Parlamentskorrespondenz Nr. 696 vom 28.10.2002

EINE HERAUSRAGENDE GESTALT UNTER DEN WIENER ERZBISCHÖFEN

Kardinal Joseph Othmar Rauscher (1797 - 1875)

Wien (PK) - Seine Eltern hatten anderes mit ihm vor, doch statt der Juristen- und Beamtenlaufbahn wählte Joseph Othmar Rauscher den geistlichen Beruf. Die Stationen seiner geistlichen wie weltlichen Karriere und die dabei entfalteten Wirkungen machen ihn zu einer herausragenden Gestalt unter den Oberhirten auf dem Wiener erzbischöflichen Stuhl. Sein Bild, gemalt von Friedrich Amerling, hängt im Lokal II des Parlamentsgebäudes.

Der Vater des am 6. Oktober 1797 in geborenen Joseph Othmar Rauscher war Beamter, der für seine langjährigen treuen Dienste vom Kaiser in den erblichen Adel und in den Ritterstand erhoben worden war. Dem väterlichen Wunsch gemäß absolvierte der Sohn zunächst in Wien ein Philosophie- und Jusstudium. In diese Zeit fällt seine durch einen Freund vermittelte Begegnung mit Klemens Maria Hofbauer und seinem Kreis - nicht gerade zur Freude seiner Eltern und Verwandten. Die von Hofbauer - der seit 1808 in Wien wirkende Kämpfer gegen Aufklärung und Liberalismus wurde 1888 selig- und 1909 heiliggesprochen - ausgelöste Entscheidung Rauschers für den geistlichen Beruf führte zu Spannungen mit dem Elternhaus, eine Tante sah in dem Zusammentreffen mit Hofbauer sogar "den Anfang seines Unglücks". Die Mutter Rauschers beklagte sich in Briefen an den in Salzburg weilenden Gatten über des jungen Rauscher "übertriebene Andacht", etwa in Form der täglichen Beichte. Jedenfalls sorgte die Hinwendung des Studenten zu Hofbauer und dessen Kreis für immerwährende Spannung im Elternhaus des späteren Kardinals.

Der setzte seinen Weg unbeirrt und unbeirrbar - auch nicht durch seine schwächliche, dauernd kränkelnde Konstitution - fort. 1823 zum Priester geweiht, wirkte er bis 1826 als Kaplan in Hütteldorf bei Wien, ehe er als Professor für Kirchengeschichte und Kirchenrecht ans Lyceum nach Salzburg berufen wurde. Unter seinen Hörern war Friedrich Schwarzenberg, der spätere Erzbischof von Salzburg und dann Prag, der in Rauschers Leben noch eine wichtige Rolle spielen sollte. Seine Lehrtätigkeit ergänzte Rauscher durch eine ambitionierte Publikationstätigkeit, speziell im Fach Kirchengeschichte. 1830 wurde er zum Rektor gewählt, doch schon zwei Jahre später kehrte er der Mozartstadt wieder den Rücken: Er wurde als Direktor an die der Staatskanzlei unterstehende Orientalische Akademie nach Wien berufen - Kaiser Franz bewilligte höchstselbst ein Jahresgehalt von 1.000 Gulden. Als man bei Hof Ausschau nach einem geeigneten Philosophie-Lehrer für die jungen Prinzen suchte, fiel die Wahl auf Rauscher, der auf diese Weise u.a. dem späteren Kaiser Franz Joseph die Philosophie nahe zu bringen sich mühte.

In seiner neuen Funktion war Rauscher mit dem Erbe des aufgeklärten Joseph II. konfrontiert und leistete seinen Beitrag zu dessen Aufarbeitung, sowohl allgemein im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Kirche und Staat als auch speziell im Hinblick auf die Ehegesetzgebung und die daraus resultierenden Spannungen zwischen Staat und Kirche.

Rauscher hatte hier Gelegenheit, sich einzuüben für die später auf ihn zukommende große Aufgabe, den Abschluss eines Konkordats. Seine vermittelnde Position gründet in seiner doppelten Treue: zu Papst und Kirche ebenso wie zum Herrscherhaus, zur Apostolischen Majestät.

Ende des Jahres 1848 wurde Franz Joseph, Rauschers Philosophie-Schüler, Kaiser, er selbst wenige Wochen später, Ende Jänner 1849, Fürstbischof von Seckau. Sein früherer Schüler, Friedrich Schwarzenberg, inzwischen Füsterzbischof von Salzburg, erinnerte sich an seinen ehemaligen Lehrer und dessen Qualitäten.

Dass sein Schüler Franz Joseph mit 18 Jahren den Thron der Habsburger besteigen sollte, war weniger Ergebnis von Planung als Reaktion auf die Revolution von 1848. Einmal machte auch Rauscher direkt Bekanntschaft mit den Erscheinungen des Revolutionsjahres, als er unterwegs nach Schönbrunn in demonstrierende Massen geriet. Diesen Ideen konnte er Zeit seines Lebens ebenso wenig abgewinnen wie sein zum Kaiser aufgestiegener Schüler.

Fürstbischof von Seckau war allerdings noch nicht das Ende der Karriere Joseph Othmar Rauschers. Schon als Fürstbischof von Seckau hatte er ständig in Wien zu tun - im Kirchenkomitee zum Abschluss des Konkordats, für die Ausarbeitung neuer Ehegesetze. Gegen Ende des Jahres 1853 wurde er mit kaiserlichem Handschreiben zum Fürsterzbischof von Wien ernannt. Das kaiserliche Dokument trägt das Datum 26. März 1853, im Konsistorium von 27. Juni stimmte der Papst zu und am 15. August zog Rauscher in Wien ein.

Nahtlos setzte er fort, was er schon als Direktor der Orientalischen Akademie angefangen und als Fürstbischof von Seckau weiter betrieben hatte. Schon von der Steiermark aus hatte er, als Mitglied des bischöflichen Komitees, das sich in Fortsetzung der gesamtösterreichischen Bischofsversammlung von 1849 um die kirchliche Stellung in den Konkordatsmaterien Ehegesetzgebung, kirchliches Vermögen und Schulwesen mühte, den Löwenanteil der Arbeit geleistet. 5 der 7 Eingaben stammten aus seiner Feder. "Lavora molto, lavora bene", soll Papst Pius IX. über seinen Wiener Kardinal gesagt haben, "er arbeitet viel, er arbeitet gut".

1855 wurde das Konkordat geschlossen, wobei die Kirche die von Joseph II. weitestgehend kassierte Freiheit wieder erlangte, sich damit aber zugleich in neue Abhängigkeit begab: Wie zu Zeiten Konstantins das junge Christentum vom Kaiser als einheitstiftende Kraft instrumentalisiert wurde, sah das Haus Habsburg im Katholizismus und in der Kirche einen wichtigen "Hebel der monarchischen Gewalt", von dem man zugleich Erneuerung und wirksamen Widerstand gegen jegliche Art von Revolution erhoffte.

Dabei sollte die Kirche mitspielen, und schon im Jahr nach Abschluss des Konkordats (dass diese am 18. August, dem Geburtstag des Kaisers, erfolgte, ist ein Signal dafür, wie wichtig der Krone das Bündnis mit dem Altar war) sollte die Bischofsversammlung sich mit der Umsetzung beschäftigen. Diese Umsetzung geriet allerdings von Anfang an zum Kampf um das Konkordat. Im Zusammenhang mit der Revolution in Italien, an deren Ende der italienische Nationalstaat und das Ende des Kirchenstaats stehen sollten, wurden die Stimmen nach einer Revision des Konkordats immer lauter. Letzten Endes erfüllten sich die Hoffnungen des Herrscherhauses nicht im erhofften Ausmaß, denn dem Klerus war vielfach das nationale Hemd näher als der absolutistisch-gesamtstaatliche Rock.

Rauscher versuchte aber noch, das im Konkordat Erreichte auch innerkirchlich abzusichern, etwa durch das von ihm initiierte 1. Konzil der Wiener Kirchenprovinz im Jahr 1858 - wie überhaupt gesagt werden muss, dass er ob seiner staatlichen und politischen Aufgaben (auch als Mitglied des Herrenhauses, dem er als Wiener Fürsterzbischof automatisch angehörte) seine seelsorglichen Aufgaben nicht vernachlässigte. Kirchenbauten, Bildung, katholisches Vereinswesen erlebten in jenen Jahren einen ungekannten Aufschwung, beim Kirchenbau spricht man sogar von einer "neuen Periode der kirchlichen Baukunst in Wien".

Man kann erahnen, dass manche Ereignisse in den letzten Jahren seines Lebens ihm keine reine Freude bereiteten - auch wenn er die Dinge akzeptiert hat, wenn er sie nicht mehr beeinflussen, ändern oder verhindern konnte. Das gilt im staatlichen Bereich für die Dezember-Verfassung des Jahres 1867, im kirchlichen für die Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit beim 1. Vatikanischen Konzil 1870.

Die Dezember-Verfassung, die einigen konstitutionellen Grundsätzen - Immunität der Abgeordneten, Ministerverantwortlichkeit, Wahl des Präsidiums durch die Abgeordneten und nicht Ernennung durch den Monarchen - Rechnung trug, beklagte Rauscher. Er anerkannte sie aber, weil sie von der rechtmäßigen Autorität erlassen worden war, nämlich Franz Joseph.

Ähnlich verhielt er sich bezüglich der Unfehlbarkeit. Beim Konzil sprach er sich deutlich und mit seiner ganzen wissenschaftlichen Kompetenz gegen die von der Kurie und dem Papst betriebene Dogmatisierung aus. Er arbeitete noch eine Kompromissformel aus - aber aufzuhalten war nichts mehr. In der dogmatischen Kommission stimmte Rauscher - wie auch sein früherer Schüler und Förderer, Kardinal Schwarzenberg aus Prag - gegen die Vorlage, an der öffentlichen Sitzung und der Abstimmung darüber hat er nicht mehr teilgenommen. Ein Protestschreiben von bischöflichen Gegnern der Infallibilität des Papstes hat er aber auch nicht unterschrieben - und die Ergebnisse des Konzils in seiner Erzdiözese promulgiert.

Am 24. November 1875 starb Joseph Othmar Rauscher. Im Jahr davor war der erste Spatenstich für das Parlamentsgebäude erfolgt. (Schluss)