sein, wo sie sich selbst nicht mehr findet und wo sie wesentliche Grundsätze, die da lauten: Sparen, Leistung, Familie, soziale Gerechtigkeit, nicht mehr wiederfindet. – Und es gibt Anzeichen dafür, daß führende Persönlichkeiten der ÖVP der Ansicht sind, daß diese Schmerzgrenze überschritten wurde.

Dazu kommt, daß Sie sich mit Ihren Sanierungs-, sprich Belastungsschritten über fast alle Rechte der Länder hinweggesetzt haben, insbesondere was die Begutachtung anlangt, und auch die Kompetenzmöglichkeiten, die der Bund nun einmal hat, voll ausgenützt haben.

Ich darf die Damen und Herren der ÖVP-Bundesratsfraktion ersuchen, sich in ihrem Klub dafür einzusetzen, daß der von freiheitlichen Nationalratsabgeordneten eingebrachte Antrag auf Novellierung des Bundes-Verfassungsgesetzes, der ausdrücklich festschreibt, daß die Staatsgewalt zwischen Bund und Ländern geteilt ist und daß an der Gesetzgebung und an der Vollziehung Bund und Länder mitwirken, im Nationalrat unterstützt wird. Diese Bestimmung soll durch eine Bestandsgarantie, die mit diesbezüglichen Vorschriften des deutschen Grundgesetzes vergleichbar ist, unabänderlich gemacht werden.

Mir ist es ein wirkliches Anliegen, und ich hoffe, daß diese Initiative im Nationalrat auf die Unterstützung der ja zahlreich in diesem Haus vertretenen überzeugten Anhänger eines föderalistischen Aufbaues unseres Staates stößt, daß Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren der Österreichischen Volkspartei, sich in Ihrem Klub für diese berechtigten Anliegen mit entsprechendem Nachdruck einsetzen werden.

Bedauerlicherweise ist aber ein solches Denken nicht Allgemeingut, und ich darf hier auch auf den letzten Teil Ihrer Ausführungen, Herr Bundeskanzler, zu sprechen kommen, in dem Sie zwar von gemeinsamen Anstrengungen aller Gebietskörperschaften gesprochen, aber andererseits auch angekündigt haben, daß ein Mechanismus eingerichtet wird, um finanzielle beziehungsweise budgetäre Probleme und unvorhergesehene Belastungen einer jeweils anderen Gebietskörperschaft durch die Gesetzgebung zu verhindern.

Und da gibt es leider eine Reihe von negativen Beispielen in dem Sinne, daß man bestehende Einrichtungen – ich glaube, daß man vom Bundesrat wirklich als von einer bestehenden Einrichtung sprechen kann – einfach negiert und neue Gremien mit unterschiedlichen Bezeichnungen in die Welt setzen möchte.

Ich verweise hier auf die im Nationalrat eingebrachte Novelle zum Finanz-Verfassungsgesetz, Nr. 15 der Beilagen, die die Bildung eines eigenen Gremiums, dort Konsultativgremium genannt, vorsieht, das bei Einspruch des Bundes tätig werden soll. Es ist auch der Bundesrat genannt. Auch bei Einsprüchen des Bundesrates soll dieses Gremium tätig werden, aber in einer Zusammensetzung, in der Vertreter des Bundesrates überhaupt nicht aufscheinen, sondern nur Mitglieder des Nationalrates.

Bedauerlicherweise gibt es aber auch aus Kreisen der Österreichischen Volkspartei einen Vorschlag, nämlich vom Landeshauptmann Zernatto. Das Gremium sollte dann tätig werden, wenn sich die Länder durch Aktivitäten des Bundes betroffen fühlen. Daher wird es auch nicht Konsultations-, sondern Konsultativgremium genannt. Aber letztendlich läuft auch dieses Gremium darauf hinaus, den Bundesrat weiter in seiner Bedeutung zu schwächen. Landeshauptmann Zernatto spricht ausdrücklich davon, daß der Bundesrat hier überhaupt keine Möglichkeit hätte, einzugreifen. Er denkt aber nicht darüber nach, ob man dem Bundesrat nicht diese Möglichkeit geben könnte, was ja durchaus auch überlegenswert wäre. Aber es besteht leider auch bei den Landeshauptleuten keine Bereitschaft, darüber zu reden, geschweige denn im Kreise der Bundesregierung.


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Alle Appelle, die auch von ÖVP-Seite kommen, den Bundesrat zu stärken, müssen dann verhallen, ungehört verhallen, wenn aus Ihren eigenen Reihen Vorschläge kommen, die solche Ideen unterminieren und untergraben.

Auch Klubobmann Dr. Khol, Professor Dr. Khol hat mit keinem Wort auf den Föderalismus Bezug genommen, als er vor einigen Tagen in einem Presseinterview zu den Fragen, die sich aus der Regierungsbildung und aus dem Regierungsprogramm ergeben, Stellung genommen hat. Er hat nur wortreich den angeblich erkämpften koalitionsfreien Raum verteidigt, auf den ich noch zu sprechen kommen werde.

Neun Jahre sogenannte große Koalition sind ins Land gezogen, und ich glaube, es ist durchaus gerechtfertigt, daß man nach neun Jahren davon spricht, daß es sich um eine alte Koalition handelt und daß man durchaus auch schon von altkoalitionären Parteien sprechen kann; alt auch deswegen, weil Sie fast schon gebetsmühlenhaft immer wieder dieselben Vorhaben und Ansätze wiederholen und in Wirklichkeit in Ihrem Programm keine Zukunftsperspektiven aufzeigen.

Ich darf auf einen Satz zu sprechen kommen, der in der Regierungserklärung des Jahres 1987 aufscheint. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sie sprachen damals davon, daß die Budgetkonsolidierung als zentrales Anliegen dieser im Jahr 1987 gebildeten Bundesregierung zu bezeichnen ist. Das Budgetdefizit sollte bis zum Jahr 1991 auf unter 3 Prozent, 1992 auf 2,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes abgesenkt werden. Wo zwischen unter 3 Prozent und 2,9 Prozent der Unterschied liegt, das geht nicht daraus hervor, aber es ist bezeichnend, daß Sie diese Ansicht schon damals in den Mittelpunkt Ihrer Regierungserklärung gestellt haben. Unglückseligerweiser lag dann das Jahr 1993 dazwischen, in dem die Dinge völlig aus dem Ruder gelaufen sind.

Die Behauptung, die damals aus dem Kreis des Finanzministeriums, von Politikern an der Spitze dieses Ministeriums, vertreten wurde, daß diese Ausgaben zur Bekämpfung des Konjunktureinbruches notwendig sind, hat die OECD, die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, schon in ihrem Prüfbericht 1993 als nichtzutreffend bezeichnet, weil sie nämlich bescheinigt hat, daß der Konsolidierungsprozeß, den Sie 1987 wortstark angekündigt haben, schon vor Beginn der gegenwärtigen Rezession, also der Rezession des Jahres 1993, ins Stocken geraten war. Denn die sich während der Hochkonjunkturperiode bietende Gelegenheit, einen entscheidenden Schritt zu einer substantiellen Rückführung des Defizits zu unternehmen, wurde weitgehend ungenützt gelassen.

Im Jahr 1993 war das Defizit, also der Abgang im Bundeshaushalt, um 50 Prozent höher als im vorangegangenen Jahr, er ist von 66 Milliarden Schilling auf 98 Milliarden Schilling gestiegen; 1995 haben wir hoffentlich das Maximum des Abganges mit 118 Milliarden Schilling erreicht.

Die Staatsschuld des Bundes machte Ende 1995 nach den bisher vorliegenden Schätzungen die gigantische Höhe von 1 300 Milliarden Schilling aus, das sind 57 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Zusätzlich mit den Abgängen in den Länder- und Gemeindehaushalten, die laut EU auch in die Maastricht-Kriterien einzubeziehen sind, liegen wir weit über den dort festgelegten 60 Prozent.

Zuerst mußten auch die EU beziehungsweise die Maastricht-Kriterien als Begründung für die nunmehr den zentralen Punkt der Regierungserklärung bildenden Belastungsmaßnahmen herhalten. Die Erkenntnis, daß eine solche Begründung kontraproduktiv ist, beziehungsweise die Einsicht, daß eine solche Entwicklung auf keinen Fall, ob Maastricht oder nicht Maastricht, tolerierbar ist, hat sich letztendlich langsam durchgesetzt.

Österreich ist aber bedauerlicherweise das einzige Land, in dem die Staatsverschuldung steigende Tendenz aufweist und die Wirtschaftsforscher für das Jahr 1997 einen höheren Anteil der Staatsschuld am Bruttoinlandsprodukt prognostizieren als 1995. Professor Frisch, der ja der führenden Regierungspartei nicht ganz ferne steht, sagte in der "Presse" vom 21. Februar dieses Jahres: Die Expansion des Wohlfahrtsstaates in den vergangenen 20 Jahren hat Österreich in eine teuflische Schuldenfalle tappen lassen.


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Lassen Sie mich hinzufügen: Diese Expansion hat insbesondere anfangs der neunziger Jahre Platz gegriffen, in denen Sie in kürzester Zeit zum Beispiel die Ausgaben für soziale Aufwendungen verdoppelt haben.

Auch das von ÖVP-Seite so lautstark verlangte Verhältnis zwischen Einsparungen und neuen Belastungen von 1 : 2 stimmt in Wirklichkeit nicht. Es beträgt im besten Fall 1 : 1. – Das hat Dr. Busch vom Institut für Wirtschaftsforschung kürzlich festgestellt. Tatsache ist aber – nach den Unterlagen des Finanzministeriums –, daß 1996 und 1997 aufgrund der Maßnahmen des Belastungspaketes mit zusätzlichen Steuereinnahmen in der Höhe von 80 Milliarden Schilling gerechnet wird. Es ist sowohl im Koalitionsabkommen als auch in der Regierungserklärung von einem Einsparungsbedarf, einem Sanierungsbedarf – das hat auch diese Überprüfung ergeben – in der Höhe von insgesamt 100 Milliarden Schilling die Rede. Wenn man einigermaßen rechnen kann, dann kommt man dabei auf ein Verhältnis 4 : 1.

Es ist eigentlich fast nicht mehr anzuhören, wenn sich Politiker, die an dem Desaster der öffentlichen Haushalte – es waren doch, wie diese Politiker festgestellt haben, keine Schwindelbudgets, auch wenn die Abgänge zum Jahreschluß dann immer um 30, 40 oder mehr Prozent höher gelegen waren, als budgetiert – mit schuld sind, Mitschuld tragen, diese Entwicklung unmittelbar zu verantworten haben, jetzt als die großen Sanierer darstellen und sich die vermeintlichen Einsparungen, die in Wirklichkeit keine sind, als große Leistung anrechnen lassen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Bundeskanzler! Sie haben ein schweres Erbe übernommen, ein Erbe, das Sie sich aber selbst zuzuschreiben haben und das daraus entstanden ist, daß jahrelang verabsäumt wurde, notwendige Reformschritte in diesem Land zu setzen – Reformschritte, zu deren Realisierung diese große alte Koalition angetreten ist; Reformen, wie zum Beispiel Gesundheitswesen, Pensionsregelung, Altersvorsorge, Bundesbahn, Verwaltungsvereinfachung, Dienstrecht und so weiter.

Sie haben nunmehr die Notbremse gezogen, ein Belastungspaket geschnürt, das nach Ihrer Lesart sozial ausgewogen ist und alle Bevölkerungsschichten nach ihrer Leistungsfähigkeit gleich belastet. Tatsache ist aber, daß vor allem der Besserverdienende, die besser verdienenden Bevölkerungskreise am stärksten zur Kasse gebeten werden (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf des Bundesrates Konečny ), jene Bevölkerungsschicht also, die das Rückgrat jeder Volkswirtschaft ist, Herr Bundesrat Konečny! (Bundesrat Konečny: Das ist eine Selbsttäuschung, Herr Kollege!)

Die arbeitsamen Facharbeiter, die Angestellten, die Gewerbetreibenden, die Freiberufler, all jene werden zur Kasse gebeten. (Bundesrat Konečny: Das sind die Besserverdiener?) Natürlich schonen Sie die Kleinen, das ist klar, aber in Wirklichkeit trifft es den breiten Mittelstand, der Ihnen das eines Tages ganz schön entgelten wird. (Bundesrat Konečny: Stellen Sie das dann im Protokoll nicht richtig!) Herr Bundesrat Konečny! Sie unterstellen mir hier eine unehrenhafte Handlung. Wann habe ich jemals im Protokoll etwas richtigstellen lassen? Herr Präsident! Darf ich Sie bitten! (Bundesrat Konečny: Ich habe Sie nur gebeten!)

Präsident Johann Payer: Wir sind jetzt bei der Debatte der Regierungserklärung. Ich bitte die beiden Herren, das mit mir nachher noch einmal zu besprechen.

Bundesrat Dr. Peter Kapral (fortsetzend): Was soll diese Bemerkung, Herr Bundesrat Konečny? Haben Sie Beweise dafür? (Bundesrat Konečny: Ich habe Sie nur gebeten, diese wichtige Bemerkung, daß wir die sozial Schwachen schonen, so stehen zu lassen!) Warum soll ich das streichen? Das Protokoll gibt das wieder, was ich hier sage. (Zwischenrufe.)

Präsident Johann Payer: Ich darf feststellen, daß Herr Bundesrat Kapral keine Möglichkeit hat, Berichtigungen oder Änderungen im Protokoll vorzunehmen. Was hier gesagt wird, steht auch im Protokoll. Ich bitte Sie, Herr Dr. Kapral, in Ihren Ausführungen fortzusetzen.

Bundesrat Dr. Peter Kapral (fortsetzend): Danke, Herr Präsident! Ich darf auf die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers zurückkommen, die wir eben hier gehört haben und die


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sich in fünf Punkte gliedert: eine Beschäftigungsoffensive, die mit einer Aufwertung des Wirtschaftsstandortes Hand in Hand gehen soll, die Konsolidierung des Staatshaushaltes, Österreichs Rolle als EU-Mitglied, Sicherheitsaspekte und ein offensives Reformprogramm in allen Gesellschaftsbereichen.

Zweifelsohne ist der Mittelpunkt dieser Regierungserklärung aber das Belastungspaket, das hier verschönt als Konsolidierung des Staatshaushaltes dargestellt wird und das – diesen Aspekt möchte ich hier besonders unterstreichen – eine betont familienfeindliche Haltung aufweist. Es war die Rede davon – ob es tatsächlich soweit kommt, wird sich zeigen –, daß durch eine Verfassungsbestimmung das Familiensplitting verhindert werden soll, indem die Individualbesteuerung festgeschrieben wird. Kinderabsetz-, Unterhaltsabsetz- und Alleinverdienerabsetzbetrag und die Geburtenbeihilfe werden gestrichen, die Karenzgeldregelung wird verschlechtert. Es wird eine Strom- und Gassteuer eingeführt, die hier nur am Rande erwähnt wird, aber die sehr wohl die Familien stark trifft. All das zeigt – unter Anführungszeichen – "die soziale Ausgewogenheit", Herr Bundesrat Konečny, und ich werde im Protokoll darauf achten, daß das auch unter Anführungszeichen dort aufscheint. Sie können sich das auch vormerken, damit Sie sehen, wenn Sie das Protokoll kontrollieren, daß das dort auch richtig wiedergegeben ist. Ich habe aber überhaupt keine Zweifel, weil ich den Damen und Herren des Stenographendienstes dieses Hauses vertraue.

Aber die starke Betonung der Politik als Leitfaden für die Handlungsweise und das Unterstreichen der Bemerkungen, daß eine gute und ökonomische und soziale Absicherung erfolgt und die Möglichkeit geschaffen wird, sich selbst zu entfalten, führen Sie dann in weiterer Folge im sogenannten Strukturanpassungsgesetz – den Titel muß man sich erst auf der Zunge zergehen lassen, wenn man weiß, was dort drinnensteht – ad absurdum. Dieses Strukturanpassungsgesetz nimmt die letzten Möglichkeiten, die von Ihnen hochgepriesene und in der Regierungserklärung besonders stark herausgestrichene Eigenvorsorge wirklich in die Hand zu nehmen und zum Beispiel für die Altersvorsorge nach der berühmten Zweidrittel-, Eindrittelregelung auch privat Maßnahmen zu treffen. Dieses Gesetz nimmt die letzten Möglichkeiten, hier etwas zutun! Die private Eigenvorsorge wird durch den Wegfall aller steuerlichen Möglichkeiten regelrecht diskriminiert.

Sie sprechen von der Bedeutung der Bildung, von der Notwendigkeit des lebenslangen Lernens. Was geschieht wirklich? – Der Sparkurs an den Universitäten ist zweifelsohne ein berechtigtes Anliegen. Er findet in Teilen selbstverständlich auch die Billigung der Opposition. Aber die Art der Vorgangsweise, die von der von Ihnen repräsentierten Bundesregierung jetzt betrieben wird, zeigt, daß man auf die einzelnen Bedürfnisse überhaupt keine Rücksicht nimmt und den Spielraum, die Autonomie, die man einmal den Universitäten eingeräumt hat, nicht nützt. Die Streichung von Unterrichtsstunden in den Schulen, inbesondere von Fremdsprachen, zeigt auch, daß die Fremdsprachenoffensive, die Sie für das Export- und Tourismusland Österreich immer wieder verlangen, nicht wirklich ernstgenommen wird, weil die Einführung einer Englischstunde pro Woche in den Volksschulen kann dafür wirklich kein Ausgleich sein. (Bundesrat Ing. Penz: Sie lesen keine Zeitungen, Herr Kollege!)

Die ganz große Herausforderung, für eine gute Ausbildung zu sorgen, führt sich auch hier ad absurdum. Herr Bundeskanzler! Die von Ihnen angekündigte neue Offensive für Wachstum und Beschäftigung, die Sie als eines der ganz großen Ziele dieser Bundesregierung darstellen – Sie sagen, daß der Standort Österreich ausgebaut und die Beschäftigung gesichert werden soll –, konterkarieren Sie selbst mit Ihren Maßnahmen im Strukturanpassungsgesetz. Es ist interessant, festzustellen, daß in der Regierungserklärung der sogenannte Beschäftigungsgipfel keinerlei Erwähnung findet, obwohl Sie, Herr Bundeskanzler, und andere Mitglieder der Bundesregierung lautstark die Schaffung von zusätzlichen 80 000 Arbeitsplätzen angekündigt haben. Das kommt in der Regierungserklärung gar nicht mehr vor. Und wenn Sie sehr diskret von einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und der Schließung von Steuerlücken sprechen, dann ist das letztlich nichts anderes als die Erschließung neuer Einnahmequellen in Form höherer steuerlicher Belastungen.


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Es heißt dann an anderer Stelle: Österreich hat in den letzten Jahren den großen Strukturwandel hervorragend bewältigt. Wie schaut denn dieser Strukturwandel aus? – Wir haben Budgetprobleme, die Sie selbst zugeben. Wir haben den Höchststand an Staatsverschuldung erreicht. Wir weisen sinkende Beschäftigungszahlen, eine Rekordarbeitslosigkeit in der Größenordnung von 300 000 Beschäftigungslosen auf, und wir haben Zahlungsbilanzprobleme. Die österreichische Zahlungsbilanz ist zum vierten Mal in ununterbrochener Reihenfolge – derzeit erreichen wir ein Rekorddefizit – defizitär. All das verkaufen Sie den Bürgerinnen und Bürgern als hervorragende Bewältigung eines großes Strukturwandels.

In diesem Sinne sehen Sie auch jene Vorhaben, die Sie unter dem Kapitel Technologieoffensive zusammenfassen, ein Thema, das mich viele Jahre, schon bevor ich hier in dieses Haus gezogen bin, beschäftigt hat. Ich höre eigentlich immer wieder die gleichen Absichtserklärungen: eine stärkere Verbindung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung, eine Aufwertung der Innovation. Es gibt ein Technologiekonzept der Bundesregierung, über dessen Realisierung man wenig oder gar nichts hört. Es gibt die Erklärung des Wirtschaftsministers – diese wird man sich noch sehr genau anschauen müssen –, daß 1 Milliarde Schilling aus Privatisierungserlösen für mehr Forschung zur Verfügung gestellt werden soll. Es gibt jetzt ein Mammutministerium, in dem Sie das Wissenschafts- und Verkehrsministerium zusammengelegt haben, bei dem Sie jetzt um eine Bezeichnung ringen, weil Ihnen selbst, glaube ich, die Bezeichnung Zukunftsministerium nicht mehr ganz sinnvoll erscheint. Sie wollen eine Selbständigenoffensive betreiben, und Sie erhöhen die Mindestbesteuerung für die kleinen GesmbHs. Die junge Wirtschaft kritisiert, daß die Zahl der Selbständigen sinkt, spricht davon, daß sie die Regierung im Stich läßt. All das wird uns hier als Aufbruch in die Zukunft verkauft. Sie sprechen von stabilen Lohnnebenkosten, Sie erhöhen den Beitrag zum Pleitefonds von 0,5 auf 0,7 Prozent. Ursprünglich war sogar von 0,8 Prozent die Rede. Das geht aber jetzt alles unter, darüber redet man natürlich nicht.

Man redet auch nicht darüber, daß die Arbeitslosigkeit dazu geführt hat, daß dieser Pleitefonds mit rund 6 Milliarden Schilling verschuldet ist. All das sind die Schwächen, die Sie versuchen, in Ihrer Regierungserklärung zuzudecken.

Wenn Sie im Zusammenhang mit der Investorenwerbung von der Kostenwahrheit im Verkehr sprechen, dann bleibt wirklich offen, ob uns die vom Zaun gebrochene Diskussion über die Maut diesbezüglich weiterbringt. Das Road-pricing, wenn es so kommt, wie beabsichtigt, verteuert jedenfalls den Standort Österreich. Es wird sehr viel Fingerspitzengefühl bedürfen, das Sie und die Mitglieder Ihrer Bundesregierung aber bisher in dieser Frage vermissen lassen, um diese Dinge auch tatsächlich umzusetzen.

Daß Umwelt- und Energiepolitik in größerem Sinn zusammengehören, ruft keinen Widerspruch hervor. Aber es wäre ganz interessant zu wissen – auch aus der Sicht der Bundesländer und der Gemeinden –, wie Sie etwa dem Siedlungswasserbau und der Altlastensanierung neue Mittel zuführen wollen, ohne die Belastungen für die Wirtschaft zu erhöhen. Heute haben wir schon gehört, daß der Altlastensanierungsbeitrag in einem exorbitanten Ausmaß erhöht werden soll.

Aber wie gesagt: Außer der Erwähnung der Tatsache wird von Ihnen kein Wort zum Thema Gas- und Stromsteuer gesprochen. Auch diese ist, so wie sie konzipiert ist, nicht der immer wieder geforderte Schritt in Richtung einer Ökologisierung des Steuersystems. Sie treffen auch damit wieder die Kleinen und die Familien. Letztlich ist eine solche Steuer, wie Sie von Ihnen konzipiert wurde, wettbewerbsfeindlich und richtet sich auch gegen die österreichische Wirtschaft.

Ein paar Worte noch zur Außen- und Sicherheitspolitik und zur Frage der engeren Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den Staaten Zentral- und Osteuropas. Immerhin ist Österreich schon mehr als ein Jahr Mitglied der Europäischen Union. Wenn Sie jetzt in Ihrer Regierungserklärung davon sprechen, daß es notwendig ist, die österreichische Förderung stärker nach den Gesichtspunkten der EU-Kofinanzierung auszurichten, dann frage ich mich, was eigentlich im letzten Jahr geschehen ist. Was ist eigentlich in Vorbereitung auf den Beitritt in dieser Richtung geschehen? Die Nachrichten, daß Österreich in Brüssel nicht das


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holen konnte, was ihm wirklich zusteht, gewinnen damit an Bedeutung. Und wenn das Burgenland, um in den Genuß der Förderung als Entwicklungsgebiet zu kommen, in der Schweiz einen Kredit aufnehmen muß, um seinen Länderanteil zu finanzieren, dann klingt das schon ein bißchen nach Schildbürgerstreich.

Die Formulierung: ... ein kreativer Dialog mit den Sozialpartnern, wie wir die Arbeitszeiten so gestalten können, daß sie einerseits bestmöglich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie dienen und andererseits den Bedürfnissen der Wirtschaft im Wettbewerb und den unterschiedlichen Nachfragezyklen entgegenkommen ...., war schon öfter zu hören, geschehen ist im Grunde aber nichts. Und es bestehen Zweifel, daß in absehbarer Zeit jene wichtige und bedeutende Frage der Flexibilisierung der Arbeitszeit, deren Fehlen uns ja schon etliches an ausländischen Investitionen gekostet hat, einer befriedigenden Lösung zugeführt wird.

Zur Frage der Pensionen: Den Wegfall des Inflationsausgleichs – leider ist Herr Bundesminister Hums eben weggegangen – kann man den Pensionisten meiner Ansicht nach ohne weiteres zumuten. Dies stellt für die Pensionisten keinen großen Verlust dar, aber bei den aktiven Arbeitern ist das sehr wohl unzumutbar, was wir ja jetzt im Vorgeplänkel der künftigen Lohnverhandlungen immer wieder hören und lesen können.

Sie sprechen dann auch noch vom positiven Ausgang der Finanzausgleichsverhandlungen und der Einbindung der Gebietskörperschaften in Ihre Sanierungsvorstellungen. Zahlreiche Strukturreformen seien eingeleitet worden. – Aber was ist aus dem von Landeshauptmann Stix im September 1995 angekündigten großen Kraftakt geworden? Ich freue mich zu hören, daß Herr Landeshauptmann Stix anläßlich der nächsten Sitzung des Bundesrates hierherkommen und uns seine Vorstellungen von der politischen Weiterentwicklung dieses Landes dartun wird. Es wird zweifelsohne Gelegenheit sein, ihn direkt zu fragen. Er hat in seiner Ankündigung vom September von der Spitalsreform, vom Gesundheitswesen und von verschiedenen anderen Vorhaben gesprochen. Er nannte es eben den "großen Kraftakt", er sprach von den Bestandteilen eines großen Kraftaktes.

Sie haben jetzt einen Betrag von – quasi als "Lockvöglein" – 12 Milliarden Schilling versprochen, die dann den Ländern zur Vefügung gestellt werden sollen, wenn ein Krankenanstaltenplan und die Einführung einer leistungsorientierten Finanzierung erfolgt. Aber ob das mit dieser Art Politik zu erreichen sein wird, wird die Zukunft weisen.

Mit einigem Interesse und auch mit einem gewissen Amusement verfolge ich die Diskussion in der Öffentlichkeit, wer jeweils wen bei den Verhandlungen "über den Tisch gezogen" hat. Eines aber ist sicher – ich erinnere an meine Ausführungen anläßlich der letzten Sitzung –: Ein koalitionsfreier Raum, den Sie von der ÖVP als unabdingbar bezeichnet haben, existiert in Wirklichkeit nicht. Denn was diesbezüglich im Koalitionsabkommen steht, ist nicht einmal das Papier wert, auf dem es geschrieben ist. Da haben Sie von der ÖVP sich völlig in die Hände Ihres Koalitionspartners begeben, sich ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Und Sie werden dem Wähler auch erklären müssen, warum Sie diesbezüglich Ihre Zusagen, Ihre Versprechungen nicht durchgesetzt haben, ja total aufgegeben haben.

Sie können sicher sein, daß wir Ihr Versagen aufzeigen und den Bürgerinnen und Bürgern sagen werden, wie die Dinge tatsächlich liegen.

Es soll ja auch einmal einen Minister gegeben haben, der jetzt wieder dieser Bundesregierung angehört und der vor dem Wahltag – da liegen ja die Dinge bekanntlich immer etwas anders – erklärt hat, daß er nur unter zwei Bedingungen einer neuen Bundesregierung angehören wird, und zwar erstens, wenn sein Parteiobmann Bundeskanzler wird, und zweitens wenn er das Amt des Finanzministers bekleiden kann. – Aber inzwischen hat sich das Klima ja geändert, und er tritt höchstens als Spiegelbild – es gibt ja solche Zerrspiegel! – des tatsächlichen Finanzministers auf. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Lassen Sie mich zusammenfassen: Mit Ihrem Regierungsprogramm und Ihrer Regierungserklärung ist Ihnen zweifellos kein großer Wurf gelungen! Ich habe beim flüchtigen Durchsehen einzelne Passagen gefunden, die wortgleich mit jenen Passagen sind, die schon in der


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Regierungserklärung des Jahres 1994 enthalten waren. Reformen werden angekündigt, es bestehen aber Zweifel, ob sie auch tatsächlich realisiert werden. (Bundesrat Ing. Penz: Kollege Kapral! Ihre Rede ist auch kein großer Wurf!)

Dort, wo Strukturen geändert werden hätten sollen, ja wo sie geändert werden hätten müssen, wurde die Gelegenheit nicht ergriffen. Ich verweise auf die Verhandlungen mit den öffentlich Bediensteten, ich verweise auf den ganzen Bereich der Pensions- und Altersvorsorge, um nur einige Beispiele zu nennen. Das Reformpotential, das man dieser Bundesregierung attestieren kann, ist demgemäß äußerst gering. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

14.39

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Vizepräsident Dr. Herbert Schambeck. Ich erteile dieses.

14.40

Bundesrat Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck (ÖVP, Niederösterreich): Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Frau Staatssekretärin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hoher Bundesrat! Mein Vorredner, Bundesrat Dr. Kapral, hat so gesprochen, als würde die Aufgabe der österreichischen Politik für ihre Bürgerinnen und Bürger in einem bloßen Schlagabtausch bestehen. Sie erinnern mich an das, was der Staatsrechtslehrer Carl Schmitt vor Beginn einer Weltnacht, zu Beginn der dreißiger Jahre über die Politik, nämlich als ein Ausdruck eines Freund-Feind-Verhältnisses geschrieben hat. Wir von der Österreichischen Volkspartei lehnen ein solches Bild von Politik ab! (Beifall bei der ÖVP.)

Wir sehen die Aufgabe einer politischen Partei – für die Österreichische Volkspartei habe ich die Ehre, hier stehen zu dürfen – als ein Teil des Ganzen. Eine Partei hat die Verantwortung, dem Gemeinwohl des gesamten Volkes der Republik zwischen Neusiedler See und Bodensee zu dienen, und nicht bloß einer Clique, die für eine Claque Politik macht, Hohes Haus! Aus dieser Sicht kommt es auf folgendes an – ich wiederhole hier wissentlich das, was ich als Vorsitzender der Bundesversammlung am 8. Juli 1992 gesagt habe, als ich Herrn Dr. Thomas Klestil als Bundespräsidenten anzugeloben hatte –: Es interessiert niemanden im Volk, wer mit wem streitet, nur, das Volk interessiert nur, wer für die Menschen da ist, an wen sie sich wenden können und wer ihnen helfen kann.

Die Österreichische Volkspartei und die Sozialdemokratische Partei sind angetreten nach dem Wählerauftrag – den sie von der FPÖ nicht erhalten haben, aber wir, meine sehr Verehrten –, Regierungsverantwortung auszuüben. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Die Sozialdemokraten und die Christlichdemokraten sind angetreten – keine dieser Parteien, und auch nicht die FPÖ, hat die absolute Mehrheit erhalten –, gemeinsam Verantwortung auszuüben. Verantwortung zu tragen verlangt, Antwort zu geben. Herr Bundeskanzler Dr. Vranitzky hat sich heute zum wiederholten Mal bemüht, als Regierungschef hier Antwort zu geben.

Herr Bundeskanzler! Als ich Ihnen das letzte Mal beim Kabinett Vranitzky IV gegenüberstand, habe ich damals – nachlesbar; das Protokoll stimmt bei mir ganz – gesagt: Wenn ich an die nächsten vier Jahre denke, wird es vielleicht die letzte Regierungserklärung sein, zu der ich spreche. – Aber das Schicksal hat es anders gemeint, und ich habe den Vorzug, Ihnen aus Anlaß einer Regierungserklärung ein fünftes Mal gegenüberstehen zu können. (Bundesrat Prähauser: Schüssel sei Dank! – Bundeskanzler Dr. Vranitzky: Deshalb haben wir früher gewählt!) Das ist für mich sehr ehrend.

Ich selbst habe am Tage vor Ihrer ersten Regierungserklärung im Jahr 1986 einen Vortrag vor der Akademie der Wissenschaften in Düsseldorf über das österreichische Regierungssystem vorzeitig abgebrochen, damit ich rechtzeitig in Wien zu Ihrer Regierungserklärung sprechen kann. Dieser Vortrag ist erst jetzt erschienen, ich habe ihn nämlich zehn Jahre liegen lassen, weil ich die Regierungspolitik dieser Zeit und alles, was inzwischen geschehen ist, nach dem letzten Stand einarbeiten wollte.


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Ich sage Ihnen ehrlich, meine Damen und Herren von der freiheitlichen Partei: Ich freue mich, daß wir jetzt auch eine Staatsrechtslage haben, durch die wir auf Europaniveau Teil des integrierten Europas geworden sind und durch die wir auch als Bundesstaat in das integrierte Europa so hineingegangen sind, daß wir Brücken und Übergänge für Mittel- und Osteuropa schlagen und auch für die anderen da sein können; und zwar mit Neutralität und Solidarität in der Völkergemeinschaft, meine sehr Verehrten! (Beifall bei ÖVP und SPÖ. – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Und dieses Miteinander, Hohes Haus, wäre nicht möglich gewesen, wenn wir nicht schon im Jahre 1945 damit begonnen hätten. Sie bezeichnen uns oft als Altkoalitionäre. Jawohl! Ich bin stolz darauf, einer Partei anzugehören, die seit Jahrzehnten in diesem Staate Regierungsverantwortung ausübt, meine sehr Verehrten! (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Mag. Langer: Und das ist dabei herausgekommen!)

Manche Leute können sich heute nur deshalb Aktionen, Demonstrationen und "Alternativszeneristen" leisten, weil die anderen arbeiten, meine sehr Verehrten! Ohne die arbeitende österreichische Bevölkerung wäre so manche Alternativszenerie gar nicht möglich! (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Glauben Sie nicht, daß ich von etwas spreche, was mir nicht geläufig ist. Herr Bundesrat Dr. Kapral! Sie haben eine sehr berechtigte Frage gestellt. Wenn ich an Ihrer Stelle gewesen wäre, hätte ich sie einleitend auch gestellt. Ich war elf Jahre lang Fraktionsobmann der ÖVP in Oppositionssituation, und ich gestehe es ehrlich: Das ist eine tolle Rolle, kann ich Ihnen sagen, weil Sie nämlich mit allen parlamentarischen Mitteln aktiv werden können, die Ihnen als Koalitionspartner verwehrt sind. Aber trotzdem sage ich: Jede Rolle und auch jede Lebenslage hat ihren Reiz. Es hat einen Reiz, jung zu sein, es hat einen Reiz, älter zu sein; es ist nur tragisch, wenn man alleine ist. – Die freiheitliche Partei ist hier alleine. (Beifall und Heiterkeit bei ÖVP und SPÖ.)

Meine sehr Verehrten! Wir können diesen Weg gemeinsam gehen. Dabei möchte ich Ihnen noch sagen: Es kommt nicht allein darauf an, wo man sitzt, sondern was man daraus macht. Hierin, glaube ich, besteht auch für eine Opposition die Möglichkeit, ihren Beitrag zu leisten, wenn sie sich nicht in die bloße Obstruktion verliert. Diesbezüglich muß ich Ihnen von der freiheitlichen Partei mein aufrichtiges Mitgefühl zum Ausdruck bringen, denn wissen Sie, nachdem nämlich Ihre Vertreter im Nationalrat gesprochen hatten, hat eine unverdächtige Zeitung, an der meine Partei wahrlich mit keiner Aktie beteiligt ist, nämlich die "Neue Zürcher Zeitung", etwas Bemerkenswertes geschrieben. Dieses Blatt ist ja eine hervorragende Weltzeitung und steht bekanntlich Ihrem Lager besonders nahe, weil es eher liberal ausgerichtet ist. Sie ist eine der glänzendsten Zeitungen, die ich kenne, ich lese sie mit Genuß jeden Tag und schneide mir daraus auch Artikel aus. Die "Neue Zürcher Zeitung" – ein Weltblatt!- hat am 15. März 1996, also vor der Bundesratssitzung und bevor Dr. Kapral gesprochen hat, bezogen auf den Nationalrat geschrieben: Österreichs Opposition ohne Biß! – Meine sehr Verehrten! Dem ist nichts hinzuzufügen – nachlesbar in der "Neuen Zürcher Zeitung"; die Sie von der freiheitlichen Partei übrigens zu Ihrer Pflichtlektüre machen sollten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es steht die Frage im Raum: Welche Ehe ist die ÖVP mit der SPÖ eingegangen? – Ich darf Ihnen ehrlich sagen: Karl Jaspers, um bei der Schweiz zu bleiben, hat schon geschrieben: "Die Wahrheit beginnt zu zweien." Diese Tatsache führt auch zur Ehe. – Ich darf Ihnen versichern, es gibt verschiedene Motivationen, um eine eheliche Gemeinschaft, also ein Miteinander, einzugehen. Für die Österreichische Volkspartei darf ich Ihnen sagen: Es ist wahrlich keine Liebesehe, es ist auch keine Zwangsehe, es ist eine Vernunftgemeinschaft, meine sehr Verehrten! Und dazu bekennen wir uns vorbehaltlos, ohne jede Mentalreservation!

Wir wären selbstverständlich gerne alleine in der Regierung. Trotzdem darf ich Ihnen ehrlich sagen, daß wir jetzt eine Tätigkeit fortsetzen, mit der wir nach 1945, bitte schön, die Grundlage dieser Republik geschaffen haben, die Sie von der freiheitlichen Partei jetzt kritisieren. Dafür brauchen wir uns nicht zu genieren, meine Damen und Herren (Beifall bei ÖVP und SPÖ), denn


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diese Republik Österreich steht heute mit ihrer Sozialpartnerschaft – zu der ich mich bekenne und von der manche in der EU etwas lernen könnten –, mit ihrer konstruktiven Außenpolitik, mit ihren Bemühungen, zu den Peace-keeping-actions in der ganzen Welt beizutragen, im höchsten Ansehen. Die Frau Staatssekretärin war selbst in führender Position bei den Vereinten Nationen tätig und kann sicherlich besser als ich berichten, welches Ansehen wir dort auch bei der Tagesarbeit haben.

Meine sehr Verehrten! Wir haben nach 1945 gemeinsam den Weg zum Staatsvertrag, zur Neutralitätserklärung, zu kulturellem Wachstum und Fortschritt, zu wirtschaftlichem Wachstum und sozialer Sicherheit angetreten. Dadurch besteht eine Tradition des Miteinanders, wenn es das Wahlergebnis verlangt.

1918 hat sich der Verfassungsgesetzgeber auf das Proportionalwahlsystem eingeschworen. In der Monarchie gab es das Mehrheitswahlsystem. Daher ist es der Wählerauftrag, nach dem Verhältnis der Stimmen im Parlament vertreten zu sein und dann eine Koalition einzugehen, wenn keine Partei die absolute Mehrheit hat. Lassen Sie mich als Staatsrechtslehrer das wiederholen, was ich schon vor Wochen gesagt habe: Wenn Parteien in einer Koalition eine Zweidrittelmehrheit haben, dann haben sie auch eine besondere Verantwortung gegenüber der Verfassung. Und ich hoffe inständig, daß man mit der Verfassung in Zukunft respektvoller umgeht, als es in der Vergangenheit teilweise der Fall gewesen ist – unabhängig davon, ob wir in der Opposition waren oder ob wir Regierungsverantwortung haben.

Ich freue mich sehr darüber, daß der Wildwuchs, der Dschungelwuchs, an Verfassungsbestimmungen, an Entwürfen, der in der letzten Zeit entstanden ist, aufgrund von Initiativen der Österreichischen Volkspartei verringert worden ist. Ich werde mich demnächst in meinem Beitrag zur Festschrift für Professor Klaus Stern von der Universität Köln mit dem näher auseinandersetzen und habe mich außerdem in meinem Beitrag über Entwicklungstendenzen von Demokratie und Rechtsstaat – nachlesbar in der "Niederösterreichisch-Juristischen Gesellschaft" – schon vor Monaten kritisch damit auseinandergesetzt – unabhängig vom tagespolitischen Geplänkel. Ich glaube, auch hier können wir einiges an Rechtskultur einbringen.

Herr Bundeskanzler! Wir wissen zu schätzen, daß der Regierungschef wieder in die Länderkammer gekommen ist, denn es besteht dazu keine juristische Verpflichtung, wir haben kein Recht, der Regierung oder einem Mitglied der Regierung das Mißtrauen zu erklären. – Bei Gott nicht! Es war Bundeskanzler Ing. Julius Raab, der als erster im Bundesrat, in der Länderkammer, eine eigene Regierungserklärung abgegeben hat, und Sie setzen mit Ihrem heutigen Erscheinen aus Ihrer Sicht zum fünften Mal diese Tradition fort, die von der SPÖ auch Dr. Kreisky und Dr. Sinowatz fortgesetzt haben, nachdem alle ÖVP-Bundeskanzler das grundgelegt hatten.

Ich bin Ihrer Regierungserklärung gegenüber nicht unkritisch. Sie haben im Jahre 1992 das Perchtoldsdorfer Abkommen unterzeichnet – eine historische Leistung für einen SPÖ-Parteivorsitzenden ohne Beispiel. Wieweit Ihnen das Ihre eigene Partei lohnt, ist nicht meine Aufgabe, es zu erforschen, aber Sie haben meinen Dank – das möchte ich zum Ausdruck bringen –, daß Sie das im Jahr 1992 unterschrieben haben. Sie wissen, ich habe schon bei Ihrer ersten Regierungserklärung gesagt, ich wäre gerne bezüglich des föderalistischen Teils Ihrer ersten Regierungserklärung einer Ihrer Ghostwriter gewesen, und es wäre auch jetzt ganz gut gewesen, wenn man auf die Erklärung, die Unterschrift und auf das Abkommen vom Jahre 1992 mit einem Satz Bezug genommen hätte. Aber es sind andere Bezüge drinnen, die mich auch als Professor sehr interessiert hätten; die Luhmann-Zitate sind glänzend und manch andere Hinweise auch.

Ich hätte nur – das darf ich ehrlich sagen – bei der Regierungserklärung in der Länderkammer den föderalistischen Teil stärker herausgearbeitet. Ich möchte nicht in Vergessenheit kommen lassen, daß Sie einer der ganz wenigen Finanzminister der SPÖ waren – es hat ja nicht sehr viele gegeben, einige waren verheerend, wie Sie wissen, sonst müßten wir uns heute nicht mit dem Sparbudget beschäftigen –, die mit den Ländern und den Gemeinden Verhandlungen über den Finanzausgleich geführt haben und solche über die Verhältnisse angesichts einer neuen


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Kompetenzverteilung mit Bund und Ländern eingeleitet haben. Das weiß ich sehr zu schätzen. Man kann mich diesbezüglich nachlesen. Ich habe zur ersten Regierungserklärung Dr. Vranitzky 1986 schon gesagt: Von einem solchen Bundeskanzler erwarte ich mir einen föderalistischen Touch.

Ich bedauere es daher außerordentlich, daß wir zwar 1974 und 1984 Föderalismusverfassungs-Novellen verabschieden konnten, aber nicht 1994. Und hier bin ich nicht allein. Der frühere Herr Bundesminister für Föderalismus und Verwaltungsreform Jürgen Weiss, der in seiner früheren Regierungsfunktion Großartiges, Historisches geleistet hat, und die Damen und Herren der ÖVP-Bundesratsfraktion bedauern das mit mir, und auch einige von der SPÖ. Schuld daran sind sicherlich nicht Sie, Herr Bundeskanzler, aber andere in Ihrer Partei, von denen ich erwartet hätte, daß Sie die Unterschrift des Kanzlers, ihres Parteivorsitzenden, vom Jahre 1992 als Verpflichtung ansehen, was aber nicht der Fall war. (Beifall bei der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Ob ich das Vergnügen habe, noch einmal eine Regierungserklärung zu besprechen oder nicht, bleibe dahingestellt. Dem österreichischen Volk wünsche ich es, daß dies nicht notwendig ist, daß wir uns erst im Jahre 2000 damit beschäftigen müssen und ich das nachlesen kann. Aber glaube Sie mir eines, Herr Bundeskanzler – diese Äußerung mache ich, damit sie einmal zitiert werden kann –:

Wer sich in Österreich für den Förderalismus einsetzt und das Vergnügen hat, Bundesrat zu sein, der muß sich darauf einstellen, Demuts- und Geduldsübungen zu machen, Langzeitverpflichtungen auf sich zu nehmen und ähnliches mehr, um einen föderalistischen Erfolg mit Langzeitwirkung in diesem Haus erreichen zu können.

Daran sind nicht Sie schuld, Herr Bundeskanzler, sondern andere Leute, die erste Repräsentanten des Nationalrates sind oder Ihre Fraktion führen. Sie brauchen nur Herrn Vizepräsidenten Walter Strutzenberger zu fragen, wie oft er und ich ersucht haben, bis zuständige Leute an der Spitze des Nationalrates und jener Fraktion, der ich nicht angehöre, bereit sind, für Verfassungsinitiativen Zeit zu haben, Verständnis dafür zu haben, daß der Bundesrat kein ungeliebter Untermieter im gemeinsamen Hohen Haus ist, der ostentativ mit Pomp (Beifall bei den Freiheitlichen) und mit dem entsprechend anwesenden oder nicht anwesenden Publikum auftreten kann. Dazu muß ich auch sagen, wenn bestimmte Leute nicht anwesend sind, habe ich keine Minderwertigkeitskomplexe. Manche Leute, die nicht anwesend sind, erfahren einige Dinge nicht, die aber für sie ganz gut wären, weil die Politik ein Bildungsprozeß ist, und manche sind sicherlich sehr bedürftig.

Meine sehr Verehrten! Ich möchte Ihnen sagen, wir befinden uns auf gemeinsamem Weg. Es gibt keine solch große politische Bildungsbedürftigkeit wie in einer demokratischen Republik, weil da alles einsichtig und transparent ist. Und wir sind dafür da, daß wir davon reden, und das freie Mandat verpflichtet dazu (Bundesrat Dr. Prasch: Sie haben keines in der ÖVP!), vor allem wenn man einen Beruf hat, der dazu verpflichtet, über diese Erscheinungen, Institutionen und Personen zu sprechen. Wenn ich einmal nicht mehr herinnen bin, werde ich davon schreiben – manche werden das nicht für möglich halten, aber ich werde das dann tun.

Meine sehr Verehrten! Wir befinden uns in einer Verpflichtung vor dem Jahre 2000 – der Herr Bundeskanzler hat treffend darauf hingewiesen –, und, glauben Sie mir, wir müssen materiell, aber auch ideel vieles einbringen. Dazu verpflichtet uns das Ende eines Jahrhunderts, das das Erbe eines ganzen Jahrtausends einzubringen hat. Glauben Sie mir: Dieses Jahr birgt eine große Verpflichtung für alle, für jeden einzelnen, der nach Hause kommt und mit seiner Frau – außer er ist ein Tyrann – das Wirtschaftsgeld einteilen muß, der den Kindern erklärt, was heuer gemacht wird und was nicht gemacht wird, wie das Budget am Wochenende aussieht, was man sich am Samstag und am Sonntag leisten kann, was man sich für Freude bereiten kann, meine sehr Verehrten!

All diese Menschen tragen das Budget mit, und daher kann man nicht sagen, das ginge nur die Regierung an. Glauben Sie mir: Wenn das Budget beschlossen und das Begleitgesetz verabschiedet ist, dann beginnt für uns Politiker erst die Arbeit. Wir müssen dem einzelnen erklären,


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wo jeder einzelne steht. In einer demokratischen Republik wie Österreich haben wir großartige Bürgerinnen und Bürger. Ohne ihren Arbeitseinsatz als Arbeiter, Angestellte, Bauern und Unternehmer würden wir nicht die Ehre haben, hier beisammenzusein.

Meine sehr Verehrten! Die Leute sind bereit, Leistungen zu erbringen, Opfer auf sich zu nehmen, wenn sie wissen warum. Ich sage Ihnen, die Sinnfrage der Politik, die Sinnfrage dessen, was notwendig ist, werden wir gemeinsam, wo immer wir stehen, zu beantworten haben. Und darum ist es wertvoll, Herr Bundeskanzler, daß bedeutende Mitglieder Ihrer Regierung und die Frau Staatssekretärin heute zu uns gekommen sind.

Für weitere Budgeterstellungen möchte ich Ihrer Regierung empfehlen, das deutsche Vorbild zur Hand zu nehmen, daß man schon Monate vor dem letztmöglichen Zeitpunkt ein Budget erstellt und nicht erst nach den großen Ferien. Ich gebe Ihnen jedoch recht, wenn Sie als Regierungschef gesagt haben, man soll über die dürren Wochen im Sommer, in denen jeder das große Bedürfnis hat, vor allem im August, von irgendwo mit dem Autotelefon seine Bürgernähe durch Interviews zu demonstrieren, die Leute nicht beunruhigen und nicht irgendwelche Erklärungen abgeben. Diesbezüglich gebe ich Ihnen recht, da sollte man ein bißchen Disziplin halten, aber ich glaube, es wäre notwendig, daß man bereits im Frühjahr mit den Budgetverhandlungen beginnt und nicht erst im September, Oktober, im Zustand begnadeter Angst, um George Bernanos zu zitieren. George Bernanos hat den Roman "Die begnadete Angst" geschrieben nach der Novelle von Gertrud von Le Forte "Die Letzte am Schafott". – Wir sind nicht die Letzten am Schafott! Wir sollten die Ersten sein, meine sehr Verehrten, die den Weg des neuen Österreich gehen. Mir tut das für die vorösterliche Zeit als Politiker leid, meine sehr Verehrten!

Es ist eine bedauernswerte Tatsache, daß bei uns vor allem die älteren Menschen – nur weil diese gearbeitet haben, sind wir etwas geworden, meine sehr Verehrten, vergessen wir das nicht – jedes Jahr angesichts der Budgeterstellung Angst um ihre Renten, um ihre Pensionen, um ihr Erspartes haben. Das ist eine traurige Sache, und Sie von der freiheitlichen Partei tragen auch zu dieser Angst bei, weil Sie oft falsche Akzente setzen. (Bundesrat Dr. Tremmel: Wir sind nicht in der Regierung, Herr Professor!) Herr Kollege! Wie die Steger-Partie in der Regierung gewesen ist, war es ein Gruselkabinett, wenn Sie es genau wissen wollen! (Beifall bei der ÖVP.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! (Zwischenruf bei den Freiheitlichen.) Es ist sehr erfreulich – ich will das unterstreichen –, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat. Es ist dieser Regierung in diesem Jahre 1996 auferlegt, praktisch zwei Budgets zu machen, nämlich das Budget für 1996, das Budget für 1997 und gleichzeitig einen langfristigen Finanzplan. Und ich gratuliere dieser Regierung, dieser Regierung Vranitzky/Schüssel, dazu, daß das möglich geworden ist. Ich danke allen, die das Ihre dazu beigetragen haben, wie Herrn Dr. Ditz und Herrn Mag. Klima, wobei ich Ihnen sagen möchte, wenn Herr Bundesminister Dr. Staribacher früher gegangen wäre, hätten wir früher ein Budget gehabt, meine sehr Verehrten, und nicht dieses Desaster, das möchte ich klar und deutlich in den Raum stellen.

Meine Damen und Herren! Die Österreichische Volkspartei gibt kein Erfüllungsversprechen gleich einem ungedeckten Wechsel oder einem Hoffnungskauf ab. Ich darf Ihnen als Fraktionsobmann der ÖVP-Bundesräte sagen: Die Österreichische Volkspartei hat 25 Jahre, bis 1970 den Finanzminister gestellt, und in diesen 25 Jahren haben wir 40 Milliarden Schilling Schulden gemacht, während das in der SPÖ-Zeit in nur vier Monaten der Fall war, meine sehr Verehrten!

Wenn Sie sich in Ruhe die 25 Jahre Finanzminister ÖVP und die 25 Jahre Finanzminister SPÖ ansehen, dann sehen Sie den Unterschied! (Bundesrat Dr. Prasch: Das sind Finanzminister Ihres Vertrauens!) Herr Kollege! Das Vertrauen gibt der Wähler – der Wähler! (Bundesrat Dr. Prasch: Aber nicht der großen Koalition!) – in der Wahlzelle, meine sehr Verehrten!

Sie wären dankbar gewesen, wenn Sie an unserer Stelle in der Koalition sein hätten können (Bundesrat Dr. Prasch: Wirklich nicht! Niemals mit Ihrer ÖVP, um Gottes willen!), aber die Geschichte hat Sie mit Jörg Haider "gesegnet" – unter Anführungszeichen –, und damit sind Sie für bestimmte Leute nicht koalitionsfähig. (Beifall bei der ÖVP.)


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Glauben Sie, daß uns bei der SPÖ alle mit offenen Armen erwartet haben, daß die uns erbeten haben? – Bei Gott nicht, meine sehr Verehrten! Es gibt prominenteste Sozialisten außerhalb der Kohorte des Herrn Dr. Vranitzky, die uns im Jahr 1986 bei Gott nicht in der Koalition haben wollten, sondern diese Koalition mit der freiheitlichen Partei fortsetzen wollten und die jetzt noch, wenn sie schlecht schlafen, von der Ampelkoalition träumen – aber die wird nicht oder noch nicht gespielt, meine Damen und Herren!

Ich möchte Ihnen ganz deutlich sagen, daß die Österreichische Volkspartei ihre Ideen eingebracht hat, was erst mit einem Bundeskanzler der SPÖ Dr. Franz Vranitzky möglich war; denn es war aber nicht mit jedem Sozialisten – so hießen sie damals, 1986 –, jetzt Sozialdemokraten möglich, meine sehr Verehrten, solche Ideen ein- und durchzubringen. Die Österreichische Volkspartei war für den Europakurs. (Bundesrat Dr. Prasch: Die ÖVP hat nie einen Kanzlerkandidaten gehabt!)

Meine Damen und Herren! Schauen Sie sich an, wer von der SPÖ und von der FPÖ gegen den Europakurs gewesen ist. Wir waren die erste Europapartei, das sei nicht verleugnet! (Beifall bei der ÖVP.)

Die Österreichische Volkspartei hat der Reprivatisierung das Wort gesprochen. Meine Damen und Herren! Mir kann niemand Märchen erzählen, weil ich die Ehre und das "Vergnügen" – unter Anführungszeichen – habe, seit dem Jahr 1969 hier zu sein, und da habe ich die Regierungserklärungen des Dr. Kreisky erlebt. Meine sehr Verehrten! Wenn Sie in einer stillen Stunde – die haben Sie ja jetzt in der vorösterlichen Zeit – die Regierungserklärungen des Dr. Kreisky mit den folgenden Regierungserklärungen vergleichen, dann werden Sie sehen, daß die Idee der Reprivatisierung darin niemals vorgekommen ist und es auch sicher nie wäre. Niemals! Er hat gesagt, lieber einige Milliarden Staatsschulden mehr und sichere Arbeitsplätze als etwas anderes. – Ich habe damals im Bundesrat genauso wie Kollege Koren – er war mein "doppelter" Kollege, weil wir schon in Innsbruck an derselben Fakultät und dann hier im Haus beisammen waren, er hat ab 1975 die Kohorte der Nationalräte, ich die der Bundesräte geführt – gesagt: Ein Staat, der mehr für den Zinsendienst an Staatsschulden zahlen muß als für die Rückzahlung der Staatsschulden, wird auf die Dauer nicht berühmt, meine sehr Verehrten! Wir haben es erkannt, und wir danken dafür, daß die Sozialistische Partei im Jahr 1986, als Sie die Regierung übernommen haben, Herr Dr. Vranitzky, bereit war, diesen Kurs auch nach ÖVP-Vorstellungen zu ändern – und den werden wir fortsetzen, sonst sind wir nicht koalitionswillig, Hohes Haus! (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Dr. Prasch: Kniefall!)

Das nächste, meine sehr Verehrten, ist die Steuerpolitik: Wir haben auch versucht, das Unsere zur Steuerpolitik entsprechend einzubringen, worauf ich noch zu sprechen kommen werde. Wenn wir im Herbst des Jahres 1995 anstelle des Herrn Dr. Staribacher Herrn Mag. Klima als Visavis gehabt hätten (Bundesrat Dr. Prasch: Sie haben doch Dr. Staribacher im Parlament mehrfach das Vertrauen ausgesprochen!), dann wären sicherlich andere Ergebnisse vor Weihnachten möglich gewesen und man hätte sich die Auseinandersetzungen ... (Bundesrat Dr. Prasch: Zwei Mißtrauensanträge!)

Herr Kollege! Lassen Sie mich ausreden, Sie kommen sowieso noch zu Wort! Das Haus hat ja das Glück, Sie noch zu erleben, und daher bitte ich Sie, daß Sie mich aussprechen lassen, obwohl ich Sie nötigenfalls auch überschreien kann. Aber wir wollen uns doch einigermaßen herrenmäßig begegnen. Dieser Raum war übrigens einstens ein Teil des Herrenhauses – damit wir es nicht vergessen. Ich würde gerne auch Teil des "Damenhauses" sagen, aber Sie wissen, das aktive und passive Frauenwahlrecht war erst die Morgengabe der Republik; wir haben erst jetzt das Glück, mit Ihnen beisammen sein zu können und freuen uns darüber – auch auf der Regierungsbank darf ich sagen.

Meine Damen und Herren! Die Situation, in der wir uns befanden – dieses "wir" bezieht sich auf die Österreichische Volkspartei –, war, daß wir von der SPÖ im September, im Oktober, noch gar nicht all das gehört haben, was wir erst nach dem 17. Dezember und den Verhandlungen zur Regierungsbildung zu hören bekamen, was notwendig für den Kassasturz war.


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Meine sehr Verehrten! Schauen wir uns den europäischen Durchschnitt – man hat sich darüber geärgert, wie lange die Regierungsbildung gedauert hat – an: Meine Damen und Herren! Schauen Sie es sich in anderen demokratischen Staaten mit einer pluralistischen Demokratie an – das heißt, verschiedene Mehrparteienstaaten –, so bemerken Sie, daß die Zeit, die wir für die Regierungsbildung nach der Dezemberwahl gebraucht haben, weit unter dem europäischen Durchschnitt liegt. Das war keine lange Zeit! Schauen Sie sich zum Vergleich andere Staaten an. Schauen Sie sich die Situation eines anderen EU-Mitgliedlandes, welches ich heute abend zu betreten habe, an, schauen Sie sich nämlich die Situation einer provisorischen italienischen Regierung an, die jetzt den Vorsitz in der EU hat! Schauen Sie sich die Situation in Schweden an, und schauen Sie sich die Situation, die wir heute mit dieser starken Regierung, die eine Zweidrittelmehrheit hat, an, und schauen Sie sich das Budget und den Finanzplan, der vorgelegt wurde, an.

Es ist dies in verhältnismäßig kurzer Zeit – in der Länderkammer sei das nicht verschwiegen – in einem Miteinander mit den zuständigen Vertretern der Städte, der Gemeinden und der Länder zustande gekommen, und – das wurde vor einem Jahr leider in diesem Maße parallel versäumt – auch mit den Sozialpartnern. Ich glaube, daß zwei ganz entscheidende Momente diese Zweite Republik mitgetragen haben: die Partnerschaft von Bund, Länder und Gemeinden und die der Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter. In wertvoller Weise haben sich diese mit eingebracht, sodaß dieses Budget zustande kommen konnte.

Meine sehr Verehrten! Nach dem Abgang des Finanzministers Dr. Staribacher, von dem Sie von der SPÖ heute gar nicht mehr reden wollen, der aber Teil Ihrer Geschichte und Ihrer Tragik ist – das darf Ihnen ehrlich sagen –, ist erst mit aller Deutlichkeit in den Raum gestellt worden – das haben wir von der ÖVP schon befürchtet –, daß ein Sanierungsbedarf in Höhe von 100 Milliarden Schilling gegeben ist, der in einem Zeitraum von zwei Jahren gefunden werden mußte.

Ein ausgewogenes Paket wurde nach langen Verhandlungen geschnürt, welches zu zwei Dritteln durch Spaßmaßnahmen realisiert werden muß. Ich sage Ihnen, daß ich – auch als Hochschullehrer – es selbst weiß, daß das nicht leicht ist, weil man das allen Betroffenen mitteilen wird müssen. Glauben Sie mir: Wir haben seit Jahrzehnten Leuten Wünsche erfüllt, die sie gar nicht geäußert hatten; so wie es einen vorauseilenden Gehorsam gibt, so hat es auch das Erfüllen von Wünschen auf verschiedensten Gebieten gegeben, die noch gar nicht artikuliert gewesen sind, meine sehr Verehrten! Und heute wird Verschiedenes als nicht mehr möglich erklärt werden müssen.

Ich habe vergangene Woche in meinem jahrzehntelangen Hochschullehrerleben ein bisher eher seltenes Erlebnis gehabt, nämlich auch meine Lehrveranstaltung wurde gestürmt. Nachdem ich nicht Heinz Fischer heiße, war bei mir nicht das Fernsehen dabei, aber ich darf Ihnen versichern, dieselben Leute sind kostümiert, mit Tschinellen und so weiter aufgetreten – die Hörer waren ganz entsetzt. Ich habe sie gewähren lassen, nach zehn Minuten sind sie wieder abgezogen, ich begann die Vorlesung dann mit den Worten: Sie sehen, meine Damen und Herren, es gibt ein Maß an Formlosigkeit, die nur eine milde Form des Terrors ist.

Man steht das durch und beginnt dann, die Arbeit fortzusetzen. Mir tun auf akademischem Boden – glauben Sie es mir! – die Studenten und die Eltern leid, die nämlich im Sommersemester ihre Studien weiterführen oder ihre Studien abschließen wollen, denn diese verlieren jetzt verschiedene Möglichkeiten, wenn ihnen durch Streikmaßnahmen bestimmte Lehrpersonen entzogen werden. Ich bin daher allen auf Regierungsseite und allen auf der lehrenden und lernenden Seite sehr dankbar, die gerade jetzt mit den Verantwortlichen im Gespräch stehen.

Sie, Herr Bundesrat Dr. Kapral, haben auf die Autonomie der Universitäten hingewiesen. Es ist auch von Regierungsseite – das möchte ich dankbar unterstreichen – darauf hingewiesen worden, daß die Universitäten in ihrem autonomen Bereich das Ihre einbringen können, wie in einem Miteinander der Rahmen des Sparpakets auf akademischem Boden durchgesetzt werden kann, wobei ich glaube, daß es gut wäre, das nicht alleine auf der Straße zu tun – obwohl man


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Emotionen auch auf der Straße dokumentieren kann –, sondern daß es gut wäre, darüber zu verhandeln. Da kann man auch von den Arbeitern, von den Angestellten, von den Bauern, den Wirtschaftstreibenden etwas lernen. Die haben sich nach 1945 auch zusammengesetzt, obwohl sie oft emotional geladen waren, um gemeinsam die Probleme zu besprechen, und ich hoffe, daß das auch für die Zukunft gelingt.

Es ist bereits vom Herrn Bundeskanzler darauf hingewiesen worden, wieviel Verständnis der öffentliche Dienst gezeigt hat, damit das Paket zustande gekommen ist. Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, folgendes zum Ausdruck zu bringen: Es ist traurig, wie die Beamten laufend beleidigt werden. Ich bin kein Funktionär der Beamtengewerkschaft – das steht mir nicht zu –, aber ich bin Mitglied des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und bin stolz darauf, denn das, was Österreich geworden ist, ist es auch durch den ÖGB und durch die dort vertretenen Fraktionen geworden, meine sehr Verehrten! – Ich gehöre der christlichen Gewerkschaftsfraktion an. Ich möchte Ihnen sagen, daß wir es nicht zulassen sollten, daß diejenigen, die im Dienste der Gesetzgebung stehen, beleidigt, herabgesetzt und geschmäht werden, denn ich sage Ihnen, es gibt keine Bürokratie gegen die Demokratie, sondern eine Bürokratie im Dienste der Demokratie. Artikel 18 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes lautet: Die gesamte staatliche Verwaltung – lies: Vollziehung – erfolgt aufgrund der Gesetze – auch der Richter findet in ihnen die Grundlage. Ich freue mich, das in Anwesenheit des Herrn Bundesministers für Justiz, Dr. Michalek, sagen zu können, dem ich zu seiner neuerlichen Berufung in die Bundesregierung gratuliere. (Heiterkeit bei der SPÖ.) Nein, Herr Kollege, das ist kein Lächeln mehr. Das möchte ich Ihnen sagen. Dazu kenne ich die Details und auch die Geschichte Ihrer Partei nur zu gut.

Wir von der Österreichischen Volkspartei sind für einen unabhängigen Justizminister, weil wir andere Erfahrungen gemacht haben, und wir freuen uns, daß in diesem Kabinett Vranitzky V Herr Dr. Michalek weiterhin diese Verantwortung trägt.

Meine sehr Verehrten! Der unabhängige Richter, der verantwortliche Staatsanwalt, der weisungsgebundene, gehorsamspflichtige Beamte mit der Einschränkung des Artikels 20 Abs. 1. – sie alle stehen im Dienste der Gesetze. Das heißt, das, was der Gesetzgeber als Auftrag gibt, muß der Beamte durchsetzen. Er kann sich ja nicht dem Gesetzesauftrag entziehen. Daher, meine sehr Verehrten, ist es ein Verrat an der Demokratie, den Beamten, der seine Lebenskraft dem Gemeinwohl im Staat widmet, einfach zu schmähen. Im selben Atemzug möchte ich allerdings auch sagen, daß kein Berufsstand, weder der öffentliche Dienst noch der private, das Recht hat, sich Ausnahmen vom Sozialsystem zu bewilligen. Aber hier ist in einem Miteinander mit den zuständigen Gewerkschaftsfunktionären auch der entsprechende Weg gefunden worden.

Meine sehr Verehrten! Es gibt das Bemühen um Aufnahmestopp, wobei ich Ihnen sagen möchte, das ist keine leichte Sache. Gehen Sie hinaus und sagen Sie ihren Kindern, Kindeskindern und Studenten, daß es, wenn sie staatsorientierte Fächer belegt haben, wie das bei den Juristen der Fall ist, jetzt auf lange Zeit keine Posten mehr gibt, daß sie etwas anderes und keine Unruhe machen sollen. – Das ist nicht leicht.

Meine sehr Verehrten! Weiters ist gelungen: eine Verringerung von 11 000 Dienstposten, eine Bremse bei den Frühpensionen, ein Bemühen um einfachere Verwaltungsverfahren und um moderate Gehaltsrunden bis Ende 1997.

Meine sehr Verehrten! Der öffentliche Dienst hat Nullohnrunden. Erlauben Sie mir, zu den Politikerpensionen anzuführen, daß alle Pensionisten eine Erhöhung ihrer Pensionen haben und nur die Politikerpensionisten dafür bestraft werden, daß sie einmal Politiker gewesen sind. Sie haben schon die x-te Nullohnrunde. Das ist eine Benachteiligung. Ich möchte Ihnen sagen, auf diese Kolleginnen und Kollegen möchte ich in diesem Augenblick nicht vergessen, obwohl Dank nicht immer eine Kategorie des öffentlichen Lebens ist!

Meine sehr Verehrten! Ich meine, daß man auch deutlich sehen soll, wer einspart. Es wurden adäquate Einsparungen bei den Frühpensionen bei den Österreichischen Bundesbahnen


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erreicht, ebenso Einsparungen – Herr Dr. Kapral, das muß man auch sagen – bei den Sozialleistungen, die Verbesserung der Treffsicherheit; es gibt eine neue Bemessungsgrundlage und neue Anwartschaftszeiten für das Arbeitslosengeld; es gibt keine Anhebung der höchsten Lohnklassen, die Straffung der Arbeitsmarktförderung, Maßnahmen zur Anhebung des faktischen Pensionsalters, die Staffelung der Notstandshilfe nach der Versicherungsdauer und den Selbstbehalt bei Kuren und Rehabilitationen.

Dazu möchte ich allerdings hinzufügen, es sollen nur jene auf Kuren und Rehabilitationen gehen, die tatsächlich krank sind. Ich kenne eine Reihe von Leuten mit nicht schlechten Namen und nicht schlecht betucht, die, kaum daß sie im Ausland einen Dienstposten mit entsprechenden Zulagen angenommen haben, dann auf einige Wochen auf Kuraufenthalt gehen, obwohl sie woanders erwartet würden. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kapral .)

Ich gönne es jedem und weiß, wie schwierig das ist. Ich selbst habe mir nach einer schweren Operation einmal – 1992 als Bundesratspräsident – eineinhalb Wochen Kuraufenthalt erlaubt, weil ich nicht mehr Zeit gehabt habe. Da hat man mir gesagt: Für eineinhalb Wochen zahlen wir keinen Kurzuschuß, Sie müssen drei Wochen gehen, eineinhalb Wochen sind zu wenig! – Ich konnte mir diese eineinhalb Wochen leisten und habe gesehen, von welchen Perspektiven man ausgeht.

Meine sehr Verehrten! Die Einsparungen haben auch dazu geführt, daß eine Streichung steuerlicher Ausnahmebestimmungen statt Steuererhöhungen erfolgt ist. Wenn wir alles mögliche kritisieren, was geschehen ist, dann möchte ich auch das in den Raum stellen, was diese Bundesregierung nicht gemacht hat und was den Leuten weh getan hätte. Ich sage Ihnen das, weil das keine Selbstverständlichkeit ist. Diese Bundesregierung hat mit den Staatssekretären darum gerungen, keine Änderung im Tarif der Lohn- und Einkommensteuer, keine stärkere Besteuerung des 13. und 14. Monatsgehaltes und keinen Zuschlag zur Einkommensteuer in Form einer Solidarabgabe zu erreichen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das sind alles keine Selbstverständlichkeiten! Auch dafür hat sich die Österreichische Volkspartei mit Dr. Schüssel und Dr. Ditz und den übrigen Damen und Herren eingesetzt, und das hat zu Verständnis beim Koalitionspartner geführt. Und das muß ich jetzt in den Raum stellen. (Heiterkeit des Bundesrates Waldhäusl .) Herr Kollege! Sie finden das so lustig. Wenn Sie sich vorstellen, wie sich die Leute ängstigen, müßte Ihnen das Lachen auf den Lippen "ersterben". (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Prähauser: Herr Professor! Er versteht es ja nicht!)

Meine Damen und Herren! Wenn nur ein Drittel der jetzt vereinbarten Absprachen von ÖVP und SPÖ schon im Oktober 1995 möglich gewesen wäre, hätten wir uns manches erspart. Ich bin aber froh, daß es wenigstens jetzt zustande gekommen ist.

Meine sehr Verehrten! Dieses Regierungsprogramm enthält ein Beschäftigungs- und Standortsicherungsprogramm und einen Abschnitt über Österreichs Rolle in Europa. Herr Bundeskanzler! Ich freue mich, daß eine klare Abgrenzung getroffen wurde, daß Vizekanzler, Außenminister und Europaminister Dr. Wolfgang Schüssel mit Frau Staatssekretärin Dr. Ferrero-Waldner für die Außenbeziehungen zuständig sind. Deshalb heißt es auch Außenministerium, sonst hieße es ja Innenministerium, also Außenministerium für die Außenbeziehungen in bezug auf die Europäische Union. Der Herr Staatssekretär, unser Altbundesrat, ein verdienter Mann – ich gratuliere Ihnen, daß Sie ihn in der Regierung haben –, Herr Mag. Schlögl, ist mehr für die inneren Angelegenheiten zuständig.

Es wäre wertvoll, wenn sich solche Dinge, die sich einstens um Korfu abgespielt haben, in Zukunft nicht mehr wiederholten. Herr Kollege! Sie lächeln, erinnern Sie sich, Sie brauchen nur die Zeitungen nachzulesen! (Bundesrat Konečny: Die Beteiligten haben Sie nicht genannt!) – Ich habe nicht gesagt, wer schuld ist. Ich habe sehr umfassend gesprochen.

Wir können aber darüber reden, weil ich ein Thema anschneide, Herr Kollege, das ja alle betrifft. Denn ob am Ballhausplatz alle in gleicher Weise wissen, warum sie für die EU abgestimmt haben, bezweifle ich; das haben in Österreich noch nicht alle begriffen, vor allem nicht alle Zu


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ständigen. Jetzt ist es zu einer klaren Regelung gekommen, und ich möchte das dankenswerterweise in den Raum stellen.

Meine sehr Verehrten! 68 Prozent Ja zur Europäischen Integration haben wir nicht durch Streiten erreicht, sondern nur durch das Miteinander. Ich würde Ihnen das zu bedenken geben und wärmstens zur Vorbereitung der Wahlen zum Europaparlament im Herbst empfehlen. (Bundesrat Rauchenberger, zu den Freiheitlichen deutend: Dorthin sagen!) Herr Kollege! Ich habe an Sie als Buchautor gedacht, weil Sie, Herr Bundesrat Rauchenberger, literarisch Bedeutendes zum Europaverständnis in Österreich beigetragen haben!

Ich möchte sagen, wir müssen das Unsere dazu beitragen, daß die Europawahlen im Herbst entsprechend über die Bühne gehen und wir uns auch auf das Jahr 1998 unseres EU-Vorsitzes vorbereiten.

Meine sehr Verehrten! Wir haben auch von strukturellen Maßnahmen gehört. Die Bundesregierung hat um ein Viertel eingespart: zwei Minister und zwei Staatssekretäre. Das ist positiv hervorzuheben. Meine sehr Verehrten! Es liegt das Bemühen vor, über 50 000 neue Betriebe zu initiieren. Ich möchte der Wortmeldung des Herrn Kollegen Drochter nicht vorgreifen. Ich freue mich aber, daß Sie da sind und auch zu diesem Punkt zu uns sprechen. Nachdem Sie nicht immer da waren, kann man das wieder als erfreulich betonen. (Heiterkeit bei der SPÖ.)

Meine sehr Verehrten! Nur im Miteinander mit dem ÖGB, mit der Handelskammer, mit der Industriellenvereinigung und mit der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammer ist es auch möglich, diese Politik zu machen.

Aber eines sage ich Ihnen: Sie können die Mittel zur Verfügung stellen, aber die Mittel gebrauchen muß der einzelne Mensch. Wir sollten uns daher – ich habe heute schon die Ehre gehabt, mit Präsident Mautner Markhof, einem erfolgreichen Unternehmer allgemeinen Ansehens im In- und Ausland, darüber sprechen zu können – bemühen, daß in Österreich ein Fluidum gegeben ist, daß jemand Einzelunternehmer sein will und die Unternehmerverantwortung auf sich nehmen will. Glauben Sie mir, das kann man nicht quantifizieren. Das weiß mein Vorredner, Dr. Kapral, am besten und besser als ich.

Meine sehr Verehrten! Ich glaube, es wird notwendig sein, daß wir auch diese Mittel in die richtigen Kanäle führen können. Ich freue mich über die Forcierung von Infrastruktureinrichtungen wie den Lückenschluß im hochrangigen Straßennetz, den Ausbau der Eisenbahn, obwohl die Eisenbahn ein eigenes Thema sein wird, auf das ich jetzt nicht näher eingehen möchte, aber dafür das nächste Mal. Und ich freue mich, daß wir auch die Möglichkeit haben, zum Technologiefortschritt unseren Beitrag leisten zu können.

Meine Damen und Herren! Eines möchte ich besonders zur Regierungserklärung hinzufügen. Mir tut es jetzt leid, Herr Bundeskanzler, daß ich nicht sagen kann: Ich kann bei der Regierungserklärung näher darauf eingehen!, weil das Thema nicht angeschnitten wurde. Wir sind eine Länderkammer, und in der Länderkammer kommt es darauf an, daß wir das, was wir den Ländern, Gemeinden und Städten schuldig sind, heute in den Raum stellen. Wir haben den Österreichern zwei Dinge bei der EU-Abstimmung versprochen:

Erstens: Es wird sich unser außenpolitischer Standort nicht ändern. (Zwischenrufe der Bundesräte Dr. Tremmel und Waldhäusl .) Herr Kollege! Ich freue mich, daß Sie so mitdenken, und gratuliere allen Nachrednern, daß sie Sie genießen können. Ich schließe Sie ins Gebet ein.

Meine sehr Verehrten! Ich sage Ihnen, es ist von größter Notwendigkeit, daß wir das, was wir versprochen haben, halten: Neutralität plus Solidarität. Wir haben ihnen gesagt: Der außenpolitische Standpunkt soll sich nicht ändern.

Ich bin noch tief beeindruckt von dem, was uns kürzlich Frau Staatssekretärin Dr. Ferrero-Waldner im EU-Ausschuß und im Plenum zu sagen hatte. Sie nannte das, was wir mittragen sollten und was wir auch bei den Maßnahmen im Rahmen der UNO tun sollten.


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Das zweite ist, meine sehr Verehrten, es kommt darauf an, daß wir im Jahr 1992 eine Bundesstaatsreform versprochen haben, und zwar im Abkommen von Perchtoldsdorf, unterzeichnet auch vom Bundeskanzler.

Herr Kollege Konečny! Wenn Sie glauben, daß die Bundesstaats- und Bundesratsreform bei uns zu den lächerlichen Dingen gehören, die man vor Untergang vergessen hat, so irren Sie von der SPÖ sich! Wir werden das von der ÖVP laufend einmahnen, genauso wie ich das heute namens meiner Fraktion tue. (Beifall bei der ÖVP.)

Sie sind zu jung Klubobmann, um zu wissen, daß Kollege Strutzenberger – ich fordere die SPÖ-Damen und -Herren Bundesräte auf, sich das auszuheben – und ich gemeinsam Initiativen für die Verbesserung des Bundesstaates und des Bundesrates ergriffen haben. Wir haben nicht die Absicht, das zu verschweigen. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Prasch .)

Ich würde mich wirklich freuen, wenn es möglich ist, auch gemeinsam mit dem jetzigen Präsidium – dabei meine ich auch die erkrankte Frau Vizepräsidentin Haselbach, Kollegen Konečny und die übrige Fraktion –, das gemeinsam fortsetzen zu können.

Denn, meine Damen und Herren, die Realisation der Bundesstaats- und Bundesratsreform kann keine Partei alleine erreichen. Das können wir nur in einem Miteinander. Ich möchte Sie wirklich ersuchen, daß das, was schon bei der Bundesstaatsreform im Perchtoldsdorfer Abkommen vom Jahr 1992 unterschrieben ist, was die Unterschrift des Bundeskanzlers Dr. Vranitzky trägt, in den kommenden vier Jahren der Tätigkeit des Nationalrates und der Tätigkeit der Bundesregierung eingebracht werden kann.

Ich gebe Kollegen Konečny recht, der in seiner Rede gesagt hat: Manchmal kommt man sich im Bundesrat vor, als würde man laut in einem finsteren Wald singen, das heißt, als würden wir uns Mut zureden. Ich brauche allerdings den Mut für den Föderalismus nicht durch lautes Singen im finsteren Wald zu bekunden, ich singe dasselbe Lied auch bei greller Sonne und bei aufgedrehtem Licht. Es kommt nur darauf an, daß wir uns konstant weiterbemühen. Meine sehr Verehrten! Ich glaube, es ist notwendig, daß wir zu einer EU-gerechten Kompetenzverteilung kommen, daß die Verwaltungsgerichte in den Ländern eingeführt werden, daß die finanziellen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß es uns auch gelingt, die Rechte des Bundesrates zu erweitern, etwa das Zustimmungsrecht beim Finanzausgleich und bei Bundesgesetzen, welche die Länder belasten. (Bundesrat Dr. Prasch: Konsultationsmechanismus schaffen!) Glauben Sie mir, auch mir gefällt der Konsultationsmechanismus nicht. (Bundesrat Dr. Prasch: Aber es war ein ÖVP-Vorschlag von Zernatto!)

Auch mir gefällt er nicht, und ich habe schon bei der Sitzung am 29. Februar Herrn Mag. Schlögl, dem Herrn Staatssekretär im Bundeskanzleramt, gesagt, daß er nicht vergessen soll, daß er ein Altbundesrat ist. Er war ein beachtenswerter Bundesrat. Ich sagte damals schon, aus ihm wird sicherlich einmal viel, aber meine Empfehlung war ja nicht die Wegweisung, aber ich freue mich, daß ich recht behalten habe. Man darf sich ja noch über einen anderen freuen. (Heiterkeit bei der SPÖ.)

Ich möchte Ihnen sagen, daß es wichtig wäre, wenn die Leute nicht vergessen würden, von wo sie hergekommen sind. Das gilt übrigens auch in meiner Partei. Es sollte uns gelingen, zu einer neuen Kompetenzverteilung zu kommen. Bedenken Sie auch, daß im Perchtoldsdorfer Abkommen die Ablöse der mittelbaren Bundesverwaltung steht und in bezug auf die Bundesratsreform auch konkrete Vorschläge enthalten sind. Ich möchte Ihnen dazu nur sagen: Wenn es zu einer Bundesratsreform echten Zuschnitts kommt, erspart man sich den ganzen Konsultationsmechanismus, meine sehr Verehrten!

Ich sage Ihnen, der Konsultationsmechanismus ist nichts anderes als eine exekutivlastige Fortsetzung dessen, was sich bereits auf EU-Ebene an Exekutivlastigkeit ergibt. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Prasch .) Man braucht nur zu analysieren, wer wen vertritt. Das wäre wertvoll, und darum dürfen wir Sie, Herr Bundeskanzler, auch ersuchen, zu prüfen, ob nicht die Möglichkeit besteht, bei dem zukünftigen Konsultationsmechanismus nicht zu vergessen, daß der Verfassungsgesetzgeber seit 1920 einen Bundesrat als Länderkammer hat und daß man


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dort in den Parteien auch erkennen möge, daß es sich nicht um parteipolitische "Hintersassen" handelt, sondern um mit einem freien Mandat ausgestattete Ländervertreter, und daß die Bundesländer uns allen aufgetragen sind.

In dem Zusammenhang möchte ich noch etwas in den Raum stellen, und ich freue mich, daß ich das in Anwesenheit des Herrn Ministerialrats Dr. Berchtold sagen darf, der nicht Universitätsprofessor werden will, obwohl er sich das hochverdient hat, daher sage ich verehrter Herr Dozent. Ich apostrophiere ihn mit Absicht. Er ist aus dem Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes und hat Bedeutendes geschrieben und gesagt.

Meine Damen und Herren! Es ist bedauernswert, daß wir ein Jubiläum des Bundes-Verfassungsgesetzes 1920 hinter uns haben – Herr Präsident Universitätsprofessor Dr. Fischer hat in verdienstvoller Weise einen Jubiläumsband 1995 herausgegeben, ich habe das schon im Jahr 1980 getan – und daß wir heute im Jahre 1996 immer noch keine Neukodifikation des Bundes-Verfassungsgesetzes haben. Ich hätte mir erwartet, daß vom Verfassungsdienst die Anregung an Ihr Kabinett gegeben wird, das auch zu behandeln. Ich verschweige das jetzt hier nicht.

Wir feiern in diesem Jahr das Millennium Österreich, und es wäre sehr wertvoll, wenn wir uns bei der Streulage des österreichischen Verfassungsrechtes aufraffen könnten zu einer umfassenden neuen – nicht Wiederverlautbarung, das wäre ein Versagen, eine Verzichtserklärung des Parlaments vor sich selbst – Kodifikation des Bundes-Verfassungsgesetzes. Dazu ist bereits von Herrn Professor Walter und anderen bedeutenden Staatsrechtslehrern, wie den Kollegen Professor Dr. Heinz Schäffer und Professor Dr. Richard Novak Vorarbeit in großartiger Art geleistet worden. Es wäre wertvoll, wenn wir die innere und äußere Zerrissenheit des österreichischen Staatsrechtes dadurch beseitigen könnten und nach Jahrzehnten das durchsetzen mit Elan, was die Väter der Republik im Jahre 1918 zustande gebracht haben.

Meine Damen und Herren! Thomas Jefferson ist alt geworden, er liegt in Montecello. Ich empfehle Ihnen, wenn Sie einmal in die USA fahren, dann fahren Sie nach Charlottsville. – Als Thomas Jefferson starb, hat man damals in der Zeitung geschrieben: Die Republik – gemeint ist Amerika – wird aufhören zu bestehen, wenn die Tugenden ihrer Gründer mißachtet werden.

Ich würde mich freuen, wenn derselbe Elan, der einen Karl Renner und einen Prälaten Seipl, einen Hans Kelsen und einen Walter Merkl und wie sie alle geheißen haben, im Jahr 1918 bewegt hat, innerhalb von zwei Jahren ein Bundes-Verfassungsgesetz zustande zu bringen, uns jetzt mit einer Erfahrung von Jahrzehnten nach einer EU-Mitgliedschaft Österreichs dazu bewegen würde, eine Neukodifikation des österreichischen Verfassungsrechtes zustande zu bringen. (Beifall bei der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Glauben Sie es mir: Mit solch einer Streulage oder einem solchen Verfassungsdschungel werden Sie kein Staats- und kein Verfassungsbewußtsein erzeugen können, indem andere Leute opferwillig sind. Ich möchte Ihnen das als Jurist sagen.

Herr Bundeskanzler! Wir werden sicherlich in den kommenden Monaten noch Gelegenheit haben, uns auch parlamentarisch zu begegnen. Ich werde mich in meinem Leben immer mit diesem Thema auseinandersetzen, und ich habe das bisher laufend getan. Ich möchte Ihnen sagen, wir haben eine Verpflichtung gegenüber der kommenden Generation, ihnen kein Desaster – weder finanziell, politisch, kulturell noch politisch und staatsrechtlich – zu hinterlassen. Wir sollten jetzt dazu antreten, und zwar in einem Miteinander. Auch die freiheitliche Partei hat ja zum Bundesstaat gesagt. Wir haben auch schon eine Reihe von Beschlüssen zur Bundesstaats- und zur Bundesratsreform einstimmig gefaßt. Ich bin optimistisch, ich habe das auch in der letzten Sitzung hier zum Ausdruck gebracht, daß wir diesen Weg gemeinsam fortsetzen könnten.

Meine Damen und Herren! Wenn wir jetzt diesen kommenden Monaten entgegengehen, dann bitte ich Sie, nicht zu übersehen, daß wir uns nach der Verabschiedung dieses Budgets und der Begleitgesetze nicht in das Ruhekissen begeben können, weder als Koalitionspartner noch als Opposition, sondern daß wir antreten müssen, der Öffentlichkeit das zu erklären, daß wir uns


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bemühen müssen, ein Staats- und Europabewußtsein zu erzeugen. Sonst warne ich Sie vor der Europawahl im Herbst 1996 auch in bezug auf die Wahlbeteiligung! Ich weiß, in welch vorzüglicher Weise Sie sich auf Turin vorbereiten. Ich bitte Sie, sich für das Subsidiaritätsprinzip, für den Regionalausschuß und für sein Klagerecht beim Europäischen Gerichtshof bei mangelnder Beachtung des Subsidiaritätsprinzips einzusetzen.

Meine Damen und Herren! Wir haben im ersten Halbjahr 1998 den Vorsitz in der EU. Das ist nicht allein die Aufgabe für die Regierung, sondern für uns alle. Denn wir geben gemeinsam die Visitkarte ab – die Bundesräte, die Nationalräte, Sie in der Opposition und wir in der Regierungsverantwortung. – Glauben Sie mir – damit darf ich schließen, meine Damen und Herren –, daß wir gar nicht so schlecht liegen, wie Sie von der Opposition glauben, als Obstruktion in den Raum stellen zu müssen.

Ich habe am Beginn die "Neue Zürcher Zeitung" zitiert. Die zweite Zeitung, die ich aufgrund meiner schlechten Fremdsprachenkenntnisse auch laufend lesen kann, ist die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". (Heiterkeit bei der SPÖ.) Ich bin mir auch meiner Schwächen und Grenzen bewußt. Ich kann daher meine übersetzten Arbeiten selten lesen, vor allem die letzte chinesische – aber nicht über Taiwan, sondern über die Neuordnung Europas – nicht lesen.

Erlauben Sie mir, daß ich Sie einlade, vor allem die freiheitliche Partei, die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 14. März 1996 zur Hand zu nehmen. Mit Zustimmung des Herrn Präsidenten, dem ich noch die besten Wünsche für den Rest der Sitzung übermittle und meine Kollegialität versichere (Heiterkeit bei der SPÖ), möchte ich einen Artikel des Herrn Redakteurs Dr. Reinhard Olb zitieren, der vor wenigen Tagen in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gestanden ist. Und das ist keine parteipolitische Postille, das ist ein Weltblatt von Format. Er schrieb: "Jeder Österreicher steuert umgerechnet etwa 1 800 Mark zur Haushaltssanierung bei." – Das soll uns das Vaterland wert sein. "Er erweist sich damit trotz Murren" – da hat er an Sie von der freiheitlichen Partei gedacht, meine Damen und Herren (Heiterkeit) –, "als vorbildlicher Europäer".

Ich zitiere weiter die "Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Die Finanzpolitiker der beiden Regierungsparteien ÖVP und SPÖ haben von Beginn an die Maastricht-Kriterien nicht aus dem Auge gelassen, sondern sie im Gegenteil als Druckmittel gegen Begehrlichkeiten von Interessengruppen aus den eigenen Reihen benutzt. Was dabei herausgekommen ist, kann sich im europäischen Vergleich sehen lassen", schreibt die FAZ. (Bundesrat Dr. Kapral: 18 Milliarden Mehreinnahmen!) Herr Kollege, ich lese es Ihnen vor.

"Wien ist – und es hat allen Grund, darauf stolz zu sein – in der ersten Reihe derer, die die Wirtschafts- und Währungsunion vollenden wollen. Österreich erweist sich damit als vorbildliches Land, in dem es ohne soziale Wirren gelungen ist, die Stabilitätsanforderungen zu erfüllen".

Meine Damen und Herren! Nehmen wir uns vor, als Parlamentarier mit der Regierung gemeinsam diesen Weg für Österreich in den kommenden Jahren fortzusetzen. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

15.31

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Bundesrat Albrecht Konečny. Ich erteile dieses.

15.32

Bundesrat Albrecht Konečny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Meine Damen und Herren der Bundesregierung! Hoher Bundesrat! Rainhard Tramontana – wenn wir schon beim Zitieren sind – hat in der dieswöchigen Ausgabe des "profil" aus gegebenem Anlaß eine bemerkenswerte Sammlung von Sprichwörtern zum Thema Sparen zusammengestellt. Ich möchte an den Beginn meiner Ausführungen eines davon, das mich sehr beeindruckt hat, stellen, und Ihnen auch gleich versprechen, mich zumindest selbst daran zu halten.

Dieses Sprichwort stammt angeblich aus dem deutschen Sprachraum, und es lautet: "Wer sparen will, muß beim Maul anfangen". (Heiterkeit bei der SPÖ.)


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Meine Damen und Herren! Demokratie bedeutet – darauf hat der Herr Bundeskanzler hingewiesen – auch und vor allem ein Element der Auseinandersetzung, des Streites und der Ideenkonkurrenz. Das ist nicht immer leicht, und ich sage auch sehr ehrlich, jedem von uns ist da schon eine Grenzverletzung passiert, mir sicher auch. Diese Auseinandersetzung hat weder etwas damit zu tun, daß wir nicht bereit sind, in der Meinung des anderen etwas Respektierenswürdiges oder auch Bedenkenswürdiges zu sehen, noch damit, daß reale Gegensätze, die für unterschiedliche Ideen, für unterschiedliche soziale Anliegen stehen, wegharmonisiert werden. Einen Sinn und eine Aufgabe hat diese Konfrontation nur dann, wenn es eine Auseinandersetzung, ein Streit und vor allem ein Wettstreit von Ideen ist.

Wir haben heute vom Kollegen Kapral in einer sehr langen – ich erspare mir Epitheta ornantia – Ausführung dargelegt bekommen, was ihm an diesem Regierungsprogramm, wie hier vorgelegt oder aus anderer Quelle geschöpft, nicht gefällt. (Vizepräsident Dr. Schambeck übernimmt den Vorsitz.) Ganz abgesehen davon, daß ich irgendwie das Gefühl habe, Kollege Kapral hat die "Meistersinger von Nürnberg" mißverstanden – es ist nicht der Beckmesser der positive Held, er spielt eher eine tragische, eine negative Rolle –, muß ich Sie schon fragen – denn Sie haben mit keinem Wort darauf Bezug genommen –: Wo findet hier die Ideenkonkurrenz statt? Wir sollten uns bei allen Verschiedenheiten – bei in unserem Fall sehr tiefgreifenden Verschiedenheiten – doch auf eine positive Konkurrenz einstellen und die Ideen gegeneinander abwägen.

Ich sehe in dem Programm der Bundesregierung, das uns heute hier auch vorgelegt wurde, vor allem eines, es ist nicht nur ein Programm, das in fünf ganz zentralen Bereichen versucht, positive Schritte der Zukunftsgestaltung zu setzen, sondern es ist auch ein Programm des Aufbruches, aber nicht in dem Sinn, daß damit weggeräumt werden soll, was geschaffen wurde, sondern ganz im Gegenteil, daß aufgebaut werden soll auf dem, was geschaffen wurde – aber naturgemäß unter neuen sozialen, ökonomischen und gesamteuropäischen Bedingungen. Die Fortsetzung dessen kann ja nicht heißen, daß man einfach stur entlang derselben Linie weitermarschiert.

Ich sehe die ganz entscheidende Aufgabe – und die haben wir gemeinsam zu erfüllen – nicht darin, daß jeder jede Maßnahme dieser Regierung, jeden Vorschlag dieser Regierungserklärung zu unterschreiben hat; viele von Ihnen wird ein politisches Hindernis davon abhalten. Ich glaube aber, eines sollten wir tun: Wir sollten uns auseinandersetzen, und zwar positiv auseinandersetzen, ausgehend von diesen Ideen der Regierung, von diesen Plänen der Regierung, mit einem Gefühl, das ein Teil unserer Bevölkerung hat und das aus Pessimismus, Zweifel und Sorge besteht.

Ich glaube, verantwortungsvolle Politik heißt, daß wir den Menschen, die Sorge haben, erklären, nicht die Sorge ausreden, sondern erklären, warum sie keine Sorge zu haben brauchen, daß wir denen, die sich nicht zurechtfinden, nicht sagen: Es passiert schon nichts!, sondern einen Wegweiser geben, und zwar einen, auf den sie vertrauen können, und daß wir den dumpfen Pessimismus, der da im Einzelfall heißen kann: Es ist mir alles gleich, ich flüchte mich noch schnell in die Pension! oder: Ich gehe irgendein Risiko nicht ein! oder: Mich trifft es ohnehin nicht!, überwinden müssen, damit die große nationale Kraftanstrengung, die hinter all dem steht, doppelt stattfindet.

Sie wird auf der Seite der Regierung stattfinden, die die Mittel, die hier eingespart werden, ja nicht nur und nicht in erster Linie zur Erfüllung abstrakter Kriterien zu verwenden hat, sondern dazu, Maßnahmen der Forschungsförderung, der Arbeitsplatzschaffung, Maßnahmen dieses neuen Aufbruches zu setzen. Aber all das würde und müßte verpuffen, wenn es nicht von den Bürgern auch so empfunden wird und zu diesem Aufbruch des Staates und der Gemeinschaft auch der Aufbruch vieler einzelner Bürger kommt.

Es stimmt optimistisch, daß viele Umfragewerte zeigen, daß entgegen manchen Erwartungen die Menschen die Maßnahmen und die Zielsetzungen dieses Paketes sehr wohl verstehen und billigen, obwohl sie naturgemäß, jeder einzelne davon, betroffen sind. Und ohne Anführungszeichen, Herr Kollege Kapral, ich habe jetzt leider keine da, aber ich bringe Ihnen das nächstemal eine Handvoll Anführungszeichen zur freizügigen Verwendung mit, ist zu sagen: Es ist


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tatsächlich eine Form der Einsparung, die Belastungen so aufzuteilen, daß die kleinen Leute dieses Landes, die Menschen, die sozial schwächer sind, in geringerem Maße, das ihnen zuzumuten ist, betroffen sind, während sozial Stärkere und die sozial Stärksten in ebenfalls jenem Ausmaß betroffen sind, das ihnen sozial zuzumuten ist, und dieses Ausmaß ist eben tatsächlich ein höheres. (Präsident Payer übernimmt wieder den Vorsitz.)

Ich bin sicher, daß es dieser Regierung gelingen wird, eine Stimmung des Aufbruches zu verbreiten, daß es ihr gelingen wird, mit ihren Maßnahmen jene Umorientierung, die heute auch von einer Mehrheit der Bevölkerung getragen wird, einzuleiten und sich letztlich durchzusetzen gegen diese Stimmung des Zweifels, des Zurückhaltens und des Pessimismus, die gar nicht so sehr eine politische Dimension hat, sondern von der wir wissen, daß sie auch der Interessenlage oder der Haltung einer Reihe von Medien entspricht.

Dieser neue Aufbruch, dieses Hinorientieren auf ein Ziel bedeutet nicht – ich hielte es für falsch, das aus einer Regierungserklärung herauslesen zu wollen –, daß die Probleme, die vor uns liegen und die wir uns zu lösen vorgenommen haben, jetzt auch tatsächlich schon gelöst sind. Eine Regierungserklärung ist kein Kochbuch. Die Deka-Menge vieler wichtiger Zutaten wird noch in einer vielleicht auch sehr kontroversen Auseinandersetzung zwischen den Partnern dieser Regierung zu formulieren sein. Aber bevor man über den richtigen Weg miteinander ehrlich und fair streiten kann, muß man wissen, wo es hingehen soll.

Ich habe immer meine Probleme damit, wenn politische Zusammenarbeit mit Metaphern beschrieben wird, die ihren Ursprung im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen und der Erotik haben. Ich glaube, das sollte man aus guten Gründen für getrennte Bereiche erachten. Weder die Liebes- noch die Vernunftheirat beschreibt sinnfällig und zielführend, was in der Politik stattfinden kann. (Bundesrat Ing. Penz: Das muß beides nichts mit Erotik zu tun haben!) Wie meinen Sie? – Also bei der Vernunftehe würde ich das unterschreiben, im anderen Fall würde ich es bezweifeln. (Zwischenruf des Bundesrates Bieringer .) – Nein, bei der Liebesheirat würde ich es nicht bezweifeln, Herr Kollege!

Tatsache ist aber, daß das gemeinsame politische Vorgehen in einer Bundesregierung bedeutet, daß sich zwei Parteien mit einem unterschiedlichen geistigen und politischen Hintergrund mit zum Teil auch heute noch unterschiedlichen sozialen Gruppen, für deren Interessen sie sich vorwiegend einsetzen, für eine Wegstrecke der Entwicklung ein gemeinsames Programm erarbeiten können. Das stellt beiden Seiten gerade angesichts des Ausgangspunktes ein gutes Zeugnis aus.

Ich habe im Gegensatz zu Professor Schambeck – ich sage das nicht, weil er nicht da ist; Sie werden es ihm ausrichten – nicht die Absicht, die schlechte Tradition, den Wahlkampf noch ein paar Wochen fortzusetzen, hier aufzugreifen. Es hat uns das schon die Aufnahme der Regierungsverhandlungen ganz schön erschwert. Aber eines ist sicherlich richtig: Wir müssen in dieser Regierung, wir müssen in dieser Zusammenarbeit neben den großen nationalen Fragen, neben den Fragen, um die es heute vorwiegend auch in der Regierungserklärung ging, gerade aufgrund unserer Aufgabenstellung und unserer Interessenlage als Ländervertretung, als zweite Kammer dieses Parlaments gegenüber der Regierung, gegenüber den Ländern, gegenüber den Parteien einklagen, daß es eine Entwicklung in Richtung eines modernen, funktionsfähigen Föderalismus gibt.

Ich halte es für wichtig, daß der Herr Bundeskanzler auf diese neue Basis für eine Partnerschaft zwischen Bund, Ländern und Gemeinden in der Regierungserklärung hingewiesen hat. Und ich halte es für ganz entscheidend, daß hier nicht formale Kriterien, sondern die Grundsätze von Effizienz, Bürgernähe, sinnvoller und zeitgemäßer Aufgabenteilung im Vordergrund stehen.

Es ist natürlich wichtig, daß der Konsultationsmechanismus, wie auch immer bestimmte Regelungen im Detail getroffen werden, jeder Gebietskörperschaft die Sicherheit gibt, nicht durch die Entscheidung einer anderen vor unvorhergesehene Finanzierungsprobleme gestellt zu werden.

Wenn wir uns an die heute schon ein paarmal zitierte nicht erfolgte Bundesstaatsreform erinnern, dann läßt sich trefflich darüber streiten, wer woran die Schuld gehabt hat. Aber die


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banale historische Wahrheit ist, daß es zu keinem Einverständnis mehr dann kam, als nicht nur Kompetenzen, sondern auch Kosten verteilt werden sollten, und daß jene, die diese Kompetenzen für sich in Anspruch nehmen wollten, nämlich die Länder, in vielen Fällen dann gemeint haben, so war es denn nun nicht gemeint.

Ich glaube, hier müssen wir einen neuen Start versuchen. Wir müssen aus der Erfahrung, daß ein gutgemeintes und gutes Konzept letztlich an der Finanzierung gescheitert ist, die Lehre ziehen, und wir müssen sehen, daß es möglicherweise die richtigere Vorgangsweise ist, von der finanziellen Basis auszugehen und dann zu konkreten Aufgabenzuordnungen zu kommen. Es ist keine Frage, daß auch ich und wir Sozialdemokraten in einem solchen Prozeß der Neudefinition des Bundesstaates für diese Kammer, für den Bundesrat, eine entsprechende Rolle, eine entsprechende zentrale Rolle reklamieren.

Nicht alles, was historisch föderalistisch in den einzelnen Bundesländern geregelt ist, gehört notwendigerweise dorthin. Es hat heute zwar schon einmal eine Verteidigung dieser Situation gegeben, aber mich hat sie nicht überzeugt. Daß Tierschutz etwa in neun Bundesländern unterschiedlichen Kriterien zu folgen hat, ist schon richtig. Aber – wie sage ich das jetzt, um es nicht arrogant zu sagen? –: Rindviecher sind in Wien etwas selten – was ausschließlich für den Bereich der Landwirtschaft gemeint ist (Heiterkeit) –, und daher ist der Regelungsbedarf hier ein bescheidener. Haushunde, also in der kleinen Wohnung gehaltene Hunde, sind in Wien etwas häufiger. Aber der kleine Hund in der Imster Wohnung leidet nicht weniger als der kleine Hund in der Ottakringer Wohnung. Und die paar in Wien gehaltenen Rinder sollten eigentlich denselben Regelungsstandard wie die vielen in der Steiermark haben.

Mich hat also die Argumentation nicht überzeugt, daß es mehr Tiere der einen Art dort und der anderen Art dort gibt. Das ist jetzt nicht mein Thema, aber es ist ein gutes Beispiel dafür, daß es Bereiche gibt, in denen wir darüber nachdenken sollten, ob neun Regelungen wirklich solch ein leidenschaftlicher Beitrag zum Funktionieren des Föderalismus sind.

Die österreichische Baustoffindustrie und die österreichische Bauwirtschaft pflegen bei jeder ihrer Tagungen über den Unfug von neun Bauordnungen zu reden. Ich maße mir kein endgültiges Urteil darüber an, aber auch hier gilt: Nicht alles, was föderalistisch geregelt ist, muß notwendigerweise dort bleiben. Und es ist überhaupt keine Frage, daß das umgekehrt genauso zu gelten hat.

Ich plädiere dafür, in einem scheuklappenfreien, nicht durch Rekurse darauf, was irgend jemand irgendwo einmal gesagt oder unterschrieben hat, getrübten Diskussionsklima einen neuen Versuch zu wagen.

Diese Republik, dieses Land, dieser Bundesstaat hat die Möglichkeit zu einem Neuaufbruch. Diese Kammer wird dazu beizutragen haben, und unser Beitrag im besonderen könnte es sein, die einmal in einer Sackgasse gelandete, manchmal sehr schwierig gewordene Föderalismusdiskussion mit einem frischen Wind neu zu beleben. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

15.50

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Helmut Prasch. Ich erteile dieses.

15.50

Bundesrat Dr. Helmut Prasch (Freiheitliche, Kärnten): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Hohes Haus! Ich bitte Sie um Verständnis, wenn ich jetzt das gemütliche Plauderstündchen, das jetzt schon einige Stunden dauert, unterbreche und Ihnen die Situation etwas ungeschminkter darstelle, wie sie sich aus unserer Sicht und aus der Sicht vieler Österreicherinnen und Österreicher zeigt. Und ich sage gleich zu Beginn, daß ich das, was sich heute hier in diesem Hohen Haus abspielt, teilweise für ein tragikomisches Schauspiel halte und über weite Strecken tatsächlich für eine Zumutung. Ich möchte Ihnen auch erklären, warum das aus meiner Sicht so ist.


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Die ÖVP hält es für eine große Leistung, wenn sich der Herr Bundeskanzler heute in den Bundesrat begibt, um hier seine Regierungserklärung zu halten, und führt das auf die Tradition des Julius Raab zurück. Für uns Freiheitliche ist es eine Selbstverständlichkeit, daß sich ein Bundeskanzler, der in der nächsten Legislaturperiode auch mit den Ländern gemeinsam viele Vorhaben durchbringen will, vor die Länderkammer hinstellt und darstellt, was er und sein Koalitionspartner in den nächsten Jahren überhaupt zu tun gedenken.

Ich muß ehrlich sagen, ich hätte mir von Ihnen, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, erwartet, daß Sie, anstatt in Allgemeinplätzen zu sprechen und ständige Wiederholungen von Floskeln von Ihnen zu geben, die wir von Ihnen seit zehn Jahren kennen und die sich auch im Wahlkampf immer wieder wiederholt haben, konkrete Aussagen darüber machen, wie Sie denn die vorhandenen Probleme bewältigen wollen.

Wir haben in Österreich die höchste Arbeitslosigkeit seit vielen Jahrzehnten, und wir wissen bis heute nicht, wie Sie diese Arbeitslosigkeit bekämpfen werden. Wir wissen nicht, welches Programm Sie zur Sicherung des Sozialstaates aufgebaut haben. Wir wissen nicht, wie Sie die Privilegienwirtschaft in diesem Lande in Angriff nehmen werden. Wir wissen nicht, wie die nunmehr fünfte Auflage dieser großen Koalition die Pleitenserie in Österreich stoppen wird. Auf diese Fragen hat es in der heutigen Debatte, die ja jetzt schon drei Stunden dauert, bisher noch keine einzige Antwort gegeben. Es wird wohl von Strukturveränderungen und erforderlichen Reformmaßnahmen gesprochen, aber dafür hätten Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der großen Koalition, schon in den letzten zehn Jahren genügend Gelegenheit gehabt, uns einmal an einem einzigen Beispiel vor Augen zu führen, was Sie tatsächlich zu leisten imstande sind. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Ich muß aber trotzdem dazusagen, daß auch ich mich freue, daß der Herr Bundeskanzler wenigstens da ist, denn der Vizekanzler und der Wirtschaftsminister von der ÖVP – beide sind maßgebend an dem neuen Belastungspaket der Bundesregierung beteiligt – kommen gar nicht mehr, sie stellen sich gar nicht mehr den Vertretern im Bundesrat. Das ist auch ein Ausdruck dafür, welche Wertschätzung der ÖVP-Obmann dem Bundesrat entgegenbringt, und zeigt, welchen Stellenwert Sie, meine Damen und Herren von der ÖVP, in diesem Parlament noch haben! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Bieringer: Der Herr Vizekanzler ist gar nicht im Land! Haben Sie das heute in der Früh nicht gehört, was verlesen wurde?) Ich habe das nicht gehört. – Ist er nicht im Lande? (Bundesrat Bieringer: Der Herr Vizekanzler befindet sich nicht im Inland!) Es gibt aber auch noch den Herrn Wirtschaftsminister, der auch ein paar Antworten geben könnte, warum er denn dieses Belastungspaket so massiv geschnürt hat – zum Ärger vieler Tausender Österreicherinnen und Österreicher.

Meine Damen und Herren! Aber das ist noch nicht alles: Da gibt es die Kollegen Professor Schambeck und Konečny, die sich da ans Rednerpult herstellen und in geradezu peinlicher Art und Weise diese große Koalition verteidigen und sich zu den Pflichtverteidigern des Bundeskanzlers und seiner neuen Regierungsmannschaft aufspielen. (Bundesrat Prähauser: Der Bundeskanzler braucht keinen Verteidiger!) Ich finde das wirklich lächerlich, vor allem wenn man sich in Erinnerung ruft, daß hier eine Koalition verteidigt wird, über die sich ganz Österreich empört. Man sieht das ganz deutlich an der letzten Umfrage vom Sonntag, bei der sich 63 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher auf die Seite der protestierenden Studenten stellen und ihre Unterstützung bekunden – und Sie kommen heraus und stellen sich ans Rednerpult und sagen, es sei eigentlich alles eitel Wonne, und es gehe uns eigentlich nichts an, daß die Leute draußen auf der Straße stehen. Übrigens: Das ist die erste Regierung seit den sechziger Jahren, die zusammengebracht hat, daß die Studenten wieder auf der Straße stehen. Und dieselben Leute sprechen dann von der Stabilität, die es jetzt wieder im Lande geben soll, von der Ruhe und Ordnung und von der guten soliden Basis für die Regierungsarbeit in den kommenden Jahren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sage Ihnen: Wenn die SPÖ und die ÖVP nicht in den letzten Jahrzehnten ein solch massives System der Abhängigkeit gegenüber den Bürgern geschaffen hätte, würde sich bei uns in Österreich der Unmut wesentlich deutlicher äußern, als


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das jetzt bei den Studentenprotesten der Fall ist, welche ich im übrigen voll unterstütze; ich möchte mich mit den Studierenden voll solidarisch erklären.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von SPÖ und ÖVP! Ich sehe aber ein, daß Sie in den elfenbeinernen Türmen der Ministerien – Sie finden das lustig, Frau Kollegin, aber ich spüre das auch – und in den Parteilokalen Ihrer jeweiligen Gruppierung nicht mehr spüren, daß Sie eigentlich die Basis und den Zugang zu den Bürgern völlig verloren haben, obwohl Sie – vor allem der Herr Bundeskanzler – ein durchaus beachtliches Wahlergebnis eingefahren haben. (Bundesrätin Rösler: Das ist das, was euch so weh tut!)

Der ÖVP ist das nicht gelungen. (Bundesrat Prähauser: Der FPÖ ist es nicht gelungen! Die ÖVP hat auch gewonnen!) Ich habe bewußt ÖVP gesagt, denn schließlich und endlich, Kollege Prähauser, darf man ja nicht vergessen, daß die Freiheitlichen hier nicht nur zu dreizehnt sitzen, sondern mindestens eine Million Wähler hinter sich haben, und deshalb artikulieren wir uns hier durchaus mit einem gewissen Verantwortungsbewußtsein.

Es ist der SPÖ trotz dieses Wahlerfolges im Dezember nicht mehr gelungen, die Basis und den Draht zum Bürger zu finden, meine Damen und Herren! Und ich möchte Ihnen sagen, daß Sie dieses Wahlergebnis unter Vorspiegelung falscher Tatsachen herbeigeführt haben. Wenn ich mich an die großen Plakate der SPÖ erinnere, daran, was oben gestanden ist und welche Versprechungen darauf zu finden waren, und wenn ich mir das nunmehr vorliegende Koalitionsabkommen ansehe, dann möchte ich in diesem Zusammenhang einmal ganz bewußt das Wort "Betrug" in den Mund nehmen, weil nichts anderes ist das! (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Da ist ein Betrug am Wähler passiert, der sich jetzt in diesem Koalitionsabkommen manifestiert, welches der Herr Bundeskanzler nicht einmal den Bundesräten vorstellt. Er sagt nur: Ich, Vranitzky, Kaiser und Gott, verweise auf das von mir im Nationalrat Gesagte. Im Bundesrat braucht man das ja gar nicht mehr zu bringen. (Bundesrat Prähauser: Lesen werden wir wohl noch können! – Ruf bei den Freiheitlichen: Es gilt das gesprochene Wort!) Dieses neue Koalitionsabkommen ist der tatsächliche Betrug am Wähler. Und das wollen wir in dieser Form auch nicht hinnehmen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte einmal in den Raum und zur Diskussion stellen – der Herr Bundeskanzler hat sich hier wieder zu Wort gemeldet und wird in der bekannten Form darauf reagieren –, daß es sich bei dieser Regierung um dieselbe Regierung handelt, die seit 1987 mit fast denselben Personen im Amt ist. Es handelt sich um dieselbe Regierung, die seit zehn Jahren ein Budgetdefizit herbeigeführt hat, das beinahe nicht mehr zu bewältigen ist, nur mehr mit einem Belastungspaket in der Form, wie wir es heute vorliegen haben.

Sie spielen sich heute, wie auch Kollege Kapral gesagt hat, als die Sanierer des Staates auf. Das ist unglaubwürdig, hier wird einfach der Bürger zum stummen Büßer gemacht, zum stummen Büßer für die Sünden der großen Koalition, die in den letzten zehn Jahren begangen wurden.

Meine Damen und Herren! Sie können nicht sagen, daß Sie als große Koalition vom Bürger gewählt wurden. Sie wurden jeweils für Ihre Programme gewählt. Und Sie haben sich mit der ÖVP ein weiteres Mal – zum fünften Mal – zusammengeschmiedet, und jetzt frage nicht nur ich mich und fragen sich nicht nur meine freiheitlichen Kollegen, sondern ganz Österreich fragt sich, wozu wir eigentlich den Wahlgang am 17. Dezember gebraucht haben. – Geändert hat sich in Wahrheit überhaupt nichts! (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Und ich verstehe die ÖVP nicht, warum sie jetzt plötzlich wieder so glücklich ist. Kollege Schambeck hat ja das ganz freundlich mit einem Kniefall vor dem Herrn Bundeskanzler auch zum Ausdruck gebracht. Warum sie gar so glücklich ist, daß sie sich mit den Sozialdemokraten in einem Koalitionsbett wiedergefunden hat, in dem wieder das gleiche Theater weitergeht, das wir schon aus den Jahren zuvor kennen, das verstehe ich nicht, meine Damen und Herren! (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Was ich besonders bedrückend empfinde, ist, daß sich in diesem Koalitionsprogramm, das wir ja nicht kennen, weil es uns der Herr Bundeskanzler nicht vorstellen will, ein Belastungspaket


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findet, mit dem den Bürgern nach zehnjähriger Tätigkeit einer großen Koalition nun endgültig die Daumenschrauben angelegt werden, wobei man selbst als Politiker, als Angehöriger der Regierung nicht dazu bereit ist, den Gürtel ein bißchen enger zu schnallen.

Ich komme in diesem Zusammenhang ganz bewußt direkt auf die Privilegienwirtschaft in diesem Staate zu sprechen. (Ruf bei der ÖVP: Schon wieder!) Man kann es nicht oft genug machen! Es ist immer wieder zu wiederholen, daß sich SPÖ und ÖVP diesen Staat weitgehend aufgeteilt haben, daß sie sich in den verschiedensten Bereichen Pfründe errichtet haben (Bundesrat Prähauser: Denken Sie an die 48 Stunden in Kärnten!), angefangen bei der Oesterreichischen Nationalbank bis hin zu den Sozialversicherungsanstalten, bis hin zum Kammerstaat, bei denen sich SPÖ und ÖVP seit Jahren – seit mittlerweile einem Jahrzehnt – beharrlich weigern, auch nur einen Beistrich zu ändern. Sie weigern sich, auch nur ein einziges positives Signal zu setzen, um selbst den Sparwillen zu dokumentieren. Dazu sind SPÖ und ÖVP nach zehnjähriger Regierungsverantwortung nach wie vor nicht bereit.

Das können wir nicht zur Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren, denn schließlich und endlich liegen im Nationalrat bereits zwei Volksbegehren der freiheitlichen Partei, die Zighunderttausende Bürger unterschrieben haben, womit sie zum Ausdruck gebracht haben, daß sie mit dieser Privilegienwirtschaft in Österreich nicht mehr einverstanden sind und daß Sie hier etwas zu ändern haben.

Aber das passiert halt nicht. Unter dem Kabinett Vranitzky V wird es wahrscheinlich auch wieder nicht passieren, aber wir werden als Freiheitliche in dieser Frage nicht lockerlassen und weiterhin zumindest versuchen, den Druck zu erhöhen. Aber ich sehe in Ihren Abgeordnetenreihen, meine sehr verehrten Damen und Herren von ÖVP und SPÖ, überhaupt keine Bereitschaft, etwas zu tun.

Ich sage Ihnen als junger Funktionär in diesem Hohen Haus, daß wir auch im eigenen Bereich, nämlich im Bundesrat, damit beginnen sollten, ein bißchen Ordnung zu machen. Ich habe mir sehr gut überlegt, was ich jetzt sage, aber es ist mir ein Bedürfnis, es zu tun: Ich stelle zur Diskussion, weshalb sich der Bundesrat zwei ständige Vizepräsidenten leistet, die dasselbe Gehalt beziehen wie der amtierende Präsident. Ich habe Respekt vor dem Amt, und ich erkenne die Notwendigkeit des Amtes, aber ... (Bundesrat Bieringer: Das stimmt einfach nicht, was Sie sagen! Sie müssen sich schon besser erkundigen!)

Lieber Kollege Bieringer! Lesen Sie die Protokolle des Nationalrates und die Aufstellungen nach, Sie werden darin finden, daß das Gehalt der jeweiligen Vizepräsidenten 110 000 S brutto ausmacht. (Bundesrat Bieringer: Aber das stimmt ja nicht! 50 Prozent!)

Ich bin der Meinung, daß wir in diesem Falle auch im eigenen Haus für Ordnung sorgen und auch diese Frage einmal diskutieren sollten – bei allem Respekt vor der Notwendigkeit des Amtes des Vizepräsidenten, bei allem Respekt davor, was bisher in diesen Ämtern geleistet wurde. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Ich möchte aus dem umfangreichen Koalitionsprogramm, das uns ja leider nicht vorliegt, nur kurz einige Dinge, die wir so nebenbei als Zuhörer im Nationalrat erfahren durften, herausgreifen und Sie als Ländervertreter mit Plänen konfrontieren, die durchaus nicht im Interesse Ihrer Bundesländer sind, die Sie aber heute hier im Parlament lauthals akklamieren und mit Beifall quittieren.

Zum Beispiel das Thema Doppelmaut: Ich appelliere an die vielen Vertreter der Kammern, die hier herinnen sitzen, die in vielen Bundesländern, beispielsweise in Kärnten, Unterschriftenaktionen gegen diese Doppelmaut gestartet haben. Von seiten der Wirtschaftskammer und der Arbeiterkammer in Kärnten, auch aus vielen anderen Bundesländern, Salzburg, Tirol, Wien, kommen massive Proteste der jeweils zuständigen Verkehrsreferenten und Landeshauptleute gegen dieses Programm der Doppelmaut.

Ich frage Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, mit welcher Berechtigung Sie als Ländervertreter, die Sie von den Landtagen entsandt werden, die gegen dieses Doppelmaut


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programm sind, hier herinnen dieses Programm der großen Koalition so lauthals huldigen und Sie von seiten der ÖVP einen Kniefall vor dem Herrn Bundeskanzler hinlegen, der sich gewaschen hat. Das frage ich mich wirklich. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kaufmann. )

Kollege Kaufmann! Das Verhalten der Wirtschaftskammer ist in der Frage Doppelmaut noch schlimmer. Der Kärntner Arbeiterkammerpräsident Quantschnigg hat wenigstens an alle Bundesräte, Abgeordnete zum Landtag und Nationalrat einen Brief geschrieben und darin appelliert, daß man wenigstens noch einmal versuchen sollte, dieses Thema Doppelmaut vom Tisch zu bekommen, während die Wirtschaftskammer eiskalt ihre eigene Unterschriftenaktion – allein in Kärnten sind 13 000 Unterschriften zusammengekommen – über Bord geworfen hat und das jetzt stillschweigend zur Kenntnis nimmt, weil sich Herr Wirtschaftsminister Ditz einbildet, daß auf diese Art und Weise die Probleme im Straßenverkehr endlich gelöst werden können. Das wird er eh nicht können; er dürfte auch vergessen haben, daß die österreichischen Autofahrer die Autobahnen bereits einmal mit ihrem Steuergeld sauer bezahlt haben.

Meine Damen und Herren! Mich wundert eigentlich überhaupt nichts mehr, muß ich ehrlich sagen, und ich möchte Sie auch auf etwas hinweisen, was mir im Koalitionsprogramm sehr negativ aufgefallen ist: Beide Fraktionen – SPÖ und ÖVP – führen ja ständig das Wort vom freien Mandat im Mund und sprechen ständig von der notwendigen Belebung des Parlamentarismus. Gleich vorne im Koalitionsabkommen findet sich ein Absatz, der sich mit dem Thema Umgang mit Anträgen, die von anderen Parteien kommen, befaßt. Das ist hier in der kleineren Kammer, im Bundesrat, vielleicht nicht solch ein großes Problem für Sie, aber im Nationalrat gibt es ja immerhin drei Oppositionsparteien, die durchaus auch wertvolle Arbeit leisten, indem sie konstruktiv sind, eigene Anträge einbringen und Initiativen starten.

In diesem Koalitionsabkommen, das Sie so begeistert aufgenommen haben – Professor Schambeck beinahe überschwenglich –, steht in einem gesonderten Absatz: Anträge der Opposition sind gemäß Ziffer 5 zu behandeln. Unter Ziffer 5 steht, daß noch vor Einbringen der Anträge durch die anderen Parteien sich die Klubobleute von SPÖ und ÖVP tunlichst zusammenzusetzen haben, um diese Anträge gleich von vornherein vom Tisch zu wischen. (Ruf bei der ÖVP: Das steht aber nicht drinnen!)

Ich verwahre mich dagegen, daß die Leute, die diesem Koalitionsabkommen so heftig applaudieren und es begrüßen, noch ein einziges Mal das Wort vom freien Mandat in den Mund nehmen, weil das ist nämlich in Wahrheit das Begräbnis des lebendigen Parlamentarismus, das in diesem Koalitionsprogramm niedergeschrieben wurde. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Wenn Sie sich dann noch anschauen, was aus dem von der ÖVP so sehr heraufbeschworenen koalitionsfreien Raum geworden ist, so finden Sie lächerliche drei Punkte, ein bißchen etwas zur Homosexualität, ein bißchen etwas zum Alkoholismus und ein bißchen etwas zur Promillegrenze. Ansonsten ist alles schon vorher zwischen SPÖ und ÖVP abgesprochen. – Da frage ich mich wirklich, was die ÖVP von diesem neuen Koalitionsabkommen gehabt hat.

Zuletzt noch ein Wort zum Konsultationsgremium. Ich verstehe Professor Schambeck nicht, wenn er unserer Meinung ist, daß er dieses neue Konsultationsgremium nicht haben will. Es ist ein Vorschlag des ÖVP-Landeshauptmannes von Kärnten gewesen, der dieses Konsultationsgremium als erster haben wollte und damit den ersten Steinwurf gegen den Bundesrat gemacht hat. Jetzt steht das aber gleichzeitig im Koalitionsabkommen drinnen. Und ich verstehe nicht, daß Leute wie Professor Schambeck, die sich schon seit Jahren mit dem Föderalismus, mit der Aufwertung des Bundesrates befassen, hier heraußen eine Stunde lang diesen Koalitionspakt loben, den Bundeskanzler huldigen, anstatt daß sie schon in den Koalitionsverhandlungen – nicht jetzt, wo schon alles unterzeichnet ist! – über die entsprechenden Leute, die in den Verhandlungsteams gewesen sind, entsprechend massiven Druck gemacht hätten, damit nicht durch die Hintertüre – ich sage es deutlich: durch die Hintertüre – der Bundesrat obsolet gemacht wird. Wir müssen genau darüber nachdenken, was die Einführung dieses Konsultationsgremiums eigentlich bedeutet.


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Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich komme schon zum Schluß und möchte sagen, was wir Freiheitlichen in den nächsten Jahren zu tun haben werden: Ich glaube, daß es ganz notwendig sein wird, daß sich die freiheitliche Partei als einzige Oppositionskraft hier im Bundesrat noch stärker als bisher von SPÖ und ÖVP abgrenzen muß. (Bundesrat Prähauser: Das ist kaum mehr möglich!) Wir werden bewußt eine fundamentale Oppositionspolitik gegen alle Maßnahmen dieser Koalition machen, sofern sie den Bürger belasten, wie es bei diesem Belastungspaket der Fall ist, oder wenn keine ernstzunehmende Abkehr von dem bisher beschrittenen Weg der Packelei zu erkennen ist.

Wir werden diese staatspolitische Verantwortung im Sinne und im Interesse der Österreicherinnen und Österreicher noch stärker als bisher wahrnehmen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

16.08

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Jürgen Weiss. Ich erteile dieses.

16.08

Bundesrat Jürgen Weiss (ÖVP, Vorarlberg): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Meine Damen und Herren Bundesminister und Staatssekretäre! Für alle, die sich auch in der Politik zur Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes bekennen, ist die Sanierung des Staatshaushaltes wohl unausweichlich. Wenn man – pointiert gesagt – die Zinsen für aufgenommene Kredite nur mehr mit neuen Schulden bezahlen kann, bedarf es gar keiner Konvergenzkriterien der angestrebten Europäischen Währungsunion, um zu dieser Einsicht zu kommen.

Wer künftige Generationen nicht überfordern, den – international gesehen – hohen sozialen Standard in der Substanz sichern sowie die für seine Finanzierung und die Erhaltung der Arbeitsplätze notwendige Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft festigen will, hat keine Alternative zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung.

Die Zusammenarbeit von Parteien und die Bildung der Bundesregierung sind ausschließlich an diesem Ziel zu messen. Keine der nach einer Wahl möglichen Koalitionsformen ist politischer Selbstzweck, sie sind im Interesse des Landes so zu wählen, daß ein möglichst großer gemeinsamer Nenner notwendiger Maßnahmen zustande kommt.

Es ist bei einer isolierten Betrachtung nicht in Abrede zu stellen, daß es zu einzelnen Vorhaben der Budgetkonsolidierung punktuell Alternativen gäbe und auch wohl weiterhin geben wird und daß auch in kritischen Wortmeldungen der anderen Parteien manch gute Ideen stecken. Aber die bloße Summe von Teilen gibt kein Ganzes und erst recht keine für die Durchsetzung der Vorhaben notwendige Mehrheit.

Daher haben die bisherigen Diskussionen über die Regierungserklärung lediglich gezeigt – das gilt sowohl für den Nationalrat als auch hier für den Bundesrat –, daß es jede Oppositionspartei anders machen würde. Offen blieb, ob das in der Summe besser wäre. Deutlich wurde dagegen, daß es zur Mehrheits- und Durchsetzungsfähigkeit der nun gebildeten Bundesregierung und ihrer Einigung auf gleich zwei Jahresbudgets keine Alternative gab.

Daraus kann natürlich kein Freibrief abgeleitet werden, die Regierung und die Mehrheit im Nationalrat haben nun vier Jahre lang diskussionslos und immer recht. Das muß nicht nur auf dem Prüfstand der Öffentlichkeit Bestand haben, sondern auch auf jenem der Gewaltenteilung mit den Ländern und Gemeinden und schließlich auch vor der nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof.

Eine besondere Form der Gewaltenteilung möchte ich hier nicht unerwähnt lassen, nämlich die für einen Bundesstaat unerläßliche und in Österreich dem Bundesrat übertragene Mitwirkung der Länder an der Bundesgesetzgebung.

Vor diesem Hintergrund halte ich es für sachgerecht, in der Diskussion über die Regierungserklärung und das ihr zugrunde liegende Koalitionsabkommen im Bundesrat eine etwas andere


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Betrachtungsweise zu wählen, als das im Nationalrat üblich ist. Das gilt umso mehr, als die Länder diese Regierungsbildung mittragen und keineswegs in Opposition dazu stehen. Die Wortmeldungen der von den Landtagen über Vorschlag der Freiheitlichen entsandten Bundesräte, Herr Kollege Prasch, vermitteln in dieser Hinsicht einen unzutreffenden Eindruck. Sie haben auch gar nicht behauptet, daß Sie hier etwa für das Bundesland Kärnten sprechen würden, sondern haben klargemacht, wessen Interessen Sie hier vertreten: die der freiheitlichen Partei. Das sollte man, glaube ich, deutlich sagen, wenn man hier im Bundesrat einen Gegensatz von Regierung und Opposition konstruieren will, der diesem Haus eigentlich wesensfremd sein sollte. (Bundesrat Dr. Tremmel: Sie vertreten die ÖVP! Stimmt das?) Nein, ich vertrete das Bundesland Vorarlberg, und es ist Ihnen unbenommen, das Bundesland Steiermark zu vertreten.

Die Bundesregierung und die sie tragenden Nationalratsfraktionen gehen mit vielen guten Vorsätzen an die Arbeit. Einer davon ist das Bemühen, nicht nur zu einer neuen Spargesinnung, sondern auch zu einer neuen Gesetzgebungskultur zu kommen.

Es ist zu wünschen, daß dieser Vorsatz an den sogenannten Budgetbegleitgesetzen nicht spurlos vorübergehen möge. Wenn den Ländern schon extrem kurze Begutachtungsmöglichkeiten – teilweise von Donnerstag bis zum darauffolgenden Montag – eingeräumt wurden und die mit den eigenen legistischen Richtlinien nur mühsam in Einklang zu bringende Form einer sehr umfangreichen Sammelnovelle gewählt wird, dann sollte wenigstens der Inhalt keinen Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten mit den Ländern bieten. Das konnte man, wie die Stellungnahmen inzwischen zeigen, nicht von allen Details der Begutachtungsentwürfe behaupten.

Die Bereitschaft der Länder zum Mittragen des Sanierungspaketes sollte nicht dazu verführen, es über das Ausgehandelte hinaus zu vergrößern und damit auch aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß bei der nach wie vor großen Zahl von verfassungsändernden Bestimmungen – meistens im Kleid einer Verfassungsbestimmung – schon das letzte Wort des Gesetzgebers gesprochen sein sollte. Die Leichtfüßigkeit bei dieser immer wieder zu Recht kritisierten Anlaßverfassungsgesetzgebung steht in einem auffallenden Mißverhältnis zu dem Beharrungsvermögen, das sonst wichtigen verfassungspolitischen Reformvorhaben und Weichenstellungen entgegengesetzt wird.

Der Schwerpunkt der Regierungszusammenarbeit, die Budgetkonsolidierung des Bundes, war von einer begrüßenswerten Gemeinsamkeit mit den Ländern getragen und kann sich – der Herr Bundeskanzler hat das ebenfalls erwähnt – darüber hinaus auf einen mit den Gemeinden abgestimmten Finanzausgleich bis zum Ende des Jahres 2000 stützen.

Damit dieses Finanzausgleichsgefüge und die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte insgesamt – das betrifft natürlich auch die Länder und Gemeinden – nicht schrittweise wieder in Unordnung gerät, wurde eine Bremse bei der finanziellen Belastung anderer Gebietskörperschaften durch neue Gesetze und Verordnungen vereinbart. Sie ist von dem Gedanken getragen: Wer einseitig anschaffen will, soll dafür auch die Kosten selbst tragen.

Das Koalitionsübereinkommen beläßt es bei diesem grundsätzlichen Ziel sowie bei der Ankündigung einer staatsrechtlichen Vereinbarung und einer nachfolgenden verfassungsrechtlichen Verankerung.

Nachdem man bei den bisher vorgelegten Entwürfen einer lediglich politischen Vereinbarung keineswegs davon ausgehen kann, die Zustimmung aller Länder zu finden, halte ich die nun gewählte Vorgangsweise weiterer Verhandlungen mit den Ländern und Gemeinden auf parlamentarischer Ebene für richtig. Dabei wird natürlich auch die Frage zu klären sein, ob der Bundesrat durch eine Ausweitung seines Zustimmungsrechtes – das wäre wohl die unerläßliche Voraussetzung – in diesem geplanten Konsultationsverfahren für die Länder eine wichtige Funktion wahrnehmen kann – und ob er das letztlich auch will.


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Ein weiterer und von seinem Inhalt her sehr beachtlicher Schwerpunkt des Koalitionsübereinkommens ist die Beschäftigungs- und Standortsicherung, bei der es mit der Absicht der Entbürokratisierung einen wichtigen Berührungspunkt mit den Ländern gibt. Bei der Abgabe der Regierungserklärung im Nationalrat hat der Herr Bundeskanzler, über das Manuskript hinaus extemporierend, "die Länder und Gemeinden dringend eingeladen, es dem Bund gleichzutun und die Verwaltung zu reformieren und Verwaltungsverfahren zu beschleunigen." – Ende des Zitats.

Es sei nun dahingestellt, ob die Ministerialverwaltungen für die Länder und Gemeinden tatsächlich ein taugliches Vorbild werden. Der Bundesgesetzgeber ist es jedenfalls nicht. Denn die Verwaltungsverfahren dauern ja nicht so lange, weil die Landes- und Gemeindebeamten so langsam arbeiten, sondern weil ihnen mit den zu vollziehenden Gesetzen keine tauglichen Werkzeuge zur Verfügung stehen. So warten sie noch immer auf eine tiefgreifende Modernisierung der Verwaltungsverfahrensgesetze. Sie leiden darunter, daß die am meisten anzuwendenden Bundesgesetze, wie die Gewerbeordnung, das Wasserrechtsgesetz, das Forstgesetz und das Abfallwirtschaftsgesetz, nicht nur voll von Doppelgleisigkeiten, sondern auch von ganz unterschiedlichen Anordnungen für die Verwaltungsverfahren sind – ganz zu schweigen von den erheblichen Verzögerungen, die eine Aktenvorlage an ein Bundesministerium nach sich ziehen kann.

Eine wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Themas an der Wirtschaftsuniversität hat kürzlich deutlich gezeigt, wo darüber hinaus wesentliche Hindernisse für die Beschleunigung der Verfahren liegen. In rund 30 Prozent der Verfahren werden mangelhafte Anträge gestellt, in 35 Prozent kommt es zu Einwendungen durch den bei den mündlichen Verhandlungen häufig gar nicht anwesenden Arbeitsinspektor, und in 44 Prozent kommt es zu Einwendungen durch die Nachbarn. Schließlich gibt es strukturelle Verzögerungen dadurch, daß die in immer größerer Zahl heranzuziehenden Sachverständigen nicht immer ausreichend und mit der gebotenen Schnelligkeit zur Verfügung stehen. Nicht zuletzt kommt die in spektakulären Fällen besonders lange Verfahrensdauer – bis zu mehreren Jahren – deshalb zustande, weil nach dem Gang durch alle Instanzen die Letztentscheidung vom Verwaltungsgerichtshof wegen der nicht mehr vertretbaren Überlastung zwangsläufig auf die lange Bank geschoben werden muß.

Daher kommt der Absicht des Koalitionsübereinkommens, in Verhandlungen mit den Ländern eine Einigung über die Einrichtung und Finanzierung von Landesverwaltungsgerichten zu finden, ganz große Bedeutung zu. – Ich füge dem die Notwendigkeit an: den individuellen Spielraum der Länder bei einer bürgernahen, kostengünstigen und beschleunigenden Festlegung von Behördenzuständigkeiten zu vergrößern. Das jetzt vorgegebene Korsett ist ja außerordentlich eng.

Einen dritten Schwerpunkt setzt die Bundesregierung mit unserer Teilnahme an der Weiterentwicklung der Europäischen Union. Wir konnten in der letzten Sitzung des Bundesrates dieses Thema anhand der Leitlinien für die Regierungskonferenz ausführlich diskutieren.

Es ist begrüßenswert, daß das Koalitionsübereinkommen über Vorschlag des Außenministers klarere Strukturen zur Vermeidung von Doppelgleisigkeiten festlegt und die Koordinierung der EU-Politik als Gemeinschaftsaufgabe stark in die Hand der gesamten Bundesregierung gelegt wird.

Erstaunlich und durchaus kritisch anzumerken ist allerdings, daß die Länder und Gemeinden mit ihren Anliegen in diesem ganzen Abschnitt keinerlei Erwähnung finden. Das verwundert umso mehr, als neben den Ländern beispielsweise auch der Städtebund zu Jahresbeginn unter Hinweis auf die Regierungsbildung nochmals dringend um die Berücksichtigung der bekannten Anliegen ersucht hatte.

Dieses Ausblenden der Länder und Gemeinden fällt nicht zuletzt deshalb ins Gewicht, weil es schon bei den Leitlinien für die Regierungskonferenz festzustellen war.

Ich möchte aber auch anerkennen, daß sich in unserer letzten Sitzung die Frau Staatssekretärin im Außenministerium klar dazu bekannt hatte, die Anliegen der Länder und Gemeinden auch zu jenen der Bundesregierung zu machen. Es wäre aber nicht schlecht gewesen, im Koalitions


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übereinkommen und bei der Regierungserklärung auch bei diesem Punkt erkennen zu können, daß wir ein Bundesstaat mit starken Ländern und Gemeinden bleiben wollen – in der Europäischen Union erst recht.

Die Argumente bezüglich Unzulänglichkeiten der derzeitigen Zuständigkeitsverteilung sollten nicht zu dem Trugschluß führen, daß es bei zentralen Regelungen keine Unzulänglichkeiten gäbe. Das sind letztlich eigentlich alles auch Argumente für eine starke Zentralisierung bei der Europäischen Union.

Am Beispiel des Tierschutzes wird zu Recht gesagt, daß ein bestimmtes Tier in Eisenstadt kein anderes Schmerzempfinden habe als in Innsbruck. Aber hat es ein anderes als in Dänemark oder in Brüssel? – Auch nicht.

Das heißt, diese Argumente, die gegen die Länderzuständigkeiten ins Treffen geführt werden, sind ambilavent, weil sie natürlich letztlich darin münden, daß man diese Sachverhalte europaweit einheitlich regelt.

Das ist ein Gesichtspunkt, den man in der Länderkammer durchaus aufzeigen sollte. Zentralisierung heißt dann eben nicht Zentralisierung beim Bund, sondern Zentralisierung in Brüssel und unterstreicht die Notwendigkeit, bei den dort zu treffenden Maßnahmen frühzeitig und angemessen mitreden zu können.

Diese Einbindung der Länder und Gemeinden hatte vor der Volksabstimmung über den Beitritt zur Europäischen Union noch wesentlich verlockender geklungen, als man das heute registrieren kann.

Damit komme ich zu einem nach wie vor unerledigten Versprechen – es reicht bereits in die Zeit vor der Beteiligung am Europäischen Wirtschaftsraum zurück –, nämlich eine die Länder und Gemeinden durch mehr Dezentralisierung und Eigenständigkeit stärkende Bundesstaatsreform. Das ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil der Herr Bundeskanzler im Nationalrat darüber kein einziges Wort verloren, im Bundesrat das etwas vage umschrieben und damit den Abgeordneten deutlich signalisiert hatte, welchen Stellenwert dieses Vorhaben hat.

In gewisser Weise ist dieses Schweigen auch erklärlich, da das Koalitionsübereinkommen dieses Thema zwar in einem eigenen Unterkapitel "Föderalismus" wieder aufkocht, die Suppe für die Länder und Gemeinden dabei aber zunehmend dünner wird.

Am Beginn stand die Vereinbarung von Perchtoldsdorf mit einer Reihe vermeintlich klarer Zusagen. Dem folgte nach langen Verhandlungen der Regierungsparteien die bereits zu einem Kompromiß mutierte Regierungsvorlage. Diese Mischung wurde von den Ländern als gerade noch genießbar akzeptiert. Das weitere Schicksal ist bekannt: Man wollte in Teilen des Nationalrates solange nicht, bis man nicht mehr konnte. Einen neuerlichen Kompromiß zu ihren Lasten und mit erheblichen Nachteilen für die Länder wurde dann als zu weit entfernt von den seinerzeitigen Zusagen angesehen und nicht mehr mitgetragen.

Die finanzielle Frage hat dabei nur am Rande eine Rolle gespielt, weil sich die Differenzen ausschließlich auf die neu dazugekommenen Landesverwaltungsgerichte bezogen hatten.

Rasch nach der Nationalratswahl, mit der Wiedererlangung der Zweidrittelmehrheit für die damals in Aussicht stehenden Regierungsparteien, wurde die seinerzeitige Vorlage völlig unverändert bereits im Jänner von der Bundesregierung in einem dritten Anlauf dem Nationalrat neuerlich zugeleitet, also gewissermaßen wieder mit dem Attribut der Beschlußfähigkeit versehen.

In diesem Vorgang hat der Herr Staatssekretär Schlögl in der letzten Sitzung des Bundesrates bei der Beantwortung der dringlichen Anfrage der Freiheitlichen den Beweis dafür gesehen, daß die Bundesregierung nach wie vor zur Umsetzung der Vereinbarung von Perchtoldsdorf bereit sei und zu ihrer eigenen Regierungsvorlage stehe.


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Das Koalitionsübereinkommen läßt diese Klarheit allerdings wieder vermissen. Nach dem selbstverständlich herzustellenden Einvernehmen über die finanziellen Auswirkungen – das ja bis auf die schon erwähnten nachträglich in dieser Detailausführung dazugekommenen Landesverwaltungsgerichte ja schon einmal gegeben war – ist keineswegs, wie man eigentlich aufgrund der Wiedereinbringung der Regierungsvorlage erwarten würde, von einem Bekenntnis zur raschen Beschlußfassung dieser Vorlage die Rede. Lediglich aufbauend auf ihr soll dem Nationalrat ein offenbar noch zu verhandelndes Reformwerk neu vorgelegt werden. Offenkundig ist das, was wir neulich als Regierungsvorlage bekommen haben, in den Augen der Bundesregierung selbst nicht mehr für eine Beschlußfassung geeignet. Ein anderer Sinn kann dieser Formulierung im Arbeitsübereinkommen nicht entnommen werden.

Das steht in einem klaren Widerspruch zu den bei den Ländern aufgrund mehrfacher Zusagen geweckten Erwartungen. Ich verweise nur auf die mehrfachen Äußerungen der Landeshauptmänner, aber auch in besonderer Weise der Landtagspräsidenten.

Natürlich – das will ich ausdrücklich anmerken – muß das nicht von vornherein heißen, daß ein spätes Ergebnis allein schon deshalb schlecht sein werde. Aber Treu und Glauben sowie die interne Durchsetzungsfähigkeit des Bundeskanzlers der größeren Regierungspartei werden damit auf eine härtere Bewährungsprobe bei den Ländern gestellt, als eigentlich notwendig und wünschenswert wäre. Eine gute Zusammenarbeit mit den Ländern und Gemeinden ist nämlich kein Regenschirm, den man nach gewährtem Schutz, also nach Volksabstimmung und Sanierung des Bundesbudgets, wieder so einfach in die Ecke stellen kann.

Es ist auch nicht nachvollziehbar, wie wir in Österreich jemals zu einer schlankeren Verwaltung, zu mehr Bürger- und Problemnähe sowie zu der auch von uns selbst bei der EU urgierten Wahrung der Vielfalt und Eigenständigkeit kleiner Gemeinschaften kommen wollen, wenn wir um die seit Jahren als notwendig erkannten Reformen in diesem Bereich immer wieder einen Bogen machen.

Zu den restlichen Punkten des Unterabschnitts "Föderalismus" ist nicht viel zu sagen. Die Schaffung von Landesverwaltungsgerichten ist selbstverständlich zu begrüßen und zu unterstützen, ebenso die mit Föderalismus eigentlich nur am Rande zu tun habende Rechtsbereinigung und Rechtsvereinfachung, sofern man darunter nicht Rechtsvereinheitlichung unter Ausschaltung der Landtage meinen wollte.

Daß die notwendige Zustimmung betroffener Länder bei der Auflassung von Bezirksgerichten Lösungen nicht grundsätzlich verhindert, zeigt die erfolgreiche Vorgangsweise des Justizministeriums in Niederösterreich. Andererseits gehört dieses Problem sicher zu jenen Fällen, in denen bei Ausbleiben einer durchaus vernünftigerweise zu gebenden Zustimmung eine wirtschaftliche Vollziehung im Justizministerium arg behindert werden kann.

Es wäre aber sachgerecht, dieses durchaus unterstützungswürdige Vorhaben nicht nur einseitig zu sehen. Der Bund seinerseits hat nämlich ebenfalls zahlreiche Zustimmungsrechte gegenüber den Ländern, gerade – sehr themenverwandt – bei der Änderung von Bezirks- oder Gemeindegrenzen. Der Bund will künftig Bezirksgerichte zusammenlegen können, ohne daß die Länder zustimmen müssen. Den Ländern wäre es aber – um nur ein sicherlich jetzt nicht alltäglich vorkommendes Beispiel zu nennen – verwehrt, zwei kleine Bezirkshauptmannschaften zusammenzulegen, wenn der Bund nicht zustimmt. Daher wäre es notwendig, über eine punktuelle und einseitige Änderung hinaus zu einer umfassenden beiderseitigen Bereinigung solcher Hemmnisse zu kommen, sonst wäre das erwähnte Vorhaben unter der Überschrift "Föderalismus" eigentlich fehl am Platz.

Im Nationalrat war in der letzten Woche bei der Debatte über einen Fristsetzungsantrag zur Bezügereform davon die Rede, daß die im Koalitionsübereinkommen vorgesehene Einkommenspyramide für alle Politiker und im öffentlichen Bereich sonst Tätigen im Nationalrat gemeinsam erarbeitet werde. Davon sollen auch die Länder und alle größeren Gemeinden betroffen sein. Ohne daß das – im Gegensatz zu anderen Punkten – im Regierungsübereinkommen angekündigt wäre, gehe ich davon aus, daß das selbstverständlich im Einvernehmen


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mit den Ländern und Gemeinden und unter größtmöglicher Berücksichtigung der Gesetzgebungsautonomie der Landtage erfolgen wird. Zur Gänze wird sie nicht zu wahren sein, aber man sollte sie auch nicht mehr in Anspruch nehmen, als das zur Lösung der Sachlage unbedingt notwendig ist.

Im Gegensatz zum Arbeitsübereinkommen 1994 zählt das neue Koalitionsübereinkommen darüber hinaus kaum Vorhaben auf, die – von vornherein erkennbar – in Länderzuständigkeiten oder in autonome Bereiche der Gemeinden eingreifen würden. Das muß aber erfahrungsgemäß nicht unbedingt ein Gelöbnis der völligen Enthaltsamkeit bedeuten. Im Wiederbesitz der Zweidrittelmehrheit kann die Versuchung übermächtig werden, die Länder und Gemeinden – und damit auch den Bundesrat – vor vollendete Tatsachen zu stellen.

In dieser Hinsicht ist das Koalitionsübereinkommen nach allen Seiten und für all das völlig offen, was in einem heute noch gar nicht abschätzbaren Ausmaß das Einvernehmen der beiden Regierungsparteien finden wird.

Gemäß Punkt 2 der Präambel des Koalitionsübereinkommens werden wichtige Entscheidungen von Bundesregierung und Parlament – dieses ausdrücklich definiert als Nationalrat und Bundesrat – gemeinsam erarbeitet und gemeinsam vertreten.

Da gemeinsames Vertreten gemeinsames Erarbeiten auch mit den Vertretern des Bundesrates voraussetzt, können diese, wenn man diese Formulierung tatsächlich mit Leben erfüllt, bereits vorbeugend auf die Wahrung der Länderinteressen drängen und bei mangelndem Einvernehmen mit den Ländern einseitige Maßnahmen wohl auch verhindern dürfen. Angesichts dessen kann das im Koalitionsübereinkommen festgeschriebene gemeinsame Wirken der Regierungsparteien in der Bundesgesetzgebung für die Bundesräte als Vertreter ihrer Landtage, jedenfalls aus der Sicht meines Landes, nicht anders verstanden werden, als daß sie in Ausübung ihres freien Mandats selbstverständlich von ihren verfassungsmäßigen Rechten dann Gebrauch machen können, wenn vorher kein Einvernehmen hergestellt wurde und wenn es von den Ländern selbst zur Wahrung ihrer Interessen als notwendig angesehen wird.

Alles andere würde wohl bedeuten, daß die in der Bundesverfassung vorgesehene Mitwirkung des Bundesrates an der Bundesgesetzgebung in einen vorherbestimmten und bloß parlamentsnotariellen Nachvollzug umgewandelt würde. Diese notwendige Selbstbehauptung des Bundesrates und die Nutzung des freien Mandats für die Länder ist jedenfalls aus der Sicht des von mir gemeinsam mit den beiden anderen Bundesräten vertretenen Landes eine ganz wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Fortsetzung des mit der Bildung der Bundesregierung begonnenen gemeinsamen Weges. (Beifall bei der ÖVP.)

16.32

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Karl Drochter. – Bitte.

16.32

Bundesrat Karl Drochter (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Meine Damen und Herren der Bundesregierung! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Ich möchte ganz kurz auf meine Vorredner, Dr. Kapral und Dr. Prasch und auch auf Kollegen Dr. Schambeck, eingehen. Ich möchte es ganz kurz machen.

Das Resümee meines Zuhörens ist jenes, daß die freiheitliche Partei und die Volkspartei mit dem Ergebnis vom 17. Dezember überhaupt nicht zufrieden gewesen sind, daß sie sich noch nicht im klaren sind: Waren es ihre Programme, oder soll man die eine oder andere Person dafür verantwortlich machen. (Zwischenruf des Bundesrates Ing. Penz. ) Herr Kollege Penz! Wenn Sie mich fragen, so sage ich Ihnen ehrlich, prüfen Sie beides! Die SPÖ war mit dem Ergebnis am 17. Dezember zufrieden. (Bundesrat Dr. Tremmel: Da seid ihr aber bescheiden geworden!) Wir haben von der Bevölkerung überwiegend bestätigt bekommen, daß das Programm, aber auch die Personen Anerkennung bei der Bevölkerung und beim Wähler gefunden haben, und wir sind auch beauftragt worden, wieder die Verantwortung an der Spitze zu übernehmen. (Bundesrat Mag. Langer: Das zweitschlechteste Wahlergebnis!)


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Schade, daß Kollege Dr. Prasch nicht da ist. Ich möchte ihm nur sagen, daß es schon sehr viele jüngere Bundesräte der freiheitlichen Partei in diesem Haus gegeben hat, die versucht haben, am Rednerpult zu explodieren. Ich darf ihn aber daran erinnern, daß erst einer der ersten und dynamischsten, die hier im Haus die freiheitliche Partei im Bundesrat vertreten haben, vor wenigen Tagen vom F-Führer fallengelassen wurde. Er sollte sich das zu Herzen nehmen. Aus aktuellem Anlaß darf ich, weil er so wie alle Freiheitlichen mit der Tätigkeit der Arbeiterkammern sehr unzufrieden ist, das Ergebnis der Mitgliederbefragung der Arbeiterkammer Burgenland in Erinnerung rufen: Weit über 75 Prozent der stimmberechtigten Kolleginnen und Kollegen haben an der Mitgliederbefragung teilgenommen, und über 93 Prozent haben der gesetzlichen Interessenvertretung der Arbeitnehmer zugestimmt. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Mag. Langer: Das waren Zwangsrekrutierungen!)

Kollege Langer! Daß das Ihren Wünschen und Ihren Vorstellungen komplett konträr ist, ist mir völlig klar, aber wie bei allen anderen Auseinandersetzungen, ob das Betriebsratswahlen, Personalvertretungswahlen oder die Wahlen zu den Arbeiterkammern sind, zeigt sich, daß Ihre mieselsüchtigen Bemerkungen keinen Anklang finden.

Ich möchte mich daher jetzt mit den Budgetkonsolidierungsmaßnahmen und mit dem Regierungsprogramm schwerpunktmäßig auseinandersetzen. Ich kann für meine Fraktion feststellen, daß wir mit dem Ergebnis zufrieden sind und davon ausgehen können, daß wir in Österreich die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, die wirtschaftlich schwierigen Zeiten in Europa und – bei einer weltweiten wirtschaftlichen Auseinandersetzung – gemeinsam mit unserem Koalitionspartner zu bewältigen.

Ich glaube auch, daß die neue, verkleinerte Bundesregierung, bedingt durch den Sparwillen der Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher, ein Programm vorgelegt hat, das weitgehend sozial ausgewogen ist und alle Bevölkerungsgruppen, je nach ihren finanziellen Leistungsmöglichkeiten, betroffen machen wird. (Bundesrat Mag. Langer: Sehr richtig! Betroffen machen wird!)

Es gilt aber auch, noch einige Hürden zu nehmen. Um diese Hürden nehmen zu können, gehen wir davon aus, daß die Stellungnahmen der freiwilligen und der gesetzlichen Interessenvertretungen, die ja an die Regierung ergangen und auch den Abgeordneten und uns bekannt sind, ihre positiven Auswirkungen in der endgültigen Beschlußfassung finden werden. (Bundesrat Mag. Langer: Sie glauben wohl noch an den Weihnachtsmann!)

Ja! Das ist ja nichts Schlechtes. Ich möchte nicht tauschen mit Ihnen. Bezüglich dessen, was Sie glauben, Herr Langer, möchte ich nicht im geringsten einen Tausch eingehen! Da glaube ich lieber an den Weihnachtsmann. Sie glauben auch an eine Partei, die an eine ordentliche Beschäftigungspolitik in der Dritten Republik denkt. (Beifall bei der SPÖ.)

Hier gibt es ganz klare Abgrenzungen. Ich könnte Ihnen die Sprüche unendlich lang aufzählen. Es ist ja nicht von ungefähr, daß Sie so zornig und unruhig sind. Ich weiß, daß das Jahr 1998 für die F vorbei ist und daß Sie, wenn Sie so weitermachen, im Jahre 1999, im Jahre 2000 oder danach noch weniger Chancen haben werden. Sie dürfen nicht davon ausgehen, daß die lautesten Schreier von den Österreicherinnen und Österreichern auch mehrheitlich akzeptiert werden.

Ich möchte aber auf das Regierungsprogramm zurückkommen. Ich glaube schon, daß die getroffenen Maßnahmen dazu beitragen werden, daß wir in Österreich mittelfristig und längerfristig eine höchstmögliche Beschäftigung sichern werden. Auch die Ergebnisse des Arbeitsmarktservice für Februar zeigen, daß Österreich mit einer Arbeitslosenrate von 3,8 Prozent, das sind etwa 294 000 Arbeitslose, an unterster Stelle in Europa liegt. Arbeitslosenzahlen sind immerhin auch ein Indikator für Wirtschaftspolitik.

Ich glaube, daß das Regierungsprogramm – ich habe es schon erwähnt – die stabilen Rahmenbedingungen schaffen wird, um die unverzichtbaren Beschäftigungsimpulse, die wir schon gemeinsam als Interessenvertreter mit der Bundesregierung am 29. Februar besprochen und auch beraten haben, umsetzen zu können.


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Um diesen Herausforderungen aber gerecht werden zu können, sind vor allem spezifische Maßnahmen, aber auch strukturelle Veränderungen unbedingt notwendig. Ich möchte mich hier auf ganz wenige Schwerpunkte konzentrieren.

Für uns ist es wichtig, daß es vor allem im Bereich der Infrastruktur, im Bereich der Bahn, der Umwelt, der Energie und der Telekommunikation zu wesentlichen und namhaften Investitionen kommt, weil diese Maßnahmen auch die Lebensqualität unserer Menschen in Österreich verbessern, aber auch den Wirtschaftsstandort Österreich attraktiver machen. Wir alle wissen, daß diese Investitionen in die Infrastruktur starke Auswirkungen auf die Bauwirtschaft haben und die Aktivitäten der Bauwirtschaft wieder starke Auswirkungen auf Beschäftigung in vielen anderen Wirtschaftsbereichen haben und auch für wesentliche Nachfrageimpulse – auch in Klein- und Mittelbetrieben – sorgen.

Wir sind auch dafür, daß vor allem auf europäischer Ebene der Bahnausbau und der Ausbau des Schienennetzes sehr zügig weiter vorangetrieben wird. Ich gehe davon aus, daß der Herr Bundeskanzler dies auch bei der kommenden Regierungskonferenz am 29. März in Turin ansprechen wird.

Ich meine auch, daß wir dafür Sorge tragen sollten, daß Österreich – so wie bisher – ein attraktiver Industriestandort bleibt. Die Produktivität der österreichischen Wirtschaft, im besonderen der Industrie, ist vom Jahre 1990 bis zum Jahre 1995 um 11,2 Prozentpunkte gestiegen. Leider war damit ein starker Rückgang der Zahl der beschäftigten Kolleginnen und Kollegen im Industriebereich verbunden, nämlich von 531 000 auf 450 000. Aber uns allen ist bewußt, daß die Industrie immer wieder wesentliche und unverzichtbare Impulse auch für Klein- und Mittelbetriebe aussendet, und daß auch das Gewerbe und der Dienstleistungsbereich davon profitieren. Klar gesagt: Die Industrie ist eine unverzichtbare Wirtschafts- und Konjunkturlokomotive.

Wir glauben auch, daß in der Exportförderung noch nicht alles getan ist. Auch hier sollte man die volle Ausschöpfung des vorhandenen Exportpotentials in Österreich forcieren, weil hier noch einige Beschäftigungsreserven vorhanden sind. Besonders sollten jene Bereiche in Industrie und Gewerbe gefördert werden, die zu exportieren bereit sind.

Ein besonderes Anliegen ist es uns, sich mit der Ausbildung auseinanderzusetzen. Der Herr Bundeskanzler hat es in seiner Regierungserklärung schon erwähnt, ein besonderer Schwerpunkt wird sein, die Ausbildungschancen der Jugend im dualen Ausbildungssystem zu forcieren. Er hat hier wesentliche Punkte angeführt, wie bessere Fremdsprachenausbildung. Ich darf hier hinzufügen beziehungsweise ergänzen: sich stärker mit Flächenberufen auseinanderzusetzen, eine verbindlichere und stärkere Förderung von überbetrieblichen Lehrwerkstätten durchzuführen und dafür Sorge zu tragen, daß sich Ausbildner und Berufsschullehrer ständig mit den neuen Gegebenheiten in der Branche und in der Wirtschaft auseinanderzusetzen haben. Ich darf wiederholen: Nach wie vor ist es für uns unverzichtbar und ist festzuhalten, daß es zu einem Lastenausgleich zwischen jenen Betrieben, die ausbilden, und jene Betrieben, die sich eigentlich vor der Ausbildung und vor der Weiterqualifizierung von jungen Arbeitnehmern bisher gedrückt haben und auch in Zukunft drücken wollen, kommt.

Ich möchte auch das unterstützen, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat, nämlich daß es einen leichteren Zugang für Absolventen des dualen Ausbildungssystems zur Fachhochschule geben soll. Ich würde sogar noch weitergehen: Man sollte auch für jene, die die Absicht haben, eine qualitative Universitätsausbildung anzustreben, wesentliche und neue Vorbereitungsmaßnahmen anbieten. Es darf uns nämlich nicht passieren, daß das duale Ausbildungssystem in eine Bildungssackgasse gleitet und dort endet. Das würde nämlich dazu führen, daß die jungen Burschen und Mädchen immer weniger das duale Ausbildungssystem in Anspruch nehmen und wir dann gemeinsam einen Facharbeitermangel (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kaufmann ) – auch Sie von der Wirtschaft – zu beklagen haben. Ich würde auch nicht die Leistungen der Erwachsenenbildung in Österreich unterschätzen. In den meisten Regionen bietet sie das einzige realistische Angebot, um sich umzuschulen und weiterbilden zu lassen. Die Er


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wachsenenbildung ist auf der beruflichen Ebene unverzichtbar, und sie müßte eigentlich höher dotiert und besser gefördert werden.

Ich möchte auch noch einige Anmerkungen zum österreichischen Fremdenverkehr machen, weil er mir wirklich Sorgen bereitet. Es ist in der Zwischenzeit aufgrund der rückläufigen Zahlen bekannt, daß es im Fremdenverkehr, im Tourismus in Österreich nicht zum besten steht. Ich gehe davon aus, daß die Angebote nicht der Nachfrage entsprechen, daß man sowohl für inländische Gäste als auch für ausländische Gäste weit flexiblere und kostengünstigere Angebote machen muß. (Bundesrat Ing. Penz: Das ist nur ein Teil des Problems!)

Herr Kollege Penz! Ich urlaube im Winter und im Sommer in Österreich – einmal in dieser, einmal in jener Region. Ich maße mir auch an, einiges zu erleben und vor Ort bei Gesprächen mit ausländischen Gästen auch einiges erzählt zu bekommen. (Bundesrat Dr. Kaufmann: Ein Experte!)

Kein Experte, habe ich gesagt! Aus eigener Erfahrung! Das Expertentum liegt auf Ihrer Seite, aber das dürfte sich bisher nicht positiv zu Buche geschlagen haben, weil sonst hätten wir in manchen Regionen nicht diese schwierige und trostlose Situation im Fremdenverkehr.

Ich möchte mich jetzt im besonderen auch mit der Situation der in dieser Branche beschäftigten Arbeitnehmer auseinandersetzen. Auch hier ist es notwendig, daß es zu einem umfassenden Umdenken kommt, weil die sozialen Rahmenbedingungen, wie Arbeitszeit, Entlohnung, Abfertigungsbedingungen, Ausbildung und Wohnmöglichkeiten vor Ort noch immer vieles zu wünschen übriglassen und vor allem junge Menschen nach der Ausbildung veranlassen, ihren Beruf zu wechseln.

Ich glaube, es muß die vordringlichste Aufgabe von uns allen sein, die notwendigen Maßnahmen hinsichtlich Angebot, Betriebsausstattung, Ausbildung, soziale Situation der Arbeitnehmer zu ergreifen und zu einem positiven Ergebnis zu kommen, weil sonst werden wir nicht imstande sein, das von unseren Gästen gewünschte hochqualitative Leistungsniveau anbieten zu können und ein Fremdenverkehrsland ersten Ranges zu bleiben.

Ich glaube, für uns Arbeitnehmer ist es wichtig, daß wir den Weg der Bundesregierung in der Europapolitik unterstützen. Wir haben nämlich auch als Arbeitnehmer ein besonderes Interesse daran. Wir sehen in diesem Europa unsere Chancen, vor allem Chancen für die jungen Burschen und Mädchen, egal in welcher Qualifikation sie sich bewähren müssen. Wir sind daher einigermaßen enttäuscht darüber, daß das Vertrauen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Europa laufend schwindet. Und nicht nur in Österreich ist dieses Vertrauen gedämpft. Wir glauben aufgrund von Erfahrungen aus Gesprächen mit Vertretern anderer Länder, daß die Arbeitnehmer den Eindruck haben, daß man zuwenig eingeht auf ihre täglichen Sorgen und Probleme wie der Arbeitslosigkeit, die ja in Europa, lieber Herr Kollege, mit 19 Millionen oder 12 Prozent ein Ausmaß erreicht hat ... (Bundesrat DDr. Königshofer: Das habe ich schon vor zwei Jahren gesagt!)

Lieber Herr Kollege! Wir sind seit einem Jahr Mitglied der Europäischen Union und haben immer noch die niedrigste Arbeitslosenrate in diesem europäischen Konzert. Das beweist, daß wir hier in Österreich imstande sind – die Sozialdemokraten, ihr Regierungspartner und die Wirtschafts- und Sozialpartner –, eine Politik zu machen, die die größtmögliche Beschäftigung für die Arbeitnehmer sichert – nicht, was Sie immer krankjammern! (Beifall bei der SPÖ.)

Wir erwarten uns auch von unserer Regierungsdelegation, daß sie sich stärker als bisher mit den Erfahrungen einbringt, die wir in Österreich als nationale Regierung gemacht haben. Und ich glaube, daß das auch akzeptiert wird. Denn es ist unserem Bundeskanzler (Bundesrat Waldhäusl: Die Arbeitslosen?) und seinen Freunden im Norden Europas zu verdanken, daß die soziale Dimension am 29. März 1996 in Turin überhaupt ein Thema ist. (Bundesrat Waldhäusl: Die Arbeitslosen haben wir dem Bundeskanzler zu verdanken?) Ihre Gruppe im Europaparlament hat sich bisher überhaupt nicht um die Anliegen der Arbeitnehmer gekümmert. Und ich sage Ihnen: Sie erwarten auch gar nichts von Ihnen, weil sie genau wissen, welche


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Perspektive Sie haben und welchen Weg Sie nicht nur in Österreich, sondern auch in Europa gehen wollen.

Aber auch zur Sozialpolitik erlaube ich mir, einige Anmerkungen zu machen. Es hat sich gezeigt, daß das zweite Karenzjahr und die Anrechnung der Kindererziehungszeiten, zum Teil auch das Pflegegeld, aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklungen nicht zur Gänze aus den Beiträgen finanziert werden können. Daher wurde eine sinnvolle, sozial ausgewogene Ausgabendynamik vorgeschlagen. Im Vordergrund stehen nach wie vor die soziale Ausgewogenheit und die besondere Schonung der sozial Schwachen in unserem Land. Das gleiche ist auch für das Pflegegeld zu sagen.

Auch die Maßnahmen bezüglich Arbeitslosenversicherung spiegeln eigentlich die Aussagen der SPÖ im Wahlkampf des vergangenen Jahres wider, im Gegensatz zu Aussagen anderer Parteien. Es wird nach wie vor keine Kürzung des Arbeitslosengeldes geben, keine Änderung der Bezugsdauer. Es gibt wohl neue Regelungen bezüglich Karenzgeld, aber es wurden auch entscheidende Maßnahmen für ältere Arbeitnehmer getroffen, und es gibt einen klareren und härteren Kampf gegen den sozialen Mißbrauch, was die Schwarzarbeit und die illegale Beschäftigung betrifft. Und besonders erfreulich ist, wie ich meine, das Sicherungspaket für ältere Arbeitnehmer, das ich hier in diesem Kreise nicht näher erläutern muß.

Das gleiche gilt für die Pensionsversicherung. Auch hier wurden manche Wünsche und Vorstellungen von politischen Parteien im Wahlkampf aufgrund des guten Ergebnisses für die Sozialdemokraten nicht umgesetzt. So konnte das gesetzliche Pensionsalter bei langer Versicherungsdauer von 55 Jahren für Frauen und 60 Jahren für Männer unverändert bleiben. Es sind natürlich auch Maßnahmen geplant und werden schon umgesetzt, um das tatsächliche Pensionsantrittsalter zu erhöhen. Eine diesbezügliche Forderung und Willenserklärung unsererseits hat es ja schon vor den Wahlen gegeben.

Besonders wichtig erscheint mir auch, daß endlich einmal der Rehabilitation und der Gesundheitsvorsorge ein wichtiger Stellenwert beigemessen wird. Und erst wenn diese Maßnahmen nicht mehr fruchten, wird man die Kollegin beziehungsweise den Kollegen in Pension schicken. Aber auch hier kommt es zu keinen Eingriffen in bestehende Pensionen und keiner abrupten Änderung der Pensionssysteme. Die persönliche Lebensplanung für Arbeitnehmer wird weiterhin mittelfristig und längerfristig möglich sein.

Natürlich mußten auch wir verlangen, daß der Eigenfinanzierungsgrad der Pensionen bei den Bauern und bei den Selbständigen laufend einnahmenseitig angepaßt wird, um den Eigenfinanzierungsanteil bei den Pensionen zu erhöhen. Ich verlange gar nicht, daß jene Prozentsätze erreicht werden sollen, die von Arbeitnehmern und Angestellten geleistet werden. (Zwischenruf des Bundesrates Ing. Penz .)

Ich möchte das auch nur am Rande erwähnt haben. Es war nicht ganz einfach, diese Erkenntnis auch in Ihren Reihen Platz greifen zu lassen, wenn man weiß, wie es zu diesem Ergebnis gekommen ist. Aber wir Sozialdemokraten können und werden das Programm der jetzigen Regierung mit all unserer Kraft unterstützen – auch als Gewerkschafter oder als in den gesetzlichen Interessenvertretungen Tätige.

Wir bekennen uns zu den Schwerpunkten des Arbeitsprogrammes – wie Beschäftigungsoffensive, Sicherung und Ausbau des Wirtschaftsstandortes Österreich, Konsolidierung des Staatshaushaltes, verstärkte Mitwirkung in Europa – und zu den grundsätzlichen Überlegungen zur inneren und zur äußeren Sicherheit, wobei wir unter "innerer Sicherheit" auch Maßnahmen der Ökologie und den Bereich Soziales verstehen.

Wir glauben, daß dieses Regierungsprogramm nach bestem Wissen und Gewissen erstellt wurde und in sehr enger Zusammenarbeit mit den politisch Verantwortlichen in diesem Land – mit dem Parlament, den Sozialpartnern und anderen Interessengruppen – in den nächsten vier Jahren umgesetzt werden wird. – Daher unser vollstes Vertrauen und unsere tatkräftige Unterstützung für jene Damen und Herren in der Regierung unter der Führung von Bundeskanzler


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Vranitzky, die dieses Programm erstellt und diese Budgetkonsolidierungsmaßnahmen eingeleitet haben. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

16.59

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundeskanzler Dr. Franz Vranitzky. Ich erteile dieses.

16.59

Bundeskanzler Dkfm. Dr. Franz Vranitzky: Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Ich bedanke mich, denn die abgegebenen Diskussionsbeiträge geben mir Gelegenheit, eine passende Gelegenheit, um einiges, was vielleicht offen und fraglich geblieben ist, aufzuklären oder richtigzustellen.

Ich beginne bei dem Punkt, daß gesagt wurde, in den österreichischen Schulen werde der Fremdsprachenunterricht eingeengt. Dem ist nicht so. Die Frau Unterrichtsministerin hat einen wohlüberlegten Plan vorgelegt, wie in den AHS-Unterstufen und in den österreichischen Hauptschulen durch eine Entlastung des Lehrstoffes, was von Eltern und Schülern schon seit Jahren verlangt und gefordert wird, und im Zusammenhang mit der Schulautonomie die Direktoren mehr Möglichkeiten haben sollen, den Unterricht flexibler, interessanter, abwechslungsreicher – auch im Interesse der Schüler – zu gestalten. Da haben sie mehrere Möglichkeiten. Sie können etwa bei einer Fremdsprache etwas zurückstecken und eine zweite Fremdsprache einführen, sie müssen das aber nicht tun. Insgesamt bleibt das Angebot qualitativ hochstehend.

Es gehört auch dazu, daß beispielsweise durch die Internationalisierung des Schulbetriebes Schülern nun die Teilnahme an EU-Programmen ermöglicht wird, und zwar in der Muttersprache und in einer Fremdsprache, und nicht nur in den Hauptschulen und AHS, sondern auch in den Berufsschulen. Wir haben großen Wert darauf gelegt, daß auch den Lehrlingen solche Unterrichtsmöglichkeiten zugänglich sind.

Es wird in Zukunft die Möglichkeit geben, daß eine Fremdsprache Unterrichtssprache sein kann, und zwar nicht nur in ausländischen Schulen wie dem Lycée Français etwa, sondern in österreichischen Bundesschulen. Also Geschichte in Englisch ist zum Beispiel ein diesbezüglicher Vorschlag. Wir haben außerdem vorgesehen, daß in stärkerem Maße als bisher Schulpartnerschaften mit Schulen in anderen Ländern eingegangen werden können. Das betrifft in erster Linie Ausbildungsprogramme für Lehrer. So ist beispielsweise an einer einschlägigen Schule in New York für den kommenden Herbst ein solches Programm vorgesehen.

Zum zweiten: Meine Damen und Herren! Es wurde gefragt, ob denn und wo denn eigentlich Strukturprogramme im Koalitionsabkommen und in der Regierungserklärung vorgesehen sind. Zu dem, was einige Damen und Herren schon vom Rednerpult aus gesagt haben, möchte ich hinzufügen, daß beispielsweise bei den Zuwendungen aus den Fonds der Europäischen Union, aber auch den Möglichkeiten des Bundesbudgets für Zuwendungen an die österreichische Landwirtschaft sehr maßgebliche strukturelle Änderungen vorgenommen werden. Je nach Größe der bäuerlichen Betriebe werden Sockelbeträge festgelegt, das heißt also Mindestausstattung für die kleinen Betriebe und Obergrenzen für die großen Betriebe, sodaß die Forderung nach einem sozialen Ausgleich, einer sozialen Staffelung der Zuwendung für Landwirte, die immer wieder erhoben worden ist, in der kommenden Legislaturperiode verwirklicht werden wird. Sie wissen wahrscheinlich, daß das mit der Europäischen Union auszuhandeln sein wird, was der Landwirtschaftsminister übernehmen wird.

Ich möchte Sie auf einen dritten Aspekt aufmerksam machen, der vor allem an die Ausführungen des Herrn Bundesrates Drochter anschließt, nämlich den Schwerpunkt Beschäftigungsprogramme. Von einigen Rednern wurde ja gesagt, es sei im Detail nicht auf Beschäftigungsprogramme eingegangen worden. Das stimmt. Im Rahmen der Regierungserklärung kann nicht ein 50 Seiten umfassendes Koalitionsabkommen vorgebetet werden. Ich bitte auch um Verständnis dafür, daß die Bundesregierung insgesamt und der Bundeskanzler als einzelner den Bundesräten nicht die Lesearbeit abnehmen werden. Das wird auch in Zukunft jeder für sich tun müssen. (Beifall bei der SPÖ.)


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Wir haben eine Reihe von Beschäftigungsprogrammen – und da möchte ich auch auf Ihre Ausführungen, Herr Dr. Kapral, zu sprechen kommen – mit einem sehr wichtigen und interessanten Neuerungsaspekt entwickelt. Sie haben zum Beispiel gesagt, das Road-pricing würden Sie nicht für besonders glücklich halten. Wir halten es für ausgesprochen notwendig. (Bundesrat Dr. Kapral: Ich habe gesagt: Das wird teuer!) Natürlich wird es teurer, es ist nur die Frage, für wen. (Bundesrat Dr. Kapral: Für die Autofahrer!) Ich habe von der Regierungsbank aus nicht die Möglichkeit des Zwischenrufes, daher konnte ich Sie nicht unterbrechen. Ich wollte das auch gar nicht, sonst hätte ich hier nicht Ihre Ausführungen widerlegen können.

Zurzeit gibt es eine Quersubvention im Straßenverkehr vom PKW zum LKW. Der PKW finanziert und subventioniert den LKW. Das ist ein nicht haltbarer Zustand und führt außerdem dazu, daß die Güterbeförderung auf der Straße im Vergleich zur Beförderung durch die Bahn relativ kostengünstig ist. Das ist auch die Ursache, warum relativ wenig Güter auf der Bahn befördert werden. Wenn wir das durch ein Schritt für Schritt einzuführendes Road-pricing ausgleichen können, dann wird es auch für private Investoren interessant sein, in auszubauende Bahnstrecken und Bahnführungen zu investieren, weil sie eine Rendite erwarten können. Heute ist das unmöglich. Wer soll eine Aktie der ÖBB kaufen, wohl wissend, daß er keine Dividende bekommt, weil sie keine Erträge erzielt? – Daher muß das Konkurrenzverhältnis zwischen Straße und Schiene eben in dieser Art korrigiert werden.

Ein vierter Punkt, weil ein Herr die Mautfrage erwähnt hat. Wirtschaftsminister Ditz hat ein Konzept ausgearbeitet, bei dem es sowohl um eine vernünftige und gerechte Regelung der Doppelmauten gehen wird wie auch – und das ist absolut neu, eine Innovation – eine Touristenmautkarte, eine Zweimonatskarte, die eingeführt werden soll, wobei davon ausgegangen wird, daß sich ein ausländischer Tourist eben nicht zwölf Monate in unserem Land aufhält, sondern nur für eine bestimmte Zeit. Und ich glaube, richtig in Erinnerung zu haben, daß beispielsweise die Übergänge nach Kärnten dadurch ziemlich begünstigt sein werden, sodaß unabhängig davon, ob man jetzt glaubt, daß die Maut überhaupt ein bestimmender Faktor für eine Urlaubsentscheidung ist, diesbezüglich eine Verbesserung eintreten wird, und zwar auch deshalb, meine Damen und Herren, weil die umliegenden Mautländer keine solche Regelung vorsehen.

Ich habe nicht recht verstanden, Herr Dr. Kapral, wieso Sie dem burgenländischen Landeshauptmann vorwerfen, daß er in der Schweiz ein Darlehen aufnimmt. Sie haben das als "schildbürgerlich" bezeichnet. – Ich weiß nicht, ob Sie noch in der Industriellenvereinigung arbeiten, früher haben Sie dort gearbeitet: Wenn alle Leute, die in der Schweiz einen Kredit aufnehmen, Schildbürger sind, dann ist Ihr Institut nicht die Vereinigung Österreichischer Industrieller, sondern die Vereinigung österreichischer Schildbürger, weil diese in großer Zahl Kredite in der Schweiz aufnehmen. Das ist also etwas ganz Normales. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

Ein weiteres liegt mir sehr am Herzen. Bundesrat Dr. Kapral erwähnte die OECD. Wir hatten ja tatsächlich – ich möchte mich hier gar nicht von einer Diskussion wegstehlen – in den Jahren 1992/93 im großen und ganzen sehr schwache Wirtschaftsprognosen; und daher wurde von der Bundesregierung entschieden, diesen schwachen Wirtschaftsprognosen mit einer offensiveren, expansiveren Finanzpolitik entgegenzutreten. Es besteht kein Zweifel, daß ein Teil dieser expansiven Finanzpolitik heute ein Budgetthema ist und wir das zurückzuführen haben – das wird niemand bestreiten, im Gegenteil: Wir bekennen uns dazu. Die OECD hat seinerzeit geschrieben – ich zitiere hier wörtlich aus dem OECD-Jahresbericht 1993/94 –: "Diese enorme Überschreitung" – nämlich der Ausgabenansätze – "ist hauptsächlich den automatischen Stabilisatoren zuzuschreiben, die durch den unerwarteten Konjunkturrückgang wirksam wurden. Die Erträge des Bundes aus Steuern blieben allesamt hinter den Ansätzen zurück, während andererseits für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen Mehrausgaben in Höhe von 7,5 Milliarden Schilling" et cetera "erforderlich wurden".

Meine Damen und Herren! Wir stehen nun vor einem weiteren, sehr wichtigen strukturellen Aspekt der Regierungspolitik für die kommende Periode. Wir haben Arbeitsplätze zu schaffen, Arbeitsplätze zu sichern, expansive Investitionspolitik zu betreiben. Niemand kann einen


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Blankoscheck unterschreiben, daß das auch unter den heute gegebenen Konjunkturaussichten so möglich sein wird. Ich verweise nur zum Beispiel auf den Artikel in der heutigen "Presse" über die Wirtschaftsforschung oder auf Einschätzungen des Weisenrates in der Bundesrepublik Deutschland, wo innerhalb einer so kurzen Zeit wie sechs Monaten die Wirtschaftsprognosen total über den Haufen geworfen wurden und sich sogar umgedreht haben. Das heißt, es wird niemand eine Garantieerklärung abgeben können, aber das darf nicht heißen, daß man sich zurücklehnt und gar nichts tut.

Es ist also wichtig, daß wir außerbudgetäre Modelle, die sich rechnen, finden, um Investitionskapital auf die Beine zu stellen, weil wir aufgrund der Budgetkonsolidierung aus den Budgets natürlich keine übermäßigen zusätzlichen Mittel für Investitionen oder für eine andere Art der Arbeitsplatzsicherung zur Verfügung stellen können.

Daher: alle Möglichkeiten der Schieneninfrastruktur, alle Möglichkeiten der Bauinfrastruktur, alle Möglichkeiten der Bundesimmobiliengesellschaft, alle Möglichkeiten der zusätzlichen Exportfinanzierung, alle Möglichkeiten den Innovationsagenturen, alle Möglichkeiten – was wir auch in unserem Programm haben –, Forschung und Entwicklung zusätzlich zu finanzieren.

Etwa 1 Milliarde Schilling stammt aus Privatisierungserlösen und ungefähr 1 Milliarde Schilling – das ist die sogenannte Klimaschutz-Milliarde – ebenfalls aus Privatisierungserlösen, um umweltgerechte Investitionen zu fördern.

Sie sehen also, wir haben hier den Versuch und, wie ich hoffe, den geglückten Versuch unternommen, die Konsolidierung im Haushalt und das Erbringen zusätzlicher finanzieller Mittel, die in den Prozeß eingespeist oder investiert werden können, zu kombinieren.

Mir liegt noch etwas am Herzen, was hier auch gesagt werden muß. Professor Schambeck ist nicht mehr da, aber ich muß sagen, daß seine breitgestreuten Liebenswürdigkeiten ziemlich riskant sind, nämlich für den Empfänger. Man muß seine historischen Reminiszenzen und Vergleiche immer sehr wohl analysieren und dosieren. Den armen Staribacher hat er dreimal weggeschickt, er ist ohnehin schon weg. Er war doch erst der dritte Finanzminister in meiner Regierung, aber es gibt schon den vierten ÖVP-Obmann während meiner Regierungszeit. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ.) Es gibt also auch noch eine andere Bilanz.

Es sind hier aber auch Anmerkungen gefallen, zu denen ich in großer Ernsthaftigkeit Stellung nehmen möchte, nämlich, meine Damen und Herren des Bundesrates, in bezug auf grundsätzliche politische und föderalismuspolitische Überlegungen, die wir anzustellen haben.

Im übrigen – Herr Bundesminister Michalek mußte uns schon verlassen – auch hier eine prinzipielle Anmerkung: Ich habe Herrn Dr. Michalek gebeten, wieder der Bundesregierung anzugehören, und ich freue mich, daß er sich zur Verfügung gestellt hat. Wir haben bestes Einvernehmen, beste Kooperation, aber ich sage schon auch, die Demokratie verbietet nicht ein für allemal, daß es auch wieder einmal einen Justizminister gibt, der sich zu einer politischen Partei, zu einer Regierungspartei bekennt und auch und vor allem oder trotzdem oder deshalb gute Justizpolitik macht. (Beifall bei der SPÖ.)

In der Geschichte der Zweiten Republik gab es meiner persönlichen Einschätzung nach zwei hervorragende Justizpolitiker, nämlich Dr. Christian Broda von der sozialdemokratischen Seite und Dr. Hauser auf der ÖVP-Seite, die in einem wohldurchdachten und überlegten Rollenspiel und Wechselspiel über viele Jahre im österreichischen Parlament sehr gute Justizpolitik gemacht haben, um nur zwei Exponenten der österreichischen Justizgeschichte und Justizpolitik hervorzuheben.

Meine Damen und Herren! Zum Föderalismus. Ich fürchte und meine, das Föderalismusthema wird in der längeren oder kürzeren Diskussion über die Bundesstaatsreform nicht erschöpfend politisch behandelt werden können. Der Grundstein für die Bundesstaatsreform ist, wie bekannt, mit der bekannten Perchtoldsdorfer Erklärung gelegt worden. Über diese Perchtoldsdorfer Erklärung ist dann viele Monate, ja sogar einige Jahre lang verhandelt worden. Sie ist aber – das sei hier erwähnt und darf nicht unter den Tisch fallen – im wesentlichen deshalb nicht zum


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Gesetz erhoben worden, weil zwei auch nicht unmaßgebliche Gremien, nämlich der österreichische Nationalrat und die Landeshauptmännerkonferenz, mit der letztlich ausgehandelten Version der Bundesstaatsreform nicht einverstanden waren und nicht konform gehen. Ich muß daher Kollegen Weiss schon einladen und bitten, mit Treu- und Glaubenvorwürfen etwas vorsichtig umzugehen, denn das würde nicht den Kern der Sache treffen. (Bundesrat Ing. Penz: Das ist aber nicht die ganze historische Wahrheit! Kollege Kostelka hat eine beachtliche Rolle gespielt!) Nur deshalb, weil ich einen Kollegen nicht erwähne, ist es nicht die Unwahrheit. Lassen Sie mich fertig erzählen, ich komme schon darauf zu sprechen.

Professor Schambeck hat hier in Richtung der Beamten des Verfassungsdienstes gemeint, sie mögen sich inspirieren lassen oder sie mögen mich inspirieren, einen Entwurf zur Kodifikation der Bundesverfassung vorzulegen.

Die Kollegen vom Verfassungsdienst haben sich nicht nur inspirieren lassen, sondern es gibt längst einen solchen Entwurf – er war auch schon in Begutachtung –, der bis jetzt nur deshalb nicht weitergegangen ist – hier ist ein Knoten aufzulösen –, weil nämlich die Kollegen von der Volkspartei die Kodifikation des Bundes-Verfassungsgesetzes mit einer bestimmten Version der Bundesstaatsreform junktimiert haben. Da sind wir politisch noch nicht weitergekommen.

Das ist nicht unwichtig, weil – jetzt komme ich zu einem weiteren Punkt, nämlich zum Punkt des Konsultationsmechanismus – einige Damen und Herren hier auch Klage darüber geführt oder kritisiert haben, daß sie den Konsultationsmechanismus in der Form nicht gutheißen.

Meine Damen und Herren! Konsultationsmechanismus heißt: Es möge keine gesetzgebende Körperschaft, auf welcher Ebene immer, Gesetze beschließen, die eine andere Gebietskörperschaft finanziell belastet. Also der Nationalrat oder das Parlament soll nichts beschließen, was dann dazu führt, daß die österreichischen Bundesländer und Gemeinden zusätzliche Kosten haben. Das ist ein großes Anliegen der Bundesländer und der Gemeinden, ein, wie ich meine, verständliches. Ich verkenne nicht die verfassungsrechtliche Problematik, denn das heißt, sich außerparlamentarisch auf etwas zu einigen, womit die gesetzgebenden Körperschaften dann einverstanden sein müssen, denn niemand könnte ihnen aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Ausstattung verbieten, dennoch etwas anderes zu beschließen.

Da ist also ein gar nicht einfacher verfassungspolitischer Knäuel zu entwirren. Wir haben das im Rahmen der Koalitionsabkommen für uns einmal – wir können das nur für die zwei Regierungsparteien tun – so festgestellt. Wir haben keine Möglichkeit und auch keine Absicht, andere Parteien, die nicht dem Regierungsbündnis angehören, zu irgend etwas zu verpflichten, abgesehen davon, daß sie sich ohnehin nicht verpflichten ließen.

Aber ich muß jetzt darauf hinweisen, daß das ein wichtiges Petitum der Landesregierungen und der Landeshauptleute in den Verhandlungen war. Das heißt also, wenn ich jetzt in dem ganzen Bogen von Konsultationsmechanismus bis zur Bundesstaatsreform die Meinungsbildungen nachvollziehe, dann muß ich feststellen, ich als Regierungschef, aber auch meine Kollegen in der Bundesregierung sind möglicherweise mit zwei verschiedenen Meinungen und Einstellungen der Länderebene zu ein und demselben Thema konfrontiert. Da müssen wir uns auf der exekutiven Seite mit den exekutiven Leuten finden. So ist das eben entstanden.

Jetzt möchte ich das nicht nur so abstrakt beleuchten, sondern möchte Ihnen auch sagen, daß wir mit diesem Regierungsabkommen einen ganz wesentlichen Beitrag zu einem funktionierenden und partnerschaftlichen Föderalismus in Österreich leisten, weil nämlich von den rund 45 Milliarden Schilling, die wir auf der Einnahmenseite auftreiben, ungefähr 7 Milliarden den Bundesländern und ungefähr 3 Milliarden den Gemeinden zur Verfügung gestellt werden. Ansonsten wäre die andere Rechnung, daß nämlich die Länder und Gemeinden ihre Verschuldung auf 0,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes reduzieren, um ihrerseits die Währungsunionskriterien zu erfüllen, nicht aufgegangen.

Noch einmal anders gerechnet: Wir wollen auf 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in der Neuverschuldung herunter, gerechnet auf das Jahr 1998. Wir vom Bund erbringen 2,7 Prozent, die anderen Gebietskörperschaften wie Länder und Gemeinden 0,3 Prozent. 2,7 plus 0,3. Das,


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so haben sie uns erklärt, können sie nicht, sie schaffen es nicht. Ihre Zahlen müssen irgendwo zwischen 0,6 und 0,7 Prozent liegen. Wenn wir das ansetzen, landen wir nicht bei 3 Prozent, sondern bei 3,3 oder 3,4 Prozent.

Wir haben nun eine gemeinsame Anstrengung gesetzt, für die aber – da bitte ich schon um Ihr Verständnis – die Bundesregierung natürlich die komplette politische Verantwortung übernimmt, denn niemand im Land, niemand in der Bevölkerung vollzieht das so nach, daß er sagt: Von dem, was ich jetzt weniger oder nicht mehr an Sonderausgaben geltend machen kann als früher, mache ich soundso viel Prozent für den Bund und soundso viel für das Land geltend. So rechnet niemand, und das kann man auch nicht erwarten.

Das heißt also, wir haben einen ganz maßgeblichen Föderalismusbeitrag geleistet, weil wir auf diese Art und Weise gemeinsam die Kriterien für die Währungsunion erfüllen können.

Meine Damen und Herren! Wir haben natürlich durchaus im dezentralen und föderalistischen Sinn noch sehr viele Vorhaben vor uns und noch zu erledigen, Stichwort Gesundheitsfinanzierung, die in den nächsten Wochen und Monaten noch verhandelt wird.

Das heißt, wir haben – ich möchte Sie schon bitten, das auch so zu verstehen und zur Kenntnis zu nehmen – einen sehr offenen Zugang zur Zusammenarbeit mit den anderen Gebietskörperschaften, vor allem mit den Bundesländern.

Zum Schluß noch zwei Anmerkungen: Wir werden die Vereinfachungen von Verwaltungswegen, die Vereinfachungen von Genehmigungsverfahren, Bewilligungsverfahren auf einer Ebene nicht schaffen. Wenn es einer auf seiner Ebene schafft, dann ist trotzdem die Verbesserung noch nicht ausreichend, weil der Engpaß auf der anderen Ebene ein genauso kleiner Engpaß ist wie sonstwo. Der Beispiele gibt es genug: ennsnahe Trasse, Gailtal in der Steiermark, Gailtalzubringer in Kärnten, UVP für Wien-Umfahrung in Wien und Niederösterreich und so weiter.

Wir nähern uns – ich sage das in großer Offenheit – natürlich auch einem Punkt der politischen Entscheidung, wo wir in ein Spannungsfeld geraten, welches heißt: Es gibt auf der einen Seite die Gesetzgebung, die schon eine sehr starke Demokratisierung der Gesellschaft hervorgerufen hat: UVP, Anrainermitbestimmung, Anraineranhörung, Bürgerbefragung und so weiter – alles in Ordnung. Das ist die eine Forderung. Die andere Forderung ist aber, doch in einer kürzeren und überschaubareren Zeit zu Entscheidungen zu kommen, denn sonst schlagen die beiden Ziele einander tot, und am Ende geschieht gar nichts, und das ist ein bißchen wenig. Daher bedürfen wir hier der Abgleichung und Angleichung. Da darf es keine Gebietskörperschaftspartikularismen oder Eigeninteressen geben. Das ist wie bei einer Kette, in der das schwächste Glied die Stärke der gesamten Kette bestimmt. Sonst würden wir in diesem Fall keine Fortschritte erzielen.

Meine Damen und Herren! In der nächsten Woche finden der Europäische Rat, das ist ein Sonderrat, und die Regierungskonferenz in Italien, also unter italienischer Präsidentschaft, statt. Es war die Grundidee, daß zwei Kollegen aus der Landeshauptleutekonferenz an dieser ersten Sitzung der Regierungskonferenz teilnehmen. Wir haben gebeten, daß nur ein Herr, es wird also der Landeshauptmann Vorarlbergs sein, teilnimmt, wir laden ihn also dazu ein. Wir lesen aber jetzt schon in Zeitungen, die Delegation wird groß sein, es wird sogar ein Landeshauptmann dabei sein, was hat er dort verloren. Also wenn schon, dann müssen wir natürlich auch alle dazu stehen und das Europa der Regionen und das Europa der Subsidiarität ernst nehmen.

Meine Damen und Herren! Was natürlich schon auch erkannt werden muß, ist folgendes: Es wurde auch hier vom Rednerpult aus gesagt, man möge doch das Subsidiaritätsprinzip und die Dezentralisierung Europa einheitlich anwenden. Das ist ein hehres Ziel, aber das ist aufgrund der Grundverfassungen des größeren Teils der EU-Mitglieder gar nicht möglich, denn es gibt außer Deutschland und Österreich und vielleicht noch zwei, drei anderen Staaten überhaupt keine politisch dezentral organisierten Mitgliedsländer der Europäischen Union. In Frankreich etwa würde man überhaupt nicht wissen, was eine Landesregierung oder etwas Vergleichbares ist, und kann auch politisch nichts damit anfangen.


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Das heißt also, wir müssen nach unseren eigenen Möglichkeiten vorgehen, und ich bitte noch einmal und lade noch einmal dazu ein, daß wir Föderalismus und Dezentralisierung nicht nur und nicht bloß von der Warte Bundesstaatsreform ja oder nein beurteilen und betrachten. Und ich glaube, wir sind ganz besonders gefordert – da werden Sie mir wahrscheinlich zustimmen –, daß es zwischen den Gebietskörperschaften immer ein Spannungsfeld, ein Spannungsverhältnis gibt, welches wir sehr sorgfältig analysieren und auch sorgfältig überwinden müssen, denn wird es untertrieben, dann haben wir nicht die freie Beweglichkeit der Gebietskörperschaften, wird es übertrieben, dann ist sicherlich das Staatsganze immer wieder hinterfragt, und das ist aus meiner Sicht auch kein Ziel.

Herr Präsident! Ich bedanke mich also für Ihre Einleitung und für die Beiträge der Damen und Herren Bundesräte und schlage vor und lade ein, meinen Satz aus der Regierungserklärung zur Zusammenarbeit auch in dem Sinn verstehen zu wollen, wie ich es jetzt zum Schluß geschildert habe. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

17.25

Präsident Johann Payer: Herr Bundeskanzler! Ich danke für diese Erklärung.

Als nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Paul Tremmel. Ich erteile ihm dieses.

17.25

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Bundesminister! Wir tragen große Verantwortung, die uns der Souverän, das Volk, übertragen hat. Wir wollen sie mit Mut, Phantasie, Kraft und Würde übernehmen, es geht um unser Österreich. – Herr Bundeskanzler! Das waren Ihre Schlußworte hier in diesem Haus. Vorher sagten Sie, ich lade alle zu dieser sachlichen Zusammenarbeit ein.

Wir haben uns erlaubt, loyal, wie wir sind, einige Fragen zu stellen. Wir haben nicht einmal gemurrt, als uns Kollege Konečny das unterstellt hat. Sie haben auf die Beschäftigungspolitik Bezug genommen, weil wir diesbezüglich entsprechende Fragen an Sie gerichtet haben, Herr Bundeskanzler, und Sie haben gesagt, Sie können uns eine Lesearbeit, eine Leseübung nicht ersparen. Wir haben erwartet, daß Sie uns Antworten geben werden, wie Sie Arbeitsplätze schaffen, die durch große Pleiten reduziert worden sind. Ich nenne nur den Schibereich, Maculan, Konsum, Mayreder, HTM, die Lebensmittelindustrie. Da sind Arbeitsplätze verlorengegangen. Hier spricht man aber von der Schaffung von Arbeitsplätzen. (Bundesrat Prähauser: Radio freies Europa!) 220 000 Industriearbeitsplätze sind in den letzten Jahren verlorengegangen. Diesbezüglich wird es wohl erlaubt sein, meine Damen und Herren, entsprechende Fragen zu stellen.

Der Herr Bundeskanzler hat uns verlassen, aber zum Föderalismus sei auch noch eine kleine Anmerkung gemacht. Ich kann mich sehr gut erinnern, als der Herr Bundeskanzler im Herbst 1994 hier gestanden ist. Es wurde über das Perchtoldsdorfer Paktum gesprochen. Herr Präsident Schambeck ist leider auch nicht da. Er hat damals unter anderem auch die "Mitzi- Tant" zitiert und gesagt – die Mitzi-Tant ist unter anderem auch Zeuge und auch alle anderen hier –, wenn dieses Perchtoldsdorfer Paktum bei den EU-Begleitgesetzen nicht beschlossen wird, wird die ÖVP keine Zustimmung zu diesen Gesetzen geben.

Ich kann mich sehr gut daran erinnern, es ist einige Zeit hier ins Haus gezogen, es verstrich der 17. Dezember, jetzt wurde eine Regierungserklärung abgegeben. Ich habe darauf gewartet, in dieser Regierungserklärung etwas über die Bundesstaats- und Bundesratsreform zu hören. Eigentlich habe ich hier nichts darüber gehört. Es ist ein guter Slalom gefahren worden. Aber der Slalom war nicht einmal so gut wie der von Mario Reiter bei der Weltmeisterschaft, er hat wenigstens eine Medaille gemacht. Sie haben diesen Slalom nicht einmal vollendet. Bitte dringen Sie darauf, daß Sie ihn endlich einmal fertigmachen, meine Damen und Herren! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Noch etwas muß ich erwähnen. Es wurde hier immer von einem Freund-Feind-Bild gesprochen. Ich kann mich in meiner Fraktion nicht daran erinnern. Und es hat mir eigentlich ein bißchen


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weh getan, und es hat mich nachdenklich gestimmt, als Professor Schambeck hier von diesem Freund-Feind-Bild gesprochen hat. Wir haben in diesem Falle niemals eine solche Diktion gebraucht.

Der Brückenschlag mit Neutralität wurde genannt. Sein Parteikollege Fasslabend hat das ganz anders ausgedrückt, als er die Frage der äußeren Sicherheit im Bereich EU und NATO angesprochen hat. Die Freiheitlichen sind ganz alleine, Kollege Drochter hat es auch gesagt. Ja, wir waren damals alleine. Es war damals – es ist richtig – die uns abhanden gekommene Heide Schmidt die einzige. Aber wir waren so unzufrieden, daß wir heute 13 hier sind, und wir werden weiter unzufrieden sein, daß wir noch mehr werden. Sie können sicher sein, Herr Kollege! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Vielleicht noch etwas zum Föderalismus, weil der Herr Bundeskanzler noch hier ist. Ich darf auch ein bißchen etwas zur historischen Wahrheit beitragen. Artikel 98 der Bundesverfassung regelt die Beziehungen zwischen den Gebietskörperschaften.

In einer Regierungsvorlage war eine Supervollmacht des Finanzministers vorhanden! Derzeit kann die gesamte Bundesregierung ein Landesgesetz zum Beispiel mit finanziellen Folgewirkungen beeinspruchen. Damals hätte der Finanzminister das allein gekonnt. Diese Regierungsvorlage ist aber zurückgezogen worden. Das war auch einer der Gründe dafür, Herr Bundeskanzler, daß die Landeshauptleute – ich muß nicht die Landeshauptleute verteidigen; sie haben das Schiff des Föderalismus ja teilweise verlassen – dagegen waren und hier das damals beeinsprucht wurde, daß das nicht beschlossen wurde.

Es geht auch mit den Konsultationen zwischen Bund und Ländern so weiter. Das ist, meine Damen und Herren des Bundesrates, schlicht und einfach eine Mißachtung des Bundesrates! Hier sind die föderalistischen Aufgaben zu tätigen und wahrzunehmen. Man schafft quasi in gesetzleerem Raum unter Mißachtung der Verfassung ein Organ. Ob das Organ gut funktioniert, ist eine andere Frage – die Paritätische Kommission hat auch ganz gut funktioniert. Aber: Meine Damen und Herren, Sie alle geben sich dazu her, daß hier die Verfassung mißachtet wird! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Ich gestehe durchaus, daß mich einige Sätze hier zum Nachdenken gebracht haben. Herr Kollege Konečny – er ist sonst nicht gerade mein Liebling – hat hier einiges Bemerkenswertes zum Föderalismus gesagt: über die Bauordnung, den Tierschutz, die Beziehung zwischen dem Bund und den Ländern, die Beziehung zwischen den Gebietskörperschaften, das durchaus bedacht werden sollte. Es sitzen hier einige Bürgermeister, und diese wissen, wie überfordert der Gemeindebereich bei Bauverfahren heute teilweise ist. Sie wissen, welche Folgen es manchmal hat, wenn auf den Bürgermeister und auf den Gemeinderat unmittelbarer Druck ausgeübt wird.

Wenn dieses Nachdenken dazu führen könnte, daß das auch in die Bundesstaatsreform miteinfließt, daß wir den Forderungenkatalog der Bundesländer einerseits und des Bundes andererseits realitätsbezogen überdenken, dann wäre das durchaus ein Gewinn und nicht nur für diesen Staat, sondern auch für den Bürger sehr von Nutzen.

Es wäre nicht Konečny, hätte er hier nicht Tramontana zitiert: Wer sparen will, muß beim Maul anfangen!, und es wurde ein Blick auf uns gemacht. – Ich würde das ein bißchen ergänzen: nicht nur Maulkorb, sondern ich würde auch das Bild miteinbeziehen. In letzter Zeit wurde unter anderen auch die Bundesregierung, letztlich der Nationalrat säumig, denn es gibt ein Erkenntnis, das die Monopolsituation des Österreichischen Rundfunk und Fernsehen besonders ankreidet.

Diesbezüglich hat der Verfassungsgerichtshof nicht ganz unzynisch, aber durchaus zutreffend gesagt, er könne einen untätigen Gesetzgeber – gemeint ist natürlich auch eine untätige Regierung – nicht ersetzen. Wahrscheinlich werden wir bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten und werden nach wie vor einen – wie schreibt eine bestimmte Zeitung immer? – Rot- oder Koalitionsfunk haben. Es wird das private Fernsehen – da habe ich jetzt durch die EU ein bißchen Hoffnung; ich glaube, da werden die Kräfte so stark werden – möglicherweise doch kommen.


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Es wäre eine vornehme Aufgabe gewesen, es wäre eine demokratische Aufgabe gewesen, es wäre eine Aufgabe der Gleichbehandlung gewesen, es wäre eine Aufgabe gegenüber der Opposition gewesen, meine Damen und Herren, endlich Waffengleichheit einzuführen! Sie haben auch das leider Gottes unterlassen! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Kollege Konečny! Einen Maulkorb werden wir uns auch in Zukunft nicht umhängen lassen!

Ich darf nun auf einige Punkte eingehen und auch einiges bringen, das zwar schon einmal dargelegt wurde, das man aber nicht oft genug sagen kann, da es einfach nicht geglaubt wird.

Immer wieder wird von dem einen Drittel und den zwei Dritteln gesprochen, also einnahmen- und ausgabenseitig. Ich habe mir die Gegenüberstellung bringen lassen, und diese zeigt für das Jahr 1997: Bei den Steuern machen die Erhöhungen 52,9 Milliarden Schilling aus. Wenn 100 Milliarden als Ganzes genommen wird, dann sind das nicht ein Drittel und zwei Drittel, sondern das ist mehr als die Hälfte. – Diese Zahlen stammen nicht von uns, sondern sind vom Finanzministerium errechnet.

Es ist eigentlich traurig, daß der Bundesrat so wenig ernstgenommen wird! Die Erklärung, die bereits im Nationalrat abgegeben wurde, wird hier genau gleich wiederholt. Möglicherweise geschah das gar nicht mit schlechter Absicht, aber es ist eine Mißachtung, meine Damen und Herren, wenn man hier einen Fehler einfach wiederholt! Ein Fehler wird nicht besser, wenn man ihn immer wieder wiederholt.

Ich weiß schon, daß das manchen Leuten hier ein bißchen weh tut, aber ich muß auch über den öffentlichen Dienst sprechen. Wir gehen durchaus konform mit den Aussagen des Herrn Bundeskanzlers, wenn er meint, die Beamten, der öffentliche Dienst habe einiges zum Sparen beigetragen. Mir fehlt jedoch die Gleichbehandlung. Zwar sind die ÖBB-Bediensteten keine öffentlich Bediensteten mehr – die ÖBB sind bereits ausgegliedert worden –, aber soweit ich mich erinnere, meine Damen und Herren, hat es vor Weihnachten 1995, schon unter Finanzminister Klima, eine 2,8prozentige Gehaltserhöhung – also 2,8 bis 3,9 Prozent; im Schnitt waren es 2,8 Prozent – gegeben. (Zwischenruf des Bundesrates Mag. Tusek. ) War schon Klima. Klima hat schon ausverhandelt.

Noch etwas ist mir aufgefallen unter dem Motto "Gleichbehandlung". Die Pensionsbeiträge der Beamten wurden von 10,6 Prozent auf 11,7 Prozent angehoben. Ein paar Monate vorher konnte ich hören und auch lesen, daß die Pensionsbeiträge der aktiven ÖBB-Bediensteten von 1,7 Prozent auf 3 Prozent erhöht wurden! Und es wurde groß hinausposaunt: Der Finanzminister hat sich durch diese Maßnahme 1 Milliarde erspart.

Meine Damen und Herren! An diesem Beispiel sehen Sie die "Gleichbehandlung" – so ganz hat sie nicht funktioniert. Es gibt noch einige Gleichere im Vergleich zu den Beamten – von der Nationalbank will ich gar nicht reden; dieses Thema ist ja hier schon einige Male erläutert worden.

Nehmen wir noch einen anderen Bereich her, der heute nur kurz behandelt worden ist: Sicherheit und EU-Politik. In diesem Zusammenhang darf ich einige kleine Köstlichkeiten in bezug auf die Neutralität – derzeit läuft ja das Volksbegehren "Unterstützt die Neutralität" – zum besten geben.

In einer heutigen Tageszeitung wird unter anderen der deutsche Außenminister Kinkel zitiert: Alle Mitglieder der EU sollen zur WEU. – Das wird von uns völlig unwidersprochen hingenommen. Hier im Haus wird aber noch von der Neutralität gesprochen.

Meine Damen und Herren! Wenn Sie Regierungsverantwortung tragen, dann teilen Sie uns mit, wie Sie in Zukunft hier und auch bei der Regierungskonferenz vorzugehen gedenken! Nicht nur wir, auch der österreichische Bürger, der österreichische Wähler hat ein Recht darauf, folgende Fragen beantwortet zu bekommen: Sind wir jetzt noch neutral? Steht die Bundesregierung dazu? Treten wir der WEU oder der NATO bei, oder treten wir nicht der NATO bei? Wie schaut es hinsichtlich der Landesverteidigung aus? – Meine Damen und Herren! Das ist eine


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gravierende Frage der äußeren Sicherheit, aber auch darauf sind Sie uns heute hier eine Antwort schuldig geblieben. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Ing. Penz: Das steht wortwörtlich im Koalitionsübereinkommen!) Bitte, zeigen Sie es mir, ich habe das Papier hier. Kollege Penz, zeigen Sie mir, wo das "wortwörtlich" im Koalitionsübereinkommen steht! Ich stelle Ihnen dann dieses Exemplar zur Verfügung, und Sie zeigen es mir! Es steht nirgends so drinnen, wie Sie es hier dargelegt haben.

Aber ich habe noch etwas vergessen zur Gleichbehandlung, und es gebührt eigentlich, daß man das auch hier erwähnt. Auf der gleichen Seite im "Standard" steht auch: Pragmatische Lösung der "Habsburgerfrage". Das ist auch eine Frage der Gleichbehandlung, jeder österreichische Staatsbürger sollte gleich behandelt werden. (Bundesrat Bieringer: Wird eh!) . – Nein, wird nicht!

Wir haben einen Antrag im Nationalrat eingebracht. Der bisher geltende zweite Satz des Artikel 60 Abs. 3 Bundesverfassung, der das passive Wahlrecht für das Amt des Bundespräsidenten regelt, lautet:

Ausgeschlossen von der Wählbarkeit sind Mitglieder regierender Häuser oder solcher Familien, die ehemals regiert haben.

Meine Damen und Herren! Was soll eine solche Regelung in einem Land, wo wir uns wirklich manchmal zu Recht eine fortschrittliche Demokratie nennen? – Ich lade Sie alle dazu ein, meine sehr geehrten Damen und Herren: Unterstützen Sie diesen Antrag, er trägt ebenso zur Gleichbehandlung bei.

Ich darf hier noch auf einige Dinge hinweisen, wie zum Beispiel die Sicherheit, die – leider Gottes auch innenpolitisch – in einem bestimmten Bereich besonders gefährdet ist. Es wird hier auf die Reformbedürftigkeit der Sicherheitsexekutive hingewiesen. Selbst in einer Presseaussendung des Bundeskanzleramtes vom 20. Februar dieses Jahres, in der das Bundesgesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität erläutert wird, wird davon gesprochen, daß sich das Auftreten neuer Formen geplanter und organisierter geschäftsmäßiger Kriminalität auch in Österreich häuft, sehr oft mit grenzüberschreitendem Charakter. Weiters heißt es dann:

In einigen Bereichen des Sicherheitsberichtes wird gesagt, die Tendenz sei fallend. Besondere Steigerungen erfuhren allerdings die Delikte Menschenhandel, Betrug und vor allem der gewerbsmäßige Diebstahl, der zu mehr als 50 Prozent von nicht österreichischen Staatsbürgern begangen wird.

Sie haben hier den Mangel bereits selbst erkannt, meine Damen und Herren, und es muß hier auch eine große österreichische Tageszeitung zitiert werden, damit Minister Einem nicht alleine dasteht: Österreich ist ein James Bond-Paradies, heißt es. Geheimagenten und Mafiabanden haben Österreich zu ihrem EU-Hauptquartier für Spionage und organisierte Kriminalität gemacht. Es werden auch die Gründe genannt: völlig unzureichende Gesetze und ein von der Politik entwaffneter Sicherheitsapparat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn das nicht stimmen würde – davon bin ich überzeugt –, dann wären hier längst Schritte gesetzt worden. Und alle, die hier wissend sind, haben zugeschaut, meine sehr geehrten Damen und Herren, wie etwa die Ermittlungen im Bereich der Briefbomben bewußt in eine völlig falsche Richtung gelenkt wurden. (Bundesrat Prähauser: Sie lesen oder sagen etwas nach, was Sie nicht beweisen können!)

Das ist aber offensichtlich bewiesen, weil sonst hätte der Generaldirektor der öffentlichen Sicherheit, Herr Dr. Sika, das nicht gesagt. Dem muß ich wohl glauben. Oder glauben Sie ihm nicht? (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Prähauser: Haben Sie es gehört? Ich muß ihm nicht glauben!)

Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien! Sorgen Sie dafür, daß das, was Sie hier schriftlich festgehalten haben und was Sie hier sehr beredt unterstützt und verteidigt haben – die Sicherheit Österreichs –, weiterhin in dem Ausmaß zumindest, wie das bis nun geschehen ist, gewährleistet ist. Sorgen Sie dafür, meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine ganze Spalte


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ist dem österreichischen Bundesheer gewidmet und dem, was an organisatorischen Maßnahmen zu setzen wäre. Nur eines führen Sie nicht an, nämlich wie Sie das finanzieren wollen. Das steht nicht drinnen. Das ist für mich mehr als ein großes Fragezeichen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da ja die Regierungsbank – mit Ausnahme des Herrn Ministers Scholten – beinahe verwaist ist, der Herr Bundeskanzler hat uns verlassen, er hat andere – scheint’s wichtigere – Dinge zu tun, werde ich auch zu Ende kommen und darf Ihnen aber eines mitgeben und versichern: Wir werden uns diese Regierungserklärung sehr genau zu Gemüte führen. Wir werden die Einladung annehmen, meine sehr geehrten Damen und Herren, und hier für dieses Land mitverantworten, auch im Interesse der einen Million Wähler, die hier immer wieder – verdeckt oder weniger verdeckt – diskriminiert werden. Und wir werden hinterfragen. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden das durchaus mit der nötigen Ordnung und Objektivität tun. Das darf ich Ihnen versichern. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

17.45

Präsident Johann Payer: Weiters hat sich Herr Bundesrat Engelbert Schaufler zu Wort gemeldet. Ich erteile dieses.

17.45

Bundesrat Engelbert Schaufler (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Verehrte Damen! Geschätzte Herren! Hoher Bundesrat! Ich werde mich auch mit Sicherheit beschäftigen, aber nicht mit der inneren und äußeren Sicherheit, sondern mit der sozialen Sicherheit. Ich werde mich mit einigen Aspekten der Sozialpolitik beschäftigen.

Ich möchte aber als erstes zum Ausdruck bringen, wie ich persönlich Sozialpolitik sehe: Für mich ist Sozialpolitik die Summe aller Maßnahmen, die den Existenzkampf der Menschen insgesamt erleichtern. Mein Grundsatz lautet: Stillstand in der Sozialpolitik ist bereits ein Rückschritt.

Da muß man sich schon die Frage stellen: Wie ist dieser Grundsatz mit der Regierungserklärung verträglich, mit dem Konsolidierungsprogramm?

Es sind hier eine Reihe von restriktiven Maßnahmen vorgesehen, die mich als Arbeitnehmervertreter grundsätzlich schmerzen. Doch bei allem Schmerz ist wichtiger, daß unser soziales Netz nicht überstrapaziert wird, sondern daß die Finanzierbarkeit aller Maßnahmen auch in Zukunft gegeben bleibt. Denn es nützt uns ja sehr wenig, wenn das soziale Netz mehr und mehr belastet wird und an manchen Stellen zu reißen beginnt. Das wäre die Katastrophe.

Daher geht es nunmehr darum, mit gezielten Maßnahmen die grundsätzliche Haltbarkeit des Sozialnetzes zu gewährleisten. Hier muß man anmerken, daß in den letzten Jahren einige ganz große sozialpolitische Schritte nach vorne getan wurden. Die Einführung des zweiten Karenzjahres war eine gute sozialpolitische Maßnahme, doch wurde vielleicht übersehen, daß ein ganzes zusätzliches Jahr mehr Kosten verursacht, als tatsächlich geplant war. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, in kleineren Schritten den Karenzurlaub Zug um Zug auszubauen. Nun müssen wir von den zwei Jahren ein halbes zurücknehmen, um die Finanzierbarkeit grundsätzlich zu gewährleisten.

Ähnlich ist es bei einem anderen großen sozialpolitischen Meilenstein, der gesetzt wurde: das Pflegegeld. Hier gilt etwa das gleiche, das ich zum Karenzurlaub angemerkt habe. Es war auch ein großer Schritt, doch auch hier wurden die Kosten unterschätzt.

In der Diskussion mit den Bürgern zeigt sich, daß Verständnis für die Sparmaßnahmen, die nunmehr geplant sind, die notwendig sind, herrscht. Doch es wird auch die Frage gestellt: Warum erst jetzt? Manches hätte man doch schon kommen sehen müssen – etwa bei den Frühpensionen. Wir wissen schon sehr lange, daß das durchschnittliche Lebensalter – Gott sei Dank, darf ich anmerken – steigt, gleichzeitig aber ein grundsätzlicher Trend besteht, früher in Pension zu gehen. Das heißt, die Schere in diesem Bereich öffnet sich immer weiter zwischen


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Beitragszeiten und Pensionszeiten. Daß das schlußendlich zu Finanzierungsproblemen führt, müßte eigentlich allen klar sein.

Ich meine, daß hier grundsätzlich mehr Wert auf echte Beitragszeiten zu legen ist, wenngleich auch der sozialpolitische Erfolg der Anrechnung der Kindererziehungszeiten für Frauen nicht in Frage zu stellen, sondern anzuerkennen ist.

Es ist natürlich leicht gesagt, wenn die Lebenserwartung steigt, soll etwas später in Pension gegangen werden. Das wäre an und für sich ja kein Problem, wenn genügend Arbeitsplätze für Jung und Alt zur Verfügung stehen würden. Bedauerlicherweise ist dem aber nicht so, obwohl wir in Österreich sagen können, daß wir im Verhältnis zu den OECD-Staaten oder zur Europäischen Union noch günstige Arbeitslosenraten haben. Dennoch – sie sind im Steigen begriffen, und das muß uns Sorge bereiten.

Daher gilt es jetzt, finanziellen Spielraum für beschäftigungspolitische Impulse zu schaffen, denn die vornehmste Aufgabe jedweder Sozialpolitik muß es sein, allen Menschen Arbeit und Einkommen zu geben und zu sichern. Einer der Grundsätze ist: Einer ist schon zu viel, der vor seine Familie hintreten und erklären muß, er habe Arbeit und Einkommen verloren. Da steht Schicksal dahinter, ein hartes Schicksal.

Wenn auch die Freiheitlichen manchmal glauben, Sie würden immer für die "kleinen" Leute eintreten, dann darf ich doch in Erinnerung rufen, wie die Freiheitlichen Sozialpolitik sehen. Es war ihr erster Mann, als er das Bärental übernommen hat, der einen Förster um seine Existenz gebracht hat, der eine Familie mit einem behinderten Kind zu versorgen hatte. Das war in den Zeitungen nachzulesen. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Rockenschaub .)

Das war der erste Streich. Und der zweite folgt sogleich: Nachdem die Facharbeiter dort ihren Arbeitsplatz verloren hatten, hat man ausländische Arbeiter beschäftigt – illegal beschäftigt. Das ist Sozialpolitik, wie die Freiheitlichen das sehen.

Und der dritte Streich folgt auch sogleich: Wir wissen heute alle, daß für ein riesiges Vermögen kaum oder keine Steuer bezahlt wird. (Beifall bei der ÖVP und Beifall des Bundesrates Prähauser. Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Dr. Rockenschaub .)

Um dieses Schicksal des Verlustes des Arbeitsplatzes hintanzuhalten, sind alle öffentlichen Stellen aufgefordert, alle Mittel einzusetzen, damit Arbeit geschaffen wird. Ich begrüße es, daß zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit 1996 um 1,5 Milliarden Schilling mehr zur Verfügung stehen als 1995. Soweit ich weiß, stammt dieses Geld aus dem Sozialfonds der Europäischen Union.

Zur Europäischen Union auch ein paar Worte, die ja mit ihren Konvergenzkriterien nicht ganz unbeteiligt ist, daß nun eine Reihe von Maßnahmen zu setzen sind. Ich möchte schon anmerken, daß ein freier Markt, ein liberaler Markt und Konvergenzkriterien sehr wohl zu begrüßen sind, die uns in die Lage versetzen, daß wir 1998 an der Währungsunion teilnehmen können. Doch sollte man in der EU nicht vergessen, daß es auch gilt, sozialpolitische Mindestnormen einzuführen und zu setzen, damit nicht nur der Markt, sondern auch die Sozialpolitik zum Tragen kommt – mit Normen, wie sie für den wirtschaftlichen Bereich schon vorgesehen sind.

Daher gilt es, Österreich in der Europäischen Union wettbewerbsfähig zu halten und den Wirtschaftsstandort Österreich abzusichern; daher ist Spielraum im Budget wieder notwendig und eine Konsolidierung des Staatshaushaltes unumgänglich. Zur Absicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich habe ich auch das Bekenntnis zur Aufwertung der Facharbeit mit Freude gehört. Es gilt aber nicht nur, Facharbeit vermehrt anzuerkennen und aufzuwerten, sondern grundsätzlich die manuellen Tätigkeiten etwas höher zu bewerten. Diese Tätigkeiten sind in unserer Gesellschaft notwendig, werden aber oft nicht in dem Maß anerkannt und auch nicht entsprechend entlohnt und belohnt, wie das eigentlich notwendig wäre.


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Wenn wir künftig wieder Fortschritt in der Sozialpolitik erreichen wollen, gilt es natürlich – selbstverständlich in allen Bereichen –, Bildung und Weiterbildung voranzutreiben, speziell im Bereich der Facharbeiter, denn es gilt, den Grundsatz durchzusetzen und umzusetzen: Wer in Bildung investiert, investiert in die Zukunft, und dem gehört die Zukunft auch. Wir wollen doch als Österreicher, daß uns die Zukunft in einer großen Europäischen Union gehört, daß wir weiter in Wohlstand und Sicherheit leben können.

Nochmals sage ich: Wir dürfen dabei das soziale Netz nicht überfordern. Daher sind diese Maßnahmen – wie geplant – jetzt notwendig, um in diesem Bereich die Sicherheit zu halten. Ich glaube, daß diese Maßnahmen noch rechtzeitig gesetzt werden, damit uns ein Weg wie in Schweden oder anderen Ländern erspart bleibt. Ohne Genugtuung muß ich feststellen, daß meine Partei schon vor der Wahl im Dezember recht hatte, als sie meinte, daß Kürzungen bei den Ausgaben in vielen Bereichen unumgänglich und notwendig sind. Diese Erkenntnis hat sich in manchen Bereichen und in mancher Partei erst Wochen nach der Wahl durchgesetzt.

Ich möchte auch an jene jungen Menschen, die jetzt demonstrieren – obwohl ich viel Verständnis habe; sofort, als bekannt wurde, daß die Freifahrten für Studenten gestrichen werden, habe ich das Verlangen an die Verkehrsbetriebe gerichtet, daß Studenten wie den Pensionisten auch nur der halbe Preis verrechnet wird –, appellieren, daß sie einsehen müssen, daß jene Summen, die wir heute nicht einsparen, den Spielraum von morgen einengen und die Belastungen der Zukunft sind. Wir sollten auch in der Stunde nicht vergessen, daß uns die Altlasten einer Ära Kreisky heute noch einengen und daß dadurch notwendiger Handlungsspielraum verlorengegangen ist.

Trotz aller harten Maßnahmen glaube ich, daß dieses Konsolidierungspaket in sich die Chance birgt, den Wirtschaftsstandort Österreich abzusichern, neue beschäftigungspolitische Impulse zu setzen, sodaß sich in Folge die Möglichkeit geradezu aufdrängt, neue Sozialpolitik mit Augenmaß voranzutreiben, damit den Wohlstand der österreichischen Arbeitnehmer weiter zu mehren und die soziale Sicherheit weiterhin auszubauen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

17.57


Bundesrat
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610. Sitzung / Seite 92

Präsident Johann Payer:
Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Bundesrat Dr. Michael Rockenschaub gemeldet.

Ich mache darauf aufmerksam: Eine tatsächliche Berichtigung darf die Dauer von fünf Minuten nicht übersteigen.

17.57

Bundesrat Dr. Michael Rockenschaub (Freiheitliche, Oberösterreich): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde die fünf Minuten nicht in Anspruch nehmen.

Mein Vorredner hat behauptet, daß der Bundesobmann der Freiheitlichen in seinem Besitz im Bärental gesetzwidrig Beschäftigungsverhältnisse durchgeführt hätte. Diese Behauptung geistert immer wieder durch die Landschaft. Ich darf berichtigen, daß das selbstverständlich nicht der Fall ist. Diese Behauptung gehört zu jenen Medienenten und erfundenen Geschichten, die auch medienrechtlich – insbesondere von der Zeitung "News" – mit viel Geld bezahlt werden mußten, da "News" die medienrechtlichen Entgegnungen verloren hat. (Bundesrat Bieringer: Wenn Sie das noch lange sagen, glauben Sie es auch noch!)

Ich darf wenigstens hier im Bundesrat ersuchen (neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Bieringer ) , auch wenn die Kollegen von der ÖVP ihren Frust über die nicht gelungene Machtergreifung am 17. Dezember jetzt durch Lügengeschichten hier ablassen wollen (Bundesrat Bieringer : Macht ergreifen, das wollen Sie, aber sicher nicht wir!), nehmen Sie bitte ein für allemal zur Kenntnis, daß diese Geschichten des Vorwurfes der illegalen Beschäftigung von Mitarbeitern falsch sind. (Bundesrat Bieringer: Nehmen Sie das zurück!)

Es ist wieder einmal ein Versuch – auch Ihre Schreiereien nützen nichts, es stimmt einfach nicht. Messen Sie sich selbst an Ihrer Seriosität, ob Sie es wieder behaupten. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

17.58

Präsident Johann Payer: Meine Damen und Herren! Ich unterbreche die Sitzung für zehn Minuten. Ich glaube, Sie haben Verständnis dafür. Außerdem hat der Zweite Präsident des Nationalrates Geburtstag. Nützen Sie diese zehn Minuten, um ihm zu gratulieren. Ich werde das selbst auch machen.

Sitzungsbeginn: 18.10 Uhr.

(Die Sitzung wird um 17.59 Uhr unterbrochen und um 18.10 Uhr wiederaufgenommen. )

Präsident Johann Payer: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Stefan Prähauser. Ich erteile dieses.

18.11

Bundesrat Stefan Prähauser (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Sehr geehrte Damen und Herren! Einer der wichtigsten Sätze der Regierungserklärung von Bundeskanzler Dr. Vranitzky lautet: "Am Beginn der XX. Gesetzgebungsperiode der Zweiten Republik, die uns zugleich bis zum nächsten Jahrtausend führen soll, lade ich alle zur Zusammenarbeit ein."

Erstmals in der Zweiten Republik wird dem Parlament ein Budget für das laufende, aber auch schon für das nächste Jahr vorgelegt werden. Das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen liegt uns nun vor. Es wurde heute schon sehr ausführlich darüber diskutiert. Ich werde mich vor allem mit jenen Schwerpunkten auseinandersetzen, die hier noch nicht angeschnitten wurden.

Wichtigster Punkt der Koalitionsverhandlungen war die Erstellung eines Budgetprogramms, um die Neuverschuldung des Bundes bis Ende 1997 auf 2,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes beziehungsweise die Neuverschuldung aller öffentlichen Haushalte auf insgesamt 3 Prozent zu begrenzen.

Diese nachhaltige Budgetkonsolidierung wurde durch den konjunkturpolitischen Einsatz des Budgets 1993/94 unumgänglich.

Um die Last des Schuldendienstes zu vermindern und die wirtschaftliche Funktionsfähigkeit des Budgets zu sichern, wurde unter den Prämissen der Dauerhaftigkeit der Konsolidierungsmaßnahmen, der sozialen Ausgewogenheit entsprechend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Sicherung der Beschäftigung und der Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich ein 100-Milliarden-Schilling-Paket geschnürt. Einmalerlöse aus Privatisierungen sind im Konzept nicht enthalten, sondern sollen für außerordentliche Tilgungsleistungen und zur Dotierung zusätzlicher Ausgaben für Forschung und Entwicklung herangezogen werden.

Entgegen der ursprünglichen Position der ÖVP wurden auch deutliche einnahmenseitige Akzente gesetzt, die vor allem bei Beziehern höherer Einkommen greifen; das ist genau das, was uns die FPÖ vorgeworfen hat. Aber dazu stehen wir; das möchte ich hier noch einmal ausdrücklich wiederholen.

Neben Maßnahmen bei der Lohn- und Einkommensteuer – so wurde zum Beispiel die Obergrenze zur Geltendmachung von Sonderausgaben herabgesetzt – wurde auch die Kapitalertragsteuer auf Zinseinkommen erhöht.

Im Bereich Wohnbau sieht die neue budgetpolitische Konzeption unter dem Aspekt der Beschäftigungssicherung in einigen sensiblen Bereichen auch Ausgabenerweiterungen vor. So werden die Mittel für den Wohnbau erhöht, was sowohl positive beschäftigungspolitische als auch soziale Aspekte hat.

Weiterer Punkt: Wirtschaftsförderung. Um die Wirtschaft zu beleben, wurde zudem der Investitionsfreibetrag erhöht. Maßnahmen zur Förderung unternehmensbezogener Forschungs- und Entwicklungstätigkeit sowie Verbesserungen der Außenhandelsförderung sind in Ausarbeitung.


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Die Jugendbeschäftigung ist ein spezielles Anliegen dieser Bundesregierung. Spezielle Ausbildungs- und Arbeitsmarktprogramme sollen neue Akzente setzen.

Beim Karenzurlaub gibt es eine Änderung: Die zweijährige Karenzzeit wird auf maximal 18 Monate für einen Elternteil reduziert; die verbleibenden sechs Monate können nur vom jeweils anderen Elternteil in Anspruch genommen werden. Für alle Alleinerzieherinnen wird es keine Ausnahme geben.

Eingeführt wurde eine Sozialversicherung für Werkverträge. Für Werkverträge wird es hinkünftig eine Sozialversicherungspflicht geben. Gültig wird diese Maßnahme voraussichtlich aber nur für jene Arbeitnehmer sein, die nirgendwo anders sozialversichert sind. Die eineinhalbfache Geringfügigkeit bleibt da nach wie vor ausgenommen.

Zum Schutz älterer Arbeitnehmer wird ein Bonus-Malus-System eingeführt. Unternehmer ersparen sich, wenn sie Mitarbeiter einstellen, die das 50. Lebensjahr überschritten haben, den halben, und wenn sie Mitarbeiter einstellen, die über 55 Jahre sind, den ganzen Beitrag zur Arbeitslosenversicherung. Unternehmer, die einen Mitarbeiter, der das 50. Lebensjahr überschritten hat, kündigen, müssen an die Arbeitsmarktverwaltung einen Obolus entrichten, dessen genaue Berechnung gut überlegt wurde.

Bei der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer wurde folgende Regelung getroffen: Für all jene Frauen, die heuer 55 Jahre alt werden, und für all jene Männer, die heuer das 60. Lebensjahr erreichen, gelten die bisherigen Regelungen. Mit 1. Jänner 1997 werden die erforderlichen Beitragsmonate je Halbjahr um drei Monate erhöht. Mit 1. Jänner 2001 – bei dann 450 Versicherungsmonaten beziehungsweise 37,5 Beitragsjahren – endet die Erhöhung. Kindererziehungszeiten werden weiterhin angerechnet.

Schul- und Hochschulzeiten müssen, wenn sie für die Pension wirksam werden sollen, nachgekauft werden. In Zukunft werden bei 35 Versicherungsjahren lediglich 60 Prozent der Bemessungsgrundlage ausbezahlt; bisher waren es 64,5 Prozent.

All das sind Maßnahmen, die Opfer erfordern, die aber, wie ich meine, unumgänglich sind, um die Budgetkonsolidierung, wie vereinbart, über die Bühne bringen zu können.

Änderungen gibt es auch beim Arbeitslosengeld, bei der Notstandshilfe und bei der Sonderunterstützung. Um Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben, muß der Arbeitnehmer wie bisher 26 Wochen durchgehend beschäftigt gewesen sein. Als Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld werden die letzten 12 statt bisher die letzten sechs Monate herangezogen. Langzeitarbeitslose sollen nach eineinhalb Jahren Arbeitslosigkeit eine Arbeit im Sozialbereich, im Rahmen der sogenannten Gemeinnützigkeitsinitiative angeboten bekommen. Die Entlohnung erfolgt nach Kollektivvertrag; die Kosten für den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin übernimmt zum Großteil das Arbeitsmarktservice.

Die Notstandshilfe wird – aufgeteilt nach vier Kategorien – gekürzt. Wer im letzten Jahr 140 Tage sozialversichert beschäftigt war, erhält 20 Wochen lang Arbeitslosengeld, danach sechs Monate Notstandshilfe im Ausmaß von 92 Prozent, und dann gibt es maximal den Ausgleichszulagenrichtsatz von 7 887 S. Bezieher einer geringeren Notstandshilfe bleiben auf ihrem bisherigen Niveau.

Wer in den letzten fünf Jahren drei Jahre lang gearbeitet hat, bekommt 30 Wochen Arbeitslosengeld, dann sechs Monate Notstandshilfe im Ausmaß von 92 Prozent, dann höchstens den Richtsatz der Exekutionsordnung von 9 100 S pro Monat.

Wer über 40 Jahre alt ist und in den letzten neun Jahren sechs Jahre beschäftigt war, bekommt 39 Wochen Arbeitslosengeld und danach die Notstandshilfe wie bisher.

Wer über 50 Jahre alt ist und in den letzten 15 Jahren neun Jahre Arbeit hatte, bekommt 52 Wochen Arbeitslosengeld, Notstandshilfe wie bisher, eine Dynamisierung gibt es nach drei Jahren.


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Die allgemeine Sonderunterstützung für Frauen mit 54 Jahren und Männer mit 59 Jahren läuft mit 1. April 1996 aus. Stattdessen werden die Freigrenzen bei den Partnern von Notstandshilfebeziehern von derzeit 5 621 S bei 50 Jahren verdoppelt beziehungsweise bei 55 Jahren verdreifacht.

Die Selbstbehalte: Für Rehabilitations- und Kuraufenthalte wird es voraussichtlich ab 1. Juli 1996 einen Selbstbehalt zwischen 70 S und 120 S pro Tag geben.

Zum Pflegegeld: Ab dem zweiten Tag eines Spitalsaufenthaltes ruht das Pflegegeld. Die Stufe 1 des Pflegegeldes wird von derzeit 2 635 S auf 2 000 S reduziert. Das Taschengeld für Pfleglinge wird, wenn sie künftig Heimbewohner sind, von derzeit 1 138 S auf 569 S reduziert.

Von den sonstigen Reformen möchte ich besonders den Zivildienst erwähnen. Der Zivildienst wird in Hinkunft zwölf Monate dauern. Die Zivildiener erhalten das Recht auf einen zweiwöchigen Urlaub. Die echte Zivildienstdauer reduziert sich damit auf elf Monate und zwei Wochen. Derzeit dauert der Zivildienst elf Monate, mit einer Verlängerungsmöglichkeit auf zwölf Monate – Urlaub gab es bisher keinen. Zivildiener können in Zukunft ihren Antrag auf Zivildienst bis einen Tag vor Erhalt des Einberufungsbefehls stellen. Derzeit haben sie dafür nur einen Monat nach erfolgter Musterung Zeit. Der Zeitgewinn beträgt somit mehrere Monate. Die Zahl der Zivildienstplätze wird deutlich erhöht. Dadurch werden Zivildiener nicht mehr jahrelang auf die Ableistung ihres Dienstes warten müssen. Der Zivildienst wird damit berechenbarer, und die jungen Männer werden in ihrer Berufs- und Lebensplanung nicht unnötig behindert.

Zum Grenzschutz: Im Rahmen der Bundesgendarmerie wird ein Grenzschutz aufgebaut. Dieser Grenzschutzdienst wird aus Spargründen an der grünen Grenze im Burgenland und in Teilen Niederösterreichs weiterhin vom Bundesheer unterstützt werden.

Das waren einige Schwerpunkte des Arbeitsprogrammes der neuen, wie wir gehört haben, Vernunftkoalition von SPÖ und ÖVP.

Ein paar Worte zur Maut, weil diese heute auch schon erwähnt wurde: Früher verging kein Tag, ohne daß nicht irgendwo in Österreich Maut gefordert wurde. Maut, so hat man sich allerdings vorgestellt, nur für jene Ausländer, die Österreich als Tansitland benutzen. Wir wissen aber, daß das so nicht geht. – Jetzt haben wir die Maut, tragen wir sie gemeinsam! Dem Staat steht dadurch sehr viel Geld zur Verfügung, das auch zweckgebunden verwendet werden wird.

Denken wir doch zum Beispiel einmal daran, wieviel etwa Kärntner, Tiroler oder auch Salzburger an Mautgebühren in Italien ausgeben, um über den Brenner nach Tarvis oder Udine fahren und günstig einkaufen zu können. Zwei Einkaufsfahrten weniger, und das Pickerl ist schon erwirtschaftet. Man muß das wirklich einmal selbstkritisch sehen, dann ist der Betrag von knapp über 500 S sicher verschmerzbar und jedem österreichischen Autofahrer auch zumutbar.

Kollege Konečny hat die Ideenkonkurrenz moniert. Er hat bei der FPÖ nicht feststellen können, daß außer Kritik auch Vorschläge eingebracht wurden. Ich wundere mich! Die FPÖ hat doch ein Schattenkabinett. Die FPÖ hat auch ein Programm vorgestellt – nur habe ich von keinem der Redner der FPÖ etwas davon gehört. Mag sein, daß man nicht weiß, was vorgegeben wurde oder daß man es nicht für mitteilenswert hält. Ich darf Sie aber hier entsprechend informieren und punktuell auf einige Schwerpunkte des Arbeitsprogrammes der Freiheitlichen hinweisen. (Zwischenrufe der Bundesräte Dr. Tremmel und Dr. Rockenschaub. ) Ich habe gewußt, daß Sie nicht nachschauen wollen, weil Sie es ohnehin von uns vorgetragen bekommen. Das mache ich hiermit. (Beifall bei der SPÖ.)

Wichtigstes Anliegen des F-Papiers ist eine drastische Verringerung der Gewinnbesteuerung für Unternehmen. Wie seinerzeit Ronald Reagan oder Maggie Thatcher behauptet Haider, daß Arbeitsplätze dadurch geschaffen werden, daß die Unternehmen geringere Steuern zahlen. Was sich inzwischen weltweit als ideologisch motivierte Fehlannahme erwiesen hat, ist in Österreich aber doppelt fehl am Platz! So bescheinigte etwa das Wifo Österreich eine im internationalen Vergleich äußerst geringe Gewinnbesteuerung. Während in den letzten zehn Jahren die Gewinne der Kapitalgesellschaft um 107 Prozent gestiegen sind, ist ihr Steueraufkommen im


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gleichen Zeitraum nämlich nur um 18 Prozent gestiegen. Eine Analyse der Arbeiterkammer führt dies auf die "exzessiven Steuergestaltungsmöglichkeiten" für die Unternehmen zurück. Doch Haider reicht das nicht. Der ehemalige "Anwalt des kleinen Mannes" will weitere Vergünstigungen für gewinnträchtige Kapitalgesellschaften.

Angeblich im Sinne der Beschäftigungssicherung fordert Haider mehr Zeitautonomie für Betriebe ohne Einkommensverlust für Mitarbeiter. Wie so oft bei der FPÖ handelt es sich auch dabei um einen Widerspruch: Denn mehr Zeitautonomie für Betriebe bedeutet weniger Überstundenzuschläge für die Arbeitnehmer und damit ein geringeres Einkommen. Dies könnte nur ausgeglichen werden, indem die Basislöhne erhöht würden. Doch davon will Haider nichts wissen. Ganz im Gegenteil! Er fordert von den Gewerkschaften Zurückhaltung bei den Lohnabschlüssen. Mit anderen Worten: Haiders Arbeitszeitflexibilisierung bringt unweigerlich Einkommensverluste für Arbeiter und Angestellte.

Meine Damen und Herren von der freiheitlichen Partei! Nicht jeder Arbeitnehmer kann durch Handerlaufhalten einige Millionen mehr lukrieren. Ich bitte, das auch bei Ihrer Politik in Zukunft zu bedenken. (Bundesrat Dr. Tremmel: Wir sind aber keine Regierungspartei!) Sie wurden aber heute vom Bundeskanzler zur konstruktiven Mitarbeit eingeladen, Herr Kollege Tremmel!

Ein besonders bemerkenswerter Beitrag der freiheitlichen Partei war der Vorschlag, die Kollektivverträge um einige Prozentpunkte zu senken. Die Differenz, also den Lohnausgleich, sollte die öffentliche Hand bezahlen. – Ich frage mich, wie Sie sich das vorgestellt haben. Ich kann auf jeden Fall nicht goutieren, die Kollektivverträge zu kürzen und den Abgang aus der öffentlichen Hand zu finanzieren. Diese Art von "Selbständigkeit" für die Arbeitnehmer lehne ich ab! Und ich bitte auch, das noch einmal zu überdenken, die Absurdität zu erkennen und solche Vorschläge in Zukunft vielleicht nicht mehr so lautstark zu äußern.

Weitere Forderungen der FPÖ: "Schaffung von Arbeitsanreiz durch Erhöhung der Differenz zwischen Arbeitseinkommen und Arbeitslosengeldbezug". Mit anderen Worten ausgedrückt: Die FPÖ will eine generelle Reduktion des Arbeitslosengeldes. (Bundesrat Dr. Rockenschaub: Ja, sicher!) Genauso gut könnten Sie vorschlagen – das kritisiere ich in der Form nicht –, das Arbeitseinkommen zu erhöhen, damit die Differenz zur Arbeitslosenunterstützung größer wird. (Beifall bei der SPÖ.) Denn die Arbeitslosenunterstützung ist wahrlich kein Geldregen, sondern für den, der das erleben muß, eine fürchterliche Einschränkung des Familieneinkommens, besonders für einen Alleinerhalter. Wie das in der Zwischenkriegszeit mit den Ausgesteuerten war, das muß man erlebt haben oder von jenen, die es erlebt haben, erzählt bekommen haben, dann würde man solche "bemerkenswerte" Forderungen nicht in dieser Form stellen. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Tremmel. )

Bemerkenswert ist auch Haiders Forderung nach einem "Bildungsscheck für alle und Eigenbeitrag für die Ausbildung". Dahinter verbergen sich generell Schul- und Studiengebühren für jedermann. Das sollten Sie sagen, wenn Sie sich mit den Studierenden, die heute auf die Straße gehen, solidarisch erklären! Das wäre vielleicht ein neuer Aspekt, und Ihre Politik würde in ein anderes Licht gesetzt werden.

Das FPÖ-Papier weist auch eine Reihe von Unstimmigkeiten auf. So soll sich laut FPÖ Österreich im internationalen Gleichklang Steuertarifsenkungen anschließen. – Den FPÖ-"Experten" ist dabei entgangen, daß rund um Österreich – egal, ob in der BRD, Belgien, Schweden, Frankreich und zahlreichen anderen Ländern – Steuererhöhungen vorgenommen worden sind beziehungsweise in nächster Zeit vorgenommen werden. Von internationalen Steuersenkungen ist also nicht die Rede. Bemerkenswert ist bei der FPÖ-Forderung, daß die Abgabenquote Österreichs auf 41 bis 43 Prozent "gesenkt" werden soll. Derzeit liegt in Österreich, man höre und staune, die Abgabenquote – alle Steuern und Abgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt – bei 41,7 Prozent! Offenbar fehlt den FPÖ-"Experten" jegliches Basiswissen. Die Unterlagen sprechen jedenfalls eine deutliche Sprache.

Der Mangel an FPÖ-Lösungskompetenz zeigt sich auch in der Forderung nach dem "Umbau der Berufsschulen zu Handwerksschulen". Die Lehrlinge sollen demnach zuerst ein paar Jahre die


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Schulbank drücken, ehe sie in die Praxis gehen. Was von der FPÖ als Maßnahme gegen Jugendarbeitslosigkeit gepriesen wird, ist aber nichts anderes als ein Aufschieben des Problems, das dadurch auch nicht leichter bewältigbar wird.

In Wahrheit sind immer weniger Unternehmen bereit, Lehrlinge auszubilden. Das wirkliche Problem ist der Mangel an Ausbildungsplätzen. Eine entsprechende parlamentarische Initiative der SPÖ zur Verbesserung der Situation hat bislang keine Unterstützung der FPÖ gefunden. Kein Wunder – müßte dazu doch auch die Wirtschaft ihren Beitrag leisten.

Abschließendes Resümee: Die FPÖ-Vorschläge folgen einem klaren Muster: Unternehmer werden entlastet, Arbeitnehmer werden belastet. Dort, wo die FPÖ-Vorschläge Sinn machen, sind sie entweder vom SPÖ-Programm zu den Regierungsverhandlungen abgeschrieben oder in der Praxis längst verwirklicht. (Zwischenrufe.)

Meine Damen und Herren von der FPÖ! Was mich allerdings wirklich wundert, ist, daß Ihr Parteivorderer noch nicht auf die Idee gekommen ist, jene 30 Millionen Schilling Wahlkampfkostenrückerstattung, die er zu lukrieren versäumt hat, als Beitrag zur Budgetsanierung zu verkaufen. Das heißt, daß dieses "Versehen" eigentlich gewollt war, um den österreichischen Staat zu entlasten. (Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Ich darf Ihnen aber sagen, Herr Dr. Tremmel: Der 17. Dezember hat nicht zur Machtergreifung geführt. Der 17. Dezember war Ausdruck der Stimmungslage und des Bedürfnisses des Souveräns für die Zukunft einen Staat gestaltet zu sehen, der sich sozial ausgewogen darstellt. Nicht umsonst haben die zwei Koalitionsparteien Stimmenzugewinne zu verzeichnen gehabt. Sie verstehen, daß ich natürlich die Gewinne der Sozialdemokratischen Partei mit besonderer Freude vermerke. Aber auch das Erstarken der ÖVP sollte man nicht unter den Tisch kehren! Aber eines ist sicher eingetreten: Der blaue Ikarus hat sich nicht vom Boden erheben können, die Flügel wurden ihm ordentlich gestutzt, es wurde nicht einmal ein Hopser. Es wurde ein Bauchfleck mit Tiefgang. Und ich sage Ihnen ganz offen: Die gestutzten Flügel stehen Ihrem Vorsitzenden ausgezeichnet. Ich danke den Wählerinnen und Wählern im nachhinein dafür.

Es hat bei dieser Wahl, wird immer angemerkt, zwei Sieger gegeben: Das sind die heutigen Koalitionsparteien. Ich darf hier eine Umfrage zitieren, die gestern im "Kurier" veröffentlicht wurde, wonach sich 81 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher von der Koalition sehr viel erwarten, das heißt, ihr die Zustimmung geben. Das heißt, auch das gemeinsame Gestalten und Verhandeln nach dem Wahlausgang hat für eine gewisse Sicherheit gesorgt. Ich darf hier unseren Bundeskanzler besonders hervorheben, dem die Zugewinne nicht zu Kopf gestiegen sind, der den Koalitionspartner das Gesicht hat wahren lassen, auch bei der Verteilung der Ministerien und Staatssekretariate. Das ist in unserer Partei nicht immer so verstanden worden. Manche hatten den Eindruck, man sei vielleicht über den Tisch gezogen worden. Aber wenn man eine tragfähige Zusammenarbeit für die nächsten Jahre haben möchte, dann hat man auch den Partner entsprechend mitleben zu lassen. Das hat er getan, und das allein ist ein Fundament dafür, daß diese Regierung länger bestehen wird als die vergangene. Ich wünsche ein kräftiges Glückauf beim Umsetzen ihrer vielen Arbeit zum Wohle Österreichs! – Ich danke Ihnen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

18.33

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Langer. Ich erteile es.

18.33

Bundesrat Mag. Dieter Langer (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Leere Regierungsbank! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Offenbar haben Sie, Herr Kollege Prähauser, selbst für die eigenen Reihen nicht sehr überzeugend geklungen, denn der Applaus für Ihre Rede hat sehr zögerlich eingesetzt.

Zum Zweiten: Sie haben soeben ein Musterstück an Polemik dargelegt, das muß man schon sagen. Letztlich haben über eine Million Wähler nach wie vor uns und unseren Ideen, nämlich den freiheitlichen Vorstellungen für ein freies, für ein wirtschaftliches gesundes Österreich, den Vorzug gegeben. Das ist nicht zu übersehen! (Beifall bei den Freiheitlichen!) Ich komme in


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meinen Ausführungen noch darauf zurück. Man muß auch den Wahlerfolg, den die sozialdemokratische Fraktion jetzt als solch großen Erfolg verkauft (Bundesrat Dr. Prasch: Das ist ihr zu Kopf gestiegen!), relativieren und einfach sehen, daß sie damit das zweitschlechteste Ergebnis in der Geschichte der Zweiten Republik eingefahren hat. (Bundesrat Prähauser: Den zweitgrößten Zuwachs in der Geschichte!) Meine Güte! Von wenig kann man ja leicht viel gewinnen, wenn man – wie ich in meinen Ausführungen später noch darlegen werde – der Bevölkerung vor der Wahl falsche Tatsachen nennt und Versprechungen macht, die man nach der Wahl nicht halten kann. Denn eines werden Sie aufgrund meiner Ausführungen noch zugeben müssen, daß die Versprechungen, die vor der Wahl gemacht wurden, im Lichte des Belastungspaketes, welches nunmehr vorliegt, nicht gehalten werden.

Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung schöne Worte über Arbeitsplatzsicherung, Wirtschaftsentwicklung und Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich gebraucht. – Schöne Worte mit Umschreibungen und Gemeinplätzen. Ich zitiere: "Erforderlich ist eine Wirtschaftspolitik, die es möglich macht, bestehende Betriebe auszubauen und neue zu errichten." – Weiteres Zitat: " ... wird die Bundesregierung zahlreiche Maßnahmen zur Unterstützung neuer Unternehmen ergreifen." Weiteres Zitat: " ... neuen Anlauf nehmen müssen, um die Verwaltung zu vereinfachen und die behördlichen Verfahren zu verkürzen." Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Beantwortung zwischendurch auch selbst schon relativiert, daß das alles nicht so einfach ist, und er hat eine neue Offensive für Wachstum und Beschäftigung versprochen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Es waren also schöne Worte wie bisher, Worthülsen ohne Inhalt, ohne Details. Die Antworten auf die Fragen, wie er all diese Absichten umsetzen möchte, ist uns der Herr Kanzler schuldig geblieben. Mehr noch: Er beziehungsweise die Bundesregierung hat durch das Belastungspaket, welches sie verschämt "Strukturanpassungsgesetz" nennt, erkennen lassen, daß der Weg für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung Österreichs nicht positiv verlaufen wird. Darauf werde ich später eingehen.

Diese Bundesregierung hat allgemein das Problem, die Glaubwürdigkeit der von ihr gegebenen Versprechungen der Öffentlichkeit und dem Wähler darzulegen. Sehr geehrter Herr Kollege Prähauser! Wenn Sie die Regierungserklärungen des Herrn Bundeskanzlers der Jahre 1987, 1990, 1994 und jetzt 1996 genauso gut gelesen hätten wie unser Programm, dann hätten Sie erkannt, daß die Probleme, über die er gesprochen hat, bis heute die gleichen geblieben sind.

Präsident Johann Payer: Der Lärmpegel wird immer größer! Herr Mag. Langer ist am Wort.

Bundesrat Mag. Dieter Langer (fortsetzend:) Die Probleme haben sich nicht geändert. Die Erklärungen der Regierung sind nur kürzer geworden. Sie enthalten die gleichen Worthülsen als Antwort auf die gleichen Probleme. Dabei hätten Sie zehn Jahre Zeit gehabt, diese zu erledigen. Und nun wollen Sie uns weismachen, daß Sie nun diejenigen sind, die sich nunmehr plötzlich in die Lage versetzt sehen, die Österreicher aus der mißlichen Lage, in der wir sind, herauszuführen, in die wir gar nicht gekommen wären, wenn nicht Sie für die Politik der letzten zehn Jahre verantwortlich gewesen wären! Sie tun jetzt so, als ob Sie diese Verantwortung gar nicht gehabt hätten, als ob die handelnden Personen nicht die gleichen geblieben wären, als ob wir es jetzt mit einer völlig neuen Regierung zu tun hätten!

Sie selbst sind verantwortlich dafür, daß die großen Probleme nicht gelöst wurden, ja durch eine verantwortungslose Politik sogar noch verstärkt wurden. Ihre jetzigen Erklärungen werden dadurch, daß sie seit 1987 in jeder Regierungserklärung wiederholt werden, nicht glaubwürdiger. Es handelt sich um die großen Probleme der Finanzierung der Pensionen, des Gesundheitssystems, um das Problem der Arbeitslosigkeit, aber auch um die Bundesstaatsreform, die explodierenden Staatsschulden und um das Problem des Budgetdefizits.

Ein Vergleich der Regierungserklärungen bringt es an den Tag. Ich zitiere nur kurz, Beispiele könnte ich unzählige bringen. 1987: "Das Budgetdefizit bis zum Jahr 1991 soll auf unter 3 Prozent und bis 1992 auf unter 2,5 Prozent des BIP gesenkt werden." 1990: "Bis zum Ende der Legislaturperiode soll der Anteil des Defizits am BIP auf unter 2,5 Prozent gesenkt werden." Was


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dann geschah, hat mein Kollege Dr. Kapral schon eingehend dargelegt. Die Staatsfinanzen sind aus dem Ruder gelaufen, die Defizite haben sich erhöht, und jetzt bemüht sich die Bundesregierung, uns klarzumachen, daß sie es plötzlich schaffen wird, das Defizit bis 1997 auf 2,7 Prozent des BIP abzusenken.

Man kann nicht oft genug auf diese Tatsache hinweisen, daß Sie alle Warnungen in der Vergangenheit, alle Warnungen der Experten, der Wissenschafter, aber auch der Opposition in den Wind geschlagen haben. Doch so, wie Sie sich heute darstellen, sind Sie offenbar nicht schuld daran. Das ist ein Akt der verantwortungslosen Kindesweglegung, und darüber hinaus haben Sie vor den Wahlen 1994 und 1995 und vor der EU-Abstimmung den Wählern Dinge versprochen, die Sie hinterher nicht halten konnten.

Herr Vizepräsident Schambeck hat in seinen heutigen Ausführungen eindringlich darauf hingewiesen, daß Versprechungen, die gegeben wurden, auch einzuhalten sind. Sie führen damit Ihren Anspruch auf Glaubwürdigkeit selbst ad absurdum. Beispiele gefällig? – Vor der EU-Abstimmung sind dem österreichischen Durchschnittshaushalt von Frau Staatssekretärin Ederer 1 000 S Ersparnis im Haushaltsbudget pro Monat versprochen worden. Ich glaube, bei diesen 1 000 S Ersparnis ist es so wie beim Bühnenstück "Warten auf Godot", sie kommen nämlich nicht. (Bundesrat Prähauser: 800 S sind es schon!) Dagegen ist aufgrund des Belastungspaketes höchstwahrscheinlich eine Belastung des Durchschnittshaushaltes von 2 000 S monatlich zu erwarten. Plus und minus gerechnet ergibt das 3 000 S, die der Österreicher eigentlich aufgrund der Versprechungen nicht bekommt.

Das Urlaubs- und Weihnachtsgeld bleibt unangetastet, auch das war ein Versprechen, das wir erhalten haben. Denken Sie nur daran – Sie haben es vergessen, zu erwähnen –, daß im neuen Sparpaket jetzt begonnen wird, am Weihnachts- und Urlaubsgeld zu "drehen" und bereits die ersten Einbußen, weil diese Bestimmung mit 1. Juni in Kraft treten soll, bereits mit dem Urlaubsgeld Juni 1996 zu spüren sein werden.

Keine Steuererhöhungen wird es geben, so hat es noch vor der Wahl 1994 geheißen, und schon gleich danach war es so weit, daß die Mineralölsteuer erhöht wurde. Das alte Sparpaket hat die Belastungen gebracht, und das neue Sparpaket bringt noch größere.

Mit dem EU-Beitritt wird es Tausende von neuen Arbeitsplätzen geben. Tatsache ist doch, meine Damen und Herren, daß wir momentan die höchste Arbeitslosenrate der Zweiten Republik momentan haben, verbunden mit der anhaltend größten Pleitenwelle. Weitere Beispiele sind möglich.

Sie haben Versprechungen gemacht, und Sie haben diese nicht gehalten. Entweder haben Sie es nicht besser gewußt, dann hat die Regierung damit ihre Unfähigkeit demonstriert, oder Sie haben es wissentlich anders gesagt, als Sie es wußten. Wie das zu beurteilen ist, überlasse ich den zukünftigen Wählern.

Sie haben zehn Jahre lang Unfähigkeit bewiesen und Österreich in die jetzige Situation gebracht, und dieselben handelnden Personen sollen jetzt plötzlich in der Lage und fähig sein, den sogenannten sprichwörtlichen Karren aus dem Dreck zu ziehen?! Das ist so, wie wenn man einem Bankrotteur die Sanierung seiner Firma in Auftrag gibt, oder als ob Herr Generaldirektor Gerharter damit beauftragt worden wäre, den "Konsum" zu sanieren.

Der Herr Bundeskanzler hat in seiner leider dürftigen Regierungserklärung nichts dazu getan, das Vertrauen in die Problemlösungskapazität dieser Bundesregierung zu stärken. Die Probleme wurden unter seiner Regierung in den letzten Jahren noch durch eine antizyklische Sozialpolitik verstärkt, von der er selbst zugegeben hat, daß er deren Auswirkungen nicht absehen konnte; eine antizyklische Sozialpolitik, die hier im Bundesrat sogar noch sehr gelobt wurde. Und jetzt ist diese Regierung dabei, die Wirtschaft und damit den Erfolg einer angestrebten oder behaupteten Sanierung zu gefährden, weil es eben keine antizyklische Wirtschaftspolitik gibt.


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Die Konjunktur bricht jetzt dramatisch ein. Das ist letztlich die Schlußfolgerung, die das Wirtschaftsforschungsinstitut aus der Entwicklung des letzten halben Jahres zieht. Und darüber hinaus machen Sie mit Ihrem Belastungspaket etwas, was für die Wirtschaftsentwicklung extrem gefährlich ist. Sie zerstören das Vertrauen in die Kontinuität der Gesetzgebung, das Vertrauen des wirtschaftlichen Entscheidungsträgers, daß dann, wenn er eine wirtschaftliche Entscheidung für die Zukunft trifft, die Rahmenbedingungen die gleichen sein werden, wenn der Erfolg dieser Entscheidung eintreten soll. Sie schaffen jene Unsicherheit, die unternehmerische Entscheidungen hemmt, die unternehmungslustige Leute daran hindert, Unternehmer zu werden, und die Investitionen zurückhält, und da wird auch die Anhebung des Investitionsfreibetrages nichts helfen. Wie wollen Sie auf dieser Basis 50 000 neue Betriebe schaffen? Das sind zirka 20 Prozent des derzeitigen Betriebsstandes Österreichs überhaupt – zusätzlich wohlgemerkt. Das klingt sehr gut und schön, aber Sie haben österreichweit 250 000 bis 300 000 Betriebe, und jetzt sollen 50 000 neu dazukommen. Man muß sich vorstellen, welchen Umfang das hat, das heißt also, daß es sich hier nur um eine Worthülse handeln kann. Aber Sie haben es nicht einmal geschafft und waren nicht einmal in der Lage, durch entsprechende Rahmenbedingungen bestehende Betriebe am Absterben zu hindern beziehungsweise am Leben zu erhalten. Sie haben keine Möglichkeiten zur Eigenkapitalbildung gegeben – trotz der Lippenbekenntnisse der vergangenen Jahre. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kaufmann. )

Da sagt dann der Herr Bundeskanzler jetzt in seiner Regierungserklärung, daß neue Möglichkeiten geschaffen werden müssen? Alles Maßnahmen, die bisher nicht gegriffen haben. Sie haben Ihre Hausaufgaben seinerzeit nicht gemacht, und Sie werden es auch diesmal nicht schaffen – leider für Österreich!

Darüber hinaus werden Sie mit dem Belastungspaket dafür sorgen, daß die Insolvenzwelle weiter anhalten wird. Einige Beispiele: Sie verschieben willkürlich die Verlustabzüge, Sie ziehen willkürlich die Nachversteuerung von Rückstellungen vor, Sie dehnen willkürlich den Abschreibungszeitraum für KFZ auf acht Jahre aus, Sie führen willkürlich eine Strom- und Gassteuer ein, Sie streichen willkürlich den Vorsteuerabzug für den Fiskal-LKW, was vor allem die Handelsvertreter stark trifft, und Sie erhöhen willkürlich die Mindestkörperschaftssteuer von 15 000 S auf 50 000 S, was vor allem die Klein- und Mittelbetriebe treffen wird. (Bundesrat Dr. Kaufmann: Das ist eine Vorauszahlung!) Wie wenn Sie es nicht selbst besser wüßten, Herr Dr. Kaufmann! Sie wissen es besser und sagen ganz bewußt etwas anderes.

Wo bleiben die Proteste der Wirtschaftsvertreter und der Politiker? O ja, die gibt es natürlich, denn der Präsident der Bundeswirtschaftskammer, Herr Maderthaner, in seinem Nebenberuf auch Abgeordneter zum Nationalrat, läßt sich öffentlich mit Photo feiern, daß er sich für die Interessen der Handelsvertreter einsetzen wird und sich stark machen wird dafür, daß der Fiskal-LKW wieder den Vorsteuerabzug bekommt.

Herr Landeshauptmann und Bürgermeister Dr. Häupl hat starke Auftritte hinsichtlich der Doppelmaut auf den Stadtautobahnen. Beide können das locker tun, wohl wissend, daß es keine Chance gibt, etwas zu verändern, weil beide diese Maßnahmen in den entscheidenden Gremien mitbeschlossen und mitgetragen haben. Das ist wohl der Gipfel an Scheinheiligkeit, hier etwas für die Galerie zu tun und genau zu wissen, daß man nichts mehr ändern kann. Und das fügt sich nahtlos in das Bild der mangelhaften Glaubwürdigkeit, welches derzeit Regierung und Sozialpartner verbreiten.

Wir gehen, sehr geehrte Damen und Herren, den falschen Weg. Das Wirtschaften wird kurzsichtig und phantasielos vor dem Hintergrund der anhaltend größten Insolvenzwelle der Nachkriegszeit mit Forderungsverlusten für die Wirtschaft und für die Banken in gigantischer Milliardenhöhe und einer sich rasant ins Negative bewegenden Zahlungs- und Leistungsbilanz und der bislang größten Arbeitslosenrate der Nachkriegszeit erschwert, denn nicht nur die einnahmenseitigen, sondern auch die ausgabenseitigen Maßnahmen sind großteils Belastungen.

Die Folgen sind absehbar. Schon jetzt ist die Auftragslage rückläufig, der Konsum geht zurück, die Umsätze fallen, Gewinne bleiben aus, und die Stimmungslage der Unternehmer, ein


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wichtiger Indikator für die Entwicklung der Wirtschaft, ist bereits jetzt negativ. Dafür erhöht sich die Abgabenquote, die internationale Wettbewerbsfähigkeit geht zurück, der Wirtschaftsstandort Österreich wird unattraktiver, Investoren bleiben aus, Steuereinnahmen sinken, das heißt, der geplante Abbau des Defizits wird in der vorgesehenen Form nicht stattfinden können, dafür steigen die Insolvenzen.

Die Maßnahmen des Belastungspakets – ich habe es schon angedeutet – werden dafür sorgen, daß entweder durch rigorose Einsparungen bei den Betrieben oder durch Insolvenzen dieser Betriebe eine Reihe von Arbeitsplätzen verlorengehen. Die Autobahnmaut und das kommende Road-pricing werden ihr übriges tun.

Diese Regierung ist – ich behaupte es – nicht problemlösungsfähig, denn an den Strukturen ändert sich nichts. Während Deutschland, das vor ähnlichen Problemen steht, die Wirtschaft entlastet, indem die Lohnnebenkosten und die Abgabenquote herabgesetzt werden, geht Österreich den verkehrten Weg. (Bundesrat Prähauser: Wo noch mehr Arbeitslose produziert werden als in Österreich!) Niedrige Inflationsrate, hohe Arbeitslosenrate, das haben wir schon einmal im Laufe dieses Jahrhunderts gehabt. (Bundesrat Prähauser: Die Wirtschaftsforscher sagen 6 Millionen Arbeitslose voraus!)

Das Kaputtsparen der Wirtschaft ist in diesem Fall vorprogrammiert. Wo bleiben die versprochenen Entlastungen für die Wirtschaft, außer in den ewigen Ankündigungen, die jetzt schon Repetitionswert haben, weil es immer dasselbe ist. Aber der Abbau der Bürokratie, der Abbau der unbezahlten Dienstleistungen für den Staat, bei Lohnsteuer und Abgabenverrechnung, bei der Kontrolle der Arbeitsinspektorate, bei den Behördenwegen, bei den Lohnnebenkosten, aber auch bei unnötigen Sozialauflagen finden nicht statt. Statt Erleichterungen werden wieder nur Schikanen angedroht, denn die Zahl der Betriebsprüfungen wird von 20 000 auf 26 000 erhöht, und die Arbeitsinspektorate sind angehalten, strengere Kontrollen durchzuführen.

Doch damit Arbeitsplätze und Steueraufkommen gesichert werden, benötigen wir eine funktionierende Wirtschaft. Das hat selbst der Herr Bundeskanzler festgestellt. Doch damit der Wirtschaftsmotor laufen kann, braucht er statt Belastungen und Erschwernissen positive Impulse und ein positives Wirtschaftsklima. Wie das geschehen soll, darauf ist der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung leider die Antwort schuldig geblieben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

18.55

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich weiters Herr Bundesrat Ing. Johann Penz. Ich erteile es.

18.55

Bundesrat Ing. Johann Penz (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesrat Drochter hat in seiner Wortmeldung davon gesprochen, daß die Österreichische Volkspartei bei weitem ihr Ziel am 17. Dezember verfehlt hat, und auch Herr Bundesrat Prähauser hat in seiner Wortmeldung davon gesprochen, daß bei den Koalitionsverhandlungen die Sozialdemokratische Partei, die Österreichische Volkspartei mitleben hat lassen. Ich glaube, daß diese Worte auch im Zusammenhang mit dieser Koalition nicht ganz optimal gewählt sind, denn ich glaube, daß diese grundsätzliche Auseinandersetzung vor dem 17. Dezember durchaus notwendig und richtig war, denn dieser ernüchternde Kassasturz zu Jahresbeginn und der damit verbundene personelle Wechsel im Finanzministerium haben nämlich neue Wege zu neuen Einsichten geebnet. Und Einsicht ist – obwohl das auch in die vorösterliche Zeit hineinpaßt; hier aber auf die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers gemünzt – tatsächlich der erste Schritt zur Besserung.

Erstens ist diese Regierungserklärung geprägt von der Einsicht, daß es nicht genügt, Handlungsbedarf – ein fast schon personalisiert geflügeltes Wort – zu erkennen, sondern daß auch eine entsprechend konsequente Handlungsbereitschaft aufzubringen ist.


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Zweitens ist diese Regierungserklärung geprägt von der Einsicht, daß es nicht ausreicht, Reformbereitschaft zu simulieren, sondern daß Neuordnungen in vielen Bereichen notwendig und unausweichlich sind.

Drittens ist diese Regierungserklärung geprägt von der Einsicht, daß es nicht ausreicht, Pakte zu schließen, sondern daß damit auch unabdingbar verbunden ist, Wort zu halten.

Und viertens ist diese Regierungserklärung geprägt von der Einsicht, daß es nicht eine Lösung schlechthin für alle unsere politischen, wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Probleme gibt, sondern – ich darf zitieren – daß es ein Feld von Alternativen gibt, in dem es gilt, sich dort markierend zurechtzufinden.

Offen gesagt, diese Sicht signalisiert auch eine neue Ehrlichkeit, von der ich hoffe, daß die politische Auseinandersetzung davon geprägt ist. Sie lädt zu einer differenzierten Betrachtungsweise ein, abseits grobschlächtig primitiver Schwarzweißmalerei, abseits des ritualisierten Schlagabtausches zwischen der Regierung und den sie tragenden Fraktionen und der Oppositionspartei.

Wie weder jede einzelne vorgeschlagene Maßnahme unbedingt auch aus der Sicht der Betroffenen der Weisheit letzter Schluß ist, so wenig ehrlich ist eine oppositionelle Kritik, wie wir sie heute auch von verschiedenen Rednern gehört haben, die das Arbeitsprogramm dieser Regierung in Bausch und Bogen verdammt.

Meine Damen und Herren von der freiheitlichen Fraktion! Nur ein Gaukler wird den Menschen einreden können, daß ohne schmerzliche Sparmaßnahmen und ohne steuerliche Nachadjustierungen ein Konsolidierungsvolumen von 100 Milliarden Schilling zusammengebracht werden kann. Das ist ohne tiefe Einschnitte eigentlich undenkbar. (Bundesrat Dr. Tremmel: Das ist der Fluch des Schwindelbudgets!) Ein blauer Don Quichotte macht viel Wind, um überhaupt erst mit Mühlen kämpfen zu können.

Wir von der Österreichischen Volkspartei haben den Bürgern vor dem 17. Dezember reinen Wein eingeschenkt. Die Betroffenheit über die Maßnahmen, die sich heute sogar auf der Straße artikuliert, hat sicherlich auch damit zu tun, daß nicht wenige der viel angenehmer im Ohr klingenden Botschaft vertraut haben, daß eigentlich die Lage nur halb so schlimm sei und es schon gar nicht so schlimm sein werde, sich da herauszumanövrieren. Trotzdem hat die Auseinandersetzung im Vorfeld des 17. Dezember breiten Bevölkerungskreisen die Notwendigkeit der Konsolidierung und der Sanierung bewußt und einsichtig gemacht.

Weil sich das Regierungsprogramm auf diese Einsichten stützt, sagt die Österreichische Volkspartei ein klares Ja zu dieser Regierungspartnerschaft. Die Konsolidierung des Staatshaushaltes hängt zwar nicht alleine von innerösterreichischen Maßnahmen ab, sondern steht auch unmittelbar mit den Maastricht-Kriterien für eine Europäische Währungsunion im Zusammenhang und ist aber auch unsere verdammte Schuldigkeit gegenüber der nächsten Generation. Es ist ein Gebot der Stunde, jetzt zu sparen, die eingegangenen Verpflichtungen einzulösen und Schulden abzuzahlen, damit auch die nachkommende Generation noch atmen kann und einen entsprechenden Spielraum für politische Möglichkeiten hat.

Es ist in wesentlichen Bereichen gelungen, die Ausgabendynamik zu brechen, wenn auch nicht jede einzelne Maßnahme für sich den Anspruch erheben darf, damit auch schon eine systemändernde Strukturreform einzuleiten. Es sind vielmehr erste Schritte gesetzt, denen noch weitere zu folgen haben. Hier bin ich mit vielen meiner Vorredner einer Meinung.

Manche Strukturänderungen – ich denke hier an den Wissenschaftsbereich und freue mich, daß auch die Frau Gesundheitsministerin da ist –, insbesondere auch im Gesundheitsbereich, müssen noch folgen. Ordnung in den Staatsfinanzen ist eine Grundvoraussetzung dafür, daß die Politik wieder Gestaltungsspielräume zurückgewinnt, die sie bewußt nützt, um jene Schwerpunkte zu setzen, wie sie auch im Arbeitsprogramm der Regierung skizziert sind, allen voran zur Beschäftigungs- und Standortsicherung. Die offensichtliche Entkoppelung von Wirtschafts


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wachstum und Beschäftigung stellt dabei eine besondere Herausforderung für uns alle in Österreich dar – egal, ob in den Regierungsparteien oder in den sozialpartnerschaftlichen Gremien.

Unternehmerische Menschen sollen sich in diesem Land auch entfalten können. Unter den vielfältigen Maßnahmen, die angestrebt werden, um dieses Ziel zu erreichen, scheint mir eine, die der Herr Bundeskanzler auch heute in seiner zweiten Wortmeldung genannt hat, sehr wichtig zu sein, nämlich daß wir einen radikalen Kahlschlag im Bereich der Bürokratie vornehmen und die überlangen Genehmigungsverfahren und die bisher übliche Vervielfachung von Vorschriften endlich reduzieren. Damit wird initiatives Unternehmertum heute noch oft im Keim erstickt, und damit werden die Ansiedlungen ausländischer Unternehmungen auch über Gebühr erschwert. Ich bin froh, daß auch der Herr Bundeskanzler klar dazu Stellung genommen hat, denn die Menschen sind nicht für die Bürokratie da, sondern die Bürokratie für die Menschen!

Auch in anderen Bereichen – ich denke beispielsweise auch an den Pflanzenschutz, Frau Bundesministerin Dr. Krammer – ist anzusetzen. Die schleppenden Zulassungen und Registrierungen von modernen Pflanzenschutzmitteln ist nicht nur für die Bauern ein Ärgernis, sondern es geht auch zu Lasten der Umwelt, wenn keine besseren umweltverträglicheren Produkte durch Systemverkalkung zum Einsatz kommen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die breite Basis, auf die sich diese Regierung stützen kann, ist auch ein gutes Fundament dafür, daß Österreich seine Rolle in Europa offensiv wahrnehmen kann. Die Zusammenarbeit von SPÖ und ÖVP bürgt nämlich für Stabilität, Kontinuität und Berechenbarkeit. Es ist begrüßenswert, daß Österreich sozusagen am Vorabend vor dem Beginn der großen Regierungskonferenz mit sich selbst ins reine gekommen ist, und alle Möglichkeiten, die sich ihm durch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union eröffnen, konsequent und mit Nachdruck nützen will.

Es ist begrüßenswert, daß sich Österreich voll zur Wirtschafts- und Währungsunion und ihrer Verwirklichung, auch unter Einhaltung des Zeitplanes und der vertraglich festgelegten Bedingungen, bekennt. Es ist begrüßenswert, daß außer Streit gestellt ist, daß sich Österreich zum Zweck der dauernden Gewährleistung seiner Sicherheit, im Einklang mit den Zielsetzungen der Europäischen Union, für die vollberechtigte Teilnahme des Landes an funktionsfähigen, europäischen Sicherheitsstrukturen einsetzt. Und es ist begrüßenswert, daß sich Österreich im Sinne der im EU-Vertrag verankerten Perspektive an den Bemühungen um eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik aktiv beteiligen und die Ergebnisse der Regierungskonferenz, wie es im Arbeitsübereinkommen auch heißt, loyal in europäischer Gesinnung umsetzen wird.

Die aktive Zusammenarbeit in allen Sicherheitsforen ist nicht nur, wie in der Regierungserklärung ausgeführt, auf die aktive Mitarbeit im Rahmen der NATO-Partnerschaft für den Frieden sowie für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa beschränkt, sondern umfaßt auch die WEU, wofür das Arbeitsübereinkommen klar den Rahmen absteckt. Ich darf für Herrn Kollegen Dr. Tremmel wortwörtlich aus dem Regierungsübereinkommen zitieren, in dem es heißt:

Im Lichte des Verlaufes der EU-Regierungskonferenz und der Entwicklungen in der europäischen Sicherheitspolitik wird die Bundesregierung alle weiterführenden sicherheitspolitischen Optionen, einschließlich der Frage einer Vollmitgliedschaft Österreichs in der WEU, einer umfassenden Prüfung unterziehen und dem Parlament hierüber auf einvernehmlichen Antrag des Bundeskanzlers, des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten und des Bundesministers für Landesverteidigung noch vor Übernahme des EU-Vorsitzes durch Österreich, spätestens jedoch im Laufe des ersten Quartals des Jahres 1998 berichten. – Ende des Zitates.

Das ist die Antwort auf Ihre Frage, die Sie gestellt haben. (Bundesrat Dr. Tremmel: Das Resultat würde mich interessieren! – Bundesrat Eisl: Sie werden prüfen! Bis 1998 werden Sie prüfen!) Ich würde nur bitten, daß Sie auch das Koalitionsübereinkommen in entsprechender Weise lesen würden, wie der Herr Bundeskanzler es gesagt hat; es ist also auch eine Holschuld.

Gerade auf internationaler Ebene kommen auch auf Österreichs Bauern in den nächsten Jahren große Herausforderungen zu. Es ist dies die weitere Form der Gemeinsamen Agrarpolitik der


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Europäischen Union, bei der die Bauern Kontinuität und Sicherheit erwarten. Es ist weiters die Osterweiterung, die ein partnerschaftliches Vorgehen aller Wirtschaftsbereiche verlangt und nicht allein auf dem Rücken der Bauern erfolgen darf. Schließlich ist eine neuerliche Änderung auch des Welthandelsabkommens vorgesehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese neuen Regeln dürfen aber auf keinen Fall die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft oder der Natur belohnen. Es muß auf jeden Fall sichergestellt werden, daß bei der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik, der Osterweiterung und der geplanten Weiterentwicklung des Welthandelsabkommens die regionale und topographische Situation Österreichs mit seiner klein- und mittelbäuerlichen Struktur, einer nachhaltig ökologisch verträglichen Bewirtschaftung, seinen Familienbetrieben und seiner gewachsenen bäuerlichen Kultur in entsprechender Weise Berücksichtigung findet. Dabei brauchen die Bauern in der Regierung einen starken Partner, der ihre Interessen in den jeweiligen internationalen Entscheidungsgremien vertritt.

Hohes Haus! Auch die Ausführungen der Regierungserklärung im Nationalrat zur Land- und Forstwirtschaft sind von der eingangs erwähnten neuen Sicht gekennzeichnet. Jetzt erst recht stellt sich für viele die Frage, warum das Europa-Abkommen im Herbst des Vorjahres in Frage gestellt wurde, warum sogar angesichts der Komplimente, die Bauern angesichts ihrer gewaltigen Leistungen im ersten Jahr nach dem EU-Beitritt aus dem Munde des Bundeskanzlers erfahren haben, dramatische und spezifische Mehrbelastungen für die Bauern erzwungen werden sollten.

Ich sage es ganz offen, da wurden im Herbst mit klassenkämpferischen Argumenten schmerzhafte Wunden geschlagen. Und die Narben sind da, sie sind nicht so einfach wegzuwischen. – Die Bauern haben tatsächlich – um bei dem Bild der Regierungserklärung zu bleiben – den Stier bei den Hörnern gepackt. In gemeinsamer Anstrengung auch in Verbindung mit ihrer Interessenvertretung, die sie mit Rat und Tat unterstützt hat, wurde Großartiges geleistet.

Ich möchte hier auch den Dank an die österreichischen Konsumenten zum Ausdruck bringen, denn sie haben mit ihrer Volksabstimmung, mit ihrem Einkaufskorb unseren Bauern die Stange gehalten.

Trotz der Leistungen durch die Europäische Union, durch Bund und Länder ist aber in manchen agrarischen Bereichen ein dramatischer Einkommensverlust zu verzeichnen. Es erscheint mir notwendig, über die Ausführungen der Regierungserklärung hinaus zu betonen, daß von den Bauern in der Höhe von rund 300 Millionen Schilling durch eine 1prozentige Anhebung des Beitragssatzes von 12,5 auf 13,5 Prozent in der Pensionsversicherung ab 1. April 1996 ein wesentlicher Beitrag zur Konsolidierung geleistet wird.

Darüber hinaus sind die Bauern im Sozial- und Familienbereich natürlich auch durch alle übrigen Maßnahmen wie Streichung der Geburtenbeihilfe, Verschärfung der Anwartschaftsbedingungen in der Pensionsversicherung, Verschärfung der Maßnahmen gegen Frühpensionen et cetera betroffen.

Völlig unbefriedigend im Sozialbereich, meine sehr geehrten Damen und Herren – ich betone das auch mit dem Grundsatz der differenzierten Kritik –, ist der Berufsschutz geregelt, bei dem es weiterhin an Gleichbehandlung mangelt. Dabei wäre es längst notwendig, den bäuerlichen Beruf auch als qualifizierten Beruf anzuerkennen und eine einheitliche Regelung für alle Berufsgruppen zu schaffen. Derzeit werden die Bauern beim Berufsschutz wesentlich benachteiligt. Das führt dazu, daß Bauern auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden können und nunmehr bis zum 57. Lebensjahr – trotz einer abgeschlossenen Berufsausbildung – keine Möglichkeit haben, in die Erwerbsunfähigkeitspension zu gehen. Und das, so meine ich, ist für die Zukunft ebenso untragbar wie unhaltbar.

Ich habe bereits betont, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß die Bauern von allen anderen Maßnahmen, die im Rahmen des Konsolidierungsprogrammes umgesetzt werden, ebenso betroffen sind. Das gilt vor allem auch für den familienpolitischen Bereich, weil auch bäuerliche Familien zu den besonders kinderreichen gehören. Da summiert sich die Belastung


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besonders. Es trifft die Bauern besonders hart, wenn die Kinder studieren, nicht nur hinsichtlich der Familienbeihilfe, sondern auch – vor allem für periphere Regionen – hinsichtlich der Fahrtkosten.

Die grundsätzliche Diskussion, die in diesem Zusammenhang geführt wird, berührt meiner Meinung nach ein grundsätzliches Problem, das ohne ideologische Scheuklappen angesprochen gehört, und das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist eine Systemfrage. Familienpolitische Leistungen aus dem Lastenausgleich sind nur ein Standbein, wie Familien gefördert werden können. Das andere Standbein, die steuerliche Berücksichtigung der Familie, wurde systematisch amputiert.

Eine Individualbesteuerung, die die finanziellen Mehrbelastungen für die Familien praktisch unberücksichtigt läßt, führt damit zwangsweise zu Verzerrungen, wie sie jetzt durch die Kürzung von familienpolitischen Leistungen diskutiert werden. Eine Familienbesteuerung, die Rücksicht darauf nähme, wie viele Personen vom Familieneinkommen tatsächlich leben müssen, würde die nunmehr zutage getretenen Probleme wesentlich entschärfen.

Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, wäre auch ein Fall für eine Strukturreform. Darüber gibt aber die Regierungserklärung keinerlei Aufschluß, und ich bin eigentlich enttäuscht darüber, daß die Familie in dieser Regierungserklärung nur stiefmütterlich aufgezählt ist. Es gibt drei Erwähnungen, wenn ich richtig gezählt habe, und zwar in folgender Reihenfolge: Gewalt im Familienkreis, Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie partnerschaftliche Familie.

Ohne Familien, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist kein Staat zu machen. Als grobe Skizze – da nehme ich die Regierungserklärung beim Wort – ist sie hilfreich und gut. An detailreichen Zeichnungen aber muß, wie ich beispielhaft aufzuzeigen versucht habe, noch kräftig die Hand angelegt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unterschiedliche Auffassungen wird es da und dort immer geben. Gegensätze sind aber nicht dazu da, daß sie sorgsam gepflegt werden, sondern daß sie überbrückt werden, wo immer sie zu überbrücken sind – im Interesse des Landes und im Interesse der Zukunft dieses Landes. Dazu ist diese Bundesregierung auch angetreten.

In guten Zeiten zu regieren, war noch nie ein Kunststück, Herr Kollege Dr. Tremmel! In schwierigen Zeiten zu regieren, sich der Verantwortung bewußt zu sein, ist die eigentliche Bewährungsprobe für die erneuerte Partnerschaft. Sie ist heute gut fundiert. Schritt um Schritt gilt es jetzt, darauf auch aufzubauen.

Die besten Reformer, die die Welt kennt, so sagte einmal George Bernard Shaw, sind diejenigen, die bei sich selbst anfangen. – Diesen Anfang hat – davon bin ich überzeugt, meine sehr geehrten Damen und Herren – dieses Regierungsbündnis mit diesem Arbeitsübereinkommen gemacht. Daher bin ich auch zuversichtlich für dieses schöne Land, für unsere Heimat Österreich! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

19.17

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Josef Rauchenberger. Ich erteile dieses.

19.17

Bundesrat Josef Rauchenberger (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hoher Bundesrat! Meine Damen und Herren! Gerade die Schlußworte des Kollegen Penz ermöglichen es mir, einen Übergang zu finden – in Anbetracht der eingeleiteten Abschiedssymphonie nicht zu der vorbereiteten Rede, sondern doch zu einigen kurzen Bemerkungen über diese Regierungserklärung, die heute so breit diskutiert wurde.

Ich habe eigentlich gehofft – damit stehe ich im Gegensatz zu den Freiheitlichen –, daß die Inhalte dieser Regierungserklärung diskutiert werden, daß eine konstruktive Kritik kommt, daß gutgemeinte Alternativvorschläge vorgebracht werden, daß nicht nur stereotype Floskeln und Allgemeinplätze hier vom Podium aus zum besten gegeben werden, und zwar hätte ich das


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wirklich aus sachlichen, aber auch aus demokratiepolitischen Überlegungen erhofft. Ich habe darauf gehofft, daß ein Wettstreit der Ideen stattfindet, daß hier im Haus ein konstruktiver Dialog über diese Regierungserklärung möglich ist, daß eine Konkurrenz zur Regierungserklärung und zum Koalitionsübereinkommen dargestellt wird und daß eine glaubwürdige Alternative zum Konsolidierungsprogramm vorgetragen wird.

Es ist dies alles nicht geschehen. Lassen Sie mich deshalb Herrn Mag. Langer zitieren, allerdings in einer kurzen Abhandlung: "Sie gehen den falschen Weg" – gemeint sind hier die Freiheitlichen –, "er ist kurzsichtig und phantasielos." Diese Opposition ist nicht problemlösungsfähig!

Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Freiheitlichen! Sie hätten heute die Chance gehabt, für mehr Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit einzutreten, für ein Symbol der Verantwortung in diesem Staat, aber auch für eine politische Herausforderung mit uns Sozialdemokraten und Vertretern der Österreichischen Volkspartei. Sie haben alle diese Chancen ungenützt gelassen. Einmal mehr haben Sie sich – wie schon erwähnt – in Gemeinplätze, in Floskeln, in Neid, Mißgunst und in eine besondere Art von Mieselsucht hineintreiben lassen. (Zwischenruf des Bundesrates Waldhäusl. ) – Das ist es. Diese Opposition ist nicht problemlösungsfähig. (Bundesrat Waldhäusl: Eure Probleme müßt ihr euch selbst lösen! Eure hausgemachten Probleme müßt ihr euch selbst lösen!)

Offensichtlich hören Sie mir zu, und offensichtlich trifft es Sie! Deshalb meine ich es ehrlich und ernst und bitte Sie, daß Sie bis zur Diskussion über das Strukturanpassungsgesetz sozusagen in sich gehen und auch die Fraktionslinie überlegen, ob es wirklich einen Sinn macht, alles und jedes zu kritisieren und keinen einzigen konstruktiven Alternativvorschlag vorzulegen! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Im Gegensatz zu Ihnen war ich bei jedem Ihrer Redner – bei jedem Ihrer Redner! – im Saal. Ich habe die Reden genau verfolgt, weil ich versucht habe, einen konstruktiven Dialog von meiner Seite aus einzuleiten. Arbeiten Sie daran! Die Chance ist gegeben! (Bundesrat Dr. Rockenschaub: Jawohl, Herr Oberlehrer!)

Herr Kollege! Sie haben heute hier zum Ausdruck gebracht, daß dieses Haus nicht der Lächerlichkeit ausgeliefert sein soll. Nehmen Sie an sich selbst ein Beispiel: Mit diesen Argumenten, wie Sie sie in der Öffentlichkeit bringen, tragen Sie dazu bei, die Politik als Gesamtes herabzuwürdigen. (Beifall bei der SPÖ.)

19.21

Präsident Johann Payer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Ich möchte der Frau Bundesministerin Dr. Christa Krammer, die bis zum Schluß ausgeharrt hat, ein herzliches Dankeschön dafür sagen. (Allgemeiner Beifall.)

Ich gebe noch bekannt, daß seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt drei Anfragen, 1168/J bis 1170/J, eingebracht wurden.

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Weg erfolgen.

Als Sitzungstermin ist Dienstag, der 26. März 1996, 13 Uhr in Aussicht genommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen neben der Wahl der Vertreter Österreichs in die Parlamentarische Versammlung des Europarates jene Vorlagen in Betracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit sie dem Einspruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschußvorberatungen sind für den gleichen Tag ab 11 Uhr vorgesehen.


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Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Weiss, und zwar geht es hier um eine Einwendung gegen das Aviso. – Bitte, Herr Bundesrat.

19.22

Bundesrat Jürgen Weiss (ÖVP, Vorarlberg) (zur Geschäftsordnung) : Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Ich werde es kurz machen. Dem heute verteilten Aviso für die in einer Woche, also am nächsten Dienstag, stattfindende nächste Sitzung des Bundesrates ist zu entnehmen, daß über die ursprüngliche Ankündigung hinaus sieben weitere Tagesordnungspunkte behandelt werden sollen, die der Nationalrat erst morgen beschließen wird. Wir werden dann nächsten Dienstag um 11 Uhr, 11.30 Uhr und 12 Uhr die Ausschußsitzungen beginnen, und dann, unter vorweggenommenem Verzicht auf die Aufliegefrist, wird um 13 Uhr die Sitzung des Bundesrates beginnen.

Bei diesen sieben zusätzlichen Tagesordnungspunkten handelt es sich durchwegs um solche, bei denen keine besondere Eilbedürftigkeit zu erkennen ist, wie etwa das Kakaoübereinkommen, das Notifikationsgesetz oder das Patentgesetz.

Sollte es internationale Verpflichtungen geben, die uns zur Ratifikation eines solchen Abkommens innerhalb einer bestimmten Frist veranlassen, dann stellt sich die Frage, warum sich der Nationalrat so lange Zeit gelassen hat. Also das kann nicht der Grund sein.

Dazu kommt, daß in einzelnen Punkten – ich nenne nur als Beispiel das Berggesetz, das immerhin potentiell Zuständigkeiten der Landtage berührt – nicht einmal ein Begutachtungsverfahren stattgefunden hat, weil es sich um einen im Nationalrat eingebrachten Entschließungsantrag handelt. Das heißt, die Länder können beim besten Willen aller Beteiligten erst im Laufe des Donnerstages darüber in Kenntnis gesetzt werden, was der Nationalrat in diesen Fällen beschlossen hat, und wir sollten am Dienstag in der Früh schon einen entsprechenden Kontakt mit den Ländern hergestellt haben.

Ich denke, daß wir bei der Regelung bleiben sollten, die im letzten halben Jahr in sehr verdienstvoller Weise von der Frau Präsidentin Haselbach fortgesetzt wurde, daß den Bundesräten selbst, aber auch den Landtagen und den Landesregierungen ein ausreichender Zeitraum verbleibt, um sich die Dinge ansehen zu können. Ich glaube, das gehört zu einer seriösen Handhabung unserer Mitwirkung an der Bundesgesetzgebung dazu. (Beifall bei der ÖVP und bei den Freiheitlichen.)

Ich möchte am Rande der Beschlußfähigkeit des Bundesrates gar keinen Antrag stellen. Ich möchte es bei der Bitte an das Präsidium bewenden lassen, sich die Gestaltung der Tagesordnung im Hinblick darauf vor Augen zu führen. – Danke. (Allgemeiner Beifall.)

19.26

Präsident Johann Payer: Herr Bundesrat Weiss! Sie haben selbst das Wort "Aviso" verwendet. Aviso ist eine Vorinformation, und sie dient daher nur zur Orientierung der Mitglieder des Bundesrates. Keinesfalls ist dieses Aviso eine Tagesordnung im Sinne des § 39 der Geschäftsordnung.

Die Tagesordnung selbst – eigentlich können erst gegen diese Einwendungen erhoben werden, ich habe aber Ihre Wortmeldung zugelassen – wird erst nach Vorliegen der Ausschußberichte und nach der Beratung in der Präsidialkonferenz erstellt.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluß der Sitzung: 19.27 Uhr