Parlamentskorrespondenz Nr. 173 vom 06.04.2000

FAMILIEN-VOLKSBEGEHREN: KOALITION WILL FAST ALLE FORDERUNGEN UMSETZEN

Bevollmächtigte mit Plänen zufrieden, von der Opposition kommt Kritik

Wien (PK) - Der Familienausschuss des Nationalrats hat heute anlässlich der Beratung des Familien-Volksbegehrens die familienpolitischen Schwerpunkte der Koalition konkretisiert. Eine entsprechende Ausschussfeststellung fand die Zustimmung von ÖVP und FPÖ. Demnach soll der Anspruch auf Karenzgeld in Hinkunft von der Erwerbstätigkeit abgekoppelt und in ein Kinderbetreuungsgeld für alle Mütter und Väter, die sich der Kinderbetreuung widmen, umgewandelt werden. Die Dauer des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld soll bis zum 3. Geburtstag des Kindes bestehen, wobei ein Elternteil maximal 24 Monate in Anspruch nehmen kann. Die Höhe des Kinderbetreuungsgeldes wird mit 6.250 S pro Monat festgesetzt, 250 S davon werden der Pensionsversicherung überwiesen. Dafür wird diese Kindererziehungszeit voll als pensionsbegründende Beitragszeit angerechnet. Technisch ist vorgesehen, das Kinderbetreuungsgeld in einem eigenen Bundesgesetz zu verankern.

Hinsichtlich einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie wollen die Abgeordneten u.a. die Beschäftigung von Arbeitskräften in privaten Haushalten erleichtern, so genannte Home-Service-Agenturen unterstützen, spezifische Fördermaßnahmen während der Familienphase anbieten, auf die Beseitigung familiendiskriminierender Arbeitszeiten hinarbeiten und für ein vielfältiges Angebot von Kinderbetreuungseinrichtungen - vom traditionellen Kindergarten über den Betriebskindergarten bis hin zu Tagesmüttern - Sorge tragen. Weiters sind die Wiedereinführung der Heimfahrtbeihilfe für Schüler und Lehrlinge, die in Internaten wohnen, und höhere Zuschüsse für Zahnspangen geplant.

Eine Sicherstellung der finanziellen Ausstattung der Bundesstelle für Sektenfragen und die Förderung, Schulung und Qualifizierung von Familienberatungsstellen sollen dazu beitragen, Kinder und Jugendliche verstärkt vor Sekten zu schützen. Gegen Gewalt in den Medien will die Koalition durch eine Prädikatisierung von Computerspielen vorgehen, zudem erwartet sie sich auf diesem Gebiet eine Unterstützung durch die geplante unabhängige Medienbehörde.

Damit scheint sich das vom Österreichischen Familienbund initiierte Familien-Volksbegehren zu einem der erfolgreichsten in der Geschichte der Volksbegehren zu entwickeln, obwohl es mit 183.154 Unterstützungserklärungen bzw. einem Stimmenanteil von 3,17 % der Stimmberechtigten eher im hinteren Bereich der Volksbegehren rangiert. Dementsprechend zufrieden äußerte sich der Bevollmächtigte des Familien-Volksbegehrens, Otto Gumpinger, heute im Ausschuss. Er sieht die Forderungen des Volksbegehrens durch die Pläne der Koalition weitgehend umgesetzt, es werde zu einer "sensationellen Besserstellung der Familie" kommen.

Kritik kam dagegen von Seiten der SPÖ und der Grünen. Ex-Frauenministerin Prammer befürchtet eine Umverteilung der vorhandenen Mittel in die falsche Richtung, zudem stellte die SPÖ die Finanzierbarkeit des Familienpaketes in Frage. Für den Sozialsprecher der Grünen, Abgeordneten Öllinger, bleiben durch die Ausschussfeststellung viele Fragen ungeklärt, "blumige Versprechungen" hinsichtlich der Förderung des Wiedereinstiegs ins Berufsleben nach der Karenz könnten konkrete Ansprüche auf Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Sondernotstandshilfe nicht ersetzen. Ein umfassender Entschließungsantrag der SPÖ zum Familien-Volksbegehren fand bei der Abstimmung jedoch keine Mehrheit.

Für die Koalitionsparteien brachte VP-Abgeordneter Donabauer die Pläne der Regierung auf den Punkt. Derzeit seien Familienleistungen Versicherungsleistungen, unterstrich er, davon wolle man weg kommen und "echte Familienleistungen" einführen. Die Frage, was das kosten werde, könne aus heutiger Sicht nicht beantwortet werden. Sozialministerin Sickl teilte mit, für die Ausweitung des Karenzgeldes werden künftig jährlich 13 Mrd. S aus dem Familienlastenausgleichsfonds benötigt, derzeit sind es 8 Mrd. S. FP-Abgeordneter Weinmeier versicherte, dass weiterhin geplant sei, Arbeitslosenbeiträge für Karenzgeldbezieherinnen aus dem Familienlastenausgleichsfonds zu bezahlen, auch an Notstandshilfe und Sondernotstandshilfe solle sich nichts ändern.

Das Familien-Volksbegehren soll nunmehr gemeinsam mit der Ausschussfeststellung im Plenum des Nationalrates beraten werden. Danach ist geplant, es wieder an den Familienausschuss zurückzuverweisen.

Zu Beginn der Ausschusssitzung hatte die stellvertretende Ausschussvorsitzende Edith Haller die Beratungen über das Familien-Volksbegehren im Unterausschuss zusammengefasst. Sie unterstrich, dass die Beratungen sachlich geführt und die einzelnen Forderungen des Familien-Volksbegehrens - "Karenzgeld für alle", Auszahlung von Kinderbetreuungsgeld, Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Sekten und vor Gewalt in den Medien, Schülerfreifahrt auch für Schüler und Lehrlinge in Internaten, voller Kostenersatz für Zahnspangen - ausgiebig und unter Beiziehung zahlreicher Experten diskutiert worden seien.

Weitgehend einig sei man sich dabei, so Haller, über die Wiedereinführung der Schülerfreifahrt für Schüler und Lehrlinge, die in Internaten wohnen, geworden, da, wie sich gezeigt habe, die Kappung dieser Leistung durch das Sparpaket zu Härtefällen geführt habe. Auch die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie werde prinzipiell von allen Parteien unterstützt, in der Umsetzung gebe es aber unterschiedliche Zugänge. Zudem haben die Beratungen Haller zufolge gezeigt, dass die Bundesstelle für Sektenfragen ein sehr eingeschränktes Bewegungsfeld habe, sowohl was die Dotierung als auch was die Vernetzung mit anderen Stellen betrifft.

Am wenigsten Übereinstimmung habe es in der Frage "Karenzgeld für alle" und Einführung eines Kinderbetreuungsgeldes gegeben, unterstrich die FP-Familiensprecherin. Beim Themenkomplex Zahnspangen sei klar geworden, dass es schwierig sei, eine finanzielle Bedeckung für einen vollen Kostenersatz zu finden, dieser könne zudem nicht aus dem FLAF getragen werden.

Eingeleitet wurde die Diskussion von Abgeordnetem ÖLLINGER (G). Seiner Ansicht nach geht die von VP-Abgeordneter Steibl eingebrachte Ausschussfeststellung in die falsche Richtung und lässt zudem viele Fragen, etwa jene der Finanzierung, unbeantwortet. So seien die 250 S Pensionsbeitrag während der Karenzzeit viel zu wenig, um daraus resultierende Ansprüche abzugelten. "Das ist das nächste Sparpaket", glaubt Öllinger. Völlig ungeklärt ist ihm zufolge darüber hinaus das Weiterbestehen der Teilzeit-Karenz und der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nach der Karenz. "Blumige Versprechen" nützten nichts, wenn Frauen gleichzeitig der Anspruch auf Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Sondernotstandshilfe gestrichen werde. Zum Thema Gewalt in den Medien merkte Öllinger an, die Prädikatisierung von Computerspielen sei "nett", reiche aber nicht aus, wenn man gleichzeitig das Internet nicht mit einbeziehe.

Öllingers Fraktionskollege Abgeordneter BROSZ erinnerte daran, dass das Karenzgeld dafür vorgesehen sei, den Einkommensausfall zu ersetzen. Unter diesem Gesichtspunkt stelle sich die Frage, was an den von der Koalition vorgesehenen Plänen gerecht sein solle. Darüber hinaus stellte Brosz die budgetäre Umsetzungsmöglichkeit des Familienpaketes in Frage.

Seitens der SPÖ kritisierten die Abgeordneten BINDER, RIEPL, Mag. PRAMMER und SILHAVY die Vorhaben der Regierung. Nach Ansicht Prammers läuft die Umverteilung der Mittel in die falsche Richtung, junge Frauen hätten die Erwartung, trotz Familie berufstätig sein zu wollen. Abgeordneter Riepl sagte, die Ausschussfeststellung enthalte lediglich Verwendungszusagen, aber keine konkreten Schritte. Er zeigte sich verwundert, warum die Vertreter des Familien-Volksbegehrens damit zufrieden seien. Abgeordnete Silhavy sprach sich für eine einkommensabhängige Staffelung des Karenzgeldes aus.

Ihre Vorstellungen fasste die SPÖ in einem umfassenden Entschließungsantrag zusammen, der von Abgeordneter Binder eingebracht wurde. Darin wird darauf hingewiesen, dass Österreich im internationalen Vergleich über ein umfangreiches System der Familienförderung verfüge, das allerdings zwar ein hohes Transfer- oder Geldleistungsniveau, aber ein niedriges Dienstleistungsniveau aufweise. Konkrete Forderungen der SPÖ sind u.a.: sofortige Erhöhung des Karenzgeldes auf 6.000 S, sofortige Bereitstellung einer weiteren Milliarde zum zügigen Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen mit bedarfsgerechten Öffnungszeiten, Verankerung eines Rechtes auf einen Kinderbetreuungsplatz, das Recht auf Teilzeitarbeit bis zum Schuleintritt des Kindes mit dem Recht, auf einen Vollarbeitsplatz zurückzukehren, Ausbau der Wiedereinstiegshilfen, Verlängerung der Behaltefrist nach der Karenzzeit von vier auf 26 Wochen, eine bundeseinheitliche Rahmengesetzgebung für die Sozialhilfe, die schrittweise Umgestaltung der Finanzierung des Familienlastenausgleichsfonds von lohnsummenabhängigen Beiträgen auf Wertschöpfungskomponenten, die Schaffung bzw. Initiierung eines nationalen bzw. EU-weiten Jugendmedienschutzgesetzes sowie die Mitfinanzierung des Familienlastenausgleichsfonds bei Zahnspangen und Kieferregulierungen für Kinder und Jugendliche.

Eine eingehendere Diskussion löste die Kritik der SPÖ aus, wonach AlleinerzieherInnen in der Ausschussfeststellung überhaupt nicht erwähnt seien. FPÖ-Abgeordnete ZIERLER meinte dazu, dass die Fragen der AlleinerzieherInnen ein Anliegen des Frauenvolksbegehrens gewesen und daher in der Ausschussfeststellung nicht erwähnt seien, was Abgeordnete Mag. PRAMMER (SP) als ein Zeichen dafür wertete, dass für die FPÖ diese Gruppe von Eltern nicht unter den Familienbegriff falle. Dem widersprach Ausschussvorsitzende HALLER (F) heftig und wies dies als ein bewusstes Missverständnis zurück.  

Ein positives Resümee der Beratungen zog der Bevollmächtigte des Familien-Volksbegehrens, Mag. Otto GUMPINGER. Die Forderungen würden weitgehend umgesetzt, erklärte er, es komme zu einer "sensationellen Besserstellung" der Familien. Ihm gehe es dabei vor allem um das Resultat, nicht um die formellen Aspekte. Immerhin würden sich, so Gumpinger, 90 % der Familien wünschen, bis zum dritten Lebensjahr des Kindes die Betreuung selbst wahrzunehmen.

Die Kritik, wonach die konkrete Umsetzung der Pläne zu langsam vorangehe, wollte der Vertreter des Familien-Volksbegehrens nicht teilen, schließlich würden von einer Ausweitung der Karenzzeit auf drei Jahre mit 1.1.2002 bereits Kinder, die heuer im Juli geboren werden, profitieren. Ähnlich argumentierte auch Abgeordnete ZIERLER (F), die sich darüber hinaus erfreut zeigte, dass mit der Einführung des Kinderbetreuungsgeldes erstmals alle Frauen ohne Klassifizierung für eine bestimmte Lebensphase eine finanzielle Absicherung erhalten.

Abgeordneter WEINMEIER (F) qualifizierte die Ausschussfeststellung als Quantensprung in der Familienpolitik. Dadurch, dass das Karenzgeld von der Erwerbstätigkeit abgekoppelt werde, komme es zu mehr Gerechtigkeit. Weinmeier zufolge ist außerdem die Frage der Arbeitslosenversicherung geklärt, ein Arbeitslosenversicherungsbeitrag für Karenzgeldbezieherinnen werde weiterhin aus dem FLAF bezahlt. Keine Änderungen seien weiters bei Notstandshilfe und Sondernotstandshilfe geplant.

Abgeordneter DONABAUER (VP) führte aus, dass Familienleistungen in Zukunft keine Versicherungsleistungen, sondern "echte  Familienleistungen" sein sollen. Schließlich zeige der Sozialbericht, dass in Österreich überwiegend junge Familien armutsgefährdet seien. Darauf müsse man reagieren und Antworten finden. Die Frage der Kosten kann ihm zufolge aus heutiger Sicht nicht beantwortet werden, er machte aber geltend, dass die Ersatzzeitenfinanzierung im Pensionssystem generell ein Problem darstelle.

VP-Familiensprecherin Rosemarie BAUER warnte die Opposition davor, bewusste Falschmeldungen in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Sie unterstrich, dass die nunmehrige Koalition 5 Mrd. S zusätzlich für Familien zur Verfügung stellen wolle, während es bei einer SPÖ-ÖVP-Regierung nur 2 Mrd. S mehr für Familien gegeben hätte. Das Kinderbetreuungsgeld sieht Bauer als eine Art Grundeinkommen in einer wichtigen Lebenssituation. VP-Abgeordneter PRINZ betonte, ein Kostenersatz für Zahnspangen müsse auch künftig eine Leistung der Sozialversicherungsträger sein.

Familienministerin Dr. SICKL gab zu bedenken, dass ein Antrag noch nicht alle Detailfragen klären könne und die genauen gesetzlichen Regelungen erst erarbeitet werden müssten. Die Mitarbeit der Opposition sei ihr ein ehrliches Anliegen, sie lade die Abgeordneten daher ein, sich in einem möglichst frühen Stadium einzubringen, zumal die Meinungen in vielen Bereichen nicht weit auseinander lägen.

Die Ministerin ging dann auf die Vorteile des Kinderbetreuungsgeldes für berufstätige Frauen ein, die ein halbes Jahr länger Anspruch auf diese Transferleistungen hätten als heute. Die arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen werden aber, so die Ressortchefin, gleich bleiben. Profitieren würden insbesondere auch nicht berufstätige Frauen, Bäuerinnen, Selbständige und Studentinnen, die nun ebenfalls eine finanzielle Unterstützung erhalten werden. Die Wahlmöglichkeit der Frauen werde damit wesentlich erhöht. Im Gegensatz zu Abgeordneter Silhavy sieht Sickl in den geplanten Maßnahmen keine Umverteilung, sondern einen Ausdruck dessen, dass die Kindererziehung von der Gesellschaft honoriert wird.

Wie hoch die Zuverdienstobergrenze während der Karenz sein wird, darüber konnte die Ministerin noch keine Auskunft geben. Die Diskussion darüber sei noch im Gange. Generell bedauerte Sickl, dass das Kinderbetreuungsgeld auf Grund der Budgetlücke nicht sofort umgesetzt werden könne, da der Familienlastenausgleichsfonds heuer dem Budget zwei Mrd. S überweisen müsse. (Schluss)