Parlamentskorrespondenz Nr. 476 vom 27.06.2003

SOZIALE LAGE IN ZEITEN VON STUDIENGEBÜHREN

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Wien (PK) - "Im Zuge der Einführung von Studienbeiträgen an österreichischen Universitäten und Fachhochschulen gibt es ein Bedürfnis nach gesicherten Informationen, wie sich diese Reform auf die soziale Situation, die Studienbedingungen und das Studienverhalten der Studierenden auswirken würde. Eine repräsentative Untersuchung erbringt nun diese verlässlichen Daten." Mit diesen Worten umreißt Bildungsministerin Elisabeth Gehrer den "Bericht zur sozialen Lage der Studierenden" (III-31 d.B.), der dieser Tage dem Nationalrat zugeleitet wurde.

Laut dem vorliegenden Bericht, so Gehrer, zeige sich, dass sich der Hochschulzugang in den letzten Jahren im Hinblick auf die soziale Herkunft der Studierenden nicht verändert habe: "Auch nach Einführung der Studienbeiträge zeigten sich keine Veränderungen. Durch den Ausbau der Studienförderung auf 145 Millionen Euro wurde sichergestellt, dass jeder, der studieren möchte und dazu befähigt ist, auch studieren kann." Laut Gehrer leistet der vorliegende Bericht auch "einen wichtigen Beitrag zur hochschulpolitischen Diskussion der nächsten Jahre".

Der Bericht zeigt aber auch, dass jeder zweite Studierende sich unter "erhöhtem finanziellen und zeitlichen Druck" sieht. 56 Prozent der Studierenden wollen aus diesen Gründen ihr Studium beschleunigen. Die Bundesministerin leitet aus diesen Zahlen eine Bestätigung der "Erwartungen, die an die Einführung der Studiengebühren geknüpft waren" ab: "Studierende wollen zielstrebiger studieren, die Studiendauer wird dadurch verkürzt werden und die Serviceorientierung der Universitäten wird gestärkt."

Im ersten Teil legt der Bericht die Förderungen nach dem Studienförderungsgesetz dar, die von der Studienbeihilfe und dem Studienzuschuss über Fahrt- und Reisekostenzuschuss bis zu Leistungsstipendien und geförderten Studiendarlehen reichen. So kann ein Studierender, so die entsprechenden Kriterien erfüllt sind, bis zu 100.000 Schilling (7.272 Euro) Studienbeihilfe per anno erhalten. Überdies werden die Studiengebühren gegebenenfalls "zugeschossen". Erweist man sich als künftige Koryphäe, kann man überdies mit einem Leistungsstipendium rechnen, welches pro Jahr immerhin 10.000 Schilling (726 Euro) beträgt. Zudem gibt es noch ein eigenes Förderungsstipendium, welches zwischen 700 und 3.600 Euro per anno betragen kann. Dieses dient "zur Anfertigung finanziell aufwändiger wissenschaftlicher oder künstlerischer Arbeiten bei überdurchschnittlichen Studienerfolg". 2002 wurden für Leistungs- und Förderungsstipendien fast 4,64 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Insgesamt betrugen die Aufwendungen für die Studienförderung im Jahr 2001 115,7 Millionen Euro (knapp 1,6 Mrd. S), was dem stark gestiegenen Bedarf Rechnung trug. Beantragten 1997/98 noch 34.294 aller Studierenden Studienbeihilfe oder -zuschuss, so waren es - bei stark rückläufigen Studierendenzahlen - 2001/02 52.765 Studierende. Diese Steigerung wird im übrigen mit der Einführung der Studiengebühren einerseits und mit dem stark expandierenden Fachhochschulsektor andererseits in Verbindung gebracht, die, wie es in dem Bericht heißt, "einen regelrechten Ansturm auf die Studienbeihilfenbehörde" hervorgerufen hätten. Derzeit beziehen laut Bericht 20,2 Prozent aller ordentlichen Studierenden eine Form von Beihilfe oder Unterstützung, wobei deren durchschnittliche Höhe rund 4.000 Euro (55.500 S) beträgt. Besonders wird in diesem Teil des Berichts auf die Informationsoffensive der Studienbeihilfenbehörde verwiesen.

Ein weiterer Abschnitt des ersten Teils ist den Beihilfen nach dem Familienlastenausgleichsgesetz und dem Kinderbetreuungsgeld gewidmet. Kranken- und Unfall- sowie Pensionsversicherungsaspekte nehmen ebenfalls Raum in der Darstellung des Berichts ein. Schließlich geht der Bericht auf die Förderung von Mensen und Studentenheimen ein, wobei im Bericht das Prüfungsergebnis des Rechnungshofes aus 1999 zitiert wird, wonach die zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes befindliche Mensenbetriebsgesellschaft ihre Aufgaben, den Universitätsangehörigen kostengünstiges Essen zur Verfügung zu stellen, "gut erfüllt". Man habe auf die geänderten Essgewohnheiten reagiert und das Angebot den heutigen Bedürfnissen angepasst, heißt es in dem Bericht. Bei den Studentenheimen wiederum konnte eine weitere Qualitätsverbesserung geortet werden, so sind mittlerweile 53 Prozent des verfügbaren Wohnraums Einbettzimmer. Der durchschnittliche Heimpreis liegt derzeit bei 189 Euro (rd. 2.400 S).

DIE SOZIALE LAGE AUS SICHT DER STUDIERENDEN

Im Anhang des Berichts befindet sich eine "Studierenden-Sozialerhebung 2002", die vom IHS durchgeführt wurde. Diese Erhebung befasst sich mit vier Themenstellungen: mit dem Hochschulzugang, mit der Situation im Studium, mit der Situation spezifischer Gruppen von Studierenden (DoktoratstudentInnen, Studierende mit Kindern und dgl.) sowie mit der Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse der Befragung samt einem Ausblick auf mögliche künftige Entwicklungen.

War es nach der Einführung der Studienbeiträge im Wintersemester 2001/02 zu einem starken Rückgang der Studierendenzahlen gekommen (minus 14 Prozent bei den StudienanfängerInnen), so kam es 2002/03 wieder zu einem leichten Anstieg. Durch die weitere Expansion des FH-Sektors gibt es im Herbst 2002 in etwa die gleiche Anzahl von StudienanfängerInnen wie im Herbst 2000. Insgesamt ist die Zahl der Studierenden aber nennenswert gesunken, was im Bericht primär auf den Umstand zurückgeführt wird, dass "Studierende ohne Studienaktivität" auf weitere Inskriptionen verzichteten.

Generell hat sich, so der Bericht, der Hochschulzugang in den letzten Jahren im Hinblick auf die soziale Herkunft der Studierenden nicht verändert. Insgesamt beginnen rund 28 Prozent der 18- bis 21jährigen ein Hochschulstudium, wobei der Trend mit Ausnahme Wiens in allen Bundesländern steigend ist. Gleichzeitig merkt der Bericht jedoch an, dass die soziale Schichtung unverändert ihren Niederschlag in den Studierendenzahlen findet. Immer noch sind Arbeiterkinder im Vergleich zur Gesamtbevölkerung "deutlich seltener an den Hochschulen vertreten", während "Kinder von Freiberuflern, Selbständigen oder Beamten mit Hochschulabschluss einen doppelt so hohen Anteil unter den Studierenden als in der Gesamtbevölkerung stellen". Die Bauernkinder liegen hingegen exakt im Schnitt.

Hinsichtlich der Wohnsituation weiß der Bericht zu vermelden, dass ein Viertel aller Studierenden bei ihren Eltern wohnen. Ebenfalls rund ein Viertel lebt in Partnerschaft, knapp mehr als 20 Prozent haben eine eigene Wohnung. Etwa 15 Prozent leben in einer WG und nur rund 10 Prozent in einem Studentenheim.

Die Hälfte der Studierenden muss laufend erwerbstätig sein, um sich das Studium leisten zu können, wobei fast jeder achte mehr als 35 Stunden die Woche zu arbeiten gezwungen ist. Ein Viertel aller Studierenden arbeitet zwischen 11 und 34 Stunden die Woche, immerhin noch 13 Prozent weniger als 10 Stunden die Woche. Hinzu kommen Studierende, die fallweise im Semester arbeiten gehen, und 20 Prozent, die in den Sommermonaten "jobben". Insgesamt können nicht einmal 10 Prozent aller Studierenden sich voll auf ihr Studium konzentrieren und auf jedwede Form von Erwerbstätigkeit verzichten. Von den Erwerbstätigen sind übrigens 25 Prozent angestellt, und jeder zwölfte ist gar ein öffentlich Bediensteter.

In der durchgeführten Befragung gaben übrigens 58 Prozent der Interviewten an, dass die Arbeit die verfügbare Zeit für das Studium einschränkt, 46 Prozent meinten, sie würden gerne weniger arbeiten, könnten sich dies aber nicht leisten, und 53 Prozent haben Schwierigkeiten, Studium und Beruf zu vereinbaren. Nur 23 Prozent der Befragten vertraten hingegen die Auffassung, durch die Erwerbstätigkeit zielgerichteter studieren zu können.

Ein Budgetdefizit ist nicht nur im Staatshaushalt, sondern auch im durchschnittlichen Etat der Studierenden zu konstatieren. Im Schnitt verfügen diese über ein Budget von 1.040 Euro, die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten betragen hingegen 1.041 Euro. 43 Prozent der Gesamteinnahmen stammen dabei aus Erwerbstätigkeit, circa 33 Prozent bilden Zuwendungen der Familie. Nicht einmal 10 Prozent stammen von Studienbeihilfen und anderen staatlichen Förderungen. Mehr als 50 Prozent aller Studierenden sind auf eine so genannte Patchworkfinanzierung (das Beziehen von Geldmitteln aus mehreren, unterschiedlichen Quellen) angewiesen.

Ein Viertel der Ausgaben stellen die Wohnungskosten dar (230 Euro), 16 Prozent sind Ernährungskosten, 12 Prozent Kosten für Verkehrsmittel und  nur rund 9 Prozent können für das Studium selbst aufgewendet werden. Gegenüber 1998 sind die Ausgaben im Jahr 2002 um 29 Prozent gestiegen, hält der Bericht fest. Den Löwenanteil machen dabei die stark gestiegenen Wohnungskosten aus (plus 21 Prozent), aber auch die Studiengebühren schlagen sich entsprechend zu Buche.

In der Befragung wurde an letzteren eindeutig Kritik geübt. Tenor der Interviewten war, dass der Einführung der Studiengebühren keine Verbesserungen im Studienalltag folgten, ja, dass sich die Studiensituation sogar verschlechtert habe. 44 Prozent der Befragten konstatieren einen erhöhten finanziellen Druck, 31 Prozent einen eingeschränkten Lebensstandard, 56 Prozent der Befragten wollen darob ihr Studium beschleunigen. Dem entspricht der Umstand, dass im Wintersemester 2001/02 90 Prozent aller Studierenden "prüfungsaktiv" (also zumindest eine Prüfung abgelegt haben) waren. Insgesamt weisen 48,5 Prozent der Studierenden keine finanziellen Probleme, hingegen 34,1 Prozent große oder sehr große finanzielle Probleme auf.

Ein eigener Glossar zur besseren Verständlichkeit des Textteils rundet den Bericht ab. (Schluss)