Schriftliche Anfragen: mehr als ein Kontrollinstrument?

Ein Showcase zu Anfragedaten – basierend auf dem Open Data Angebot des Parlaments.

Schriftliche Anfragen: mehr als ein Kontrollinstrument?

Schriftliche Anfragen dienen vorrangig der politischen Kontrolle der Bundesregierung. Wie wir in einem anderen Showcase gezeigt haben, werden sie hauptsächlich von Abgeordneten der Opposition eingebracht, um Informationen von Regierungsmitgliedern zu erhalten. Zugleich können Anfragen auch ein Mittel sein, um Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Thema zu richten. Daher wollen wir mit den folgenden Auswertungen untersuchen, nach welcher Logik die Abgeordneten zum Nationalrat Anfragen zu bestimmten Themen stellen.

Im gewählten Untersuchungszeitraum (Jänner 1996 bis Juli 2023) wurden über 70.000 schriftliche Anfragen von Nationalratsabgeordneten an Mitglieder der Bundesregierung eingebracht. Jede Anfrage kann beliebig viele Fragen und Unterfragen beinhalten. Die Parlamentsdirektion beschlagwortet jede Anfrage und ordnet ihr ein oder mehrere Themen zu. Die Zuordnung erfolgt aufgrund des Inhalts der gestellten Fragen und Unterfragen. Zur Auswahl eines Themas wird auf einen Themenkatalog zugegriffen, der 20 Themen umfasst (beispielsweise Arbeit, Bildung oder Wirtschaft).

Welche Themen werden am häufigsten in schriftlichen Anfragen an die Mitglieder der Bundesregierung behandelt?

Die erste Grafik zeigt, welche Themen in schriftlichen Anfragen an die Mitglieder der Bundesregierung am häufigsten vorkommen. Sind einer Anfrage mehrere Themen zugeordnet, wird diese in der thematischen Auswertung auch mehrfach gezählt. 

Deutlich zu erkennen ist, dass der Bereich Amtsführung und Verwaltung am häufigsten vorkommt. Amtsführung und Verwaltung beinhaltet etwa Anfragen zu Kosten und Tätigkeiten der Ministerbüros, Auftragsvergaben und Stellenbesetzungen in Ministerien sowie ganz allgemein den Ressourceneinsatz in der Verwaltung und die Amtsgeschäfte der Bundesregierung. Da solche Fragen für alle Bundesministerien gleichermaßen relevant sind (während andere Themenbereiche stärker ressortspezifisch sind), ist es wenig verwunderlich, dass sich schriftliche Anfragen häufiger auf dieses Thema beziehen: 20.952 schriftliche Anfragen wurden dazu eingebracht – mehr als doppelt so viele wie zum zweithäufigsten Thema Justiz. Auf den weiteren Plätzen folgen Sicherheitswesen, Budget und Finanzen sowie Gesundheit und Ernährung.

Trotz der Vorrangstellung des Themas Amtsführung und Verwaltung zeigt die erste Grafik, dass die schriftlichen Anfragen ein breites Spektrum an Politikfeldern abdecken. Wodurch aber lassen sich die verschiedenen thematischen Schwerpunkte erklären? Gibt es signifikante Unterschiede zwischen den Nationalratsklubs? Oder spiegelt sich in den Anfragen die politische Großwetterlage wider? Antworten darauf können Detailauswertungen liefern.

Zu welchen Themen stellen Abgeordnete verschiedener Klubs am häufigsten Anfragen?

Die beiden folgenden Grafiken schlüsseln die thematischen Schwerpunkte in den Anfragen der einzelnen Nationalratsklubs auf. Konkret sieht man die drei häufigsten Themen pro Nationalratsklub, dargestellt als Prozentanteil an der Gesamtzahl der Anfragen des jeweiligen Klubs seit Oktober 2013 (Beginn der XXV. Gesetzgebungsperiode). Wir beschränken die Darstellung auf die in der XVII. GP im Nationalrat vertretenen Klubs und grenzen den Analysezeitraum auf die Periode ab 2013 ein, um die Vergleichbarkeit zwischen den Klubs zu erhöhen (NEOS zog 2013 in den Nationalrat ein, nur die Grünen waren zwischen November 2017 und Oktober 2019 dort nicht vertreten).

Auffallend ist, dass die thematischen Schwerpunkte der Klubs durchaus ähnlich ausfallen. Mit Ausnahme der ÖVP stellen alle Nationalratsklubs im Untersuchungszeitraum mit Abstand die meisten schriftlichen Anfragen zum Thema Amtsführung und Verwaltung. Da die ÖVP seit 2013 fast ununterbrochen Teil der Bundesregierung war – die einzige Ausnahme stellt die Bundesregierung Bierlein zwischen Juni 2019 und Jänner 2020 dar –, ist es leicht nachvollziehbar, dass die Abgeordneten der Volkspartei im Beobachtungszeitraum nicht nur insgesamt weniger Anfragen stellen, sondern auch anteilsmäßig weniger Fragen zur Amtsführung der Bundesregierung. Alle anderen Parteien waren in diesem Zeitraum zumindest einige Jahre in Opposition.

Etwas überraschend ist, dass die thematische Ausrichtung der Anfragen kaum die traditionellen Kernthemen der Parteien widerspiegelt. Gemäß der Logik der Themenführerschaft (issue ownership) wäre zu erwarten, dass etwa die Grünen viele Anfragen zur Umweltpolitik stellen, die FPÖ wiederum zur Migration oder die SPÖ zu sozialpolitischen Fragen. Das ist jedoch nicht in besonderem Ausmaß der Fall. Vielmehr fällt das Anfrageverhalten der Abgeordneten verschiedener Klubs sehr ähnlich aus. Neben Amtsführung und Verwaltung tauchen auch die Themen Justiz, Gesundheit und Ernährung sowie Information und Medien mehrfach auf. Das Thema Verkehr und Infrastruktur (Platz drei bei der ÖVP) weist auch darauf hin, dass Abgeordnete sich zum Beispiel nach regionalen Infrastrukturprojekten in ihren Wahlkreisen erkundigen.

Anfragen richten sich nach der politischen Themenlage

Im Gegensatz zu den geringen Unterschieden zwischen den Nationalratsklubs weisen viele Themen im Zeitverlauf eine starke Konjunktur auf, die mit einschneidenden Ereignissen im Beobachtungszeitraum einhergeht. In der vierten Grafik greifen wir drei bedeutende Krisen heraus: die Finanz- und Schuldenkrise 2007/08, die "Flüchtlingskrise" im Jahr 2015 und die COVID-19-Pandemie ab 2020. Dargestellt wird die Zahl der Anfragen zu den drei Themen, die inhaltlich am engsten mit diesen Ereignissen verbunden sind: Wirtschaft, Migration sowie Gesundheit und Ernährung.

In allen drei Fällen steigt die Zahl der Anfragen zu Beginn der jeweiligen Krise deutlich an und geht danach wieder zurück. Diese Themen sind also nicht über den gesamten Zeitraum gleich stark vertreten. Das lässt darauf schließen, dass sich die Nationalratsabgeordneten in ihren Anfragen stark an der allgemeinen politischen Themenkonjunktur orientieren, die in jüngerer Vergangenheit – nicht nur, aber auch – von krisenhaften Ereignissen geprägt war.

Die vierte Grafik legt also nahe, dass Abgeordnete Themen von allgemeiner Bedeutung aufgreifen, um diese durch ihre Anfragen in die parlamentarische Arena einzubringen. Sie agieren damit als politische Übermittler:innen gesellschaftlicher Problemlagen und üben so durch ihr Fragerecht nicht nur parlamentarische Kontrolle aus, sondern kommen auch ihrer Repräsentationsfunktion nach.

Wie wurde es gemacht?