Parlamentskorrespondenz Nr. 173 vom 13.03.2001

SUCHTMITTELGESETZ-NOVELLE PASSIERT JUSTIZAUSSCHUSS

Aktuelle Aussprache über justizrelevante Ergebnisse von Nizza

Wien (PK) - Mit den Stimmen der Regierungsparteien hat heute Nachmittag der Justizausschuss der - durch einen Abänderungsantrag im Lichte der Enquetekommission am Vormittag geringfügig geänderten - Regierungsvorlage zur Änderung des Suchtmittelgesetzes seine Zustimmung erteilt. Zuvor waren Bemühungen der Oppositionsfraktionen, die Debatte zugunsten einer gründlicheren Auseinandersetzung mit dem Thema von der Tagesordnung abzusetzen bzw. zu vertagen, ohne Erfolg geblieben. Die Einwände der Sozialdemokraten wie der Grünen bezogen sich vor allem auf die Anhebung der angedrohten Höchststrafe auf lebenslangen Freiheitsentzug und auf die Problematik der süchtigen Dealer sowie der Werbung für Drogen. Der Diskussion über die Novelle zum Suchtmittelgesetz war eine aktuelle Aussprache vorangegangen, in deren Rahmen Justizminister Dieter Böhmdorfer über für die Justiz relevante Ergebnisse des Europäischen Rates von Nizza informierte.

NOVELLIERUNG DES SUCHTMITTELGESETZES

Kernstück der geplanten Novellierung des Suchtmittelgesetzes ist eine härtere Vorgangsweise gegenüber der Führungsebene des Drogenhandels. Als wichtigste Änderung sieht die Novelle eine Ausdehnung der Strafdrohung auf lebenslange Freiheitsstrafe für Drogenhändler vor, "die in einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung des Drogenhandels mit einer großen Menge Suchtgift führend tätig sind". Weiters sollen die elektronischen Massenkommunikationsmittel beim Straftatbestand der Aufforderung zum oder der Gutheißung von Suchtgiftmissbrauch im Gesetz Berücksichtigung finden, zumal das Internet seit geraumer Zeit für illegale Werbezwecke im Bereich der Drogen verwendet werde. Vorgesehen ist auch eine differenzierte Handhabung im Zusammenhang mit der vorläufigen Anzeigezurücklegung, d. h. wenn der Täter innerhalb offener Probezeit - nach bereits einmal erfolgter Anzeigezurücklegung - erneut wegen Erwerbs oder Besitzes einer geringen Menge Suchtmittel zum eigenen Verbrauch angezeigt wird. In einem solchen Fall soll geprüft werden, ob mit den bisherigen Massnahmen das Auslangen gefunden werden kann, oder ob eingehendere gesundheitsbezogene Interventionen zur Bedingung für eine weitere Anzeigenzurücklegung gemacht werden.

In der Debatte über das Suchtmittelgesetz kritisierte zunächst SP-Abgeordneter  Johannes Jarolim, dass mit dem Entwurf das Ziel einer Verbesserung der Situation verfehlt werde. Er sprach sich dafür aus, das Thema aus der tagespolitischen Diskussion und aus dem Wiener Wahlkampf herauszuhalten. Zudem sei zu befürchten, dass die Novelle verfassungswidrig sei, weil der Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" verletzt werde. Die Novelle führe nicht aus der Sucht heraus, sondern zu mehr Drogenkranken.

Grün-Abgeordnete Terezija Stoisits knüpfte an die Sitzung der Enquete-Kommission am Vormittag an und referierte ein einhelliges Bild, das die Experten gezeichnet hätten: Die großen Drogenbosse würden durch die lebenslange Strafdrohung nicht abgeschreckt, diese Drohung sei nur politisch - als Signal an die Bevölkerung - wirksam. Als problematisch sah sie auch die Frage der Abgrenzung zwischen Cannabis und harten Drogen an, ebenso die Frage, ab wann von "Werbung" für Drogen gesprochen werden könne.

In ähnlichem Sinn äußerte sich Abgeordnete Gisela Wurm (S), die sich dagegen aussprach, vom Grundsatz "helfen statt strafen" abzugehen.

Abgeordneter Josef Trinkl (V) bestritt jeden Zusammenhang mit den Wiener Landtagswahlen, sei doch die Regierungsvorlage eingebracht worden, als von diesen Wahlen noch keine Rede gewesen sei. Er räumte ein, dass Experten Bedenken hinsichtlich der Privilegierung der Süchtigen  und hinsichtlich der lebenslangen Strafdrohung geäußert hätten. Ersterem sei durch den Abänderungsantrag Rechnung getragen worden, die lebenslange Strafdrohung in schweren Fällen aber sei tatsächlich gewollt.

Dies bekräftigte der Justizminister: Bei jenen, die mit der Sucht Geschäfte machten, könne es keine Gnade geben, sagte Böhmdorfer.

VP-Abgeordneter Werner Miedl wies darauf hin, dass die großen Dealer nicht allein mit Suchtgiften, sondern auch mit Waffen und mit Frauen Handel trieben. Bei Süchtigen sei Strafe sinnlos, aber es müsse klar gesagt werden: "Wir wollen das nicht!" Er sei daher ein "glühender Befürworter" der Regierungsvorlage.

Abgeordneter Harald Ofner (F), in der kleinen Koalition von 1983 bis 1986 Justizminister, erinnerte zunächst an das unter seiner Ministerschaft erarbeitete und verabschiedete Suchtgiftgesetz 1985, das vom Grundsatz der "zwei H" - "Hilfe und Härte" - getragen gewesen sei. Es sei allerdings nicht gelungen, den Süchtigen zu helfen, räumte der Abgeordnete ein. Die großen Dealer seien selbst nicht drogenkrank, führte er weiter aus, sondern "Konzernherren", eine "gnadenlose Tätergruppe", die kein Mitleid verdiente: Wer im großen Stil mit Drogen handle, nehme Krankheit und frühen Tod anderer bewusst und zustimmend in Kauf. Die Strafdrohung "lebenslang" passe ins österreichische System - diese Drohung gelte auch bei Raub, Brandstiftung, Gemeingefährdung und in weiteren Zusammenhängen. Sie passe auch ins internationale System - fünf Länder in der EU hätten sie ebenso, Frankreich und Griechenland noch dazu ohne jede Bedingung.

Die "Einstiegsdroge Nr. 1" sei der Alkohol, sagte Abgeordneter Dieter Brosz (G), nicht aber Cannabis. Der Entwurf würde durchaus eine differenzierte Handhabung erlauben, sagte Brosz, und nannte als Gegenbeispiel aus der Praxis einen Fall, in dem Schüler wegen eines Joints von der Polizei mit Blaulicht aus der Klasse geholt worden seien. Er problematisierte im Folgenden jene Heroin-Süchtigen, die zur Finanzierung ihrer Sucht mit Drogen handelten, und die "Body-Packer", die Drogen in ihrem Körper schmuggeln.

F-Abgeordnete Edith Haller wies den Vorwurf der Tagespolitik zurück: Es gehe um Grundsatzpolitik, betonte sie. Den Justizminister forderte sie auf, auch bei Vergewaltigung mit Todesfolge die Höchststrafe vorzusehen.

Gerhard Litzka vom Justizministerium erläuterte abschließend einige Details. Was die Härte anlange, passe Österreich in den internationalen Vergleich. Das Problem der Abhängigkeit sei juridisch gelöst, gebe es doch dafür einen in der Judikatur definierten Begriff im Sinne einer körperlichen und einer psychischen Abhängigkeit. Body-Packer seien als Bandenmitglieder zu sehen. Zum Thema lebenslange Freiheitsstrafe meinte Litzka, dies sei eine Strafe, die Großdealer wirklich fürchteten. Zum Thema "Therapie statt Strafe" in der EU werde demnächst eine Studie vorliegen. Es gebe keinen Fall, in dem ein Künstler verfolgt worden sei, weil er sich zum Drogengebrauch bekannt habe - bei einer entsprechenden Aufforderung an andere liege die Sache aber anders. Insgesamt stehe Österreich in Sachen Drogen auf einem niedrigeren Niveau als andere Länder, betonte Litzka, was auch in einer geringeren HIV-Durchseuchung resultiere.

AKTUELLE AUSSPRACHE: JUSTIZRELEVANTE ÄNDERUNGEN DURCH NIZZA

In der aktuellen Aussprache zu Beginn der Sitzung informierte Justizminister Dieter Böhmdorfer über justizrelevante Änderungen durch den Vertrag von Nizza. Von den insgesamt 30 Bestimmungen, für die der Vertrag den Übergang von der Einstimmigkeit zur qualifizierten Mehrheit vorsieht, betreffen 3 die Justiz: Maßnahmen zur Verbesserung und Vereinfachung der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Kollisionsnormen in Zivil- und Handelssachen unter Ausschluss des Familienrechts und die Beseitigung von Hindernissen für das Zivilverfahren. Der Justizminister stellte auch die Änderungen bei der Stimmgewichtung im Rat dar und erläuterte Änderungen in der Kommission und im Europäischen Parlament im Zusammenhang mit der bevorstehenden Erweiterung der Gemeinschaft.

Abgeordnete Gabriela Moser (G) kam dann auf das Kartellrecht zu sprechen und wollte wissen, warum der Justizminister im Zusammenhang mit der jüngsten Fusion im Medienbereich vom Einsetzen seiner Möglichkeiten gegen diese Fusion abgesehen habe.

Minister Böhmdorfer verwies zunächst auf die dem Vorgang vorangegangenen Gespräche, in die auch die Sozialpartner eingebunden gewesen seien, die auch ihre Vertreter in das Kartellgericht entsenden. Ein Rekurs sei zwar grundsätzlich möglich gewesen, als Minister hätte er aber zu erwägen, ob eine Chance gegeben sei. Insgesamt seien die Erfolgsaussichten aber als relativ gering einzuschätzen gewesen. Böhmdorfer sprach sich für eine Reform des Kartellrechts aus, wobei die Missbrauchkontrolle, die Bestimmungen hinsichtlich der Entflechtung und die Zusammensetzung des Gerichts Schwerpunkte sein sollten.

Abgeordnete Moser sprach sich für eine unabhängige Behörde aus, die Sozialpartner sollten auch aus der Gutachtertätigkeit ausscheiden, weil sonst die herrschenden - demokratienpolitisch bedenklichen - Zustände fortgesetzt  würden.

Auch F-Abgeordneter Michael Krüger sah massiven Reformbedarf, vor allem im Hinblick auf die Sozialpartner, die mehrere Rollen spielten: Sie seien Amtsparteien, bestimmten die Sachverständigenliste und seien als Richter tätig. Dies verstoße gegen Art. 6 der Menschenrechtskonvention.

Diesem Verdacht stimmte der Justizminister zu. Ein Bundesanwalt werde die Amtsparteien ersetzen, sagte Böhmdorfer. Auf Fragen von SP-Abgeordneter Gisela Wurm nach Maßnahmen zur Drogenbekämpfung, gegen organisierte Kriminalität und Gewalt gegen Frauen im Rahmen der EU betonte der Justizminister, dies seien dominierende Themen in Justiz- und Innenfragen.

(Fortsetzung)