Parlamentskorrespondenz Nr. 483 vom 26.06.2002

AKTUELLE AUSSPRACHE IM JUSTIZAUSSCHUSS ZUM THEMA JUGENDGERICHTSHOF

Keine Annäherung der Standpunkte zwischen Böhmdorfer und Opposition

Wien (PK) - Zu keiner Annäherung der Standpunkte von Justizminister Dieter Böhmdorfer auf der einen Seite und der Opposition auf der anderen Seite kam es heute bei einer aktuellen Aussprache im Justizausschuss zum Thema Jugendgerichtshof. Böhmdorfer legte den Abgeordneten nochmals seine Gründe für die Auflösung des Jugendgerichtshofes dar und verwies auf die aus seiner Sicht damit verbundenen Vorteile, konnte die Abgeordneten der SPÖ und der Grünen mit seinen Argumenten, wonach mit diesem Schritt nicht nur Kosteneinsparungen und Effizienzsteigerungen verbunden seien, sondern man damit auch das Problem der unzumutbaren Hafträume in der Jugendstrafvollzuganstalt Erdberg löse und den hinterfragenswerten Sonderstatus des Jugendgerichtshofes beseitige, jedoch nicht überzeugen. Böhmdorfer zufolge spricht außerdem die "erschreckend" geringe Anwendung des Außergerichtlichen Tatausgleichs in Wien für eine Eingliederung des Jugendgerichtshofes in die allgemeine Gerichtsorganisation.

Abgeordneter Johannes Jarolim wandte sich namens der SPÖ strikt gegen eine Abschaffung der seiner Meinung nach bewährten Jugendgerichtsbarkeit und wies auf Befürchtungen von Experten hin, wonach die Auflösung des Jugendgerichtshofes zu einem Anstieg der Kriminalitätsrate unter Jugendlichen führen wird. Zudem sieht die SPÖ die Gefahr, dass es durch die geplante Verlegung von jugendlichen Straftätern in die Justizvollzugsanstalt Josefstadt zu einer Vermischung von jugendlichen und erwachsenen Straftätern kommen wird. Grün-Justizsprecherin Terezija Stoisits äußerte den Verdacht, dass es Justizminister Böhmdorfer nicht um mehr Effizienz und menschenrechtsgemäße Hafträume gehe, sondern die Auflösung des Jugendgerichtshofes für ihn eine ideologische Frage sei und er sich auf dem Rücken der Jugendlichen persönlich profilieren wolle.

Dem gegenüber wertete FPÖ-Justizsprecher Harald Ofner die Verlegung des Jugendgerichtshofes, die für ihn eigentlich nur eine "Adressänderung" darstellt, als sinnvoll, insbesondere im Hinblick darauf, dass dadurch der ständige Hin- und Hertransport von Jugendlichen zwischen verschiedenen Justizanstalten wegfalle. Michael Neider, zuständiger Sektionschef im Justizministerium, erklärte, er stehe im Sinne der Jugendlichen "zu 100 Prozent" hinter den Plänen Böhmdorfers und könne auch garantieren, dass die Jugendlichen in keiner Phase - vom Eintreffen in der Justizanstalt Josefstadt bis zu ihrer Entlassung - mit anderen Insassen der Justizanstalt in Berührung kommen werden.

Auf Anregung von ÖVP-Justizsprecherin Maria Fekter werden die Mitglieder des Justizausschusses Anfang September einen Lokalaugenschein in der Jugendstrafvollzugsanstalt Erdberg und in der Justizanstalt Josefstadt durchführen, um sich vor Ort von der aktuellen Situation ein Bild zu machen.

Justizminister Böhmdorfer hatte eingangs der Aktuellen Aussprache darauf verwiesen, dass der Sonderstatus des Jugendgerichtshofs Wien zwar nicht unbedingt verfassungsrechtlich bedenklich, aber doch hinterfragenswert sei. Die 16 dort tätigen Richter seien in mehreren Funktionen, nämlich sowohl als Bezirksrichter, als Untersuchungsrichter und auch als Richter auf Landesgerichtsebene tätig.

Darüber hinaus sei die Jugendstrafvollzugsanstalt Erdberg durch eine Ausweitung des Anwendbarkeitsbereiches der Jugendgerichtsbarkeit zu klein geworden, was zu einer unzumutbaren Verengung der Hafträume geführt habe, schilderte Böhmdorfer. Viele jugendliche Häftlinge müssten zudem ständig zwischen verschiedenen Justizanstalten hin- und hergebracht werden, da in Erdberg nur 70 Haftplätze zur Verfügung stehen, aber 140 notwendig wären. Das stelle, so der Minister, nicht nur ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar, dadurch würden auch viele Überstunden anfallen.

Die geplante Ortsveränderung hätte in diesem Sinn laut Böhmdorfer mehrere Vorteile. Neben einer Beseitigung des Sonderstatus des Jugendgerichtshofes könnte die Haftraumfrage geklärt werden, zudem sei mit Kosteneinsparungen und Effizienzsteigerungen zu rechnen. Gleichzeitig stünden in der Justizanstalt Josefstadt moderne Räumlichkeiten mit entsprechenden Kapazitäten zur Verfügung.

Böhmdorfer erwartet sich von der Zusammenlegung, wie er sagte, aber auch mehr Engagement seitens der betroffenen Richter. Es gebe hinsichtlich der Anwendung des Außergerichtlichen Tatausgleichs ein "katastrophales Gefälle" zwischen Wien und anderen Gerichten, skizzierte er. So sei dieses Instrument am Jugendgerichtshof Wien zuletzt lediglich 40 Mal angewandt worden, während Salzburg den Außergerichtlichen Tatausgleich im gleichen Zeitraum 304 Mal und das vergleichsweise kleine Gericht Steyr ihn 52 Mal eingesetzt habe. Im Übrigen versicherte der Minister den Abgeordneten, dass Jugendliche auch nach der Neuregelung nie vor einem Erwachsenenrichter stehen werden.

SPÖ-Justizsprecher Johannes Jarolim meinte, die Ausführungen Böhmdorfers würden sich von seiner Warte aus mit der Realität nicht decken. Er sieht keinen Sinn darin, den Jugendgerichtshof zu "zerschlagen", noch dazu wo diese Form der Organisation im Ausland als vorbildhaft gesehen werde. Es handle sich, so Jarolim, um einen höchst entwickelten, diffizilen Gesamtapparat, in den auch die Pflegschaftsgerichtsbarkeit hineinwirke. Diese solle nun über ganz Wien verstreut werden. Seiner Ansicht nach stehen die Pläne Böhmdorfers außerdem einer effizienten Zurückdrängung der Kriminalität von Jugendlichen entgegen.

Ähnlich kritisch äußerten sich auch Jarolims FraktionskollegInnen Otto Pendl und Doris Bures. Die Justizanstalt Josefstadt kämpfe seit Jahren mit großen Problemen, konstatierte Pendl, es werde außerdem unmöglich sein, dort die Jugendlichen von den Erwachsenen zu trennen. Sowohl Bures als auch Jarolim bedauerten, dass die Diskussion im Justizausschuss über den Jugendgerichtshof nicht unter Beiziehung von Experten stattfindet, nachdem diese schließlich die Pläne Böhmdorfers unisono abgelehnt hätten.

Auch Abgeordnete Terezija Stoisits (G) ließ sich von den Argumenten Böhmdorfers nicht überzeugen. Sie gab zu bedenken, dass es Absicht gewesen sei, mit der Einrichtung eines eigenen Jugendgerichtshofes ein Kompetenzzentrum für diese Belange zu schaffen. Der Jugendgerichtshof wird ihrer Meinung nach nun auch nicht deswegen aufgelöst, weil es Unzufriedenheit mit seinen Leistungen gibt, vielmehr würden von Seiten Böhmdorfers in erster Linie technische Gründe wie Kosteneinsparungen ins Treffen geführt. Es bleibe dennoch der Verdacht bestehen, sagte Stoisits, dass es Böhmdorfer nicht um mehr Effizienz und menschenrechtsgemäße Hafträume gehe, sondern die Auflösung des Jugendgerichtshofes für ihn eine ideologische Frage sei und dieser sich auf dem Rücken der Jugendlichen persönlich profilieren wolle.

Wenn es in der Jugendstrafvollzugsanstalt Erdberg tatsächlich Zustände gebe, die nicht dem modernen Strafvollzug entsprechen, müssten diese natürlich beseitigt werden, betonte die Abgeordnete, sie bezweifelt aber, dass sich daran durch eine Verlegung der Jugendlichen in die Strafanstalt Josefstadt etwas ändert. Sie fragt sich außerdem, warum man nicht daran denke, im Westen Österreichs eine Jugendstrafvollzugsanstalt zu errichten.

FPÖ-Justizsprecher Harald Ofner wies generell darauf hin, dass für Jugendliche in Justizanstalten viel mehr angeboten werde, als diese ausnutzten. Die Trennung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen ist ihm zufolge tatsächlich ein Problem, seiner Meinung nach ist es aber vorrangig, dass der Aufenthaltsbereich getrennt ist.

Die Verlegung des Jugendgerichtshofes, die für Ofner, wie er ausführte, lediglich eine "Adressänderung" ist, wertete der Abgeordnete vor allem auch deshalb als sinnvoll, weil dadurch der ständige Hin- und Hertransport von Jugendlichen zwischen verschiedenen Justizanstalten wegfalle. Das werde nicht nur ein geringeres Sicherheitsrisiko, sondern auch einen geringeren Verwaltungsaufwand zur Folge haben. Seiner Fraktionskollegin Sylvia Paphazy ist es vor allem ein Anliegen, dass auch bei der Neuorganisation die Vorzüge der Jugendgerichtsbarkeit erhalten bleiben bzw. diese noch verbessert werden.

Justizminister Dieter Böhmdorfer machte geltend, dass der Gesetzentwurf zur gegenständlichen Frage noch einer Begutachtung unterzogen werde und verschiedenste Experten daher noch Zeit genug hätten, ihre Bedenken zu äußern. Die Trennung zwischen Erwachsenen und Jugendlichen in Justizanstalten ist auch ihm ein Anliegen, dies sei jedoch gewährleistet, unterstrich er.

Der zuständige Sektionschef im Justizministerium Michael Neider ergänzte, er könne garantieren, dass es in der Justizanstalt Josefstadt in keiner Phase - vom Ankommen der Jugendlichen bis zu ihrer Entlassung - zu einer Berührung der Jugendlichen mit anderen Insassen kommen wird. Es gebe am Rand der Justizanstalt nämlich einen eigenen Trakt, der vom Rest der Justizanstalt vollkommen abgetrennt sei und auch zwei eigene Freibereiche habe. Auch Besucherräumlichkeiten und Räume für Vernehmungen stünden zur Verfügung, ebenso sei es kein Problem, Ausbildungs- und Werkstätten zu schaffen.

Generell versicherte Neider, dass er im Sinne der Jugendlichen "zu 100 Prozent" hinter den Plänen von Justizminister Böhmdorfer stehe. Es sei technisch unmöglich, die Haftsituation in Erdberg zu verbessern, erklärte er. Bis vor zweieinhalb Jahren habe man dort durchschnittlich 40 Häftlinge gehabt, aufgrund einer Gesetzesänderung sei es zuletzt aber zu einen dramatischen Anstieg der Häftlingszahlen mit einer Spitze von 110 Häftlingen gekommen. Neider zufolge pendeln zudem zehn Justizwachebeamte mit Häftlingen zwischen den Anstalten Josefstadt und Erdberg - sie könnten in Zukunft zu 100 Prozent zur Betreuung eingesetzt werden.

Neben dem Jugendgerichtshof war auch die in Aussicht genommene Übersiedlung des Handelsgerichts Wien in den City Tower Thema der Aktuellen Aussprache im Justizausschuss. Während seitens der SPÖ die damit verbundenen höheren Kosten kritisiert wurden, verteidigte Böhmdorfer diese Maßnahme. Die Riemergasse sei zu klein für drei Gerichte, betonte er, außerdem herrsche dort nicht nur bedenkliche Raumnot, auch insgesamt sei das Gebäude veraltet und nicht zweckmäßig. Auch habe man in den letzten Jahren 100 Mill. S an Reparaturkosten aufwenden müssen.

Die höheren Kosten im City Tower begründete Böhmdorfer damit, dass schließlich eine viel größere Fläche zur Verfügung stehen werde. Der Quadratmeter-Preis liege mit 187 S im Rahmen des Mietpreises in der Riemergasse, wo 180 S pro Quadratmeter gezahlt werden. Das City Tower habe aber nicht nur zweckmäßigere Räume, sondern sei auch bestens an den öffentlichen Verkehr angebunden, weiters stünden ausreichend Parkplätze zur Verfügung. (Fortsetzung Justizausschuss)