Parlamentskorrespondenz Nr. 679 vom 24.09.2003

NR-PLENUM: FAHRVERBOT FÜR STINKER - MASSNAHMEN GEGEN TRANSITWAHNSINN

Transitvertrag läuft aus - aber nachhaltige EU-Verkehrspolitik fehlt

Wien (PK) - Die von den Grünen thematisch bestimmte Aktuelle Stunde zum Transitverkehr leitete Abgeordnete Dr. LICHTENBERGER (G) ein, indem sie darauf aufmerksam machte, dass mit dem Auslaufen des Transitvertrages zu Ende dieses Jahres, also in nur 99 Tagen, die letzten Schranken für den Schwerverkehr fallen werden. Da immer noch kein Vorschlag für eine Nachfolgeregelung auf dem Tisch liege, fehle es am Schutz der Menschen in den Transitregionen. Lichtenberger beleuchtete die Dramatik der Situation, indem sie darauf hinwies, dass die Stickstoff- und Partikelemissionen im Inntal um 30 % zu hoch sind. Die Abgeordnete forderte ein Maßnahmenpaket von Bund, Ländern und Gemeinden und listete dafür die Vorschläge auf, die die Grünen zur Beschränkung des Langstreckengüterverkehrs unterbreitet haben. Sie verlangte einen Stopp für "Stinker" ohne Bevorzugung der einheimischen Frächter, konkret die Ersetzung von LKW der EU-Schadstoffklassen 0, 1 und 2 durch die Klasse 3. Außerdem plädieren die Grünen für mehr Kontrollen des Transitverkehrs, um den Sozialbetrug wirksam zu bekämpfen. "Unterstützen Sie unser Maßnahmenpaket, das im Verkehrsausschuss liegt", schloss Abgeordnete Lichtenberger ihren Appell an die Abgeordneten.

Verkehrsminister GORBACH antwortete der Rednerin direkt, indem er seine Bereitschaft unterstrich, ein Verbot für Stinker auszusprechen. Er erinnerte aber gleichzeitig daran, dass es notwendig sei, viele Güter des täglichen Bedarfs mit dem LKW zu transportieren. Es sei daher falsch, den LKW oder den Straßenverkehr insgesamt gegen andere Verkehrsträger auszuspielen. Er wolle alles tun, um so wenig LKW wie möglich auf der Straße und so viele Gütertransporte wie möglich auf der Schiene zu haben. Es gehe ihm darum, diese beiden Verkehrsträger sinnvoll zu kombinieren.

Er habe sich in Brüssel vehement dafür eingesetzt, die Diskussion über die Verkehrskostenrichtlinie zu beginnen, berichtete der Minister. Und EU-Verkehrskommissar Lunardi habe sein Wort gehalten: Die Richtlinie sei am 22. September mit Priorität im Besonderen Rat behandelt worden. Auch werde er für eine Nachfolgeregelung, die man vor 10 Jahren zu vereinbaren verabsäumt habe, kämpfen - "und zwar so, als wäre ich ein betroffener Tiroler", sagte Minister Gorbach.

Den letzen Sommer habe er dazu genützt, ein Verkehrsmodell für Tirol vorzustellen. Die ersten Verkehrbeeinflussungsanlagen, mit denen der Verkehr besser gemanagt werden soll, werden im kommenden Jahr eingerichtet. Sie werden es erlauben, auf Emissionsüberschreitungen mit Maßnahmen wie Geschwindigkeitsbeschränkungen und Fahrverboten für bestimmte LKW zu reagieren. Bei der Errichtung des Brenner-Basistunnels beginne die Phase II, die darauf abziele, das Projekt bis 2006 baureif zu machen.

Betroffen zeigte sich der Minister über die gesundheitlichen Auswirkungen des LKW-Verkehrs, wie sie von der Weltgesundheitsorganisation für Österreich festgestellt wurden: zahlreiche Fälle von Bronchitis, 2.400 vorzeitige Todesfälle und 1,3 Mill. zusätzliche Krankenstandstage pro Jahr. Gorbachs Appell an die Grünen lautete, die österreichischen Interessen in Brüssel gemeinsam zu vertreten und darauf zu verzichten, die Menschen gegen die Wirtschaft aufzuhetzen.

Abgeordneter KEUSCHNIGG (V) gab seiner Überzeugung Ausdruck, dass das Thema Transitverkehr eines parteiübergreifenden Konsenses bedürfe. Er wandte sich daher gegen den aus seiner Sicht unernsten Aktionismus der Grünen auf dem Rücken der Tiroler Bevölkerung. Ein undifferenziert eingeführtes Fahrverbot würde die heimische Wirtschaft unverhältnismäßig treffen, da die kleinen Betriebe, die für die Nahversorgung unerlässlich seien, wegen ihrer geringeren Umsätze nicht die Möglichkeit haben, ihre LKW ebenso rasch zu erneuern wie große internationale Unternehmen. Es gehe daher nicht an, nur die heimischen Frächter zu belasten. Das sektorale Fahrverbot sei die richtige Antwort gewesen, umso größer daher die Enttäuschung der Tiroler über die negative Entscheidung des EUGH. Keuschnigg bekannte sich nachdrücklich zur Verkehrsverlagerung auf die Bahn und begrüßte daher die erfolgreichen Bemühungen, den Brennerbasistunnel baureif zu machen. Außerdem erinnerte er daran, dass das erste Baulos für die neue Inntalstrecke bereits vergeben sei.

Abgeordnete Mag. WURM (S) befürchtete mit dem Auslaufen des Transitvertrages den Anfang des Transitwahnsinns auf Tirols Straßen. Landeshauptmann Van Staa spiele zwar in Tirol den starken Mann, in Wien und in Brüssel vertrete er die Interessen seines Landes aber nicht sehr stark. Abgeordnete Wurm ging dann auf die topographischen Besonderheiten der Alpenregion ein und warnte: Der "Trichtereffekt" bewirke in den engen Alpentälern bei gleichem Verkehrsaufkommen eine wesentlich höhere Schadstoffkonzentration als im Flachland. Wurm wies auf den Entschließungsantrag der Tiroler SPÖ-Abgeordneten hin, der auf eine Nachfolgeregelung für den Transitvertrag, die Einführung des Road Pricing ab 1.1.2004, auf eine EU-Wegekostenrichtlinie und die Festlegung einer sensiblen Alpenzone sowie auf Verkehrsverlagerungsmaßnahmen nach dem Vorbild der Schweiz zielt.

Abgeordneter WITTAUER (F) erinnerte die SPÖ an ihre Mitverantwortung für Ausnahmegenehmigungen durch die Tiroler Landesregierung. Sein Lob galt hingegen Verkehrsminister Gorbach, der die Versäumnisse seiner sozialdemokratischen Amtsvorgänger aufarbeiten müsse. Auch Wittauer unterstützte die rasche Einrichtung eines Verkehrsleitsystems in Tirol und forderte die Tiroler Landesregierung auf, Maßnahmen zu setzen und mit dem Verkehrsminister zu kooperieren. Wittauers Vorwurf an Landeshauptmann Van Staa lautete, zu viele Ausnahmegenehmigungen erteilt zu haben, deshalb habe das sektorale Fahrverbot nicht gehalten.

Abgeordnete Dr. Gabriela MOSER (G) erinnerte daran, dass Minister Gorbach als Landesrat in Vorarlberg den Straßenbau vorangetrieben und damit die Verkehrbelastungen in seinem Bundesland erhöht habe. Das Transitproblem lässt sich, so Moser, nicht auf die Alpentäler beschränken. Ihr Bundesland Oberösterreich sei dafür ein deutliches Beispiel. Der LKW-Verkehr habe sich etwa auf der Innkreisautobahn allein in den Jahren 1994 bis 2000 täglich von 1677 auf 6340 mehr als verdreifacht. Auch Abgeordnete Moser klagte über die zunehmende Schadstoffbelastung und über die gravierende Lärmbelastung der Bevölkerung, die laut medizinischen Studien Schlafstörungen und Bluthochdruck nach sich ziehen.

Abgeordneter GAHR (V) würdigte eingangs seiner Ausführungen das Engagement von Nationalratspräsident Khol für den Bau des Brennerbasistunnels und die Unterinntaltrasse. Zur Lösung der Transitproblematik brauche es diese Investitionen und Lenkungsmaßnahmen, zeigte sich Gahr überzeugt und plädierte dafür, auf Feindbilder zu verzichten und gemeinsam mit der Wirtschaft vorzugehen. Der Tiroler Landeshauptmann habe großen Schwung in die Transitpolitik gebracht, lobte der Abgeordnete, der im übrigen auf die Einführung des schwefelfreien Diesels sowie des Road Pricings einging. Generell trat Gahr dafür ein, die Bahn auszubauen und zu professionalisieren und schloss mit den besten Wünschen an Staatssekretär Kukacka für die ÖBB-Reform.

Abgeordneter REHEIS (S) ließ im Gegensatz zu Gahr kein gutes Haar an der Transitpolitik des Tiroler Landeshauptmanns. "Schöne Worte und heiße Luft vor den Wahlen", aber keine Antworten auf die Fragen des Transitforums, klagte Reheis. Während SPÖ, Grüne und FPÖ Antworten und Konzepte vorgelegt haben, schweige Van Staa beharrlich, kritisierte Abgeordneter Reheis. Die einzige Alternative zur Lösung des Transitproblems biete die SPÖ, denn sie "stellt den Menschen über den freien Warenverkehr", schloss Reheis pointiert.

Abgeordneter Dr. MAINONI (F) verteidigte Minister Gorbach gegen den Vorwurf, als Landesrat Straßen gebaut zu haben. Gorbach sei sehr sensibel mit dem Straßenbau umgegangen und habe den Menschen viele Entlastungen durch den Bau von Umfahrungsstraßen gebracht, sagte der Redner. Die Menschen in Tirol brauchen wegen der Zunahme des Transitverkehrs und der speziellen topographischen Lage besondere Solidarität, sagte Mainoni und forderte alle Fraktionen auf, in Brüssel mit einer Stimme zu sprechen. Denn Österreich habe das Recht auf eine befriedigende Transitlösung, zumal ihm beim EU-Beitritt bis zum Auslaufen des Transitvertrages eine nachhaltige Verkehrspolitik für die gesamte EU zugesagt worden sei. Säumig sei nicht Österreich, sondern die EU, schloss Mainoni.

Abgeordneter Dr. GRÜNEWALD (G) wies den Vorwurf zurück, die Grünen hätten in Brüssel gegen österreichische Interessen gestimmt - sie seien lediglich gegen Lösungen aufgetreten, die mehr Verkehr gebracht hätten. Der Mediziner konzentrierte sich auf die gesundheitlichen Gefahren, die vom Dieselruß ausgehen. Die Feinstäube in den Dieselabgasen seien für viele Fälle von Bronchitis und Allergien verantwortlich und sie haben katastrophale Langzeitwirkungen, weil sie die Lunge schädigen und sich in den Körper einlagern. Das Problem sei in Österreich besonders gravierend, weil hier 10 mal mehr Dieselfahrzeuge verwendet werden als etwa in der Schweiz. Außerdem ziehen die topographischen Verhältnisse besonders hohe Schadstoffkonzentrationen nach sich, vor allem in den Alpentälern Tirols, aber auch in Graz, das Immissionswerte aufweise wie die lettische Hauptstadt Riga. (Schluss)