Parlamentskorrespondenz Nr. 599 vom 12.08.2002

DER ERSTE NATIONALRATSPRÄSIDENT DER ZWEITEN REPUBLIK

Leopold Kunschak (1871-1953)

Wien (PK) - Während vor dem Parlamentsgebäude und in vielen Räumen des Hauses Figuren aus Mythologie und Geschichte der Antike dominieren, ist der Empfangsalon der jüngsten Vergangenheit gewidmet. Weil in diesem Raum Porträts der Präsidenten des Nationalrats die dominierenden Bildelemente sind, wird dieser Raum, der zumeist für feierliche Anlässe sowie für Begegnungen mit hohen ausländischen Gästen genutzt wird, auch als Präsidialsalon bezeichnet. Das Bild des ersten Nationalratspräsidenten der Zweiten Republik, Leopold Kunschak, wurde von Robert Fuchs geschaffen.

Leopold Kunschak, wurde am 11. November 1871 in Wien geboren. Aus kleinen Verhältnissen stammend, konnte er lediglich sechs Klassen Volksschule absolvieren, ehe er den Beruf des Sattlers erlernte. Als solcher fand er 1889 Arbeit in der Simmeringer Waggonfabrik. Ob seines familiären Hintergrundes schloss sich Kunschak zwar der Arbeiterbewegung, aber nicht deren sozialdemokratischen Zweig an. Er wurde zu einem der Gründerväter der christlichsozialen Arbeiterbewegung, die quasi an der Wiege des ÖAAB stand. In der Monarchie war freilich selbst dieses Engagement suspekt, und so verlor Kunschak alsbald seinen Arbeitsplatz. Er nutzte diese erzwungene Umorientierung und wurde Redakteur der "Freiheit", aus der 1900 die "Christlichsoziale Arbeiterzeitung" hervorging.

Parallel dazu vollzog sich sein Aufstieg innerhalb der christlichsozialen Partei. Alsbald deren führender Funktionär, zog er 1904 in den Wiener Gemeinderat und nach den ersten Wahlen nach dem freien, geheimen, gleichen und direkten Wahlrecht im Jahre 1907 auch in das Abgeordnetenhaus des Reichsrates ein. Die aufgeheizte Stimmung jener Jahre ging freilich auch an Kunschak nicht vorbei, als etwa 1913 sein Bruder Paul den sozialdemokratischen Spitzenpolitiker Franz Schuhmeier ermordete. Im gleichen Jahr aber wurde Leopold Kunschak Landesrat in Niederösterreich.

Nach dem Untergang der Donaumonarchie zählte Kunschak zu den Mitbegründern der Ersten Republik und blieb bis 1934 Nationalratsabgeordneter. In Zeiten eines sich immer mehr polarisierenden politischen Klimas war Kunschak einer der wenigen Mahner zu Besonnenheit und Ausgleich. Mit dieser Haltung konnte er sich nach 1930 in seiner eigenen Partei nicht mehr durchsetzen und trat dadurch immer mehr in den Hintergrund. Im Ständestaat hatte Kunschak keine offizielle Funktion inne.

Trotz seines mittlerweile recht hohen Alters erlitt auch Kunschak die Verfolgung durch den Nationalsozialismus. Zweimal befand sich Kunschak in Haft. Umso größer war 1945 sein Wunsch, am Wiederaufbau der Republik mitzuwirken. Unter Bürgermeister Theodor Körner avancierte er zum Vizebürgermeister und Landeshauptmannstellvertreter von Wien, dabei eifrig bemüht, die Kriegsschäden und -folgen so schnell wie möglich zu beseitigen. Auch die neu gegründete ÖVP trug seinem Ruf Rechnung und nominierte ihn im Dezember 1945 zum Nationalratspräsidenten. In dieser Funktion saß er gleich der ersten Bundesversammlung der Zweiten Republik vor, bei der der bisherige Kanzler Karl Renner als neuer Bundespräsident vereidigt wurde.

Nachdem Kunschak Anfang 1946 aus seinen Wiener Ämtern ausgeschieden war, konzentrierte er sich ganz auf seine Funktion als Nationalratspräsident und wurde dementsprechend eindrucksvoll 1949 auf seinem Posten bestätigt. Sein großes Ziel aber, Österreich durch einen Staatsvertrag frei zu sehen, konnte Kunschak nicht mehr erleben. Er starb als amtierender Nationalratspräsident im März 1953 kurz nach den dritten Nationalratswahlen der Zweiten Republik. Fünf Tage später wurde Felix Hurdes zu seinem Nachfolger gewählt.

An Leopold Kunschak erinnert heute nicht nur der nach ihm benannte Platz in Hernals und eine Gedenktafel an seinem Wohnhaus in der Hernalser Hauptstraße, sondern auch ein eigener Leopold-Kunschak-Preis. (Schluss)