Parlamentskorrespondenz Nr. 316 vom 03.05.2002

FISCHER: ABLEHNUNG VON NS-IDEOLOGIE UND GEWALT DAUERHAFT ERHALTEN

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Wien (PK) - Der Präsident des Nationalrates Heinz Fischer begrüßte zunächst die zahlreichen Gäste, die zur Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus in den Reichsratssaal des Parlaments gekommen waren, unter anderem Bundespräsident Thomas Klestil, den ehemaligen Erzbischof von Wien, Kardinal Franz König, Altbundespräsident Kurt Waldheim, die Mitglieder der Bundesregierung, hochrangige Vertreter der Religionsgemeinschaften und Überlebende aus den Konzentrationslagern des so genannten Dritten Reiches.

Präsident Fischer erinnerte am Beginn seiner Ansprache an die Entschließung des Nationalrates und des Bundesrates aus dem Jahr 1997, die die gemeinsame Absicht beider Häuser zum Inhalt hatte, die Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen Anfang Mai 1945 alljährlich zum Anlass zu nehmen, in einer Gedenkveranstaltung der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken und gleichzeitig unsere entschiedene Ablehnung von Gewalt und Rassismus zum Ausdruck zu bringen.

In den 80er- und 90er-Jahren habe, so Fischer, verstärkt ein Nachdenkprozess eingesetzt, ein Prozess der Überprüfung von Positionen, ein Prozess des sich Fragens, was wir richtig gemacht haben und was wir versäumt haben. Die genannte Entschließung habe dann zu konkreten Schritten geführt, wie die Errichtung des österreichischen Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus, der mit überlebenden Opfern in 81 Ländern der Welt individuell Kontakt aufgenommen und eine symbolische Geste gesetzt habe. Mit der Mauerbach-Auktion im Jahr 1996 und den aus 1998 stammenden Kunstrückgabegesetz sei es gelungen, für geraubte Kunstschätze eine Rückstellungslösung bzw. eine Verwertung im Sinne der NS-Opfer zu erreichen.

Der Nationalratspräsident sprach in diesem Zusammenhang auch die seit 1. Oktober 1998 tätige Historikerkommission unter dem Vorsitz von Präsident Dr. Clemens Jabloner an, deren Arbeit wesentlich zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus beitragen werde und die noch vor dem heurigen Sommer einen 3000 - 4000 Seiten umfassenden Zwischenbericht vorlegen werde. Der Endbericht sei im kommenden Jahr zu erwarten.

Fischer ging auch auf das Bundesgesetz vom 8. August 2000 ein, womit eine Regelung für eine Entschädigung von Zwangs- und Sklavenarbeitern getroffen wurde, die während der NS-Zeit auf österreichischem Boden ausgebeutet wurden. Der Fonds sei mit seiner Arbeit unter der Leitung von Botschafter Ludwig Steiner bereits sehr weit fortgeschritten, betonte Fischer. Mit dem Restitutionsgesetz vom 28. Februar 2001 sei die rechtliche Grundlage für eine pauschalierte Abgeltung von Vermögenswerten geschaffen worden, deren Abwicklung ebenfalls dem Nationalfonds übertragen wurde. Der Nationalratspräsident unterstrich dabei die Bedeutung des General Settlement Funds, der hoffentlich in den nächsten Monaten seine Tätigkeit werde beginnen können.

All diese Maßnahmen seien im Konsens beschlossen worden, hob Fischer hervor und nannte schließlich die Entschließung des Nationalrates von 14. Juli 1999, in der auf das Schicksal österreichischer Opfer der NS-Militärgerichtsbarkeit hingewiesen wird, um auch in diesem Bereich begangenes Unrecht aufzuzeigen und zu korrigieren. Der Präsident räumte ein, dass dies eine schwierige Frage darstelle und dass man das Schicksal jener, die zwischen 1939 und 1945 eine Uniform tragen mussten, die nicht jene der eigenen Heimat war, dass man das Schicksal jener, die den Dienst nicht leisten wollten, aus heutiger Sicht wohl ganz anders zu beurteilen sei, als zur NS-Zeit. Daher gebe es auch auf diesem Gebiet einen Nachdenkbedarf, sagte der Nationalratspräsident.

All diese genannten Schritte seien ganz wichtige Schritte in die richtige Richtung gewesen, es gehe aber nicht nur um die Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern auch um die Gestaltung der Zukunft und um die Lehren für die Zukunft. Fischer verlieh in diesem Zusammenhang seiner tiefen Betroffenheit über jene jungen Menschen  Ausdruck, die sich öffentlich zu Symbolen, zu Gedankenelementen oder zu anderen Teilen der NS-Ideologie bekennen. Dies sei deprimierend und alarmierend, warnte Fischer, und bedürfe einer klaren Stellungnahme und klugen Politik, auch einer klugen europäischen Politik, die dem die Wurzeln entziehe. Gegen den Ungeist des Nationalsozialismus, gegen solche Phänomene klar Stellung zu beziehen, sei eine eindeutige Verpflichtung, appellierte Fischer.

In diesem Kontext thematisierte der Nationalratspräsident auch die aktuelle Diskussion um die Demonstrationen und meinte, dass es wichtig sei, das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit gegen die Gewalttätigkeit einzelner zu schützen. Er distanzierte sich dabei "mit aller Deutlichkeit und ohne Wenn und Aber" von Einzelnen, die dem Anliegen einer friedlichen Demonstration durch brutale Gewaltanwendung Schaden zufügen.

Wir befänden uns momentan in einer geschichtsträchtigen Phase, fuhr Fischer fort, da sich am 1. Mai 1945 Adolf Hitler durch die Flucht in den Freitod seiner Verantwortung entzogen habe, da am 4. und 5. Mai 1945 das KZ Mauthausen befreit worden sei und da am 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation Hitler-Deutschlands erfolgt sei, womit der "blutige und verfluchte Zweite Weltkrieg" in Europa geendet habe und die NS-Diktatur zu Ende gegangen sei. Damit sei der Weg für einen Neubeginn in weiten Teilen Europas frei geworden und daher sei dieser 8. Mai auch ein so wichtiges Datum in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Er, Fischer, sei sich dessen durchaus bewusst, dass es auch noch nach dem 8. Mai Unrecht, Flüchtlingstragödien und grausame Menschenrechtsverletzungen gegeben habe, dass nicht alle Staaten Europas die Segnung der Demokratie erleben durften. Dies ändere aber nichts an der überragenden Bedeutung des 8. Mai, mit dem der Krieg und die NS-Gewaltherrschaft zu Ende gegangen sei, zumal auch noch in den letzten Tagen vor Kriegsende Menschen erschossen, hingerichtet und in Konzentrationslagern ermordet worden seien. Somit sei der 8. Mai eine Chance für den Neubeginn in Europa gewesen, machte Fischer deutlich.

Derartige Gedenktage hätten auch heute noch Sinn, betonte er, auch wenn er zugebe, dass die Erinnerung an das Böse vor dessen Wiederholung nicht schütze und die dauerhafte Memorierung von Großverbrechen Folgeverbrechen nicht verhindere, wie dies der österreichische Philosoph Rudolf Burger mit seinem Plädoyer für das Vergessen festgestellt hatte. Seiner, Fischers, Meinung nach, gehe es aber nicht um ein Patentrezept gegen die Wiederholung, sondern um die Definition und die Beschreibung dessen, was böse gewesen sei, und das dürfe nicht unscharf werden, unterstrich der Nationalratspräsident. Aus diesem Grund sei die Erforschung der historischen Wahrheit und die Beschäftigung mit unserer Geschichte so wichtig.

Fischer wies darauf hin, dass der Text aus dem Kammerschauspielerin Elisabeth Orth lesen werde, ein historischer sei, und zwar die autobiographischen Aufzeichnungen des Kommandanten des KZ Auschwitz, Rudolf Höss. Jeder, der diesen gelesen habe, sei darüber zutiefst betroffen, da damit - um mit Hannah Ahrendt zu sprechen -  die Banalität des Bösen zu Papier gebracht worden sei. Bei den Musikstücken von Ernst Krenek und Arnold Schönberg handle es sich um so genannte "entartete Kunst". Präsident Fischer begrüßte in diesem Zusammenhang die Tochter Arnold Schönbergs, Nuria.

Der Nationalratspräsident schloss mit der Feststellung, dass wir in unserer pluralistischen Demokratie unterschiedliche Meinungen aushalten und aushalten müssten. Nur eines seien wir den Opfern des Nationalsozialismus schuldig: "Dass wir die Front der Ablehnung von Nationalismus, Rassismus und Gewalt so breit wie möglich, so fest wie möglich und so dauerhaft wie möglich erhalten." (Fortsetzung)