Parlamentskorrespondenz Nr. 58 vom 31.01.2001

GRÜNE MACHEN SCHUL- UND BILDUNGSPOLITIK ZUM THEMA

Aktuelle Stunde mit Bildungsministerin Gehrer

Wien (PK) - Am Beginn der Sitzung des Nationalrats wurde Evelyn FREIGASSNER (F) als neue Abgeordnete angelobt. Sie übernimmt damit das Mandat von Abgeordnetem Harald FISCHL.

Vor der aktuellen Stunde beantragte Abgeordnete Dr. PETROVIC (G) in einer Wortmeldung zur Geschäftsbehandlung die Absetzung der Tagesordnungspunkte 2 bis 6, welche die Neuregelungen im Medienbereich, insbesondere die KommAustria, betreffen. Sie begründete dies damit, dass die Vorlagen in dieser Form nicht entscheidungsreif seien und weiterer tiefgreifender Diskussionen in einem Unterausschuss bedürften. Die Debatte über den Antrag zur Änderung der Tagesordnung erfolgt nach der aktuellen Stunde.

In der von den Grünen vorgeschlagenen aktuellen Stunde zum Thema "Blau-schwarzer Raubbau an der Bildungsqualität" kritisierten die RednerInnen der Opposition die durch die Budgetbegleitgesetze und den Finanzausgleich hervorgerufenen Einsparungen an den Schulen scharf. Bundesministerin Gehrer sowie die Abgeordneten der Regierungsfraktionen führten dagegen die Steigerungen in den Budgetansätzen und die Notwendigkeit eines effizienten Mitteleinsatzes ins Treffen. Sie argwöhnten, Grüne und SPÖ missbrauchten die Bildungspolitik als Wahlkampfthema.

Abgeordneter BROSZ (G) konzedierte, dass der Titel der heutigen aktuellen Stunde "scharf" sei, die Konsequenzen der Budgetbegleitgesetze und des Finanzausgleichs für den Schulbereich würden diesen aber rechtfertigen. Denn, so Brosz, bis zum Jahresende müssten 7.000 bis 12.000 Planposten für LehrerInnen an den Pflichtschulen abgebaut werden. Damit seien die Errungenschaften der letzten Jahre gefährdet, da es zum Beispiel in Wien den muttersprachlichen Unterricht sowie andere Fördermaßnahmen nicht mehr geben werde. Aus Spargründen würden Klassengemeinschaften zerstört und LehrerInnen auf die Straße gesetzt. Vor allem die Sonderschulen bekämen die negativen Auswirkungen drastisch zu spüren, da die Zahl der IntegrationslehrerInnen reduziert werden müsste. Der Abgeordnete bezeichnete diesen Weg der Bildungspolitik als "verantwortungslos".

Brosz sprach sich abschließend für eine attraktivere Gestaltung des Lehrberufs aus und forderte weiterhin niedrige Klassenschülerhöchstzahlen ein, um dem Anspruch an die Bildung in Richtung Wissensmanagement, Fremdsprachenkenntnisse und Förderung sozialer Kompetenzen Rechnung tragen zu können. Er wunderte sich vor allem über die Gewerkschaften, die das Jahresarbeitszeitmodell und das Sparpaket 1:1 umsetzen wollen.

Bundesministerin GEHRER stellte eingangs fest, dass die Schule zu wichtig sei, um daraus in Wahlkampfzeiten politisches Kleingeld zu schlagen. Es sei einfach nicht wahr, dass 12.000 Dienstposten bei den PflichtschullehrerInnen eingespart würden. Die Vereinbarung zwischen den Landeshauptleuten und dem Finanzminister lege klar fest, dass nach den Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie nach höchsten Qualitätsansprüchen vorzugehen sei. Sie lehne es ab, aus wahltaktischen Gründen Angst und Verunsicherung in die Schulen hineinzutragen und wies zur Unterstützung ihrer Argumente auf öffentliche Äußerungen des Wiener Stadtschulratspräsidenten hin.

Die Ministerin führte ins Treffen, dass Österreich in Bezug auf das Verhältnis SchülerIn pro LehrerIn im Spitzenfeld liege: in der Hauptschule kämen 10 SchülerInnen auf eine/-n LehrerIn, in den Polytechnischen Lehrgängen betrage diese Zahl 9, an den Volksschulen 15,5 und an den Sonderschulen 3,2. Damit könnten die Bedürfnisse der Kinder mit besonderem Förderbedarf erfüllt werden, in Wien gebe es beispielsweise in den Heilstättenschulen überhaupt keine Kürzungen. Österreich liege auch bei den Ausgaben für den gesamten Bildungsbereich weit vorne. Während beispielsweise im OECD-Bereich 3.800 Dollar für Volksschulen ausgegeben werden, würden in Österreich 6.258 Dollar zur Verfügung gestellt. Sie könne daher keinerlei Anzeichen für einen Bildungsabbau erkennen.  

Für Abgeordneten Dr. ANTONI (S) stellen die zahlreichen Aktionen, Dienststellenversammlungen und Unterschriftenlisten unter Beweis, wie groß die Sorgen im Bildungsbereich tatsächlich seien. Die SPÖ stehe auf der Seite der Betroffenen, während die Bildungsministerin die Anliegen von LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern nicht ausreichend ernst nehme, so Antoni. Er warf der Regierung vor, die Konsenspolitik im Bildungsbereich verlassen zu haben und befürchtet durch die "Wendepolitik" bildungspolitische Rückschritte, die den international guten Ruf unseres Bildungssystems auf Spiel setzen. Sozialdemokratische Minister hätten in die Bildung investiert. Der kostenfreie Zugang zur Bildung - eine der wichtigsten familien- und bildungspolitischen Errungenschaften - werde aber nun plötzlich in Frage gestellt. Damit, so der S-Bildungssprecher, erweise man der österreichischen Jugend und dem Wirtschaftsstandort einen schlechten Dienst.

Auch Abgeordnete Dr. BRINEK (V) wies auf die Steigerungen im Budget hin und unterstrich, dass unter anderem durch Wahlpflichtfächer in den AHS, durch Leistungsgruppen in den Hauptschulen die Schülerzahlen in der Klasse de facto gering seien. Das Jahresarbeitszeitmodell sei von den LehrerInnen seit langem gefordert worden, entgegnete sie Abgeordnetem Brosz. Wo die LehrerInnen tatsächlich der Schuh drücke, das sei ihr Imageproblem. Brinek widersprach dem Vorwurf, die Regierung würde die Sorgen nicht ernst nehmen. Dieser gehe es aber nicht um ungerechtfertigte Panikmache, sondern darum, Lösungen anzubieten, damit wir auch weiter Spitzenpositionen im Bildungsbereich inne haben.

Abgeordneter Mag. SCHWEITZER (F) bezeichnete das neue Dienstrecht als einen mutigen Schritt zur Professionalisierung und sieht sich darin durch ElternvertreterInnen bestärkt, die das transparente Stundenkontingent für schulpartnerschaftliche Angelegenheiten als einen wichtigen Ansatz bezeichnen. Auch Dr. Antoni habe die Neuregelungen mit der Bemerkung, damit würden alte Strukturen aufgebrochen, begrüßt, meinte Schweitzer. Nun sei plötzlich alles anders, obwohl ein Plakat der Gewerkschaft der PflichtschullehrerInnen beweise, dass Planstellenreduktionen im Pflichtschulbereich verhindert werden konnten. Noch nie sei bei Dienstrechtsverhandlungen so basisdemokratisch vorgegangen worden, wie jetzt, bemerkte der F-Mandatar abschließend.

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) bestritt, dass der Finanzausgleich die Qualität sichere, zumal es Posten- und Kosteneinsparungen gebe. In der Behindertenintegration habe sich das Verhältnis 16:4 auf 18:4 verschlechtert. Nicht die Grünen würden verunsichern, sondern die Betroffenen seien aufgrund der Gesetze verunsichert, stellte der Redner fest. Als besonders prekär bezeichnete er die Situation in Wien und kritisierte vor allem, dass man der Mehrsprachigkeit zu wenig Beachtung schenke, obwohl dies ein wichtiges Wirtschaftspotenzial darstelle. Zur Situation der LehrerInnen formulierte der Redner, dass diese ohnehin "am Zahnfleisch" gingen.

Diesen Aussagen widersprach Bundesministerin GEHRER in einer weiteren Wortmeldung und forderte konstruktives Bemühen anstelle von Verunsicherung durch falsche Behauptungen ein. Es sei schlicht unwahr, dass das Verhältnis in der Behindertenintegration jetzt bei 18:4 liegen müsse, vielmehr gebe der Bund lediglich den Stellenplan und die Budgetmittel vor, die Länder könnten dann selbst Schwerpunkte setzen. In Richtung Dr. Antoni argumentierte sie, dass auch in der Koalitionsvereinbarung mit dem ehemaligen Bundeskanzler Klima Einsparungen von 1 Mrd. pro Jahr bis 2003 vereinbart worden wären. Gehrer hob abermals die Steigerung des Bildungsbudgets um 4% hervor, sowie die Computermilliarde und die Universitätsmilliarde und betonte überdies die zusätzlichen 7 Mrd. für die Forschung.

Abgeordnete SCHASCHING (S) stellte eine Vereinbarung zwischen SPÖ und ÖVP bezüglich Einsparungen im Bildungsbereich vehement in Abrede. Die Opposition habe im vergangenen Jahr versucht, durch zahlreiche Anträge konstruktiv mitzuarbeiten, die Regierung setze jedoch den Sparstift an. Schasching führte als Beispiel die Situation in St. Pölten an, wo die Pflichtschulen 18 bis 30 Planposten verlieren, wo den SchülerInnen eine große Palette von Angeboten vorenthalten werden müsste, wo Leistungsgruppen und Klassen zusammengelegt würden und unverbindliche Übungen nicht mehr angeboten werden könnten.

Abgeordneter Mag. TANCSITS (V) strich die Notwendigkeit eines effizienten Mitteleinsatzes im Rahmen der Budgetkonsolidierung hervor und bezog sich dabei abermals auf die Worte des Wiener Stadtschulratspräsidenten. Der Redner warf einmal mehr der Opposition Verunsicherung vor, wodurch auch der pädagogische Kredit von zehntausenden LehrerInnen missbraucht werde. Am Ende seiner Wortmeldung thematisierte Tancsits kurz die Drogenfrage und übte an der neuen Stadträtin Pittermann Kritik, sie unterlaufe mit ihrer Ablehnung der Herabsetzung der Grenzmengen für den Besitz von Drogen die Bemühungen der Regierung, Schulen zu einer drogenfreien Zone zu machen.

Abgeordneter Dr. GRAF (F) meinte, würde die Formel Lehrerreduktion bedeute Bildungsabbau stimmen, dann müsste angesichts der Tatsache, dass sich in den Reihen der SPÖ-Abgeordneten 15 Pflichtschullehrer befinden, der Bildungsabbau perfekt sein. Außerdem wies der Redner darauf hin, dass für die Jugendbetreuung am Nachmittag nicht der Bund, sondern das Land zuständig ist. Daher haben in Wien Häupl und Laska die Jugendbetreuungsaktivitäten am Nachmittag zu finanzieren.

Abgeordnete HAIDLMAYR (G) warf der Bildungsministerin vor, eine Abneigung gegen die Integration behinderter Kinder zu haben. Sie prangerte besonders an, dass laut 17. SchOG-Novelle der sonderpädagogische Förderbedarf für behinderte Kinder mit Ende der Grundstufe auslaufe und bei Übertritt in die erste HS- oder AHS-Klasse kein Stützlehrer-System mehr zur Verfügung stehe. Dies bedeute einen Rückschritt in die Vergangenheit.

Bundesministerin GEHRER wies die Vorwürfe ihrer Vorrednerin zurück und unterstrich die soziale Kompetenz der Landeshauptleute und der zuständigen Landesräte in Fragen der Sonderpädagogik.

(Schluss Aktuelle Stunde)