Parlamentskorrespondenz Nr. 223 vom 22.03.2001

BUDGETAUSSCHUSS JUSTIZ: SPITZELAFFÄRE BLEIBT FÜR OPPOSITION THEMA

Böhmdorfer: Keine Behinderung des U-Richters, keine Weisungen

Wien (PK) – Berichte in den Medien über Klagen des mit der sogenannten Spitzelaffäre betrauten Untersuchungsrichters, in seiner Aufklärungsarbeit durch unvollständige Aktenvorlage behindert worden zu sein, beherrschten heute den Beginn der Beratungen des Budgetausschusses zum Thema Justiz.

Abgeordneter Johannes Jarolim (S) "konnte nicht umhin", den, wie er sich ausdrückte, "Befreiungsschlag des Untersuchungsrichters" zu thematisieren. Jarolim beklagte, dass dem Richter offensichtlich relativ unverhohlen zentrale Unterlagen vorenthalten worden seien, eine Vorgangsweise, die der Mandatar als "atemberaubend" bezeichnete. Die Begründung der Staatsanwaltschaft sei seiner Ansicht nach "eigenartig", auch dem Verteidiger sei die notwendige Akteneinsicht verwehrt worden. Damit müsse der Eindruck entstehen, dass diejenigen, in deren Fällen das Verfahren ohne nachvollziehbare Erklärung eingestellt worden ist, geschützt werden sollen. Er habe auch von Drohungen gegen den Richter gehört, diesen in ein Bezirksgericht zu versetzen. Jarolim sprach in diesem Zusammenhang auch das Weisungsrecht an und wiederholte seine Forderung nach Einrichtung eines Bundesstaatsanwaltes und die Verankerung der Staatsanwaltschaft in der Bundesverfassung.

Den von ihrem Vorredner geäußerten Verdacht, konterte Abgeordnete Maria Fekter (V) damit, dass der von einem Medium als "Justizskandal" bezeichnete Vorfall drei Tage vor der Wiener Wahl ein "durchsichtiges Manöver" sei. Sie halte es für eine schlechte Entwicklung, wenn die Justiz in den Wahlkampf hineingezogen wird, was eine "neue Qualität" erkennen lasse. Als bedenklich wertete sie es, dass sich ein Untersuchungsrichter für Wahlkampfschlagzeilen missbrauchen lasse, und sie hoffe, dass der Akt vom Untersuchungsrichter nicht selbst an die Wochenzeitschrift weitergeleitet worden sei.

Auch Abgeordnete Terezija Stoisits (G) nahm zu diesem aktuellen Thema Stellung und zitierte ihren Klubkollegen Pilz, der vom "Verdacht auf Manipulation durch die Staatsanwaltschaft" gesprochen hatte. Sie wandte sich entschieden dagegen, dass PolitikerInnen in "einem für die Zweite Republik einmaligen Vorgang", wie es die Spitzelaffäre sei, von Skandalisierung im Wahlkampf reden, wenn ein U-Richter "nicht wie üblich in seiner Arbeit unterstützt wird". Als Bürgerin könne sie nur sagen, "Gott sei Dank, kommt so etwas an die Öffentlichkeit, Gott sei Dank, haben wir so engagierte RichterInnen und StaatsanwältInnen". Stoisits erinnerte auch an die von 1.300 RichterInnen und StaatsanwältInnen unterfertigte Unterschriftenliste, in der diese sich gegen eine Verpolitisierung der Justiz aussprechen. In Bezug auf das Weisungsrecht teilte sie die Meinung Jarolims.

Abgeordneter Harald Ofner (F) verwahrte sich dagegen, den Budgetausschuss umzufunktionieren, man dürfe ihn nicht mit einer Versammlung auf der Straße verwechseln. Er sprach sich vehement dafür aus, das Weisungsrecht und die Berichtspflicht beim Minister zu belassen, da dieser der einzige sei, der die politischen Dinge im Auge behalten könne. Auch stehe der Ressortchef unter ständiger Beobachtung der Öffentlichkeit, jede andere Konstruktion würde den Ausschluss der Öffentlichkeit nach sich ziehen, warnte Ofner. Sein Klubkollege Michael Krüger (F) schloss sich dieser Meinung an und vertrat darüber hinaus die Auffassung, dass ein eigener Bundesstaatsanwalt verfassungswidrig sei. Er könne aber dem Vorschlag von Adamovich einiges abgewinnen, der dafür eingetreten war, die Regelungslücke im Falle der Befangenheit zu schließen. Zum Anlassfall selbst äußerte der F-Mandatar den Verdacht des Bruchs beziehungsweise des Beitrags zum Bruch der Amtsverschwiegenheit, da derartige Aktenvermerke grundsätzlich von der Akteneinsicht ausgenommen seien und daher auch nicht zur Kenntnis des ORF gelangen hätten dürfen.

Justizminister Dieter Böhmdorfer stellte zu den erhobenen Vorwürfen fest, dass es ein normaler Vorgang sei, die Akte zu trennen, und zwar in jene, die einstellungsreif sind, und in jene, wo der Untersuchungsrichter weiter ermitteln soll. Von einer Behinderung könne daher keine Rede sein, es handle sich lediglich um einen "hochgespielten Zwischenschritt im Verfahren", um ein "hochgespieltes Pseudo-Missverständnis". Der Richter könne selbstverständlich seinen Aufgaben nachkommen, die Verteidigungsrechte würden nicht eingeschränkt. Weisungen habe er in diesem Verfahren keine erteilt, bekräftigte der Minister.

Auf die von Jarolim gestellte Frage nach einer möglichen Versetzung des Richters, antwortete der Ressortchef, dass dies grundsätzlich ein normales Schicksal sei, denn Personal müsse dort eingesetzt werden, wo Lücken entstehen. Die Entscheidung werde jedoch vom Personalsenat getroffen, auf die niemand in der Justizverwaltung Einfluss habe.

In der Frage des Weisungsrechtes sei er nicht der Ansicht Jarolims, da der Minister seine Tätigkeiten sowohl politisch als auch rechtlich als auch staatsrechtlich zu verantworten habe, womit auch die Transparenz bei Weisungserteilungen gewährleistet sei. Jede andere Konstruktion würde diese transparente Verantwortlichkeit verhindern. Dass die Regelung Sinn mache, hätten die letzten 15 Jahre bewiesen, in denen es keinen Weisungsfall gegeben habe, der öffentlich diskutiert worden sei. Böhmdorfer wies in diesem Zusammenhang auch betont darauf hin, dass Minister nicht immun seien. Zur von Jarolim angesprochenen Verankerung der Staatsanwaltschaft in der Bundesverfassung berichtete Böhmdorfer, dass es dazu legistische Vorarbeiten gebe, es sei aber keineswegs an eine Veränderung ihrer Stellung oder Aufgaben gedacht.

BREITE FRAGENPALETTE AN DEN JUSTIZMINISTER

Trotz des dominanten Themas möglicher Behinderung der Arbeit des Untersuchungsrichters in der Spitzelaffäre wurden von den Abgeordneten zahlreiche Sachfragen zur Justizpolitik und zum Budget gestellt, die vom Straf- und Zivilrecht über die Gerichtsorganisation bis hin zum Wirtschaftsrecht und zum Konsumentenschutz gingen.

Die Abgeordneten Maria Fekter (V), Gisela Wurm (S) und Ilse Mertel (S) beschäftigten sich mit dem Opferschutz und dessen Einrichtungen. Sie interessierten sich auch für die Diversion, deren Anwendungsfälle und die diesbezüglichen Erfahrungen. Die Gerichtsorganisation wurde von Abgeordnetem Harald Ofner (F), der sich für eine Zusammenlegung aussprach, und Abgeordnetem Josef Trinkl (V) sowie von den Abgeordneten Gisela Wurm (S), Ilse Mertel (S) und Terezija Stoisits (G) angesprochen, die die Schließung von Gerichten wiederum als eine Beschränkung des Zugangs zum Recht werteten. Kritisch zum noch immer bestehenden § 209 äußerten sich die Abgeordneten Stoisits (G) und Elisabeth Hlavac (S), da dieser einen für sie menschenrechtswidrigen Zustand darstellt. Dem gegenüber bedauerte Abgeordneter Krüger (F), dass die Herabsetzung des Schutzalters auf 16 Jahre nicht gelungen sei. Abgeordnete Hlavac (S) erwiderte, dass dies die Probleme nicht gelöst hätte, weil man damit die Ungleichbehandlung nicht abgeschafft hätte.

Abgeordneter Ofner (F) fragte zusätzlich nach Mindestvorgaben für die Tätigkeit eines Mediators, nach den Grundsätzen der Einzelfallgerechtigkeit, Mündlichkeit und Parteienmaxime im Zivilverfahren und forderte eine Erhöhung der Schmerzensgeldsätze, die für ihn derzeit nicht mehr als "Trinkgeldablösen" darstellten. Abgeordnete Wurm (S) beschäftigte sich mit den Vorschlägen zur Änderung des strafprozessualen Vorverfahrens, befürchtete durch die Neuerungen des Suchtmittelgesetzes das Zurückdrängen des Prinzips "Therapie statt Strafe" und unterzog das Vorhaben, bedingt entlassene Häftlinge einer lebenslangen Probezeit und Überwachung zu unterwerfen, einer harten Kritik.

Abgeordnete Ulrike Baumgartner-Gabitzer (V) wollte über die Belastungen bei der Bewährungshilfe informiert werden, ihr Klubkollege Werner Miedl fragte nach dem Ergebnis der Überprüfung der Justizanstalten und forderte eine bessere Berufsausbildung im Jugendstrafvollzug ein. Abgeordneter Otto Pendl (S) thematisierte das Gewaltpotential im Strafvollzug. Abgeordnete Hlavac (S) verlangte vom Minister die Zurverfügungstellung von Informationsmaterial zum Thema Genitalverstümmelung, da es hier an Unrechtsbewusstsein fehle, sie befürchtete auch negative Auswirkungen für Rechtssuchende durch die Zivilprozessreform.

Die lange Dauer im Zivilprozessrecht veranlasste Abgeordneten Krüger (F) von einem Beschleunigungsbedarf in diesem Bereich zu sprechen.

Angesichts der jüngsten Medienzusammenschlüsse hält er das Kartellrecht für massiv reformbedürftig und im Widerspruch zu Artikel 6 MRK stehend, da Verfahren nur über die Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer eingeleitet werden können, diese beiden wiederum im Gericht vertreten seien und Einfluss auf die Gutachter hätten.

Ilse Mertel (S) bedauerte, dass nach wie vor ein Gesetz für Mediatoren als Konsequenz der Änderungen des Kindschaftsrechts fehle. Sie verlangte die Aufhebung der Möglichkeit befristeter Mietverträge für Geschäftslokale, da damit die Nahversorgung gefährdet sei. Außerdem kritisierte sie, dass Bauvereinigungen ihre Gemeinnützigkeit verlieren sollen. Abgeordnete Sylvia Paphazy (F) und Johann Maier (S) erkundigten sich nach den Neuerungen im Vereinsrecht, Abgeordnete Anna Huber (S) fragte nach der Schließung von Lücken im Lebensmittelgesetz und meinte, dass die Gebührenverteuerung und der Entfall von Gebührenbefreiungen den Rechtszugang einschränkten.

Abgeordnete Karin Hakl (V) thematisierte den Regelungsbedarf im Hinblick auf E-Commerce und die Änderung des Aktiengesetzes, ihr Klubkollege Günter Kößl wollte Auskunft über die Entwicklung der Zahlen von RichteramtsanwärterInnen und RechtspraktikantInnen. Abgeordneter Anton Heinzl (S) fragte nach der möglichen Abschaffung der Laiengerichtsbarkeit, Abgeordneter Josef Trinkl (V) interessierte sich für Richtlinien, die Einfluss auf den Wirtschaftsstandort haben, sowie für Maßnahmen in Bezug auf die Nutzung des Internets.

Eine große Anzahl von Fragen richtete Johann Maier (S) an den Justizminister. Sie betrafen Einsparungen in den Justizanstalten, die Reform der Privatinsolvenz und die ZPO-Reform. Kritisch äußerte er sich zum Konzentrationsprozess und zu multidisziplinären Partnerschaften bei den Rechtsanwälten, wodurch die freien Berufe gefährdet würden, und forderte ein besseres Berufs- und Kostenrecht für Anwälte. Er erkundigte sich auch nach den Modellen, Unternehmen strafrechtlich zur Verantwortung ziehen zu können und bat den Minister um eine Stellungsnahme zum EU-Aktionsplan für Finanzdienstleistungen. Abschließend äußerte er sich besorgt hinsichtlich der Gefährdung der freien Meinungsäußerung, der Meinungsbildung und des Rechts auf Information durch die jüngste Magazinehe. Minister Böhmdorfer versprach, seine Fragen schriftlich zu beantworten.

MINISTER BÖHMDORFER NIMMT STELLUNG

Zum Thema Diversion gab Böhmdorfer bekannt, im Jahr 2000 seien 50.000 Diversionsangebote gemacht worden. 60 Prozent davon betrafen Geldbußen, gemeinnützige Leistungen seien nur in 624 Fällen erbracht worden. Skeptisch äußerte sich der Justizminister zur Diversion beim Delikt des Widerstandes gegen die Staatsgewalt. Es habe bisher fünf entsprechende Diversionsfälle gegeben. Böhmdorfer kündigte an, über diese Fälle zu berichten, und warnte in diesem Zusammenhang vor der Gefahr eines überschießenden Gebrauchs der Diversion.

Die geplante Zusammenlegung von kleineren Bezirksgerichten verteidigte Böhmdorfer ausdrücklich, wobei er argumentierte, das derzeitige System sei nicht mehr effizient und habe sich überlebt. Die Bürgermeister und Landeshauptleute würden einen übertriebenen und auf lange Frist aussichtslosen Kampf gegen diese Maßnahme führen, sagte er. Die Entfernung zum nächsten Bezirksgericht sei heute nicht mehr relevant, zumal die Mobilität gerade im ländlichen Raum sehr hoch ist. Dazu komme noch, dass im Durchschnitt jeder Österreicher nur einmal in seinem Leben zu einem Bezirksgericht geht. Als ausschlaggebend für die Zusammenlegung betrachtete Böhmdorfer die geringe Auslastung der kleinen Bezirksgerichte. Sehr viele Gerichte würden derzeit nicht einmal einen einzigen Richter auslasten. Dieser Unterbelastung der Richter könne man nicht mehr länger zusehen, betonte er.

Die Neuerungen im Suchtmittelgesetz wertete Böhmdorfer nicht als Ausdruck einer neuen Orientierung der Drogenpolitik. Die geplante Einführung von lebenslanger Freiheitsstrafe für Drogenbosse bezeichnete der Ressortchef als legitim. Wenn im großem Stil Drogen ins Land geschmuggelt werden, dann sei mit Toten zu rechnen, bemerkte Böhmdorfer. Diese Maßnahme sei auch unter dem Aspekt des Schutzes der Kinder und Jugendlichen zu sehen.

Für Laiengerichtsbarkeit im zivilgerichtlichen Verfahren besteht nach Einschätzung des Justizministers kein Bedarf mehr. Laienrichter würden nur unnötige Bürokratie und Aufwand erzeugen, für Fachwissen seien aber die Sachverständigen da, und nicht die Laienrichter, lautete das Argument Böhmdorfers.

Der Minister unterstützte die Forderungen nach Beschleunigung der Gerichtsverfahren. Durch eine Zivilprozessnovelle sollen nun die Parteien veranlasst werden können, ihre Beweismittel möglichst rasch vorzulegen. Kein Verständnis äußerte Böhmdorfer in diesem Zusammenhang für Rechtsanwälte, die bewusst Verfahren verzögern und darin ihren Auftrag sehen.

(Schluss)