Parlamentskorrespondenz Nr. 317 vom 03.05.2002

BUNDESRATSPRÄSIDENTIN PÜHRINGER FÜR KONTINUIERLICHE ERINNERUNGSARBEIT

Ächtung von Gewalt und Rassismus muss auch gelebt werden

Wien (PK) - Bei der heutigen Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus, die im Reichratssitzungssaal des Parlaments stattfand, hob Bundesratspräsidentin Uta Barbara Pühringer die Bedeutung einer kontinuierlichen Erinnerungsarbeit hervor. Sie erinnerte in ihrer Rede zunächst an die Worte des Propheten Amos, der die Übereinstimmung von Feier und Alltag gefordert hat, die Übereinstimmung dessen, was in der Feier zum Ausdruck kommt und dem, was im Alltag gelebt wird.

Wir haben eine Verantwortung, einen Auftrag, welcher weit hinaus geht über das Bekenntnis, das wir durch die Teilnahme an dieser Gedenkstunde zum Ausdruck bringen, unterstrich Pühringer, nämlich das Bekenntnis gegen Rassismus und Gewalt. Die Zögerlichkeit nach 1945 in der Auseinandersetzung mit den Gräueltaten des Nationalsozialismus bleibe so lange Schatten, als nicht alle möglichen Anstrengungen von Restitution und Entschädigung erfolgt sind und alle mögliche historische Forschung noch ausstehende Grundlagen für die kontinuierliche Bildungsarbeit bereit stellt, war sie überzeugt. Es klinge schmerzlich, aber "oral history" mit Zeitzeugen habe eine zeitlich begrenzte Chance, eine durch deren Lebenszeit begrenzte Möglichkeit.

Der Verantwortung der Zeitzeugen zu bezeugen, was sie erlebt haben, entspreche die Verantwortung der Wissenschaft zur Analyse und Aufklärung des Geschehenen, die Verantwortung der Politik, in ihrem öffentlichen Auftreten die Ächtung von Gewalt und Rassismus nicht nur zu verkünden, sondern auch zu leben; darunter verstehe sie auch ausdrücklich die Gewalt durch Sprache. Eine große Verantwortung bei der Vermittlung all dessen komme den Pädagogen zu, erklärte Pühringer. Allen Bemühungen gebühre daher Dank in dieser Stunde, denn der "Banalität des Bösen" gelte es, eine "Banalität des Guten" gegenüberzustellen. In diesem Zusammenhang wies sie auf die Arbeiten der Historikerkommission, des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, die Lagergemeinschaft Mauthausen, die Tätigkeit von SOS-Mitmensch, die Restitutionsleistungen, die Entschädigungszahlungen an Zwangsarbeiter sowie die Beisetzung der Kinder vom Spiegelgrund hin.

Ein besonderes Anliegen waren ihr die zahlreichen Aktivitäten von Lehrern und Lehrerinnen, die gemeinsam mit ihren Schülern Projekte zur Zeitgeschichte und Politischen Bildung verwirklichen: So wurde an Schulen nach Schicksalen ehemaliger Schüler/innen mit jüdischer Herkunft während der NS-Zeit geforscht; so haben Tausende Schüler/innen unter medienpädagogischer Begleitung den Film "Schindlers Liste" besucht, haben Steyrer Schulen 1995 ein Gedenkprojekt in Mauthausen gestaltet und mit Ereignissen in ihrer Heimatstadt verknüpft, werden in ein paar Tagen Berufsschüler ihr Projekt in Mauthausen vorstellen.

Auch die Integrationspädagogik an unseren Schulen verdiene es, hier erwähnt zu werden, führte die Bundesratspräsidentin weiter aus. Sie beweise nämlich die Möglichkeit des Miteinanders von behinderten und nicht behinderten Jugendlichen sowie von Kindern mit nicht deutscher Muttersprache.

Die unbegreifliche Realität des Holocaust werfe ihrer Meinung nach die Frage auf: Was waren das für Menschen, die das Getriebe der NS-Vernichtungsmaschinerie am Laufen gehalten, ja sogar noch beschleunigt haben? Die Antwort, die uns Zeitzeugenberichte ebenso wie Kriegsverbrecherprozessakten, vor allem aber auch die Zeugnisse der Nazischergen selbst geben, wie die im Mittelpunkt der heutigen Gedenkveranstaltung stehenden autobiographischen Aufzeichnungen von Rudolf Höß, diese Antwort ist erschreckender, als wenn sie lautete: Es waren Psychopathen, Sadisten, erkennbar Wahnsinne. Das Erschreckende am "Täterprofil" sei die "Normalität" der Menschen, die in dieses Profil fallen: Keine dämonischen Charaktere, die der Faszination des Bösen verfallen gewesen wären, treten da hervor, sondern höfliche, unauffällige Zeit- und Parteigenossen, treusorgende Familienväter und nebenbei Massenmörder – pflichtbewusste Buchhalter des Todes.

Rudolf Höß, der Lagerkommandant von Auschwitz, stehe prototypisch für dieses "Täterprofil". Auffallend in seiner Autobiographie ist seine Erziehung zum Gehorsam allen vermeintlichen Autoritäten gegenüber, die seine Kindheit und Jugend ebenso wie Mangel an Zärtlichkeit geprägt haben. Bei der akribischen Pflichterfüllung um effiziente Ausführung des Befehls zur Massenvernichtung von Menschen stellte er keinerlei Überlegungen an, erlaubte sich kein eigenes Urteil. Unter Pflicht verstand er, Befehlen zu gehorchen, nicht dem eigenen Gewissen.

Die Aufgabe, die sich damit stelle, war Pühringer überzeugt, ist die einer Persönlichkeitsbildung, die zu Eigenverantwortlichkeit mündiger Menschen führt. Die Forderung an uns alle, dass nie wieder Auschwitz sei, erschöpfe sich nicht in Gedenktagen, in Erinnerung, nicht einmal nur in einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit unserer Geschichte, so wichtig dies auch ist.

"Es ist der Holocaust, der das Zentrum der Erinnerung an den 2. Weltkrieg ausmacht", meinte Dan Diner, Historiker an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Er bleibe der Schreckensarchetypus für Genozid, für Rassismus und Gewalt. Deswegen wolle sie mit einem Gedanken von Claude Lanzmann, dem Regisseur der Filme "Shoa" und "Sobibor" schließen: "Die Handlung beginnt heutzutage. Das meint kein festes Datum, sondern die Gegenwart eines bestimmten Augenblickes. Das ist eine ewige Präsenz." Unser Bekenntnis dazu rechtfertige und verlange unsere Gedenkveranstaltung, betonte Pühringer abschließend. (Fortsetzung)