Parlamentskorrespondenz Nr. 633 vom 01.09.2003

VOLKSANWALTSCHAFT: ANZAHL DER BESCHWERDEN 2002 STARK GESTIEGEN

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Wien (PK) - Immer mehr Bürgerinnen und Bürger wenden sich an die Volksanwaltschaft. Im vergangenen Jahr wurde diese Einrichtung insgesamt in 14.851 Fällen in Anspruch genommen, die Zahl der eingeleiteten Prüfungsverfahren stieg gegenüber dem Jahr 2001 sogar um 56 %. Das geht aus dem jährlichen Bericht der Volksanwaltschaft an den Nationalrat und den Bundesrat hervor (III-39 d.B.).

Ursache für den gestiegenen Arbeitsanfall dürfte nicht zuletzt die ORF-Sendereihe "Volksanwalt - Gleiches Recht für alle" sein, die, wie es im Bericht heißt, gleich zu Beginn auf ein sehr positives Echo gestoßen ist und den Bekanntheitsgrad der Volksanwaltschaft stark erhöht haben dürfte. Immerhin wurden mit den 45 Fernsehsendungen im Jahr 2002 durchschnittlich 440.000 Zuschauerinnen und Zuschauer erreicht.

Aber nicht allen, die sich an die Volksanwaltschaft wenden, können die drei VolksanwältInnen - Rosemarie Bauer, Peter Kostelka, Ewald Stadler - auch tatsächlich helfen. Eine Aufschlüsselung der 14.851 Beschwerdefälle des Jahres 2002 zeigt, dass davon lediglich 10.087 den Bereich der öffentlichen Verwaltung und damit den Kompetenzbereich der Volksanwaltschaft betrafen, in 4.764 Fällen erwies sich die Volksanwaltschaft als unzuständig. Beispielsweise werden immer wieder zivilrechtliche Probleme zwischen Privatpersonen an die Volksanwaltschaft herangetragen, etwa in Zusammenhang mit Scheidungen. Bei weiteren 3.191 Fällen konnte kein Prüfungsverfahren eingeleitet werden, weil die behördlichen Verfahren noch nicht abgeschlossen waren oder den BeschwerdeführerInnen noch ein Rechtsmittel offen stand.

Von den eingeleiteten 6.896 Prüfungsverfahren bezogen sich 4.463 auf die Bundesverwaltung, wobei die meisten Beschwerden das Sozialministerium und das Justizministerium betrafen. 2.433 Beschwerden richteten sich gegen eine Landes- oder eine Gemeindeverwaltung. Gerechnet pro Einwohner gibt es die meisten Beschwerden nach wie vor in Wien, am unteren Ende der Skala rangiert Tirol. In 66 Fällen leiteten die VolksanwältInnen ein amtswegiges Prüfungsverfahren ein, wurden also von sich aus tätig.

10 MISSSTANDSFESTSTELLUNGEN UND 13 EMPFEHLUNGEN

Abgeschlossen werden konnten im Berichtsjahr 2002 7.410 Prüfverfahren, wobei es in 13 besonders schwer wiegenden Fällen einer formellen Empfehlung und in zehn Fällen einer Missstandsfeststellung bedurfte. Sechs der Empfehlungen und sieben der Missstandsfeststellungen bezogen sich dabei auf die Bundesverwaltung. So bemängelt die Volksanwaltschaft unter anderem die Besetzung der Position des Bezirksschulinspektors in Urfahr-Umgebung entgegen eindeutiger Ergebnisse eines Assessment-Centers, die zwangsweise Einweisung einer Person in eine psychiatrische Klinik ohne nachvollziehbare ärztliche und polizeiliche Erhebung einer Gefährdung und in zwei Fällen einen nicht nachvollziehbaren Verfahrensstillstand an einem Bezirksgericht.

Neben jenen insgesamt 23 Fällen, die zu Missstandsfeststellungen bzw. formellen Empfehlungen führten, waren nach Ansicht der Volksanwaltschaft weitere 642 Beschwerden berechtigt. In immerhin 3.698 Fällen sahen die VolksanwältInnen hingegen keinen Anlass für eine Beanstandung. Die übrigen der im Jahr 2002 erledigten Beschwerden wurden entweder zurückgezogen (452), erwiesen sich als unzulässig (902) bzw. als nicht in die Kompetenz der Volksanwaltschaft fallend (1.608) oder waren zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung nicht geeignet (85).

LEGISTISCHE ANREGUNGEN UND GRUNDRECHTSFRAGEN

Wie die früheren Berichte enthält auch der nunmehr 26. Bericht der Volksanwaltschaft eine Reihe von legistischen Anregungen, die sich aus der Tätigkeit der Volksanwaltschaft ergeben. So urgieren die VolksanwältInnen etwa ein bundeseinheitliches Heimvertragsgesetz, eine flexiblere Gestaltung der Voraussetzungen für die Rezeptgebührenbefreiung, die Schaffung zeitgemäßer Kriterien zur Festsetzung des Grades der Behinderung, eine Novellierung des Verbrechensopfergesetzes und die Angleichung der 10-jährigen Verjährungsfrist nach dem Amtshaftungsgesetz an die 30-jährige Verjährungsfrist nach dem bürgerlichen Recht. Ein besonderes Anliegen ist den VolksanwältInnen darüber hinaus eine einheitliche Festlegung der schulautonomen Tage für jeden Bezirk bzw. jede Region, da unterschiedliche schulfreie Tage große organisatorische Probleme für Eltern mehrerer schulpflichtiger Kinder mit sich bringen.

In einigen Bereichen konnte die Volksanwaltschaft mit ihren Anregungen 2002 bereits Erfolge verzeichnen. So wurde die Heimfahrtbeihilfe für SchülerInnen wieder eingeführt, das Fundwesen neu geregelt und das Problem der mangelnden pensionsversicherungsrechtlichen Absicherung von Pflegepersonen zumindest zum Teil gelöst. Auch die finanzielle Benachteiligung blinder Personen bei Vertragsabschlüssen wurde beseitigt.

Ein eigenes Kapitel widmet die Volksanwaltschaft in ihrem Bericht Grundrechtsfragen. In diesem Zusammenhang übt sie massive Kritik an den gesetzlichen Bestimmungen zur - mittlerweile abgeschafften - Ambulanzgebühr. Die Gesetzesbestimmungen seien so häufig und zum Teil auf verfassungsrechtlich problematische Weise umgestaltet worden, dass nur noch mit beträchtlichem Aufwand festgestellt werden könne, welche Rechtslage für welchen Zeitraum maßgeblich sei, heißt es im Bericht. Dabei verweisen die VolksanwältInnen auch auf die jüngere Rechtssprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach unverständliche bzw. kaum verständliche Normen verfassungswidrig seien.

Bedenken äußert die Volksanwaltschaft in diesem Berichtsteil aber etwa auch hinsichtlich der Nichtberücksichtigung von Mehrlingsgeburten im Rahmen des Kinderbetreuungsgeldes sowie hinsichtlich der Übermittlung von Melderegister-Daten einiger Vorarlberger Gemeinden an den Herausgeber eines Adressbuches. Im ersten Fall ortet sie Verstöße gegen den Gleichheitsgrundsatz, im zweiten Fall gegen den Datenschutz. Auf die zweifelhafte Datenweitergabe aus dem Melderegister hat der Innenminister mit einem Erlass reagiert, und auch das Problem in bezug auf das Kinderbetreuungsgeld dürfte beseitigt sein: Ab 1. Jänner 2004 werden Eltern von Mehrlingen einen Zuschlag zum Kinderbetreuungsgeld erhalten.

HOCHWASSER-ENTSCHÄDIGUNGEN: KEINE BEANSTANDUNGEN

Zu keinen Beanstandungen der Volksanwaltschaft kam es in Zusammenhang mit den finanziellen Unterstützungen für die Opfer der Hochwasser-Katastrophe im Vorjahr. Die Volksanwaltschaft hatte von Amts wegen insbesondere die Förderungsrichtlinien der einzelnen, vom Hochwasser betroffenen Bundesländer und die Einrichtung von Beschwerdekommissionen für die Betroffenen geprüft, konnte aber keine evidenten Ungleichbehandlungen feststellen. Auch keine der bis Mai 2003 eingegangenen 12 Individual-Beschwerden zu dieser Frage erwies sich bislang als berechtigt.

WEITERENTWICKLUNG DER VOLKSANWALTSCHAFT

Der Bericht der Volksanwaltschaft zeigt aber nicht nur konkrete Missstände in der Verwaltung und Lösungsmöglichkeiten auf, sondern enthält auch Vorschläge der VolksanwältInnen zur Weiterentwicklung der Volksanwaltschaft selbst. So sprechen sich die drei VolksanwältInnen erneut dafür aus, ihre Prüfungsbefugnis auf ausgegliederte Rechtsträger auszudehnen und damit eine Gleichstellung der Prüfzuständigkeit der Volksanwaltschaft mit jener des Rechnungshofes herbeizuführen. Zudem drängen sie auf eine Ermächtigung, selbst Normenprüfungsverfahren einleiten und Amtsbeschwerden zur Wahrung eines Gesetzes erheben zu dürfen. Eine Hemmung von Verjährungsfristen würde es BeschwerdeführerInnen ihrer Ansicht nach darüber hinaus ermöglichen, das Ergebnis des Prüfverfahrens der Volksanwaltschaft abzuwarten, ohne dass damit der Verlust eines Rechtsanspruches wegen Verjährung eintritt. Weiters regen die VolksanwältInnen eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit dem Petitionsausschuss des Nationalrates an.

Die im Bericht aufgezeigten finanziellen und personellen Probleme der Volksanwaltschaft, die aufgrund des massiv gestiegenen Arbeitsaufwandes entstanden sind, dürften mittlerweile durch eine Aufstockung der personellen und budgetären Ressourcen der Volksanwaltschaft weitgehend beseitigt sein.

Die Volksanwaltschaft hält regelmäßig Sprechtage ab - 2002 waren es 263 - und bietet auch via Internet (www.volksanw.gv.at) ein Online-Beschwerdeformular an. Für Rat- und Hilfesuchende steht außerdem täglich zwischen 8 Uhr und 16 Uhr ein telefonischer Auskunftsdienst (Tel. 51505-100) bzw. eine kostenlose Service-Nummer (0800/223 223) zur Verfügung. (Schluss)