Parlamentskorrespondenz Nr. 327 vom 16.05.2003

BUDGETAUSSCHUSS: DEBATTE ÜBER PENSIONSREFORM WIRD FORTGEFÜHRT

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Wien (PK) – Nach 20 Uhr wurden im Budgetausschuss die Beratungen über die Pensionsreform fortgesetzt. Für Ausschussmitglieder und Beamte begann damit eine neuerliche Nachtschicht, ehe Ausschussobmann Jakob Auer die Sitzung um 1.30 Uhr unterbrach und bis Dienstag, den 20. Mai, 14 Uhr, vertagte.

S-Abgeordnete Renate Csörgits erinnerte zu Beginn der Debatte über die Pensionsreform noch einmal an die Bereitschaft der Sozialpartner, bis 30. September ein mittel- und langfristiges Pensionskonzept zu erstellen, und ersuchte, die parlamentarische Entscheidung bis 30.9. zurückzustellen. Dieses Konzept werde die Sicherung der Pensionen, die Harmonisierung der Systeme, die Erhaltung des Vertrauensschutzes  und Übergangsregelungen enthalten. Da das Angebot seitens des Kanzlers und Vizekanzlers nicht angenommen wurde, gab es Streikmaßnahmen und eine Demonstration. Tausende Menschen haben nicht aus „Jux und Tollerei“, sondern aus Sorge und Angst um die Zukunft friedlich demonstriert, betonte sie. Zum vom Vizekanzler erhobenen Vorwurf, die Berechnungen der Arbeiterkammer und des ÖGB stimmen nicht, meinte die ÖGB-Vizepräsidentin, es handle sich dabei um reale Lebensabläufe und um korrekte Berechnungen. Da es massive Eingriffe in die Lebensplanung ganzer Generationen gäbe, sei der Vertrauensschutz verletzt. Durch die überfallsartige Anhebung des Pensionsalters werde die Arbeitslosigkeit erhöht, strich die Rednerin heraus. Sie sprach auch davon, dass diese Reform eine reine Geldbeschaffungsaktion sei. Zudem verwies sie darauf, dass die von der Regierung geplanten Maßnahmen etwa vom Tiroler AK-Präsidenten Dinkhauser und von der Vorsitzenden-Stellvertreterin der Bundesfraktion der Christlichen Gewerkschafter Christine Gubitzer abgelehnt werden. Auch habe Staatssekretärin Ursula Haubner für „Qualität vor Tempo“ plädiert.

Besonders unterstrich die Abgeordnete die negativen Auswirkungen der Pensionsmaßnahmen auf die Frauen. Nachteilig für die Frauen wirken sich ihrer Ansicht nach die Verlängerung des Durchrechnungszeitraumes von 15 auf 40 Jahre, der vorgesehene Aufwertungsfaktor und die Bewertung der Kindererziehungszeiten aus.

Abgeordneter Kurt Grünewald (G) sprach gesundheitspolitische Aspekte der Reform an, befasste sich mit den Selbstbehalten und verwies auf eine vom Ressort in Auftrag gegebene Studie. Dieser Studie und anderen sei zu entnehmen, dass Selbstbehalte keinen Steuerungseffekt haben. Da auch der VP-Gesundheitssprecher meint, „bei den Selbstbehalten sei der Plafond erreicht“, sollte man nicht darauf beharren.

Abgeordneter Matthias Ellmauer (V) erkundigte sich nach der Entwicklung des Bundesbeitrages in den nächsten Jahren. Eine weitere Anfrage betraf beabsichtigte Schritte bei der Eisenbahner-Pensionsversicherung.

Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (F) trat für die Beseitigung von Privilegien etwa bei den Eisenbahnern, Lehrern und Mitarbeitern in den Sozialversicherungsanstalten ein.

Abgeordneter Christoph Matznetter (S) befasste sich mit den Inseraten, erklärte, es gehe hier nicht um eine Information über ein beschlossenes Gesetz, sondern um die Verunsicherung der Bevölkerung und somit um eine Auseinandersetzung zwischen politischen Parteien. Daher sei die Kampagne aus der Parteikasse und nicht vom Steuerzahler zu zahlen. Die Menschen seien wegen der „Schröpfaktion“ verunsichert und haben aus Sorge demonstriert.

Konkret befasste sich der Abgeordnete mit dem Einmalbetrag für das Pflegegeld der Stufen 4 bis 7 - warum nicht auch für die Stufen 1 bis 3? – und mit der Valorisierung des Pflegegeldes. Das Argument, der Bundeszuschuss müsse 2007 um mehr als 50 % angehoben worden, ließ der Redner nicht gelten und verwies darauf, dass grundsätzlich bis 2007 die Pensionslasten sinken werden. Zuerst wolle man den ASVG-Pensionisten die Pensionen kürzen und dann mit der Harmonisierung der Systeme eine „eigene Geldtaschelpolitik“ machen, kritisierte er.

Der Mandatar skizzierte das SPÖ-Modell und unterstrich u.a., dass ab einem bestimmten Stichtag das harmonisierte System beginne. Bis dahin erworbene Ansprüche bleiben bestehen; Privilegien, die jemand im alten System hatte, gibt es im neuen nicht mehr. Alle zahlen den gleichen Beitrag, unabhängig davon, ob sie Angestellte, Arbeiter, Bauern, Beamte, Selbständige oder Politiker sind. Alle Pensionisten, deren Pensionen über der ASVG-Höchstpension liegen, leisten einen Beitrag.

Matznetter plädierte abermals dafür, sich über den Sommer zusammenzusetzen, um eine Gesamtlösung im Gesundheits- und Pensionsbereich zu erarbeiten. Die von der Regierung angestrebte Eile hält er nicht für erforderlich, da die Reformen keine Auswirkungen auf das Budget 2003 und kaum Auswirkungen auf den Haushalt 2004 haben. Statt "dummer Einschnitte" sollte es intelligente und langfristige Lösungen geben, wobei die Eckpunkte unseres hervorragenden Sozialsystems nicht angegriffen werden dürften. Denn ein solches sei wesentlich für den Wirtschaftsstandort und damit eine Basis für die Zukunft. Keineswegs dürfe es in der derzeitigen Situation, so Matznetter, darum gehen, das Gesicht des Bundeskanzlers zu wahren, sondern man müsse einzig und allein die Menschen im Auge haben.

Abgeordneter Karl Öllinger (G) teilte die Aussagen Matznetters. Er widmete seine Ausführungen dann konkret den Problemen auf dem Arbeitsmarkt und bedauerte die steigende Arbeitslosigkeit. In diesem Zusammenhang warf Öllinger der Regierung vor zu versuchen, durch Gesetzestricks die Statistik zu verschönern. Wenn diese nämlich beabsichtige, Personen ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld aus der Arbeitslosenversicherung zu streichen - und das betreffe 7.000 Personen pro Jahr - so scheinen diese in der Statistik nicht mehr auf. Damit werde der Druck, für die Verbesserungen am Arbeitsmarkt etwas zu tun, auf die Individuen bzw. auf die Familien abgewälzt. Die Arbeitslosigkeit werde somit privatisiert. Ähnlich bewertete Öllinger die geplanten Qualifikationsmaßnahmen für die über 50- und die unter 25-Jährigen. Diese bestünden in erster Linie aus Schnellsiedekursen, die kaum zu einer besseren Qualifikation führten, die Personen schienen aber in der Arbeitslosenstatistik nicht auf.

Öllinger wiederholte einige Fragen von gestern Nacht, da er mutmaßte, dass mit der Harmonisierung nicht die tatsächliche Harmonisierung aller Pensionssysteme gemeint sei und dass die Bundesregierung weiterhin von unterschiedlichen Voraussetzungen in Bezug auf die Beitragsgrundlage ausgeht. Auch er sieht keine Notwendigkeit, vor 2007 in das derzeitige System einzugreifen und auch nach diesem Zeitpunkt könnte die Reform seiner Ansicht nach in langsamen Schritten umgesetzt werden.

Zur ständigen Klage hinsichtlich eines ansteigenden Bundesbeitrages für die Pensionen kritisierte Öllinger, dass sich die Bundesregierung bis heute nicht durchringen konnte, die Finanzierung der Ersatzzeiten den entsprechenden Töpfen, wie dem Familienlastenausgleichsfonds oder dem Landesverteidigungsbudget, anzulasten. Er kritisierte auch, dass Selbständige und Bauern nichts in den Familienlastenausgleichsfonds einzahlen.

Abgeordneter Maximilian Walch (F) wies auf die qualifizierten Personen in der Pensionsreformkommission hin, die sicherlich in der Lage gewesen seien, eine derartige Reform vorzubereiten. Die FPÖ habe noch viele Änderungen erreichen können, sagte Walch, zum Beispiel die Verlängerung der Hacklerregelung. Er zeigte sich auch überzeugt, dass der Vizekanzler für besonders belastete Berufsgruppen eine vorzeitige Alterspension ausarbeiten werde. Wichtig ist ihm insbesondere, dass es für jene Personen, die bald in Pension gehen, Übergangsregelungen gibt. Walch stellte klar, dass eine Harmonisierung auf der Grundlage des ASVG passieren müsse, die die PolitikerInnen voll mit einbeziehe. In diesem Zusammenhang appellierte er an alle, zusammenzuarbeiten und jetzt anzufangen, ein vernünftiges und ausgewogenes Pensionssystem zu erarbeiten, das auch 30 bis 40 Jahre hält.

Abgeordnete Christine Lapp (S) bemerkte in ihrer Wortmeldung, die Lebensplanung der Menschen würde durch die anvisierten Maßnahmen über den Haufen geworfen. Sie verwahrte sich mit Nachdruck gegen eine Verunglimpfung der Demonstranten durch Vertreter der Regierungsparteien.

Kritik an den Selbstbehalten im Gesundheitsbereich kam vom Abgeordneten Kurt Grünewald (G), der der Regierung vorwarf, zu sehr auf schnelle Spareffekte zu setzen, die echten Probleme wie die Prävention, die Betreuung der alten Menschen oder auch die hohen Medikamentenkosten außer Acht zu lassen.

Abgeordnete Heidrun Silhavy (S) wies eindringlich darauf hin, dass von den Beschlüssen des Parlaments konkrete Menschenschicksale betroffen seien. Sie kritisierte die Schlechterstellung bei den Frauen und zitierte dazu auch die Stellungnahme der Volksanwaltschaft. Diese sei, so wie viele andere, nicht berücksichtigt worden. Silhavy kam in weiterer Folge auf die dritte Säule des Pensionssystems zu sprechen und meinte, dass sich diese nur wenige Frauen und kaum Jugendliche leisten werden können. Auch habe noch niemand gesagt, wie viel die Abfertigung Neu den Menschen monatlich bringt.

Abgeordneter Karl Öllinger (G) thematisierte die Problematik, dass im Öffentlichen Dienst das gleiche Pensionsantrittsalter von Männern und Frauen vorgesehen, im ASVG-Bereich jedoch verfassungsrechtlich bis 2018 ein unterschiedliches festgelegt ist. Er selbst unterstütze das unterschiedliche Pensionsalter, zumal die Einkommensschere wieder größer werde, und fragte, ob die Regierung eine vorzeitige Anhebung des Frauenpensionsalters auf Grund der oben genannten Tatsache plane.

Vizekanzler Haupt sagte in Hinblick auf einige konkrete Fragen nach zahlenmäßigen Entwicklungen zu, schriftliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen. In weiterer Folge unterstrich er, dass es bei der Ausbildung in Gesundheits- und Pflegeberufen weiter Verbesserungen geben müsse. Er sagte auch zu, dass sich die Erhöhung der Gesundheitskosten auf die Berechnung der Nettoanpassung der Pensionen auswirken werde. Für Personen, die Angehörige länger als ein Jahr pflegen, stellte er einen Unterstützungsfonds in Aussicht.

In Bezug auf die Individualkonten unterstrich er die Notwendigkeit, sowohl einer beitrags- wie einer leistungsorientierten Komponente, denn eine rein beitragsorientierte Ausgestaltung würde zu einem Wegfall sämtlicher Verteilungseffekte und Anerkennung individueller Erschwernisse führen.

Bundesminister Martin Bartenstein wies zahlreiche Behauptungen der Opposition als unrichtig zurück und erwiderte, das vom ÖGB vorgelegte Konzept würde eine Fülle von Beitragserhöhungen bringen. Was die Vorschläge von SP-Chef Gusenbauer betrifft, so würden diese wiederum auf Eingriffe in bestehende Pensionen hinauslaufen, meinte er.

Bundesministerin Maria Rauch-Kallat versicherte, durch Verringerung des Durchrechnungszeitraumes um drei Jahre pro Kind werde garantiert, dass Frauen mit Kindererziehungszeiten bis zum Jahr 2009 keinerlei Veränderungen bzw. Verschlechterungen erfahren. Im Übrigen sei gerade die pensionsbegründende Anrechnung von Kinderbetreuungszeiten ein Schritt zur Verkleinerung der Einkommensschere zwischen Männern und Frauen, betonte sie.

Im Gesundheitsbereich werde, wie Rauch Kallat erklärte, darauf hingearbeitet, gemeinsam mit den Sozialversicherungsträgern ein Modell zu finden, um nach der Einführung von Selbstbehalten Kostenersätze für sozial Schwache und chronisch Kranke zu ermöglichen. (Schluss)