Parlamentskorrespondenz Nr. 608 vom 26.08.2002

NACH NS-REGIME UND ALLIIERTER BESATZUNG: "ÖSTERREICH IST FREI"

Leopold Figl (1902-1965)

Wien (PK) - Mit zwei Aussagen - eine 1945 als Bundeskanzler, eine zehn Jahre später als Außenminister - wurde Leopold Figl zu einer Ikone für die Zweite Republik. Im tiefsten und deprimierendsten Winter 1945 hielt er als frisch gekürter Bundeskanzler eine Radioansprache, in der er unverblümt eingestand, dass die Regierung ihren Bürgern zu Weihnachten nichts geben könne - kein Holz zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden, nichts -, er aber dessen ungeachtet alle bitte: "Glaubt an dieses Österreich". Und so war es nur gerecht, dass just jener Figl im Mai 1955 verkünden konnte: "Österreich ist frei".

Figl war aber nicht nur Kanzler und Außenminister, er war auch drei Jahre lang Nationalratspräsident, weshalb sein Porträt - wie das seiner Vorgänger Kunschak und Hurdes wurde es von Robert Fuchs geschaffen - im Empfangssalon zwischen jenen von Hurdes und Alfred Maleta zu betrachten ist.

Leopold Figl wurde am 2. Oktober 1902 im Tullnerfeld in eine bäuerliche Umgebung hineingeboren. Er besuchte zunächst die Volksschule, dann das Gymnasium im nahen St. Pölten. Auf der Hochschule für Bodenkultur in Wien holte er sich das Rüstzeug als Agraringenieur, in welchem Beruf er auch tätig war, ehe er in die Politik wechselte. Er folgte 1932 Engelbert Dollfuß als niederösterreichischer Bauernbunddirektor und wurde 1935 Reichsbauernbunddirektor, mithin der höchste Bauernfunktionär im "Ständestaat". Nebenbei übernahm er führende Ämter in der Vaterländischen Front, weshalb er 1938 auch als einer der ersten von den Nationalsozialisten verhaftet wurde. Mit dem sogenannten "Prominenten-Transport" wurde er noch am 1. April 1938 in das Konzentrationslager Dachau verbracht, was den Beginn einer fünf Jahre langen Odyssee durch die Stätten des NS-Terrors bedeutete.

1943 wurde er wegen seiner völlig zerrütteten Gesundheit auf freien Fuß gesetzt und kam auf Vermittlung von Julius Raab bei einer Baufirma als Ingenieur unter, doch bereits unmittelbar nach dem Attentat auf Hitler im Juli 1944 wurde er neuerlich verhaftet und ins Gefängnis verbracht. Erst das Kriegsende im April 1945 schenkte Figl die Freiheit wieder, und trotz seiner angegriffenen Gesundheit stürzte er sich sofort wieder in die Politik und zählte noch im selben Monat zu den Begründern der Österreichischen Volkspartei, deren Gründungssitzung im Wiener Schottenstift stattfand. Figl wurde ihr Obmann und trat am 27. April 1945 als Staatssekretär ohne Portefeuille in die Regierung Renner ein.

Nach dem Wahlsieg der ÖVP im November 1945 wurde Figl am 20. Dezember 1945 zum Bundeskanzler gewählt, welche Funktion er bis zum 2. April 1953 innehatte. Primäre Aufgaben seiner Regierung waren dabei der Wiederaufbau des Landes, die Neuordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse und das Ringen um die volle Souveränität des Landes. Wiewohl sich seine Partei auch in den Wahlen 1949 achtbar schlug, begann Figls Stern innerparteilich zu verblassen, als die Bundespräsidentschaftswahlen im Frühjahr 1951 völlig überraschend vom SP-Kandidaten Theodor Körner gewonnen wurden. Ein Jahr später löste Julius Raab Figl als VP-Parteiobmann ab.

Nach den Wahlen 1953 riss Raab die Initiative an sich und ließ sich selbst zum Bundeskanzler wählen. Figl stand ohne politisches Amt da und konnte erst in die politische Arena zurückkehren, als Karl Gruber von seinem Amt als Außenminister zurücktrat. Mit seinem Staatssekretär Bruno Kreisky nahm Figl im Frühjahr 1954 die entscheidenden Verhandlungen um den Staatsvertrag in Angriff, die schließlich in Moskau im Folgejahr erfolgreich von einer namhaften österreichischen Delegation zum Abschluss gebracht werden konnten.

Schon bald rankten sich Anekdoten um die dortigen Besprechungen, so jene, Figl habe die Sowjets u.a. mit seiner Trinkfestigkeit beeindruckt. Die Karikatur vom zitherspielenden Raab und dem singenden Figl, der aufgefordert wird, noch einmal "Die Reblaus" zu singen, woraufhin die Russen "waach" ("weich") seien, machte ebenso Geschichte wie die Unterzeichnung des Staatsvertrags im Mai 1955 im Schloss Belvedere, bei welchem Anlass Figls historische Worte fielen.

Österreich hatte seine Souveränität wieder, aber Figl, der nicht so recht auf das diplomatische Parkett passte, suchte alsbald nach einer neuen politischen Herausforderung. So schied er im Juni 1959 endgültig aus der Regierung aus (sein Nachfolger wurde Bruno Kreisky) und übersiedelte für eine Gesetzgebungsperiode auf den Posten des Nationalratspräsidenten. Im Februar 1962 wurde er schließlich Landeshauptmann von Niederösterreich, womit sich seine eigentliche Bestimmung erfüllte. In dieser Funktion konnte er noch die Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag des Kriegsendes zelebrieren, ehe er am 9. Mai 1965 überraschend im 63. Lebensjahr verstarb. (Schluss)