Parlamentskorrespondenz Nr. 388 vom 28.05.2002

LANDWIRTSCHAFTSAUSSCHUSS: OPPOSITIONSANTRÄGE ZUR AGRARREFORM VERTAGT

Molterer gegen "Totalreform" der EU-Agrarpolitik

Wien (PK) - Landwirtschaftsminister Wilhelm Molterer skizzierte heute im Landwirtschaftsausschuss des Nationalrats seine Position zur Frage der künftigen Agrarpolitik der EU. Demnach spricht er sich dafür aus, dass die Agrarförderungen auch weiterhin auf zwei Säulen aufbauen: der Marktordnung und der ländlichen Entwicklung, die jedoch ausgebaut werden solle. Dabei sollen Molterer zufolge im Rahmen der Marktordnung weiter Direktzahlungen gewährt werden, die jedoch abhängig von der Betriebsgröße "moduliert" sein sollen, zudem sollen Beschäftigungseffekte berücksichtigt werden. Weiters plädierte er dafür, mengensteuernde Elemente wie die Milchquote beizubehalten und den Aspekt der Lebensmittelsicherheit verstärkt in die Agrarpolitik zu integrieren. Im Bereich der ländlichen Entwicklung wünscht sich der Minister mehr Spielraum für die Mitgliedstaaten der EU.

Biologische Landwirtschaft kann Molterer zufolge nur ein Teil der Agrarstrategie sein. Vorrangiges Ziel müsste eine generelle ökologische Verträglichkeit der Agrarbewirtschaftung und eine gesamtökologische Verantwortung der Landwirtschaft sein. Ein Konzept, in dem Biolandbau als Feigenblatt fungiere und lediglich eine Nische sei, während alles darüber hinaus industrielle Landwirtschaft sei, hält er jedenfalls nicht für erstrebenswert.

Die Opposition warnte der Minister eindringlich davor, eine "Totalreform" der Agrarpolitik auf EU-Ebene zu fordern. Darunter werde in der EU nämlich genau das Gegenteil von dem verstanden, was Österreich wolle, mahnte er. Wenn die Opposition von einer Totalreform spreche, müsse sie sich im Klaren sein, dass sie damit den "Großliberalisten Europas" in die Hände arbeite. Molterer setzt, wie er sagte, dem gegenüber auf eine Weiterentwicklung der Agrarpolitik, welche "bei weitem besser ist als ihr Ruf". In grundsätzlichen Fragen der Agrarpolitik sieht er ohnehin ähnliche Positionen auf Seiten der Regierung und der Opposition.

Konkrete Stellungnahmen zu einzelnen Fragen der Agrarreform wollte Molterer nicht abgeben, da, wie er erklärte, die Europäische Kommission die vereinbarte Halbzeitbewertung (midterm review) der Agenda 2000 voraussichtlich erst am 10. Juli vorlegen werde. Im Rahmen dieser midterm review wird die Kommission Vorschläge zur EU-Agrarreform vorlegen, zu denen dann die einzelnen Mitgliedstaaten Stellung nehmen sollen.

Grundlage für die Ausführungen Molterers bildeten drei Initiativen der Opposition, die auf eine grundlegende Änderung der Agrarpolitik und eine stärkere Förderung des Biolandbaus abzielen und auf Antrag von Abgeordnetem Johannes Zweytick mit FP-VP-Mehrheit vertagt wurden. Konkret fordert beispielsweise Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber namens der Grünen in einem Entschließungsantrag (374/A[E]) ein Verbot flächenungebundener bzw. nicht artgerechter Tierhaltung, die Wiedereinführung von Tierbestandsobergrenzen sowie eine Besteuerung von Stickstoff und eine Pflanzenschutzmittelabgabe, und trat darüber hinaus für eine Neuausrichtung der Agrarförderungen ein, und zwar im Sinne einer Bindung sämtlicher landwirtschaftlichen Förderungen und Ausgleichszahlungen an präzise ökologische, soziale und produktbezogene Mindeststandards. Ein zweiter Entschließungsantrag Pirklhubers (388/A[E]) beinhaltet die Forderung nach einer Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Seiner Ansicht nach muss die Agrarpolitik der EU das Prinzip des vorsorgenden Verbraucherschutzes in die gesamte Lebensmittelerzeugung integrieren und neue Rahmenbedingungen für einen Wettbewerb um Qualität schaffen.

Auch die SPÖ ging bei ihrem Vorstoß vom Grundtenor aus, dass der biologische Landbau einen nicht zu unterschätzenden Lösungsansatz für die Bewältigung der Probleme aller bäuerlichen Betriebe in Österreich darstellt. In einem Entschließungsantrag (492/A[E] ) spricht sich Abgeordneter Heinz Gradwohl in diesem Sinn dafür aus, den Biolandbau durch eine massive Erhöhung der Förderungsmittel weiter auszubauen ("Bio-Offensive"), um dieser ökologisch und tierfreundlichen Wirtschaftsweise stärker zum Durchbruch zu verhelfen. Ein weiteres wichtiges Anliegen der SPÖ ist die soziale Staffelung von Agrarförderungsmitteln, insbesondere der Marktordnungsprämien, da dies, wie Gradwohl in der Ausschusssitzung mit Nachdruck ausführte, zu einer gerechteren Verteilung im Sinne einer inneragrarischen Solidarität beitragen würde.

Abgeordneter Johannes Zweytick (V) versicherte den Antragstellern, dass die ÖVP diese agrarpolitischen Anliegen sehr ernst nehme, meinte aber, vorerst gehe es darum, den für Anfang Juli angekündigten Bericht der EU-Kommission über die Erfahrungen mit der Agenda 2000 abzuwarten. 

Die Vertagung der Anträge rief bei der Opposition dennoch Empörung hervor. Diese Art der Diskussionsverweigerung und die ständige Vertagung von Anträgen der Opposition sei "nicht die feine österreichische Art", beklagte etwa SPÖ-Abgeordneter Heinz Gradwohl, der schließlich nach der Aussage von Landwirtschaftsminister Molterer, die Opposition spiele den "Großliberalisten Europas" in die Hände, wenn sie eine Totalreform der EU-Agrarpolitik verlange, gemeinsam mit einigen FraktionskollegInnen auch den Landwirtschaftsausschuss verließ. SPÖ-Abgeordnete Ulrike Sima vermutet hinter der Vorgangsweise, Oppositionsanträge per Vertagung "ins politische Nirwana zu schicken" eine Strategie, um die Anliegen der Opposition nicht in der Öffentlichkeit diskutieren zu müssen. Abgeordneter Josef Horn (S) sprach von einem "Trauerspiel".

Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber regte namens der Grünen an, noch vor der Sommerpause im Parlament ein Expertenhearing zu Fragen der Agrarreform im Landwirtschaftsausschuss abzuhalten, was von Ausschussvorsitzendem Georg Schwarzenberger (V) angesichts der Tatsache, dass die Vorschläge der Kommission zur Agrarreform erst am 10. Juli vorliegen werden, als nicht sehr sinnvoll erachtet wurde. Zudem gab Schwarzenberger zu bedenken, dass auch in Österreich zu dieser Frage in Auftrag gegebene Studien noch nicht fertiggestellt seien.

Pirklhuber zeigte jedoch wenig Verständnis dafür, dass Österreich abwarten wolle, welche Vorschläge EU-Agrarkommissar Fischler vorlegen wird, und beharrte darüber hinaus trotz der Einwände Molterers auf einer umfassenden Reform der EU-Agrarpolitik. Man könne statt dem Ausdruck "Totalreform" schließlich auch den ohnehin passenderen Ausdruck "ökologische Agrarwende" verwenden, meinte er. Eine solche sei jedenfalls notwendig, wolle man die österreichische Landwirtschaft nicht "in den Rachen der großen Agrarmultis werfen". Konkret will Pirklhuber etwa ein Ende der Exportförderungen diskutieren, da diese seiner Auffassung nach zu Dumpingpreisen auf dem Weltmarkt führen.

Abgeordneter Jakob Auer (V) übte scharfe Kritik daran, dass die Opposition zunächst eine Diskussion über ihre Vorschläge eingefordert und den Koalitionsparteien Diskussionsverweigerung vorgeworfen habe, Abgeordnete der SPÖ dann aber den Ausschuss verlassen hätten, weil sie mit der Antwort des Landwirtschaftsministers nicht zufrieden gewesen seien. Landwirtschaftsminister Molterer stellte nochmals ausdrücklich klar, er habe nicht unterstellt, dass die Opposition die Position der Agrar-Liberalisten in Europa vertrete, sondern lediglich darauf hinweisen wollen, dass deren Forderung nach einer Totalreform der EU-Agrarpolitik gefährlich sein könne. (Schluss)