Parlamentskorrespondenz Nr. 698 vom 30.09.2003

HAUPTAUSSCHUSS DISKUTIERT POSITIONEN ZU EU-REGIERUNGSKONFERENZ

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Wien (PK) - Der Hauptausschuss in Angelegenheiten der Europäischen Union stand heute ganz im Zeichen der kommenden Regierungskonferenz zur Erarbeitung einer Europäischen Verfassung. Die Bundesregierung hatte im Vorfeld ein Positionspapier vorgelegt, das von Bundeskanzler Schüssel, Vizekanzler Haupt und Außenministerin Ferrero-Waldner erläutert wurde.

Sowohl die beiden Regierungsfraktionen, ÖVP und FPÖ, als auch die SPÖ und die Grünen legten jeweils einen Antrag auf Stellungnahme vor. Mehrheitlich angenommen wurde jedoch nur der ÖVP-FPÖ-Antrag, in dem es heißt, dass der Hauptausschuss die von der Bundesregierung beschlossenen Grundsatzpositionen begrüßt und die Bundesregierung ersucht, bei der Regierungskonferenz in diesem Sinne vorzugehen. Darüber hinaus wird darin klargestellt, dass die Bundesregierung den Hauptausschuss über den Verlauf der Verhandlungen und das Ergebnis der Regierungskonferenz zu informieren hat.

Von der Opposition wurde diese Vorgangsweise dahin gehend kritisiert, dass hier parlamentarisches Recht an die Bundesregierung abgetreten werde.

Trotzdem Übereinstimmung darüber herrschte, dass der Konventsentwurf nicht in allen Punkten zufrieden stellend ist, gab es in der Beurteilung darüber, inwieweit einige Punkte abermals diskutiert werden sollen, Dissens. Die SPÖ und die Grünen stellten auch in ihren Anträgen klar, dass das Konventsergebnis weitgehend unverändert übernommen werden sollte, weil die Gefahr bestehe, dass die jetzt darin enthaltenen positiven Aspekte eine Verschlechterung erfahren könnten. Dennoch wollten beide Fraktionen einige Fragen relevieren, um den Interessen Österreichs optimal Rechnung zu tragen. Bundeskanzler Schüssel bemerkte dazu, dass man keinesfalls eine Gesamtverschlechterung in Kauf nehmen werde, dass er aber nichts davon halte, schon im Vorfeld keine Änderungswünsche vorzubringen. Grundsätzlich sieht er in den Positionen der Parlamentsparteien nur schwach nuancierte Unterschiede, weshalb er ersuchte, keine künstlichen Differenzen aufzubauen.

Die Enttäuschung, dass es nicht gelungen war, den Euratom-Vertrag in die zukünftige Verfassung zu integrieren und damit auch einklagbar zu machen, wurde ebenfalls von allen geteilt. Das Vorhaben des Bundeskanzlers, falls in dieser Frage keine Fortschritte erzielt werden können, eine Revisionskonferenz zu initiieren, fand positives Echo. Die Grünen bestanden jedoch darauf, dass der Zeitpunkt der Revisionskonferenz bereits jetzt festgelegt werden müsse.

Am Beginn des Hauptausschusses legten die anwesenden Regierungsmitglieder nochmals die wesentlichen Punkte der österreichischen Position dar.

SCHÜSSEL: ZIEL MUSS EINE WIRKLICHE REGIERUNGSKONFERENZ UND NICHT ABSEGNUNG DES KONVENTSENTWURFS SEIN

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel unterstrich die Wichtigkeit der kommenden Regierungskonferenz mit dem Hinweis, dass nun ein Verfassungsvertrag zur Diskussion stehe. Er sowie die Außenministerin würden ihren Beitrag zum konstruktiven Geist der Regierungskonferenz leisten, damit diese bis zu den Europawahlen im nächsten Jahr zu einem Ergebnis kommen könne. Er dankte in diesem Zusammenhang den Mitgliedern des Konvents für die großartige Arbeit. Ihnen sei es bereits während der Konventsarbeit gelungen, Netzwerke mit anderen, gleich gesinnten Staaten zu knüpfen und eine Plattform zu bilden, die auch heute noch zusammenarbeitet, um gemeinsame Interessen vorbringen zu können. Das besondere Anliegen dieser Gruppe sei es, die Regierungskonferenz zu einer wirklichen Regierungskonferenz mit voller Einbindung der nationalen Parlamente zu machen und nicht zu einem Absegnungsgremium des Konventsentwurfs.

Die Zusammensetzung der Kommission ist laut Schüssel von zentraler Bedeutung, und er machte auch klar, dass jedes Land mit Sitz und Stimme vertreten sein müsse. Unglücklich zeigte sich der Regierungschef über den Konventsentwurf hinsichtlich der Stimmberechtigung nur für 15 Kommissare. Was die Kompetenzen betrifft, so sei man aber offen, sagte Schüssel. Er halte auch nichts von den unterschiedlichen Vorsitzmodellen und meinte, dass der Status des Präsidenten der EU, die Rolle des EU-Außenministers und die Rotation der Vorsitze in den Fachministerräten im Gesamten gesehen werden müsse, um die Kohärenz der Unionspolitik langfristig absichern zu können. Dezidiert sprach sich der Bundeskanzler gegen die Einrichtung eines Legislativrates aus, da seiner Meinung nach die Vorbereitung der Rechtsakte weiterhin bei den Fachministerräten bleiben müsse. Den Mehrwert einer neuen Institution könne er nicht erkennen.

Hinsichtlich der Stimmengewichtung betonte der Kanzler, dass man in Nizza dazu einen vernünftigen Kompromiss gefunden habe, und es keinesfalls zu einer weiteren Verschiebung der Machtverhältnisse kommen dürfe. Ihm schiene eine doppelte Parität die beste Lösung. Er begrüßte auch die Ausweitung der Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit, machte aber gleichzeitig klar, dass die Vitalinteressen der Mitgliedsstaaten für ihn eine rote Linie darstellten. Im Falle Österreichs wären dies beispielsweise die Wasserressourcen, die Wahl der Energieträger sowie Grund und Boden.

Einen breiten Raum widmete Schüssel dem Passus der Daseinsvorsorge, die weder im Vertrag noch im jetzigen Entwurf aus seiner Sicht perfekt geregelt sei. Durch unterschiedliche Formulierungen sieht er die Gefahr, dass diese Themen zu einer Verordnungssache der Kommission gemacht werden könnten, ohne dass hier die Mitgliedsstaaten im Vorfeld eingebunden wären. Die Frage sei auch nie im Konvent diskutiert worden. Für Schüssel muss es daher eine absolute Klarstellung dahin gehend geben, dass das Subsidiaritätsprinzip gewahrt bleibt.

Als einen Fortschritt bezeichnete es der Bundeskanzler, wenn die Entscheidung darüber, wie viele Drittstaatsangehörige sich im Hoheitsgebiet zum Zweck der Arbeit niederlassen dürfen, in die Zuständigkeit der Länder fällt. Er möchte darüber hinaus auch festgehalten wissen, dass die Familienzusammenführung der innerstaatlichen Regelung unterliegt.

Große Bedenken äußerte der Kanzler gegenüber der Institution einer europäischen Staatsanwaltschaft. Dabei liege das Problem weniger bei Betrugsdelikten, sondern vielmehr bei grenzüberschreitenden Straftaten, zumal es nicht einmal ein europäisches Strafrecht gibt.

Schließlich verlieh Schüssel seiner Enttäuschung darüber Ausdruck, dass die Integration des Euratom-Vertrages in den neuen Verfassungsentwurf nicht gelungen sei. Diejenigen, die Normen festlegen und Demokratisierungsschritte forcieren wollen, liefen gegen eine Wand. Dennoch sei es wichtig, dieses Problem abermals bei der Regierungskonferenz zu thematisieren, allenfalls im Sinne einer Revisionskonferenz, so der Bundeskanzler.

HAUPT: GLEICHWERTIGKEIT VON WIRTSCHAFTS-, BESCHÄFTIGUNGS- UND SOZIALPOLITIK STÄRKEN

Vizekanzler Herbert Haupt konzentrierte sich auf sozialpolitische Fragen und zeigte sich damit zufrieden, dass die Zielbestimmungen der Union, insbesondere um die Ziele der Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung, der Förderung von sozialer Gerechtigkeit und sozialem Schutz, der Solidarität zwischen den Generationen und des Schutzes der Rechte des Kindes erweitert wurden. Er begrüßte die Aufnahme der Methode der offenen Koordinierung bei der Sozialpolitik ausdrücklich, meinte jedoch, dass die maßgebliche Rolle des EU-Ausschusses für Sozialschutz im Vertrag verankert werden müsste. Jedenfalls hätte er sich gewünscht, wenn die Gleichwertigkeit von Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik stärker im Vertragsentwurf zum Ausdruck gekommen wäre.

Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Sozialsysteme in den Mitgliedsstaaten hält Haupt einen Kompetenztransfer auf die europäische Ebene im Sozialbereich für nicht zweckmäßig. Dennoch könnten verschiedene Maßnahmen gesetzt werden, um die Sozialpolitik zu stärken. Er habe auch keine Einwände gegen die Einführung der qualifizierten Mehrheit im Bereich der Koordinierung der Sozialsysteme. Als wichtiges Anliegen formulierte der Vizekanzler den Fortbestand des Acquis, Sonderregelungen, die einige Mitgliedsstaaten verhandelt haben, müssten jedoch vor Veränderungen gegen den Willen des betroffenen Staates geschützt werden. Konkret sprach Haupt dabei die Ausnahme Österreichs von der Exportverpflichtung für Familienleistungen auf Drittstaatsangehörige an.

Explizit begrüßte Haupt die Aufwertung des Konsumentenschutzes, darüber hinaus ist es ihm wichtig, ein hohes Gesundheitsschutzniveau auf europäischer Ebene sicherzustellen. Die Gesundheitspolitik der Europäischen Union müsse in den politischen Entscheidungen in der Wertigkeit mit wirtschaftlichen Überlegungen gleichgestellt sein. 

Grundsätzlich stellte Haupt fest, dass der endgültige Verfassungsvertrag den Grundsatz der Gleichberechtigung aller Mitgliedsstaaten wahren müsse und die Europäische Union nicht zu einem Direktorium der großen Mitgliedsstaaten werden dürfe. Daher sei am Rotationsprinzip unter Gleichberechtigung der Mitgliedsstaaten festzuhalten. Ein gewählter hauptamtlicher Langzeitpräsident des Europäischen Rates gefährde aus seiner Sicht das institutionelle Gleichgewicht. Er könne sich aber ein fünfköpfiges Präsidium vorstellen. Die Gleichberechtigung der Mitgliedsstaaten müsse auch bei der Zusammensetzung der Kommission gewährleistet sein.

In der Frage der Daseinsvorsorge vertrat Haupt ebenfalls die Auffassung, dass diese weiterhin ausschließlich Angelegenheit der Mitgliedsstaaten sein müsse, bzw. den dafür zuständigen kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften überlassen bleiben müsse.

Bei der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen sprach sich Haupt für das Einstimmigkeitsprinzip aus, grundsätzliche Bedenken äußerte er auch gegen die Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft.

Abschließend nahm Haupt zur so genannten "Passarelle" Stellung, wonach der Europäische Rat in Fragen, wo das Einstimmigkeitsprinzip herrscht, zu einem späteren Zeitpunkt einstimmig entscheiden soll können, hinkünftig die qualifizierte Mehrheit anzuwenden. Es sei daher Vorsorge zu treffen, dass diesbezüglich kein Automatismus erfolgt, und Entscheidungen im Einzelfall nur nach Abwägung aller Vor- und Nachteile sowie nach Zustimmung der nationalen Parlamente getroffen werden können.  

FERRERO-WALDNER: GRUNDSÄTZLICH POSITIVE NEUERUNGEN IN DER AUSSEN-, SICHERHEITS- UND VERTEIDIGUNGSPOLITIK

Als eine der wichtigsten Neuerungen im Vertragsentwurf bezeichnete Außenministerin Benita Ferrero-Waldner die Schaffung eines eigenen Außenministers, der zugleich Vizepräsident der EU-Kommission sein werde. Im Bereich der ersten Säule werde dieser an die Kommissionsmitglieder gebunden sein, im Bereich der GASP werde er ein eigenes Vorschlagsrecht haben und dem Rat verantwortlich sein. In seiner Arbeit werde er vom europäischen auswärtigen Dienst unterstützt, wobei MitarbeiterInnen der nationalen auswärtigen Dienste eingebunden sein werden, was neue Synergien schaffe.

Weiters informierte die Ministerin, dass die Drei-Säulen-Struktur abgeschafft werde, wodurch das Agieren der Union auf internationaler Ebene einfacher sein werde. Als eigene Rechtspersönlichkeit könne die Union auch Mitglied in internationalen Organisationen werden und internationalen Abkommen beitreten. Als einen wichtigen Schritt in diesem Zusammenhang erhofft sich die Außenministerin den Beitritt zur EMRK.

Ihre Enttäuschung, dass es im Entscheidungsverfahren der GASP nicht mehr Mehrheitsentscheidungen geben werde, wollte die Außenministerin nicht verhehlen. Hinsichtlich der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sieht sie jedoch innovative Vorschläge. So sollen die „Petersberger Aufgaben“ um gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, militärische Beratung, Konfliktverhütung und Stabilisierungsoperationen vermehrt werden. Eine Solidaritätsklausel soll sicher stellen, dass Mitgliedsstaaten im Fall von Terroranschlägen einander unterstützen. Hinsichtlich einer verstärkten Zusammenarbeit gebe es die Möglichkeit einer strukturierten Zusammenarbeit, eine Kooperation zwischen Mitgliedsstaaten mit anspruchsvolleren Voraussetzungen, und eine enge Zusammenarbeit, eine Form der gegenseitigen Verteidigung. Darüber hinaus sei eine gemeinsame Rüstungsagentur geplant. Grundsätzlich unterstütze die Bundesregierung die Vorschläge, wobei sicher gestellt sein müsse, dass alle Mitgliedsstaaten mit gleichen Rechten und Pflichten ausgestattet sind.

Zum kürzlich stattgefundenen Treffen in New York mit anderen EU-Staaten bemerkte die Außenministerin, dass es deren Ziel sei, die kommende Regierungskonferenz zu einer richtigen Regierungskonferenz zu machen. Die Gruppe wolle vor allem das Gleichgewicht der Mitglieder und das institutionelle Gleichgewicht sowie den Vorrang der Gemeinschaftsmethode gewahrt wissen. Dies dürfe nicht zur Disposition stehen, sagte Ferrero. Beim gestrigen Rat für Allgemeine Angelegenheiten habe sie ein erstes Etappenziel erreicht, als sich die italienische Präsidentschaft nun dessen bewusst sei, dass die Regierungskonferenz nur dann Erfolg haben werde, wenn alle Mitglieder den Eindruck haben, ihre Anliegen finden entsprechend Gehör. (Fortsetzung)