Parlamentskorrespondenz Nr. 234 vom 27.03.2001

GEFÄHRDET REGIERUNG UNABHÄNGIGKEIT UND EXISTENZFÄHIGKEIT DES ORF?

Lebhafte Rundfunkdebatte in der Aktuellen Stunde

Wien (PK) - Der erste von 7 Plenarsitzungstagen des Nationalrats zum Budget 2002 bzw. - am heutigen Dienstag - zum Budgetbegleitgesetz begann mit einer Aktuellen Stunde. Die Sozialdemokraten hatten dafür das Thema ausgewählt "Die Regierung gefährdet die Unabhängigkeit und die wirtschaftliche Existenz des ORF".

Abgeordneter Dr. CAP (S) begründete diese Themenwahl seiner Fraktion mit der Befürchtung, die Regierungsparteien könnten ihren Machtanspruch nach der Niederlage bei den Wiener Gemeinderatswahlen noch härter durchsetzen wollen. "Sie werden noch weniger mit der Opposition reden und die Bevölkerung noch mehr fürchten", sagte der Abgeordnete und unterzog die Vorschläge der Regierung zur Änderung des ORF-Gesetzes einer kritischen Analyse. FPÖ und ÖVP wollten die Unabhängigkeit und die wirtschaftliche Existenzfähigkeit des ORF einschränken. Sie sagten "Politiker raus aus dem ORF", wollten die Politik aber in anderer Form im ORF verankern. Sie betrieben ein Doppelspiel, sagte Cap. Die Vertreter im Publikumsrat, der die Hörer- und Sehervertretung ersetzen soll, "sollen nicht wie Politiker aussehen, aber wie Politiker agieren". Dass die Regierung kein Problem damit habe, die Abwahl des Generalintendanten mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Stiftungsrat zu ermöglichen, führte der Abgeordnete darauf zurück, dass sie dort mit einer entsprechenden schwarz-blauen Mehrheit rechnen könne.

Statt froh zu sein, mit dem ORF einen konkurrenzfähigen öffentlich-rechtlichen Sender zu haben, gefährden Sie diesen ORF, gefährden beliebte Sendungen, wie "Millionshow" oder "Taxi Orange", warf Cap der Regierung vor. "Sie wollen die Hörer und Seher zwangsbeglücken. Sie wollen nicht nur Informationssendungen beeinflussen, sondern den Hörern und Sehern auch vorschreiben, wann sie zu lachen und wann sie zu weinen haben. Haben Sie den Mut, diese ORF-Reform einer Volksbefragung zu unterziehen", schloss Abgeordneter Cap.

Staatssekretär MORAK leitete seine Ausführungen ein, indem er den Titel der heutigen Aktuellen Stunde und die "absurden Behauptungen" des Abgeordneten Cap entschieden zurückwies. Er warf seinem Vorredner "politisches Spiel zu Lasten des sensibelsten Teils der österreichischen Medienlandschaft und ihrer Entwicklung zu europäischen Standards" vor. Morak forderte Cap dazu auf, zur Sachlichkeit zurückkehren und darauf zu verzichten, parteitaktische Spiele auf dem Rücken der Medienunternehmen auszutragen.

Der Staatssekretär erinnerte daran, dass die Bundesregierung erstmals eine umfassende Tagung mit anerkannten Experten zur Zukunft des ORF im Vorfeld zur Novellierung des Rundfunkgesetzes abgehalten hat. Die Ergebnisse dieser Enquete zusammenfassend stellte Morak enormen Aufholbedarf im Medienbereich fest und sprach von der Aufgabe, den öffentlich-rechtlichen Auftrag neu zu formulieren und die digitale Zukunft des Landes in der europäischen Dimension sicherzustellen. Der ORF müsse effizient bleiben und zugleich fit für die Zukunft gemacht werden.

Im Hinblick auf die europäischen Bestimmungen für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten erläuterte der Staatssekretär die Absicht, den bisherigen Wirtschaftskörper in eine Stiftung öffentlichen Rechts umzuwandeln, unter voller Wahrung der Unabhängigkeit des Rundfunks, ohne Änderung der Stellung der programmgestaltenden Mitarbeiter und damit unter voller Wahrung der journalistischen Freiheit. Die Unabhängigkeit der Organe werde wesentlich verstärkt durch eine Unvereinbarkeitsbestimmung: Politiker, Mandatare, Angestellte politischer Parteien, Klubs, Bildungseinrichtungen und Ministersekretären werde der Zugang zu diesen Gremien verwehrt. Begünstigter der Stiftung sei die Allgemeinheit. Die Neufassung der Werbebestimmungen soll, so Morak, Rechtssicherheit im Sinne der dualen Rundfunkordnung geben und die Existenzfähigkeit öffentlich-rechtlichen Rundfunks und privaten Rundfunks gewährleisten. Die Novelle schaffe ein ausgewogenes Verhältnis von öffentlich-rechtlichem Auftrag und den Möglichkeiten, darüber hinaus zu gehen und sich privat zu finanzieren. Der Staatssekretär bekannte sich zu einem auf dem Markt funktionierenden öffentlich-rechtlichen ORF, bestand aber darauf, Rahmenbedingungen für eine zukunftsorientierte Medienpolitik, für einen dualen Rundfunk in einem fairen Wettbewerbssystem zu schaffen. Dazu gehörten ein starker ORF mit einem öffentlich-rechtlichen Auftrag und die Voraussetzungen für privates Fernsehen. "Dafür hoffe ich eine Mehrheit in diesem Haus zu bekommen", sagte Staatssekretär Morak. 

Abgeordneter SCHIEDER (S) meinte, es sei nicht zu erwarten gewesen, dass die schwarz-blaue Koalition den ORF in Ruhe lassen werde. Die Frage lautete nur, werde sie versuchen, ihren Einfluss in einem sonst unveränderten ORF zu verstärken oder werde sie ihn wirtschaftlich schwächen, zum Teil privatisieren, um Platz für Private zu schaffen und sich solcher Art die Dankbarkeit privater Medienunternehmer zu sichern.

Die von der Regierung vorgelegte Punktation des Rundfunkgesetzes lässt für Schieder befürchten, dass sie sich entschlossen habe, beides zu tun: den ORF zu schwächen und unter ihre politische Kontrolle zu bringen. Das aber liege nicht im Interesse des Landes und werde von der SPÖ entschieden abgelehnt. Abgeordneter Schieder wies darauf hin, dass 85 % der Österreicher den ORF als wichtig für Österreich ansehen, dass ihn 59 % für den besten Botschafter im Ausland halten und ihn 57 % als persönlich wichtig bezeichnen. Klare Mehrheiten lehnten eine Privatisierung, Teilprivatisierung, Umwandlung in eine Aktiengesellschaft oder ausländischen Besitz des ORF ab.

Die vorgesehenen Werbeverbote beschränkten die Unabhängigkeit des ORF und beschnitten ihn in seinen technischen Möglichkeiten, sagte Schieder weiter. Der Medienstandort Österreich werde so zu Gunsten der ausländischen Konkurrenz beschädigt. Statt ein Joint Venture von Industrie, Wirtschaft und ORF bei der terrestrischen Digitalisierung zu schaffen, schade die Regierung aus parteipolitischen Gründen dem ORF, dem Land und seinen Bewohnern.

Abgeordneter Dr. KHOL (V) bekannte sich zum ORF, der für die Demokratie, die Information, die Volkskultur, die Hochkultur und die Unterhaltung der Bevölkerung unerlässlich sei. "Wir wollen den ORF stützen und halten". Das neue Gesetz sehe den Umbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in eine Stiftung vor, die sich selber und dem österreichischen Volk gehöre. Gleichzeitig gehe es darum, den ORF aus den Fingern der Politik zu befreien. Khol hielt fest, dass die Finanzierung jeweils zu 50 % aus Werbung und Gebühren erfolgen soll und der ORF die Möglichkeiten haben soll, die er zur Gestaltung seiner Programme braucht. Es soll ihm nicht vorgeschrieben werden, welcher Art und welchen Inhalts seine Sendungen sein sollen. "Wir werden keine geschmäcklerische Kulturzensur ausüben". Kernstück der Reform sei die Entpolitisierung, sagte Khol und wies die Vorwürfe Caps und Schieders zurück, indem er sie an den Einfluss erinnerte, der in der Zeit Viktor Klimas auf Nachrichtensendungen ausgeübt worden sei. Die SPÖ und die Grünen wollten die Entpolitisierung nicht, den Regierungsparteien gehe es aber darum, den ORF von politischem Einfluss zu befreien, resümierte Khol.

Abgeordneter Ing. WESTENTHALER (F) zeigte sich verwundert darüber, mit wie viel Arroganz die SPÖ auftrete, weil sie am letzten Sonntag nach 15 Jahren wieder einmal eine Wahl gewonnen habe. So mancher ihrer Wähler werde sich heute schon fragen, ob es gut war, der SPÖ eine absolute Mehrheit zu geben.

17 Jahre nach Deutschland und drei Jahre nach Albanien soll nun in Österreich der Schritt zum europäischen Medienstandard getan und ein System mit öffentlich-rechtlichem Rundfunk und privatem Fernsehen eingeführt werden. Damit werde der jahrzehntelange Stillstand überwunden, den die SPÖ in der Medienpolitik zu verantworten habe. Die Abgeordneten Cap und Schieder reagierten darauf "wie Kinder, denen man ihr Spielzeug weggenommen habe", weil sie wissen, dass diese Rundfunkreform das Ende für den "Rotfunk" ORF bedeute, meinte der FPÖ-Klubobmann.

Abgeordnete Mag. STOISITS (G) äußerte die Befürchtung einer Entpolitisierung des ORF "á la Westenthaler" und nannte als Beispiel die Ersetzung eines unabhängigen Kontrollors durch einen Haider-hörigen Finanzprüfer. Die Abgeordnete erinnerte an die langjährige Forderung ihrer Partei, keine Mandatare in das ORF-Kuratorium zu entsenden, weil der ORF nicht Khol, Westenthaler, Cap und Schieder gehöre, sondern den österreichischen Bürgern.

Hinsichtlich der Vorschläge der Bundesregierung sprach die Rednerin von der Gefahr, der ORF werde ausbluten und keine Möglichkeit mehr haben, Programme zu gestalten, die nicht auch auf dem deutschen Markt verkauft werden können. Als Beispiel nannte sie die Sendung "Mei liabste Weis". Werde die wirtschaftliche Basis des ORF beschränkt, habe er nicht mehr die Möglichkeit, nationales Bewusstsein in Österreich zu verbreiten und zur Identitätsstiftung beizutragen. Schließlich kritisierte die Abgeordnete die Einsetzung eines Weisenrates mit einem Alter von insgesamt 273 Jahren und fragte, was diese "älteren Herren" zur Zukunft des ORF im 21. Jahrhundert beitragen können.

Abgeordneter Dr. WITTMANN (S) fragte VP-Klubobmann Khol, ob er meine, der ORF sei bisher nicht unabhängig gewesen und erinnerte an das "Interventionsbombardement" der Freiheitlichen in der Causa Kleindienst. Auch er vermutete, den Regierungsparteien gehe es darum, ihren Einfluss auf den ORF zu verstärken. Deren Punktation für die Rundfunkgesetz-Novelle zeige die parteipolitische Motivation an. "Sie wollen den ORF aushungern, um mittels wirtschaftlicher Macht auch politischen Einfluss auf den ORF ausüben zu können", analysierte Wittmann und führte aus, er sehe keinen Unterschied darin, ob jemand als politischer Mandatar in ORF-Gremien sitze, oder ob er von der Regierung dazu bestellt werde. "Wenn Sie eine Entpolitisierung wollen, müssen Sie den Bestellmodus ändern", sagte Wittmann. Das Motto der Regierungsparteien im ORF laute aber: Rot raus, Blau-Schwarz rein.

Abgeordnete Dr. BAUMGARTNER-GABITZER (V) sprach von einem Theater des Abgeordneten Cap und unterstrich, dass die Redakteure des ORF selbstbewusst und professionell arbeiten und eine unabhängige Berichterstattung sicherstellen. "Das war so und wird so bleiben". Die SPÖ solle darauf verzichten, Panik zu machen. Der ORF bleibe Teil der österreichischen Identität, es sei aber notwendig, den jahrzehntelangen medienpolitischen Stillstand zu überwinden. Dazu gehöre die Umwandlung des ORF in eine Stiftung und eine Neudefinition des öffentlich-rechtlichen Auftrags. In Gestalt der "Weisen" habe sich die Regierung dafür das nötige Know-how besorgt, sagte die Abgeordnete und wies die "unglaubliche Abqualifizierung" dieser Experten durch Abgeordnete Stoisits entschieden zurück.

Auch Abgeordneter Dr. KRÜGER (F) hielt es für unverständlich, dass Abgeordnete, die bei Wahlen auf die Stimmen von Pensionisten setzten, Kritik üben, wenn ältere Fachleute ihre Erfahrungen bei einer Novellierung des Rundfunkgesetzes einbringen sollen. Cap und Schieder sprächen nicht für den ORF, nicht für die Zuseher und Hörer, sie sprächen ausschließlich für sich selbst, sagte Krüger und warf der SPÖ vor, die Entwicklung privaten Fernsehens und privaten Radios in Österreich jahrzehntelang verhindert zu haben (Zwischenruf bei der SPÖ: Sie sind der Anwalt privater Interessen!).

Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG (G) vermisste bei der angepeilten ORF-Reform eine Basis für die Bewährung des ORF im neuen Medienzeitalter und bezeichnete die im Ministerrat beschlossene Punktation als eine riesige vertane Chance. Denn grundsätzlich sagten die Grünen Ja zur ORF-Reform, zum öffentlich-rechtlichen Auftrag, zur Digitalisierung und zur offensiven Positionierung als modernes Medienunternehmen. 

In Bezug auf die personelle Besetzung des Weisenrates befürchtete sie ein ideologisches Hintergrundfutter für die zukünftigen Rahmenbedingungen des ORF und stellte die Frage, wie sich die Regierungsparteien vorstellen, in Zukunft den Kulturauftrag oder den Informationsauftrag zu erfüllen, indem man gleichzeitig einschneidende wirtschaftliche Einschränkungen vorhabe. Glawischnig erinnerte in diesem Zusammenhang beispielsweise daran, dass derzeit Ö1 von Ö3 finanziert werde. Abschließend sprach sie sich für eine Entpolitisierung aus, meinte aber, dass diese sich nicht auf die Formel "Opposition raus" reduzieren lassen dürfe. Unter den nunmehrigen Vorzeichen habe sie schwere Sorge um die Meinungsfreiheit. (Schluss Aktuelle Stunde)