Parlamentskorrespondenz Nr. 676 vom 23.09.2003

ASYL: EXPERTEN FORDERN BESSER AUSGEBILDETES PERSONAL IM ERSTVERFAHREN

Öffentliches Hearing zur Asylgesetz-Novelle im Innenausschuss

Wien (PK) – Der Ausschuss für innere Angelegenheiten hielt heute ein öffentliches Hearing zur neuen Asylgesetz -Novelle ab. Geladen waren 15 Experten, die aus ihrer Sicht den Entwurf bewerteten.

Gottfried Köfner, der Vertreter des UNHCR, erinnerte vorerst an das im Feber vorgelegte detaillierte Konzept des UNHCR zu einer Asylverfahrensreform. Seiner Meinung nach würde das geltende Gesetz lediglich Nachjustierungen benötigen, sollte aber keiner Radikalreform unterzogen werden. Der Schlüssel für schnellere Asylverfahren liegt seiner Meinung nach in einer massiven Personalaufstockung. Auch aus praktischer und rechtlicher Sicht beurteilte er die Vorlage als problematisch, da sie – sollte sie unverändert beschlossen werden - im Widerspruch zur Genfer Flüchtlingskonvention und zur Europäischen MRK stehe, die die Leitschienen für eine europäische Harmonisierung des österreichischen Asylrechtes sind. Sorgen bereiten ihm besonders die aufschiebende Wirkung im Berufungsverfahren, die Weigerung, Asylanträge an der Landesgrenze entgegenzunehmen, sowie das Neuerungsverbot. Demnach soll ein Flüchtling nach der Ankunft in einem fremden Land alles Wichtige lückenlos, schlüssig und ohne personelle und kulturell bedingten Hemmungen bekannt geben, was kaum möglich sein wird; viel wichtiger wäre aus Sicht des UNHCR, dass sich die Asylsuchenden vor der zweiten Instanz ergänzend erklären können und diese Tatsachen auch gewürdigt werden.

Heinz Patzelt von amnesty international meinte, das Asylgesetz 1997 sei zwar kein soziales Gesetz, aber im Großen und Ganzen werde es den internationalen Verpflichtungen gerecht. Mannigfache Probleme gibt es aus seiner Sicht: Der Zustand des Asylwerbers, jahrelang auf eine Entscheidung warten zu müssen, sei unerträglich. Daher müssten die Verfahren schneller, besser und einwandfrei sein. Der im Entwurf vorgesehene Lösungsansatz gehe seiner Meinung daneben. Das Problem liege im Vollzug und nicht am Gesetz, hob er hervor. Die gewählte Lösung sei menschenrechtswidrig, konventionswidrig und „wirtschaftlich dumm“. Gut ausgebildetes Personal wäre notwendig. Als „besondere Spezialgrauslichkeit“ wertete er die Bestimmung hinsichtlich der traumatisierten Personen. Das Trauma zähle nur dann, wenn es nicht während der Flucht entstanden ist. Auch prangerte der ai-Vertreter das Neuerungsverbot an. An die Abgeordneten appellierte er, nicht zuzulassen, dass der Rechtsstaat so belastet wird und die Menschen- und Grundrechte verletzt werden.

Erwin Felzmann (Vorsitzender des Menschenrechtsbeirates) hob vorerst hervor, dass der Beirat ein beratendes Gremium des Innenministers sei. Zur Vorlage stellte er fest, dass sie begrüßenswerte Ansätze zu menschenrechtlich relevanten Verbesserungen wie die Einführung des Familienverfahrens, die besonderen Schutzbestimmungen für Traumatisierte und Folteropfer und die Verfahrenskonzentration beinhalte. Der Beirat bejahe auch das Ziel, das Asylverfahren zu beschleunigen, er habe jedoch gravierende Zweifel, dass mit den Vorschlägen das Ziel erreicht werden kann, ohne mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen in Konflikt zu kommen. Der Beirat übersehe nicht das Problem, dass das Innenressort Probleme mit der zunehmenden Zahl von Immigranten habe, sei aber nicht davon überzeugt, dass ein Schnellverfahren die Lösung sei. Um eine Verstärkung der personelle Ressourcen werde man nicht herumkommen, konstatierte der Vorsitzende.

Im Zusammenhang mit den traumatisierten Personen und dem Problem des Erkennens verwies Felzmann auf die Meinung der Kommissionen des Menschenrechtsbeirates, wonach bei der Feststellung des Erkennens dadurch Schwierigkeiten auftreten, dass die Ärzte nicht einmal Dolmetscher beiziehen und die traumatisierte Person unter Umständen einem fremdsprachigen Arzt gegenübersitzt. Dabei handle es sich aber um ein Vollzugsproblem.

Der Leiter des Bundesasylamtes Wolfgang Taucher gab bekannt, dass im Jahr 2002 ungefähr 39.000 Asylanträge gestellt wurden, mit 31.8.2003 gab es 21.000 Asylanträge, was, bezogen auf die ersten neun Monate, einen Rückgang um 15 % bedeute. Der Leiter des Bundesasylamtes schilderte in der Folge den Arbeitsablauf in seiner Behörde, die nicht nur Asylbehörde erster Instanz ist, sondern auch den ersten konkreten Kontakt mit dem Asylwerber hat. Er wies auch darauf hin, dass es bei der Ersteinvernahme um eine Information und nicht um eine Entscheidung gehe. Dass die Entwicklung eine Neuregelung des Asylwesens erforderlich mache, räumte er ein, verwies aber auch darauf, dass gemäß dem Verfassungsgerichtshof ein Asylverfahren durchaus von den allgemeinen Verwaltungsverfahren abweichen könne.

Harald Perl, der Vorsitzende des Unabhängigen Bundesasylsenates, konzentrierte sich in seinem Kurzreferat auf die Frage der Sonderbestimmungen. Ihm ist bewusst, dass es Sonderbestimmungen geben werde und geben müsse. In vielen Fällen habe sich dies als sinnvoll und notwendig erwiesen und spiegle den Willen des Gesetzgebers nach speziellen Regeln für besondere Sachverhalte oder Personengruppen wider. Damit sei aber die Gefahr verbunden, dass diese Ausrichtung zu einer Fokussierung des Verfahrensinhaltes führt und spätere Korrekturen nicht unerhebliche Verfahrensverzögerungen bringen. Mit Sonderbestimmungen sollte man seiner Meinung sparsam umgehen.

Stefan Wallner-Ewald von der Caritas sieht die Notwendigkeit einer Änderung des Asylgesetzes gegeben, zumal die Zahl der Anträge seit 1997 bei unverändertem Personalstand stark zugenommen hat, die Bescheid-Qualität der ersten Instanz unbefriedigend ist und einzelne Bestimmungen des Gesetzes nicht zu einer Verfahrensverkürzung führen. Mit diesem Entwurf werde kaum eine Verfahrensbeschleunigung erreicht, vielmehr rechnet der Vertreter der Caritas mit einer Verfahrensverlangsamung. Manches möge am Grünen Tisch plausibel sein, sagte er, aber eine erste Abklärung über die Zulässigkeit eines Asylverfahrens könne nicht in 48 bis 72 Stunden erfolgen. Man vergesse dabei nämlich, dass der Asylwerber einer dramatischen Notsituation ausgesetzt war. Die meisten wurden während der Flucht von Menschen betrogen, ein großer Teil war vor und während der Flucht psychischer und physischer Gewalt und sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Solche Menschen brauchten einige Tage, um sich zu orientieren, auszuruhen und Vertrauen zu fassen. Aus diesem Grund sollte das erstinstanzliche Verfahren innerhalb von sechs bis acht Wochen abgewickelt werden. Zusammenfassend meinte er: Die bestehende Gesetzeslage sei nicht schlecht, man bräuchte nur sanfte Korrekturen. Die Probleme lägen in der Vollziehung, es gebe zu wenig Personal und zu wenig Qualität vor allem in der ersten Instanz.

Für eine Beschleunigung der Asylverfahren bei rechtlich guter Qualität und einem fairen Verfahren sprach sich der Direktor der Evangelischen Diakonie Österreich, Michael Chalupka, aus. Es gebe zu wenig Qualitätspersonal in der ersten Instanz, mangelhafte und rechtswidrige Bescheide und zu wenige Bundesbetreuungsplätze, sagte Chalupka. Man brauche in Österreich keine Asylzulassungsverfahren, sondern eine personell und qualitativ gut ausgestattete erste Instanz. Das Problem der großen Zahl an Asylanträgen müsse ernst genommen werden, aber die finanzielle Belastung sei nicht so hoch. Es gab 2002 38.000 Asylanträge, aber eine Entscheidung wurde bei 30.000 offenen Fällen nur über 500 Fälle getroffen. In 389 Fällen (in beiden Instanzen) wurde aus Fluchtgründen Asyl gewährt; 59 % davon hätten Asyl erst in der zweiten Instanz erhalten. Das Argument, dass Österreich ein attraktives Asylland sei, ist seiner Meinung nach daher obsolet. Für bedenklich hält Chalupka die Regelung über Traumatisierte und Folteropfer, da vom Personal eine fachliche Qualität verlangt werde, die sie nicht erfüllen könne, unverständlich ist ihm auch, weshalb der Rechtsbeistand nicht schon von Anfang an zur Verfügung stehe. - Der Entwurf erkenne zwar die Probleme, versuche aber mit untauglichen und unausgereiften Mitteln eine Lösung herbeizuführen.

Heinz Sieb (Volkshilfe) sprach von „negativen Highlights“. Positiv sind für ihn die Gesetzesintention, das Verfahren zu beschleunigen, sowie die inhaltlichen Punkte Ausweitung des subsidiären Schutzes und das einheitliche Familienverfahren. „Das Ziel ist o.k., das Was ist nicht das Problem, beim Wie hapert es gewaltig“, meinte er. Der Entwurf werde in weiten Strecken keinen Bestand vor einem Höchstgericht haben, mehrere Passagen sind verfassungs- und MRK-widrig und der Flüchtling werde nicht als schutzwürdige Person, sondern als potentielle Gefahr dargestellt. Gute erstinstanzliche Verfahren würden auch helfen, Geld zu sparen. Seiner Ansicht nach sollte man das bestehende Gesetz überarbeiten, die wenigen Schwachstellen ausgleichen und die Behörde mit qualitativ gutausgebildetem Personal ausstatten.

Willfried Kovarnik (Bundespolizeidirektion Wien) stellte fest, die Sicherheitsexekutive habe das Asylgesetz in seiner derzeitigen Form als Behinderung empfunden. Es sei immer weniger möglich gewesen, Rechtsbrecher außer Landes zu bringen. Er sprach dann die Missstimmung zwischen der Kriminalpolizei und der Fremdenpolizei an, weil es die Fremdenpolizei nicht schaffe, einen abgestraften Täter außer Landes zu bringen, weil dieser einen zweiten oder dritten Asylantrag stelle und zweieinhalb Jahre bis zu dessen Behandlung vergehen. Deshalb begrüße die Sicherheitsexekutive alle Maßnahmen, die zu einer Straffung und einer Beschleunigung des Verfahrens führen. Nicht gelöst ist für ihn das Problem des § 30 Abs. 1 (Einstellung); auch wies er darauf hin, dass man eine Verfahrensidentität im § 36b wollte und keinen Identitätsnachweis.

Fritz Knotzer, Bürgermeister von Traiskirchen, kritisierte die Vorgangsweise des Innenministeriums und unterstrich, die Gemeinde Traiskirchen sei nicht bereit, einem Ausbau des Flüchtlingslagers Traiskirchen zuzustimmen. Wenn nicht rasch gehandelt werde, werde das die Fremdenfeindlichkeit im Ort weiter schüren, warnte er und trat dafür ein, die Flüchtlinge auf kleine Einheiten und Privatquartiere aufzuteilen. Knotzer bezweifelt außerdem, dass das neue Asylgesetz angesichts der bestehenden Mitarbeiterzahl zu rascheren Asylverfahren führen wird. Vom Innenminister wollte er unter anderem wissen, wie viele Erstaufnahmestellen geplant seien und was getan werde, um das regelmäßige Verschwinden von Flüchtlingen in die Illegalität in Zukunft zu verhindern.

Der Vertreter des Roten Kreuzes, Bernhard Schneider, hielt fest, das Rote Kreuz begrüße grundsätzlich die Bestrebungen, Asylverfahren zu beschleunigen und zu straffen, der vorliegende Entwurf zum Asylgesetz enthalte aber einige übermäßige Härten für Asylwerber. So könnte der sehr enge Familienbegriff Probleme für elternlose Kinder bringen, die mit anderen Verwandten auf der Flucht sind. Das Konzept "sicherer Drittstaat" nehme Asylwerbern außerdem das Recht auf die individuelle Prüfung ihres Falls. Kritik übte Schneider auch am Neuerungsverbot im Berufungsverfahren und an der seiner Ansicht nach zu weitgehenden Möglichkeit, Schubhaft zu verhängen.

Heinz Zimper, Bezirkshauptmann von Wiener Neustadt, beleuchtete die Sachlage aus Sicht der Verwaltung und begrüßte auf Grund der gegebenen Faktenlage die Neuregelung des Asylrechts. Mit der 48- bzw. 72-Stunden-Frist und mit der vorgesehenen Entscheidung innerhalb von 20 Tagen sei man auf dem richtigen Weg, meinte er. Besonders unterstrich Zimper die Notwendigkeit, rasch eine erkennungsdienstliche Behandlung der Betroffenen durchzuführen, da man nur so das Problem der Illegalität in den Griff bekommen könne. Positiv beurteilte er weiters die im Entwurf vorgesehene Beurteilung der Familieneigenschaft und die Mitwirkung des Asylwerbers im Verfahren.

Wolfgang Szymanski, Sektionschef im Innenministerium, hielt fest, eine Beschleunigung der Asylverfahren sei zwar vorbehaltlos zu begrüßen, er glaube aber, dass der vorliegende Entwurf zum Asylgesetz diesem Ziel nicht gerecht werde und man nach einiger Zeit vor demselben Problem stehen werde wie jetzt. Nur durch eine deutliche Ausweitung der Personalressourcen könne die bestehende Problematik gelöst werden, betonte er.

Darüber hinaus fürchtet Szymanski, dass im vorliegenden Gesetzentwurf der Rechtsschutz der Asylwerber nicht gewährleistet sei. Das Asylgesetz weiche sehr stark von den Regeln des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes ab, skizzierte er, was zwar prinzipiell nicht unzulässig sei, aber sachlich begründet sein müsste. Ressourcenknappheit allein könne nicht als Grund für Einschränkungen des Rechtsschutzes genannt werden. Kritisch beurteilt Szymanski unter anderem die Regelung, dass nach einem negativen Asylbescheid sofort - ohne Abwägungen - Ausweisungen durchzuführen seien.

Mathias Bitschnau, langjähriger Fremdenpolizist, verteidigte den vorliegenden Gesetzentwurf im Allgemeinen und das Neuerungsverbot und die Drittstaatenregelung im Besonderen. Es sei sehr wohl legitim, von Menschen, die Schutz und Hilfe suchen, volle Ehrlichkeit zu verlangen, erklärte er. Zudem würden Betroffene in den Drittstaaten vollständigen Rechtsschutz genießen, es könne nicht Aufgabe Österreichs sein, EU-Partnerländer zu beobachten. Generell hielt Bitschnau fest, das Asylrecht sei dazu da, Verfolgten zu helfen und nicht, Kriminelle zu beschützen. Man müsse verhindern, dass Asylverfahren durch Berufungen so lange verzögert werden, bis der Betroffene einen Partner für eine Scheinehe findet. Kriminelle und Drogendealer dürften nicht vor einer Abschiebung bewahrt werden.

Rechtsanwalt Georg Bürstmayer wies auf die "außergewöhnlich herbe Kritik" des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages am vorliegenden Entwurf zum Asylgesetz hin und gab zu bedenken, dass diese Einrichtung sicher nicht im Verdacht stehe, ein expliziter Vertreter der Interessen von Asylwerbern bzw. Scheinasylwerbern zu sein. Es sei dem Rechtsanwaltskammertag aber sehr daran gelegen, dass gewisse Rechtsgrundsätze in Österreich gewahrt bleiben. Asylverfahren seien schließlich nichts anderes als Verwaltungsverfahren und müssten sich in einem Rahmen bewegen, der durch die Grundrechte, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Österreichische Bundesverfassung definiert sei.

Das Asylgesetz Neu verlässt Bürstmayer zufolge diesen Rahmen in etwa in einem Dutzend Punkten. So kritisierte er, dass von der freien Beweiswürdigung abgegangen werde und das Ergreifen von Rechtsmitteln keine aufschiebende Wirkung habe. Skeptisch beurteilte er darüber hinaus das Neuerungsverbot und die Festnahmeermächtigung zur Sicherung eines Verwaltungsverfahrens. Auch vermisst er den Zugang von Asylwerbern zu Rechtsvertretern in jedem Stadium des Verfahrens. Auf Grund der Fülle der Abweichungen werde das Gesetz nicht vor dem Verfassungsgerichtshof Bestand haben können, prophezeite Bürstmayer. Hunderte Verfahren vor den Höchstgerichten würden die Folge sein. (Fortsetzung)