Parlamentskorrespondenz Nr. 444 vom 14.06.2002

WIE FUNKTIONIERT DER FREIE STROMMARKT?

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Wien (PK) - Der Übergang vom traditionellen Strommonopol zu einem völlig freien Markt, auf dem auch kleine Betriebe und Privatkunden ihren Stromlieferanten auswählen und niedrigere Konkurrenzpreise lukrieren können, ist gelungen. Das ist die Botschaft des Jahresberichts 2001 der Elektrizitäts-Control GmbH, den Wirtschaftsminister Martin Bartenstein kürzlich dem Nationalrat übermittelt hat(III-154 d.B.). Der Bericht gibt erste, positive Erfahrungen mit dem seit 1. Oktober 2001 voll liberalisierten Strommarkt und mit den neuen Regulierungsbehörden, der E-Control und der E-Control Kommission wieder, die ihre Tätigkeit am 1. März des Vorjahres aufgenommen haben. E-Control-Geschäftsführer Walter Botz sieht die Stromverbraucher von den Großabnehmern bis zu den Haushalten als Gewinner der günstigeren Strompreise und neuer Service-Angebote auf dem freien Markt und erwartet eine erfolgreiche Fortsetzung der Strommarktliberalisierung in Österreich.

DIE LIBERALISIERUNG DES STROMMARKTES...

Ihre Ursprünge hat die Strommarktliberalisierung im Europäischen Binnenmarktprogramm von 1985. Damals hatte man die zentrale Rolle des Elektrizitätssektors (Jahreserzeugung 2.500 Tonnenwatt/Stunde; Jahresumsatz 250 Mrd. €) für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft erkannt, da die Energiekosten einen wesentlichen Teil der Produktionskosten ausmachen, vor allem in der Informationsbranche sowie bei Stahl, Chemie und Papier. Um marktwirtschaftliche Mechanismen auf dem europäischen Elektrizitätsmarkt stärker wirksam werden zu lassen, beschlossen das EU-Parlament und die Energieminister nach langen Beratungen im Jahr 1996 die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie und schrieben den Mitgliedstaaten vor, 35 % ihrer Strommärkte bis 2003 zu öffnen. Über diese Vorgabe ging Österreich mit dem Elektrizitätswirtschafts- und Organisations- Gesetz (ElWOG I), das der Nationalrat 1998 beschloss, zunächst nur unwesentlich hinaus, trat mit der ElWOG-Novelle 2000 und der vollen Marktöffnung ab 1.10.2001 für alle Stromkunden aber schon bald in die Reihe der Vorreiter bei der Liberalisierung des Strommarktes in Europa ein.

... BRAUCHT NEUE REGULIERUNGSINSTRUMENTE

Die vollständige Marktöffnung setzte eine Änderung der Struktur der österreichischen Elektrizitätsversorgung voraus. An die Stelle regionaler Netzbetreiber, die geschlossene Gebiete versorgen, traten "Bilanzgruppen", die Lieferanten und Kunden umfassen, in denen ein "Bilanzgruppenverantwortlicher" für den notwendigen Ausgleich zwischen Aufbringung und Abgabe der elektrischen Energie sorgt. Die nächstgrößere Einheit auf dem Strommarkt ist die Regelzone, in der der "Regelzonenführer" mit einer Frequenz-Leistungsregelung für die Bereitstellung der Ausgleichsenergie verantwortlich ist.

Mit der Elektrizitätsrechtsnovelle 2000 erhielt auch die Elektrizitätsaufsicht eine neue Grundlage. Zu den traditionell zuständigen Landesregierungen, Landeshauptmännern und zum Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit kamen die Elektrizitäts- Control GmbH (E-Control) und die Elektrizitäts-Control Kommission (E-Control Kommission) als Regulierungsbehörden. Beratende Funktion übt der Elektrizitätsbeirat aus. Die E-Control Kommission ist ein weisungsfreies, dreiköpfiges Kollegialorgan mit richterlichem Einschlag. Sie genehmigt die Allgemeinen Bedingungen der Netzbetreiber für die Inanspruchnahme der Übertragungs- und Verteilernetze, bestimmt die Systemnutzungstarife, untersagt die Anwendung sittenwidriger Bedingungen, entscheidet in Streitigkeiten zwischen Marktteilnehmern sowie bei der Abrechnung von Ausgleichsenergie und über Berufungen gegen Bescheide der E-Control. Die E-Control beaufsichtigt als gesetzlicher Regulator unter anderem den Wettbewerb, erstellt und publiziert Strompreisvergleiche und sie überwacht das Unbundling sowie die Einfuhr elektrischer Energie aus Drittstaaten.

DER TARIFKALKULATOR

Um die Kunden über die relevanten Angebote auf dem Strommarkt zu informieren, hat die E-Control auf ihrer Internet-Seite (www.e-control.at) den "Tarifkalkulator" eingerichtet, mit dem der Kunde alle Tarife, Bedingungen und Zusatzleistungen online abrufen kann. Die Datensituation bei Großabnehmern über 30.000 kWh hält die E-Control aber für nicht zufriedenstellend. Preise für solche Kunden werden oftmals individuell in privatrechtlichen Verträgen ausverhandelt und sind nicht öffentlich zugänglich. Die E-Control will für diesen Mangel durch die Ausarbeitung einer Industriestrompreisberechnung Abhilfe schaffen.

WAS VERSTEHT MAN UNTER UNBUNDLING?

Voraussetzung für wirksamen Wettbewerb in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft ist die Entflechtung der bisherigen Gebietsmonopolisten, in denen Erzeugung und Netzbetrieb integriert waren. Der Netzbetrieb, der als natürliches Monopol weiterhin zu regulieren ist, muss von den anderen Geschäftsbereichen wie Erzeugung und Stromhandel, in denen freier Wettbewerb herrschen soll, getrennt werden. Je weiter die Marktöffnung gehen soll, desto wichtiger ist eine effektive Entflechtung, um den Wettbewerb diskriminierungsfrei zu gestalten. Für diese Entflechtung der einzelnen Geschäftsfelder integrierter Energieunternehmen hat sich bei der Liberalisierung leitungsgebundener Energiemärkte der englische Fachausdruck "Unbundling" eingebürgert. Im Jahr 2001 hat die E-Control im Zuge der Systemtarifprüfungen eine erste Bestandsaufnahme zum Unbundling vorgenommen und dabei festgestellt, dass viele Unternehmen ihre Struktur den Erfordernissen des seit Oktober geöffneten Strommarktes erst nach und nach anpassen. Daher wird die E-Control nicht nur klare Richtlinien für die Trennung der Unternehmensbereiche Erzeugung, Stromhandel, Übertragung, Verteilung und Sonstiges formulieren, sondern auch auf die effektive Umsetzung dieser Richtlinien achten, heißt es in ihrem Jahresbericht.

PRÜFUNG, SENKUNG UND WEITERENTWICKLUNG DER SYSTEMNUTZUNGSTARIFE

Die E-Control wurde von der E-Control Kommission beauftragt, die Systemnutzungstarife in allen 16 Netzbereichen Österreichs zu prüfen. Diese Prüfungen haben mit Oktober 2001 begonnen und werden voraussichtlich Mitte 2002 abgeschlossen. Kostenstruktur und Tarifierung der Netzbetreiber werden detailliert untersucht und die Entgelte für Netznutzung, Netzbereitstellung, Netzverlust und Systemdienstleistungen zum Teil neu fest gelegt. Bereits Anfang des Jahres wurde eine spürbare Senkung der Netznutzungstarife für die Netzbereiche Verbund APG, Grazer Stadtwerke AG und STEWEAG wirksam. Im April folgte unter anderem die BEWAG. Insgesamt beziffert die E-Control den Umfang der bereits erreichten Senkungen mit rund 50 Mill. €. Zur Entwicklung neuer Netztarifstrukturen gehören auch  internationale Vergleiche, unter anderem die Evaluierung eines norwegischen Systems zur Erhebung finanzieller und technischer Kennzahlen und Überlegungen zum Übergang von einem System der reinen Kostenabgeltung zu einem Regulierungsmodell mit Anreizen zur Effizienzsteigerung. Ergebnisse der diesbezüglichen Untersuchungen kündigt die E-Control für Ende des Jahres an.

NEUE INSTRUMENTE ZUR FÖRDERUNG ERNEUERBARER ENERGIETRÄGER

Um die Treibhausgasemissionen sowie die Importabhängigkeit der Energieversorgung zu senken und den Wertschöpfungsanteils in Österreich zu heben, schreibt das ElWOG vor, den bereits hohen Anteil erneuerbarer Energieträger in der österreichischen Stromerzeugung weiter zu steigern. Seit Oktober 2001 muss zusätzlich zum Wasserkraftstrom zumindest 1 % des Gesamtenergieverbrauchs aus Biomasse, Wind, Photovoltaik, Geothermie oder Deponiegas erzeugt werden. Dieser Öko-Strom-Anteil an der Gesamterzeugung muss alle zwei Jahre jeweils mit 1. Oktober um einen Prozentpunkt steigen, sodass im Oktober 2007 4 % erreicht sein werden. Adressaten dieser Vorgabe sind die Netzbetreiber, die den Ökostrom zu festgelegten Einspeisetarifen abnehmen müssen. Geprüft wird die Erreichung der konkreten Ökostrom-Zielquoten von der E-Control, die zudem die Registerdatenbank für Kleinwasserkraftwerke führt. Denn außerdem müssen ab Jänner 2002 zumindest 8 % des Energie-Endverbrauchs aus Kleinwasserkraftwerken stammen. Die Stromhändler oder - bei Direktbezug von einem ausländischen Stromlieferanten - der Endabnehmer müssen dies durch den Kauf von Zertifikaten nachweisen, die die Betreiber von Kleinwasserkraftanlagen zusätzlich zum Stromtarif erhalten. Der Erlös dieser Zertifikate sichert den wirtschaftlichen Betrieb der Kleinwasserkraftanlagen.

Laut EU-Richtlinie zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen soll der Anteil der erneuerbaren Energieträger auf dem Elektrizitätsbinnenmarkt von 13,9 % (Basisjahr 1997) auf zumindest 22 % bis 2010 angehoben werden. Österreich wurde eine Anhebung von 70 % auf 78,1 % (einschließlich Wasserkraft) vorgeschrieben. Gefördert werden die Ökoanlagen über Einspeisetarife, also über garantierte Preise für Strom aus Windkraft, Biomasse, Klärgas und Photovoltaik. Die Kleinwasserkraftwerke werden mit dem Zertifikatssystem unterstützt. Die Gesamtkosten für die Finanzierung der Einspeisetarife für Ökoanlagen betragen gegenwärtig jährlich etwa 29 Mill. € und werden bei Erfüllung des 4-Prozent-Zieles im Oktober 2007 voraussichtlich auf zumindest 94,5 Mill. € ansteigen. Diese Mehrkosten für Ökoanlagen tragen alle Stromkunden mit einem Ökoenergiezuschlag von durchschnittlich 0,0727 Cent/kWh zum Systemnutzungstarif. Auch die Kosten für Kleinwasserkraftzertifikate in der Höhe von zweistelligen Millionenbeträgen jährlich werden letztlich von allen Stromkunden getragen.

Ökostrom und Kleinwasserkraft entlasten die österreichische Treibhausgasbilanz jährlich um etwa 2 Mill. t CO2 und tragen mit rund 13 % der jährlich notwendigen Emissionsminderungen zur Erreichung des Kyoto-Ziels 2010 bei. Einen weiteren Beitrag liefern Wien, Steiermark und Kärnten mit ihren Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, in denen gleichzeitig Strom und Wärme produziert und so eine gegenüber getrennter Erzeugung höhere Energieeffizienz erzielt wird. Diese Anlagen reduzieren den Primärenergieeinsatz und den CO2-Ausstoss wesentlich. Die höheren Produktionskosten für elektrische Energie aus KWK-Anlagen wird durch einen KWK-Zuschlag gefördert. Die Kritik der E-Control lautet aber, dass Zuschläge von bis zu 0,7427 Cent/kWh für Kraft-Wärme-Kopplungen einen fairen Wettbewerb gefährdeten.

Ein innovatives Instrument zur Förderung des Umweltbewusstseins in der Energieerzeugung ist die Stromkennzeichnung. Seit Oktober 2001 müssen Stromlieferanten auf den Rechnungen für ihre Kunden den Anteil der Primärenergieträger angeben, mit denen der von ihnen gelieferte Strom erzeugt wurde. So erfahren die Verbraucher die Herkunft des von ihnen bezogenen Stroms und können über die Produktnachfrage Einfluss auf die Art der Stromerzeugung nehmen.

Die E-Control resümiert ihre ersten Erfahrungen mit der Öko-Stromförderung, indem sie auf Anpassungsnotwendigkeiten hinweist. Sie plädiert für bundeseinheitliche Regelungen, um eine faire Lastenaufteilung zu ermöglichen und die Stromkennzeichnung zu erleichtern. Gefragt sei auch eine gesamtwirtschaftliche Optimierung. Die Windkraft sollte an den günstigen Windstandorten in Niederösterreich und Burgenland, die Kleinwasserkraft in den westlichen Bundesländern, die Biomasse in den südlichen Bundesländern genutzt werden.

THEMA ATOMSTROMIMPORT

§ 13 des ElWOG verbietet den Stromimport für den Endverbrauch ("Stromtransit" ist erlaubt) aus Drittstaaten, in denen elektrische Energie in Anlagen erzeugt wird, die nicht dem Stand der Technik entsprechen oder von denen eine Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen ausgeht oder deren Abfälle nicht ordnungsgemäß entsorgt werden. Die Überwachung dieses Verbots obliegt der E-Control. Die Stromlieferungsvertragsverordnung vom 17.12.2001 ermöglicht Stromlieferungen aus Slowenien, der Slowakei, Ungarn und Polen nach Österreich. Tschechischer Strom darf nicht importiert werden, da sich Österreich vorbehalten hat, das Energiekapitel in den EU-Beitrittsverhandlungen mit Tschechien neuerlich eröffnen zu können.

STRANDED COSTS-BEITRÄGE: E-CONTROL ERWARTET VIELE VERFAHREN

Die E-Control hat auch die Bestimmungen über die Stranded Costs zu vollziehen, also insbesondere jene Beiträge einzuheben und treuhändig zu verwalten, die der Abschreibung von Kraftwerken dienen, die unter Monopolbedingungen errichtet worden waren, seit der Marktöffnung aber unrentabel geworden sind. Aufgrund einer Entscheidung der EU-Kommission wurde im Jahr 2001 per Verordnung der bisherige einheitliche Beitragssatz für alle Netzbetreiber von 0,0417 Cent/kWh durch 132 Beiträge ersetzt, die jeweils dem unterschiedlichen Ausmaß der Lieferungen der Verbundgesellschaft an die einzelnen Elektrizitätsversorger Rechnung tragen. Der neue Aufteilungsschlüssel für die Beiträge im Gesamtbetrag von bis zu 132,61 Mill. € gilt bis zum Ende der Einhebung von Stranded Costs-Beiträgen im Jahr 2006. Die Netzbetreiber haben zunächst nur einen kleinen Teil der für die Zeit vom 19.2.1999 bis 30.9.2001 abzuführenden 45 Mill. € bei der E-Control eingezahlt und wurden daher aufgefordert, die offenen Beträge zu überweisen. Die Rückmeldungen der Netzbetreiber ließen erkennen, dass eine Vielzahl von Verfahren durchzuführen sein wird, heißt es im Bericht der E-Control.

BIETET DER LIBERALISIERTE STROMMARKT VERSORGUNGSSICHERHEIT?

Die Gefahr, dass mit der Liberalisierung des europäischen Elektrizitätsmarktes Stromausfälle und Kapazitätsengpässe wie im Kalifornien des Jahres 2000 auftreten, wird von der E-Control als gering eingeschätzt. Die Probleme in Kalifornien waren auf eine Fehlregulierung zurückzuführen, analysieren die österreichischen Strommarkt-Regulatoren: Nach der Liberalisierung des Strommarktes im April 1998 wurden in Kalifornien die Endverbraucherpreise nach oben gedeckelt. Das Risiko von Preisänderungen trugen damit fast zur Gänze die kalifornischen Elektrizitätsunternehmen. Da die niedrigen Preise kaum Investitionsanreize boten, nahmen die Kapazitätsreserven der Kraftwerke ab. Infolge großen Wirtschaftswachstums, Zunahme der  Bevölkerung und hoher Temperaturen stieg die Stromnachfrage aber rasch um 7 % an. Als dann auch noch der Preis für das Erdgas, den Brennstoff der Kraftwerke, auf das Doppelte stieg, kamen die Lieferanten wegen der Konsumentenpreisdeckelung in finanzielle Schwierigkeiten und konnten die Versorgung nicht mehr im erforderlichen Ausmaß aufrecht erhalten.

Da der freie Wettbewerb allein nicht garantiert, dass Energieträger fortlaufend und zu vertretbaren Preisen zur Verfügung stehen, räumt die EU-Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie den Mitgliedstaaten ein, Elektrizitätsunternehmen gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auch im Interesse der Versorgungssicherheit aufzuerlegen. Außerdem tragen der hohe Verbundgrad des Binnenmarktes und die große Zahl von Versorgern zu einer Erhöhung der Versorgungssicherheit in Europa bei. Für Zentraleuropa und Österreich kann die E-Control in ihrem Jahresbericht 2001 Entwarnung geben: Versorgungsprobleme aufgrund mangelnder Kraftwerkskapazitäten seien nicht zu erwarten, die Kraftwerksüberkapazitäten in Zentraleuropa liegen bei 20 %.

(Schluss)