Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 27. Sitzung / Seite 99

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Wir haben derzeit bei der Rezeptgebühr schon die chronisch Kranken und die Mindestpensionisten ausgenommen. Aber heute zu behaupten, daß eine Erhöhung der Rezeptgebühr sozial, aber eine Minimalgebühr für den Arztbesuch unsozial ist, ist nicht ehrlich.

Ich komme zurück auf die drei Optionen, die wir durch den Fortschritt der Medizin haben. Erste Option: Wir finanzieren all das, was wir heute schon finanzieren, und zusätzlich den ganzen künftigen medizinischen Fortschritt. Das hieße in der längerfristigen Perspektive für den Arbeitnehmer, daß wir irgendwann einen Zustand erreichen würden, bei dem wir am Monatsersten gleich das gesamte Arbeitseinkommen an die Krankenkasse überweisen müßten. Für die Betriebe hieße das, daß wir so hohe Arbeitskosten hätten, daß wir die Arbeitsplätze nicht mehr erhalten könnten. Das ist also eine Option, die niemand haben will.

Es gibt theoretisch eine zweite Option, nämlich zu sagen, wir finanzieren den ganzen teuren Fortschritt nicht. Das wäre die klassische Zweiklassenmedizin, und diese wollen wir auch nicht.

Wenn wir aber die Varianten eins und zwei nicht wollen, weil wir weder die Arbeitsplätze gefährden noch unser Einkommen irgendwann einmal am Monatsersten der Krankenkasse überweisen und auch keine Zweiklassenmedizin haben wollen, dann gibt es denklogisch nur eine Variante, nämlich zu sagen: Wir finanzieren natürlich den ganzen medizinischen Fortschritt, wir wollen keine Zweiklassenmedizin, wir wollen, daß jeder die gleichen Leistungen bekommt, aber wenn wir das wollen, dann müssen wir finanzielle Kleinstrisken zur Sicherung des medizinischen Fortschritts auf den einzelnen übertragen.

Wir dürfen uns da nicht einbetonieren und sagen, das sei Sozialabbau. Das ist grotesk, meine Damen und Herren! Das ist vielmehr eine Sicherstellung der finanziellen Situation, eine Sicherstellung des sozialen und medizinischen Fortschritts, meine Damen und Herren! Seien wir doch so ehrlich, das einmal klar zu sagen! Argumentieren wir nicht demagogisch, und fürchten wir uns nicht länger davor, den Menschen die Wahrheit zu sagen! Die Menschen haben viel mehr gesunden Menschenverstand, sie haben viel mehr gesundes Empfinden, als manche – als manche, Herr Kollege – von uns glauben in der politischen Diskussion sagen zu dürfen. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel: Als Präsident Maderthaner vor vier Jahren erstmals die Finanzierung des ersten Krankenstandstags zur Diskussion gestellt hat, gab es ein Aufheulen. Ich halte diesen Vorschlag für viel sozialer als das, was jetzt geschieht, nämlich nach 26 Wochen mit der Krankengeldzahlung aufzuhören. (Abg. Mag. Guggenberger: Das wollen wir ja nicht!) Unsere Philosophie ist: Großrisiko abdecken, Kleinrisiko kann der einzelne übernehmen. (Beifall bei der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Wir sollten den Menschen die Wahrheit sagen. Wir sollten ehrlich sein und den Menschen nicht vormachen, daß wir in Zukunft all das finanzieren können, was wir bisher finanziert haben. Mein Appell an Sie heute lautet daher: Nehmen wir diese Sozialdebatte zum Anlaß, die Dinge beim Namen zu nennen und Mut zur Wahrheit zu haben. Die Menschen vertragen die Wahrheit! (Beifall bei der ÖVP.)

14.31

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Mag. Haupt. – Bitte, Herr Abgeordneter.

14.31

Abgeordneter Mag. Herbert Haupt (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! In der heutigen Debatte über den Sozialbericht 1994 wurde sehr vieles an Grundsätzlichem in den Raum gestellt.

Ich gebe Ihnen recht, Herr Kollege Stummvoll, wenn Sie meinen, daß dem österreichischen Bürger mehr Wahrheit zumutbar wäre. Ich bin immer schon ein Anhänger der Meinung gewesen, daß man den Leuten nicht mit falschen Paravents die Sicht auf das Wesentliche und auf das Tatsächliche verstellen soll. Ich möchte daher den Kollegen Seidinger bitten, sich in einer ruhigen Minute zu überlegen, ob die Forderung nach einem Selbstbehalt im Bereich der


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